© Getty Images

Fragilitätsfrakturen des Humerus und die sekundäre Prävention der Osteoporose

<p class="article-intro">Frakturen des proximalen Humerus gehören zu den vier häufigsten Fragilitätsfrakturen bei älteren Menschen. Osteoporose beeinflusst das Behandlungsergebnis. Unter den Behandlungsoptionen finden sich offene Reposition, Fixierung, Nagelung, Gelenkersatz und konservative Behandlung, aber es gibt immer noch keinen Konsens über die beste Therapieoption. Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um den Zustand des Knochens und die Frakturrisiken nach einem Vorfall auf evidenzbasierte und kostengünstige Weise zu bewerten. Aktive Behandlungen sollten gemäß den lokalen Guidelines durchgeführt werden, die sich in den verschiedenen Ländern unterscheiden. Wichtig ist die sekundäre Prävention der Osteoporose im Anschluss an bereits erfolgte Frakturen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Proximale Humerusfrakturen geh&ouml;ren bei &auml;lteren Personen zu den vier h&auml;ufigsten Fragilit&auml;tsfrakturen. Mit der zunehmenden Langlebigkeit in den Industriel&auml;ndern wird erwartet, dass ihre Inzidenz in naher Zukunft weiter zunehmen wird. Die Mehrheit der Patienten, die solche Frakturen erleiden, ist immer noch aktiv, lebt unabh&auml;ngig und mit Teilhabe an der Gesellschaft. Die Fraktur tritt nach dem Sturz aus Standh&ouml;he als typische Folge eines niedrigenergetischen Traumas in Kombination mit einer erh&ouml;hten Knochenbr&uuml;chigkeit aufgrund von Osteoporose auf.<br /> Die prim&auml;re postmenopausale bzw. senile Osteoporose ist eine systemische metabolische Skeletterkrankung, die zu einem erh&ouml;hten Frakturrisiko f&uuml;hrt. Knochen besteht aus organischem Kollagen, das dem Knochen die Elastizit&auml;t verleiht, und anorganischem Kalziumhydroxylapatit, der die Druckfestigkeit gew&auml;hrleistet. Beide Komponenten erm&ouml;glichen es dem Knochen, &auml;u&szlig;eren Kr&auml;ften zu widerstehen, und verhindern Verformungen und Br&uuml;che.<br /> Das Ph&auml;nomen einer Fragilit&auml;tsfraktur wird mit dem Nevitt-Modell der Knochenbr&uuml;chigkeit erkl&auml;rt. Die Knochenst&auml;rke ist die Summe der Knochenmasse (Knochenmineraldichte, BMD, gemessen mit DXA) und der Knochenqualit&auml;t (Kollagen, mit DXA nicht messbarer organischer Bestandteil, Mikroarchitektur von Knochentrabekeln im spongi&ouml;sen Knochen, Kortikalisdicke, Einfluss der Form und Gr&ouml;&szlig;e der Knochen am Aufprallort). Eine osteoporotische Fraktur ist das Ergebnis eines Traumas (Krafteinwirkung, Gegenwirkung) und einer Knochenerkrankung (Knochenqualit&auml;t, Knochenfestigkeit).<br /> F&uuml;r die proximale Humerusfraktur ist der dominierende Faktor der Sturz des Patienten. Derzeit ist es uns nicht m&ouml;glich zu erkennen, welche &auml;lteren Personen mit geringer BMD st&uuml;rzen und eine Fraktur erleiden werden. Gl&uuml;cklicherweise k&ouml;nnen sich aus den nationalen Registern von Patienten, die k&uuml;rzlich im Rahmen von Sturzpr&auml;ventionsprogrammen in Pflegeheimen gest&uuml;rzt sind, neue Strategien entwickeln.</p> <h2>Arten von Frakturen</h2> <p>Es gibt viele Klassifizierungen f&uuml;r proximale Humerusfrakturen, die haupts&auml;chlich auf der Anzahl der Fragmente, ihrer Stabilit&auml;t und der Beziehung zwischen den Hauptfragmenten basieren. Die Mehrheit von ihnen teilt Frakturen in zwei Untergruppen ein: einfache Frakturen mit 2 Fragmenten und kompliziertere F&auml;lle mit 3, 4 oder mehr Fragmenten. Wenn die Fraktur stabil und nicht oder nur minimal verschoben ist, sollte die Behandlung konservativ sein. Im Gegensatz dazu empfiehlt die ESTES (European Society for Trauma and Emergency Surgery) aktuell verschiedene Operationsmodalit&auml;ten f&uuml;r komplexe instabile Frakturen mit 3 oder 4 Fragmenten. Die vorgeschlagenen Behandlungsoptionen sind Operationen mit offener Reposition und innerer Fixierung, intramedull&auml;re Nagelungen oder Gelenkersatz.</p> <h2>Konservative Behandlung</h2> <p>Konservative Behandlung bedeutet nicht nur wachsames Warten. Sie umfasst die Schwerkraft als ein wesentliches Element der Frakturausrichtung, Manipulationsman&ouml;ver unter R&ouml;ntgenstrahlen und die aktive Beteiligung des Patienten an einem streng kontrollierten Rehabilitationsprotokoll. Bei nicht dislozierten, minimal verlagerten und stabilen Frakturen betr&auml;gt der erwartete Zeitrahmen der Frakturfestigung durchschnittlich 6 Wochen. Dieses Zeitintervall kann bei Verwendung verschiedener Arten vorgefertigter Schienen noch verk&uuml;rzt werden. Der Heilungsprozess von Frakturen sollte mit Verlaufsr&ouml;ntgenuntersuchungen &uuml;berwacht und die Intensit&auml;t der k&ouml;rperlichen &Uuml;bungen und der medizinischen Rehabilitation entsprechend angepasst werden.</p> <h2>Chirurgische Behandlung</h2> <p>F&uuml;r die chirurgische Behandlung gibt es verschiedene Optionen mit winkelstabilen Platten, intramedull&auml;ren N&auml;geln, partiellem Gelenkersatz und inverser Schulterendoprothetik. Bisher gibt es keine klare Antwort, welche Methode anderen &uuml;berlegen ist. Einem Cochrane-Review zufolge gibt es keine &Uuml;berlegenheit in den Ergebnissen nach chirurgischer oder konservativer Behandlung. Daher besteht immer noch kein Konsens &uuml;ber die beste Behandlungsoption.<br /> Die Studien konzentrieren sich auf radiologische Ergebnisse und den Bewegungsumfang im Schulterg&uuml;rtel. ICF-Klassifizierungen betonen jedoch auch die Bedeutung der Einschr&auml;nkung der t&auml;glichen Aktivit&auml;ten und der sozialen Ausgrenzung, da viele der betroffenen Patienten Hilfe ben&ouml;tigen. J&uuml;ngste Daten zeigen nahezu gleiche Ergebnisse bei solchen funktionellen Ergebnissen, selbst bei verschobenen Frakturen bei Patienten &uuml;ber 60 Jahre, wenn die Ergebnisse konservativer und operativer Methoden verglichen wurden.<br /> Es wurde keine prospektive randomisierte Studie ver&ouml;ffentlicht, bei der Verplattungen mit intramedull&auml;ren N&auml;geln verglichen wurden. Verplattungen sind intramedull&auml;ren N&auml;geln &uuml;berlegen, wenn die anatomische Reposition der Fragmente ber&uuml;cksichtigt wird. Die Exposition von Knochenfragmenten w&auml;hrend des Verfahrens kann jedoch eine Herausforderung darstellen. Auf der anderen Seite ist das Nageln weniger invasiv als das Verplatten, aber die Osteoporose kann bei Frakturen mit 3 oder 4 Knochenfragmenten die Stabilisierung der Fraktur gef&auml;hrden. Die funktionellen Ergebnisse scheinen von der Komplexit&auml;t der Fraktur, der Fragilit&auml;t des Knochens, den Komorbidit&auml;ten des Patienten und dem allgemeinen Zustand, der die postoperative Rehabilitation bestimmt, beeinflusst zu werden. Bei den komplexesten Frakturen kann die Vaskularit&auml;t f&uuml;r die Hauptfragmente problematisch sein. Bei solchen Hochrisikopatienten und in F&auml;llen mit Beteiligung der Tuberositas, d&uuml;nnen Kortikalis- oder Kopfsplitfrakturen, die aufgrund einer hohen Komplikationsrate keine guten Rekonstruktionskandidaten sind, k&ouml;nnte der Schulterersatz die prim&auml;re therapeutische Modalit&auml;t sein.</p> <h2>Sekund&auml;re Pr&auml;vention von osteoporotischen Frakturen</h2> <p>Proximale Humerusfrakturen bei &auml;lteren Patienten sind bedeutende osteoporotische Frakturen, die nicht nur mit einer erheblichen Morbidit&auml;t, sondern auch mit einer &uuml;berm&auml;&szlig;igen Mortalit&auml;t &auml;hnlich wie H&uuml;ft- und Wirbelk&ouml;rperfrakturen verbunden sind. Dar&uuml;ber hinaus ist eine solche Fraktur ein gut dokumentierter Risikofaktor f&uuml;r zuk&uuml;nftige Frakturen. Dieses Risiko ist unmittelbar nach dem ersten Frakturereignis am h&ouml;chsten. Trotz dieser Argumente f&uuml;r die sekund&auml;re Pr&auml;vention gibt es immer noch eine gro&szlig;e Untersuchungs- und Behandlungsl&uuml;cke hinsichtlich der Verhinderung nachfolgender Frakturen bei Hochrisikopatienten mit k&uuml;rzlich erlittenen Frakturen einschlie&szlig;lich proximaler Humerusfrakturen.<br /> Es wurden verschiedene Ans&auml;tze entwickelt, um den Knochenzustand und die Frakturrisiken nach einer osteoporotischen Fraktur evidenzbasiert und kosteng&uuml;nstig zu bewerten. Wir haben zun&auml;chst ein Modell vorgeschlagen, das sich auf station&auml;re Patienten mit H&uuml;ftfrakturen konzentriert, und zwar mithilfe eines eigens engagierten Stationskoordinators. Dieser Ansatz k&ouml;nnte auch auf Patienten mit proximalen Humerusfrakturen &uuml;bertragen werden. Es gibt jedoch Belege daf&uuml;r, dass ein multidisziplin&auml;res, strukturiertes Programm bei einem Fracture Liaison Service (FLS) der geeignetste Ansatz f&uuml;r die sekund&auml;re Pr&auml;vention von osteoporotischen Frakturen bei &auml;lteren Menschen ist. Das Hauptziel des FLS besteht darin, alle Patienten mit einer Fragilit&auml;tsfraktur automatisch einzubeziehen, um vermeidbare fraktionsbedingte Komplikationen, station&auml;re Wiederaufnahmen und weitere Frakturen zu vermeiden.<br /> Frakturen der H&uuml;fte und der Wirbelk&ouml;rper werden in der Regel als ausreichend f&uuml;r die Diagnose einer schweren Osteoporose und den Beginn der Therapie angesehen. Dies ist jedoch normalerweise nicht der Fall bei anderen osteoporotischen Frakturen, einschlie&szlig;lich proximaler Humerusfrakturen. Folglich sollte bei allen davon betroffenen Patienten die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Fraktur durch den FRAX-Algorithmus bestimmt werden, und die BMD-Messung sollte unter Verwendung der DXA durchgef&uuml;hrt werden. Zus&auml;tzliche Beurteilungen umfassen eine detaillierte Bewertung der Anamnese, der Verwendung von Medikamenten, klinischer Risikofaktoren f&uuml;r Knochenfragilit&auml;t und des Sturzrisikos. Die Beurteilung der Wirbelk&ouml;rperfraktur (VFA) durch DXA oder R&ouml;ntgenaufnahmen der lateralen Wirbels&auml;ule wird ebenfalls empfohlen, um subklinische Wirbelk&ouml;rperfrakturen zu erkennen und die Patienten entsprechend ihrem Frakturrisiko weiter zu stratifizieren. Die Schwellenwerte f&uuml;r den Behandlungsbeginn, die auf den Wahrscheinlichkeiten der wichtigsten osteoporotischen Frakturen und H&uuml;ftfrakturen basieren, sollen sich aus den FRAXWerten und/oder den BMD-Werten ableiten. Diese sind l&auml;nderspezifisch und variieren je nach Verf&uuml;gbarkeit von finanziellen Mitteln der Gesundheitsbudgets der einzelnen Staaten.<br /> Alle Patienten sollten hinsichtlich des Lebensstils beraten werden: m&auml;&szlig;iger Alkoholkonsum, Raucherentw&ouml;hnung, gesunde Ern&auml;hrung einschlie&szlig;lich einer t&auml;glichen Kalziumzufuhr von 800&ndash; 1200mg (vorzugsweise durch Di&auml;t) und gen&uuml;gend Protein aus der Nahrung (idealerweise durch Milchprodukte erzielt), ausreichende Vitamin-D-Zufuhr (in der Regel 800&ndash;1000 IE pro Tag), regelm&auml;&szlig;ige k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t und Sturzpr&auml;vention.<br /> Eine aktive Behandlung sollte gem&auml;&szlig; den lokalen Guidelines durchgef&uuml;hrt werden. Vor Beginn der Behandlung ist es wichtig, sekund&auml;re Ursachen von Osteoporose und andere Knochenerkrankungen durch Standardlaboruntersuchungen auszuschlie&szlig;en. Antiresorptive Wirkstoffe wie Bisphosphonate (Alendronat, Risedronat, Zoledrons&auml;ure) sind meistens die erste Wahl. In der Tat gab es randomisierte kontrollierte Studien, in denen die Wirksamkeit dieser Arzneimittel bei der Verhinderung von Sekund&auml;rfrakturen nach Wirbel- und H&uuml;ftfrakturen beschrieben wurde, aber keine, die die Wirksamkeit nach anderen nicht vertebralen Frakturen wie proximalen Humerusfrakturen zeigte. Im Vergleich zu Placebo reduzierte nur Denosumab das Risiko f&uuml;r eine sekund&auml;re Fragilit&auml;tsfraktur unabh&auml;ngig von der vorherigen Frakturstelle um 39 % . Das osteoanabolisch wirkende Teriparatid kann in ausgew&auml;hlten F&auml;llen mit schwerer Osteoporose bevorzugt nach einem vorangegangenen Behandlungsversagen in Betracht gezogen werden.</p> <p><br /><em>Deutsche &Uuml;bersetzung:</em><br /> Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer<br /> Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die<br /> und Unfallchirurgie, Wien<br /> E-Mail: gerold.holzer@meduniwien.ac.at</p></p>
Back to top