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Fragilitätsfrakturen des Humerus und die sekundäre Prävention der Osteoporose
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Radko Komadina
General & Teaching Hospital Celje, Medical Faculty Ljubljana
30
Min. Lesezeit
14.02.2019
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<p class="article-intro">Frakturen des proximalen Humerus gehören zu den vier häufigsten Fragilitätsfrakturen bei älteren Menschen. Osteoporose beeinflusst das Behandlungsergebnis. Unter den Behandlungsoptionen finden sich offene Reposition, Fixierung, Nagelung, Gelenkersatz und konservative Behandlung, aber es gibt immer noch keinen Konsens über die beste Therapieoption. Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um den Zustand des Knochens und die Frakturrisiken nach einem Vorfall auf evidenzbasierte und kostengünstige Weise zu bewerten. Aktive Behandlungen sollten gemäß den lokalen Guidelines durchgeführt werden, die sich in den verschiedenen Ländern unterscheiden. Wichtig ist die sekundäre Prävention der Osteoporose im Anschluss an bereits erfolgte Frakturen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Proximale Humerusfrakturen gehören bei älteren Personen zu den vier häufigsten Fragilitätsfrakturen. Mit der zunehmenden Langlebigkeit in den Industrieländern wird erwartet, dass ihre Inzidenz in naher Zukunft weiter zunehmen wird. Die Mehrheit der Patienten, die solche Frakturen erleiden, ist immer noch aktiv, lebt unabhängig und mit Teilhabe an der Gesellschaft. Die Fraktur tritt nach dem Sturz aus Standhöhe als typische Folge eines niedrigenergetischen Traumas in Kombination mit einer erhöhten Knochenbrüchigkeit aufgrund von Osteoporose auf.<br /> Die primäre postmenopausale bzw. senile Osteoporose ist eine systemische metabolische Skeletterkrankung, die zu einem erhöhten Frakturrisiko führt. Knochen besteht aus organischem Kollagen, das dem Knochen die Elastizität verleiht, und anorganischem Kalziumhydroxylapatit, der die Druckfestigkeit gewährleistet. Beide Komponenten ermöglichen es dem Knochen, äußeren Kräften zu widerstehen, und verhindern Verformungen und Brüche.<br /> Das Phänomen einer Fragilitätsfraktur wird mit dem Nevitt-Modell der Knochenbrüchigkeit erklärt. Die Knochenstärke ist die Summe der Knochenmasse (Knochenmineraldichte, BMD, gemessen mit DXA) und der Knochenqualität (Kollagen, mit DXA nicht messbarer organischer Bestandteil, Mikroarchitektur von Knochentrabekeln im spongiösen Knochen, Kortikalisdicke, Einfluss der Form und Größe der Knochen am Aufprallort). Eine osteoporotische Fraktur ist das Ergebnis eines Traumas (Krafteinwirkung, Gegenwirkung) und einer Knochenerkrankung (Knochenqualität, Knochenfestigkeit).<br /> Für die proximale Humerusfraktur ist der dominierende Faktor der Sturz des Patienten. Derzeit ist es uns nicht möglich zu erkennen, welche älteren Personen mit geringer BMD stürzen und eine Fraktur erleiden werden. Glücklicherweise können sich aus den nationalen Registern von Patienten, die kürzlich im Rahmen von Sturzpräventionsprogrammen in Pflegeheimen gestürzt sind, neue Strategien entwickeln.</p> <h2>Arten von Frakturen</h2> <p>Es gibt viele Klassifizierungen für proximale Humerusfrakturen, die hauptsächlich auf der Anzahl der Fragmente, ihrer Stabilität und der Beziehung zwischen den Hauptfragmenten basieren. Die Mehrheit von ihnen teilt Frakturen in zwei Untergruppen ein: einfache Frakturen mit 2 Fragmenten und kompliziertere Fälle mit 3, 4 oder mehr Fragmenten. Wenn die Fraktur stabil und nicht oder nur minimal verschoben ist, sollte die Behandlung konservativ sein. Im Gegensatz dazu empfiehlt die ESTES (European Society for Trauma and Emergency Surgery) aktuell verschiedene Operationsmodalitäten für komplexe instabile Frakturen mit 3 oder 4 Fragmenten. Die vorgeschlagenen Behandlungsoptionen sind Operationen mit offener Reposition und innerer Fixierung, intramedulläre Nagelungen oder Gelenkersatz.</p> <h2>Konservative Behandlung</h2> <p>Konservative Behandlung bedeutet nicht nur wachsames Warten. Sie umfasst die Schwerkraft als ein wesentliches Element der Frakturausrichtung, Manipulationsmanöver unter Röntgenstrahlen und die aktive Beteiligung des Patienten an einem streng kontrollierten Rehabilitationsprotokoll. Bei nicht dislozierten, minimal verlagerten und stabilen Frakturen beträgt der erwartete Zeitrahmen der Frakturfestigung durchschnittlich 6 Wochen. Dieses Zeitintervall kann bei Verwendung verschiedener Arten vorgefertigter Schienen noch verkürzt werden. Der Heilungsprozess von Frakturen sollte mit Verlaufsröntgenuntersuchungen überwacht und die Intensität der körperlichen Übungen und der medizinischen Rehabilitation entsprechend angepasst werden.</p> <h2>Chirurgische Behandlung</h2> <p>Für die chirurgische Behandlung gibt es verschiedene Optionen mit winkelstabilen Platten, intramedullären Nägeln, partiellem Gelenkersatz und inverser Schulterendoprothetik. Bisher gibt es keine klare Antwort, welche Methode anderen überlegen ist. Einem Cochrane-Review zufolge gibt es keine Überlegenheit in den Ergebnissen nach chirurgischer oder konservativer Behandlung. Daher besteht immer noch kein Konsens über die beste Behandlungsoption.<br /> Die Studien konzentrieren sich auf radiologische Ergebnisse und den Bewegungsumfang im Schultergürtel. ICF-Klassifizierungen betonen jedoch auch die Bedeutung der Einschränkung der täglichen Aktivitäten und der sozialen Ausgrenzung, da viele der betroffenen Patienten Hilfe benötigen. Jüngste Daten zeigen nahezu gleiche Ergebnisse bei solchen funktionellen Ergebnissen, selbst bei verschobenen Frakturen bei Patienten über 60 Jahre, wenn die Ergebnisse konservativer und operativer Methoden verglichen wurden.<br /> Es wurde keine prospektive randomisierte Studie veröffentlicht, bei der Verplattungen mit intramedullären Nägeln verglichen wurden. Verplattungen sind intramedullären Nägeln überlegen, wenn die anatomische Reposition der Fragmente berücksichtigt wird. Die Exposition von Knochenfragmenten während des Verfahrens kann jedoch eine Herausforderung darstellen. Auf der anderen Seite ist das Nageln weniger invasiv als das Verplatten, aber die Osteoporose kann bei Frakturen mit 3 oder 4 Knochenfragmenten die Stabilisierung der Fraktur gefährden. Die funktionellen Ergebnisse scheinen von der Komplexität der Fraktur, der Fragilität des Knochens, den Komorbiditäten des Patienten und dem allgemeinen Zustand, der die postoperative Rehabilitation bestimmt, beeinflusst zu werden. Bei den komplexesten Frakturen kann die Vaskularität für die Hauptfragmente problematisch sein. Bei solchen Hochrisikopatienten und in Fällen mit Beteiligung der Tuberositas, dünnen Kortikalis- oder Kopfsplitfrakturen, die aufgrund einer hohen Komplikationsrate keine guten Rekonstruktionskandidaten sind, könnte der Schulterersatz die primäre therapeutische Modalität sein.</p> <h2>Sekundäre Prävention von osteoporotischen Frakturen</h2> <p>Proximale Humerusfrakturen bei älteren Patienten sind bedeutende osteoporotische Frakturen, die nicht nur mit einer erheblichen Morbidität, sondern auch mit einer übermäßigen Mortalität ähnlich wie Hüft- und Wirbelkörperfrakturen verbunden sind. Darüber hinaus ist eine solche Fraktur ein gut dokumentierter Risikofaktor für zukünftige Frakturen. Dieses Risiko ist unmittelbar nach dem ersten Frakturereignis am höchsten. Trotz dieser Argumente für die sekundäre Prävention gibt es immer noch eine große Untersuchungs- und Behandlungslücke hinsichtlich der Verhinderung nachfolgender Frakturen bei Hochrisikopatienten mit kürzlich erlittenen Frakturen einschließlich proximaler Humerusfrakturen.<br /> Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um den Knochenzustand und die Frakturrisiken nach einer osteoporotischen Fraktur evidenzbasiert und kostengünstig zu bewerten. Wir haben zunächst ein Modell vorgeschlagen, das sich auf stationäre Patienten mit Hüftfrakturen konzentriert, und zwar mithilfe eines eigens engagierten Stationskoordinators. Dieser Ansatz könnte auch auf Patienten mit proximalen Humerusfrakturen übertragen werden. Es gibt jedoch Belege dafür, dass ein multidisziplinäres, strukturiertes Programm bei einem Fracture Liaison Service (FLS) der geeignetste Ansatz für die sekundäre Prävention von osteoporotischen Frakturen bei älteren Menschen ist. Das Hauptziel des FLS besteht darin, alle Patienten mit einer Fragilitätsfraktur automatisch einzubeziehen, um vermeidbare fraktionsbedingte Komplikationen, stationäre Wiederaufnahmen und weitere Frakturen zu vermeiden.<br /> Frakturen der Hüfte und der Wirbelkörper werden in der Regel als ausreichend für die Diagnose einer schweren Osteoporose und den Beginn der Therapie angesehen. Dies ist jedoch normalerweise nicht der Fall bei anderen osteoporotischen Frakturen, einschließlich proximaler Humerusfrakturen. Folglich sollte bei allen davon betroffenen Patienten die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Fraktur durch den FRAX-Algorithmus bestimmt werden, und die BMD-Messung sollte unter Verwendung der DXA durchgeführt werden. Zusätzliche Beurteilungen umfassen eine detaillierte Bewertung der Anamnese, der Verwendung von Medikamenten, klinischer Risikofaktoren für Knochenfragilität und des Sturzrisikos. Die Beurteilung der Wirbelkörperfraktur (VFA) durch DXA oder Röntgenaufnahmen der lateralen Wirbelsäule wird ebenfalls empfohlen, um subklinische Wirbelkörperfrakturen zu erkennen und die Patienten entsprechend ihrem Frakturrisiko weiter zu stratifizieren. Die Schwellenwerte für den Behandlungsbeginn, die auf den Wahrscheinlichkeiten der wichtigsten osteoporotischen Frakturen und Hüftfrakturen basieren, sollen sich aus den FRAXWerten und/oder den BMD-Werten ableiten. Diese sind länderspezifisch und variieren je nach Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln der Gesundheitsbudgets der einzelnen Staaten.<br /> Alle Patienten sollten hinsichtlich des Lebensstils beraten werden: mäßiger Alkoholkonsum, Raucherentwöhnung, gesunde Ernährung einschließlich einer täglichen Kalziumzufuhr von 800– 1200mg (vorzugsweise durch Diät) und genügend Protein aus der Nahrung (idealerweise durch Milchprodukte erzielt), ausreichende Vitamin-D-Zufuhr (in der Regel 800–1000 IE pro Tag), regelmäßige körperliche Aktivität und Sturzprävention.<br /> Eine aktive Behandlung sollte gemäß den lokalen Guidelines durchgeführt werden. Vor Beginn der Behandlung ist es wichtig, sekundäre Ursachen von Osteoporose und andere Knochenerkrankungen durch Standardlaboruntersuchungen auszuschließen. Antiresorptive Wirkstoffe wie Bisphosphonate (Alendronat, Risedronat, Zoledronsäure) sind meistens die erste Wahl. In der Tat gab es randomisierte kontrollierte Studien, in denen die Wirksamkeit dieser Arzneimittel bei der Verhinderung von Sekundärfrakturen nach Wirbel- und Hüftfrakturen beschrieben wurde, aber keine, die die Wirksamkeit nach anderen nicht vertebralen Frakturen wie proximalen Humerusfrakturen zeigte. Im Vergleich zu Placebo reduzierte nur Denosumab das Risiko für eine sekundäre Fragilitätsfraktur unabhängig von der vorherigen Frakturstelle um 39 % . Das osteoanabolisch wirkende Teriparatid kann in ausgewählten Fällen mit schwerer Osteoporose bevorzugt nach einem vorangegangenen Behandlungsversagen in Betracht gezogen werden.</p> <p><br /><em>Deutsche Übersetzung:</em><br /> Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer<br /> Universitätsklinik für Orthopädie<br /> und Unfallchirurgie, Wien<br /> E-Mail: gerold.holzer@meduniwien.ac.at</p></p>
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