
Die proximale Rowcarpektomie als „salvage procedure“
Autoren:
Dr. Rudolf Rosenauer
Dr. Christoph Pezzei
Dr. Stefan Quadlbauer
Priv.-Doz. Dr. Thomas Hausner
Dr. Martin Leixnering
AUVA Traumazentrum Wien
Standort Lorenz Böhler
E-Mail: r.rosenauer@gmx.net
Die proximale Rowcarpektomie gilt als Rettungsoperation bei fortgeschrittener Destruktion des Handgelenkes, beispielsweise bei SLAC- oder SNAC-Wrist. Sie beinhaltet die operative Entfernung der proximalen Handwurzelreihe und dient der Schmerzreduktion sowie der Wiederherstellung der Beweglichkeit und Griffkraft. Derfolgende Artikel erläutert diese Technik und präsentiert eigene Ergebnisse.
Erstmalig beschrieben wurde die proximale Rowcarpektomie (PRC) 1944 von T. T. Stamm.1 Die Bewegungsachse wird nach dem Eingriff durch die Fossa lunata der Speiche und das Kopfbein geleitet. Daraus ergibt sich auch die wesentlichste Voraussetzung für diese Operation: eine intakte Gelenksfläche zwischen Kopfbein und Fossa lunata. Die häufigsten Indikationen für eine PRC sind der karpale Kollaps infolge einer Kahnbeinpseudoarthrose („scaphoid non-union advanced collapse“, SNAC-Wrist) oder eines Risses des scapholunären Bandes („scapholunate advanced collapse“, SLAC-Wrist) sowie eine aseptische Mohnbeinnekrose (Morbus Kienböck).
Alternativ stehen die „four courner fusion“, Teil- oder vollständige Arthrodesen des Handgelenks sowie die endoprothetische Versorgung zur Verfügung.
Operationstechnik
Der Zugang erfolgt in der Regel über eine längsgestellte Inzision dorsal am Handgelenk. Alternativ können zwei quere Inzisionen verwendet werden. Zwischen dem dritten und vierten oder durch das vierte Strecksehnenfach wird in die Tiefe eingegangen. Neben der Sehne des Musculus extensor carpi ulnaris wird das Würfelbein dargestellt und entfernt. Anschließend werden durch ein Portal zwischen den Sehnen des Musculus extensor pollicis longus und den Musculi extensores carpi radialis longus und brevis das Kahn- und das Mondbein entfernt. Es sollte dabei darauf geachtet werden, die radikarpalen Bänder und den Knorpelüberzug am Kopfbein und an der Speiche möglichst zu schonen. Vor allem beugeseitig sind die Knochen oft nur schwer zu mobilisieren. Zusätzlich sollte eine partielle Denervierung des Handgelenkes mit Resektion des Nervus interosseus posterior und des N. interosseus anterior erfolgen.
Mittels Bildwandler wird anschließend die Resektion überprüft und das Handgelenk durchbewegt. Ein Impingement des Trapeziums am Processus styloideus radii in Radialduktion des Handgelenks kann durch eine Resektion des Speichengriffels adressiert werden. Die Nachbehandlung erfolgt mittels Ruhigstellung für vier Wochen in einer thermoplastischen Schiene. Anschließend wird mit Physiotherapie begonnen.
Komplikationen
Grundsätzlich ist die PRC ein komplikationsarmer Eingriff. Es bestehen jedoch die allgemeine Risiken chirurgischer Eingriffe, wie Wundheilungsstörungen, Gelenkseiterungen oder Verletzungen von Sehnen, Gefäßen oder Nerven. Weiters ist postoperativ mit einer Reduktion der Kraft und des Bewegungsumfanges zu rechnen. Diese sind jedoch schmerzbedingt zumeist präoperativ bereits deutlich eingeschränkt. Als Langzeitfolge wird eine fortschreitende Arthrose zwischen Kopfbein und Speiche beschrieben.
Alternative Eingriffe
Behandlungsalternativen müssen präoperativ anhand der klinischen und radiologischen Diagonstik genau abgewogen werden. Bei geringen Schmerzen und guter Beweglichkeit im Handgelenk kann eine reine Denervierung durchgeführt werden. Isolierte arthrotische Veränderungen des Kahn- und Mondbeins mit Destruktion der Speichengelenksfläche können mittels Teilarthrodese des Handgelenks (Versteifung von Speiche, Kahn- und Mondbein: RSL-Arthrodese) behandelt werden. Hierfür muss aber das Mediokarpalgelenk intakt sein. Besteht eine fortgeschrittene Arthrose mediokarpal oder hauptsächlich im Bereich der Fossa scaphoidea, kann eine „four corner fusion“ (4CF) durchgeführt werden. Im Falle einer Panarthrose steht als letzte Therapieoption nur mehr die Handgelenksarthrodese zur Verfügung. Die endoprothetische Versorgung nimmt derzeit noch einen eher untergeordneten Stellenwert ein.
Vergleich von PRC und 4CF
Bei einer 4CF erfolgen eine Arthrodese des Mond-, Dreiecks-, Kopf- und Hakenbeins sowie eine Entfernung des Kahnbeins. Unweigerlich können damit Komplikationen wie delayed- oder non-union und Implantatversagen einhergehen. Diese treten bei bis zu 5,5% der Patienten auf. Eine 4CF stellt das technisch anspruchsvollere Verfahren dar, wodurch die erhöhte Komplikationsrate teilweise erklärt werden kann.
Biomechanische Studien konnten eine nur eingeschränkt passende Artikulation zwischen Kopfbein und der distalen Speiche nachweisen, wodurch eine vermehrte radiologische Arthrose nach einer PRC erklärbar wäre.2 Klinisch hat diese meist jedoch keine Konsequenz. Mulford et al. verglichen in einer Reviewarbeit die beiden Techniken. Insgesamt zeigten sich keine Unterschiede in Bezug auf Griffkraft, Schmerzreduktion und subjektives Outcome. Die PRC bietet eine gering bessere Beweglichkeit postoperativ, hingegen war die Komplikationsrate nach 4CF deutlich erhöht.3
Autorenergebnisse der PRC
Von 100 zwischen 1994 und 2018 operierten Patienten konnten 39 nachuntersucht werden. Alle Patienten hatten einen durchschnittlichen Bewegungsumfang in Extension/Flexion von 88° (range: 30°–160°) und in der Radial-/Ulnarduktion von 43° (range: 15°–55°) an der operierten Seite. Der Schmerz wurde in Ruhe mit 1,45 (range: 0–8) und mit 2,7 (0–9) bei schwerer Belastung angegeben. Im Mittel ergaben sich ein DASH-Score von 25 (range: 0–70) Punkten, ein PRWE-Score von 23,1 (0–87) und ein MHQ-Score von 62,9 (range: 0–100). Hinsichtlich des Mayo-Wrist-Scores konnte bei zwei Patienten ein exzellentes, bei 15 ein gutes, bei 14 ein durchschnittliches und bei sechs ein schlechtes Ergebnis erzielt werden. Die mittlere Griffkraft lag bei 25,6 (range: 6–46) auf der operierten und bei 30,5 (range: 6–52) auf der gesunden Seite. Dies entspricht 84% der Kraft der Gegenseite.
Acht Patienten gaben an, ihren Beruf postoperativ gewechselt zu haben, 29 (74%) konnten ihren Beruf behalten und zwei Patienten haben diesbezüglich keine Angabe gemacht.
Beim Vergleich des funktionellen Outcomes von Patienten mit einem Follow-up unter 10 Jahren und über 10 Jahre postoperativ konnte lediglich für den ästhetischen Unterwert des MHQ-Scores ein signifikanter Unterschied gefunden werden. Sämtliche anderen klinischen Werte, Bewegungsumfänge und radiologischen Ergebnisse zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.
Somit wurden auch über einen durchschnittlichen Nachuntersuchungszeitraum von 8,9 Jahren (range: 2–22) konstante funktionelle Ergebnisse festgestellt. Werden die klinischen Scores und die angegebenen Schmerzen als Punktdiagramme mit Trendlinie dargestellt, können im gesamten Nachbeobachtungszeitraum keine statisch signifikanten Veränderungen gefunden werden (Abb. 1, 2). Ein leichter Rückgang der Schmerzen und eine leichte Verbesserung der klinischen Scores werden am ehesten mit einer besseren Adaptierung an die Handfunktion interpretiert. Eine eventuell radiologisch fortschreitende Arthrose zwischen Kopfbein und Speiche manifestiert sich klinisch daher nicht.
Zusammenfassung
Die PRC stellt eine Rettungsoperation bei fortgeschrittener Destruktion des Handgelenks aufgrund einer Lunatummalazie oder eines SNAC- oder SLAC-Wrists dar. Damit kann wieder eine gute Beweglichkeit hergestellt und eine gute Griffkraft erzielt werden. Unserer Beobachtung nach konnte ein Großteil der Patienten (75%) ihrer ursprünglichen Erwerbstätigkeit auch nach der Operation nachgehen. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die niedrige Komplikationsrate und die Beständigkeit der Ergebnisse über einen längeren Beobachtungszeitraum. Ist die postoperative Rehabilitation abgeschlossen, kommt es auch über zehn Jahre nach der Operation zu keiner wesentlichen Befundverschlechterung. Weiters gilt es hervorzuheben, dass es sich bei dem Patientenkollektiv, welches für eine PRC infrage kommt, um Menschen in mittlerem, erwerbsfähigem Alter mit einer fortgeschrittenen Destruktion des Handgelenks handelt. In der Regel sind sie bereits vor der Operation in ihrem Alltag, Berufsleben und in ihrer Freizeitgestaltung deutlich eingeschränkt. Eine chirurgische Behandlung mit verlässlichen und beständigen Ergebnissen nimmt vor diesem Hintergrund einen noch höheren Stellenwert ein.
Literatur:
1 Stamm TT: Excision of the proximal row of the carpus. Proc R Soc Med 1944; 38(2): 74-5 2 Fan S et al.: The effect of four-corner fusion and proximal row carpectomy on uniplanar and multiplanar wrist motion: a biomechanical study. J Orthop 2021; 24: 102-10 3 Mulford JS et al.: Proximal row carpectomy vs four corner fusion for scapholunate (Slac) or scaphoid nonunion advanced collapse (Snac) wrists: a systematic review of outcomes. J Hand Surg Eur Vol 2009; 34(2): 256-63
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