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Kongenitale Deformitäten der Wirbelsäule
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Mag. Christian Bach
Abteilung für Orthopädie, LKH Feldkirch
Autor:
Dr. Julia Wolfram
Abteilung für Orthopädie, LKH Feldkirch<br> E-Mail: Julia.wolfram@vlkh.net
30
Min. Lesezeit
11.05.2017
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<p class="article-intro">Kongenitale Skoliosen, Kyphoskoliosen und Kyphosen bilden ein großes Spektrum an Wirbelsäulendeformitäten, die durch eine Entwicklungsstörung des Wirbelkörpers zu einer Imbalance des Längenwachstums führen. Dieses Krankheitsbild ist die Ursache für 3–5 % aller Skoliosen, weist eine Prävalenz von 0,5–1‰ auf und ist häufig mit weiteren Deformitäten und neurologischen Komplikationen vergesellschaftet. Die Therapie richtet sich nach dem Alter des Patienten und der zugrunde liegenden Deformität. Kongenitale Skoliosen können eine starke Progression zeigen und müssen gegebenenfalls schon im Kleinkindalter operativ korrigiert werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine kongenitale Skoliose kann durch Störungen der Formation und Segmentation hervorgerufen werden. Kinder mit einer kongenitalen Anomalie eines oder mehrerer Wirbelkörper entwickeln zu 80 % eine Skoliose, zu 14 % eine Kyphoskoliose und zu 6 % eine reine Kyphose.<br /><br /> Kongenitale Kyphoskoliosen und Kyphosen zeigen einen abnormen konvexen Winkel eines Segmentes der Wirbelsäule, welcher durch einen angeborenen Entwicklungsfehler der Wirbelkörper hervorgerufen wird, der das vordere oder anterolaterale Längenwachstum beeinträchtigt. Kongenitale Kyphoskoliosen (14 % ) und Kyphosen (6 % ) treten viel seltener auf als kongenitale Skoliosen (80 % ). Der Schweregrad dieser beiden Krankheitsbilder ist im Vergleich zu einer kongenitalen Skoliose jedoch viel größer. Eine progressive spastische Paraparese tritt bei 10 % der Patienten auf. Die tatsächliche Häufigkeit würde ohne operative Therapie deutlich höher liegen. Neurologische Auffälligkeiten entwickeln sich meist zwischen dem 8. und 11. Lebensjahr und ab einem Cobb-Winkel von 111°. Allerdings gibt es Fallberichte von Patienten mit einer spastischen Paraparese bereits ab einem Cobb-Winkel von 60°.<br /> Diese Deformitäten kommen mit einem Verhältnis von 1,3:1 bei Mädchen etwas häufiger vor. Der Apex der Kyphose kann zwischen Th2 und L5 auftreten, ist jedoch am häufigsten am thorakolumbalen Übergang lokalisiert (66 % ). Zwischen der Lokalisation und dem Schweregrad der Deformität konnte kein Zusammenhang festgestellt werden.<br /> Kongenitale Skoliosen, Kyphoskoliosen und Kyphosen werden nach der Ursache der Deformierung des Wirbelkörpers eingeteilt. Diese Einteilung fand 1973 durch Winter et al statt und wurde von McMaster und Singh 1999 weiterentwickelt und verfeinert.</p> <h2>Typ I: Formationsfehler</h2> <p>Fehler der anterioren Wirbelkörperformation sind mit 61 % die häufigste Ursache einer Kyphoskoliose oder kongenitalen Kyphose. Sie werden in 5 Untergruppen unterteilt:<br /><br /> <strong>Posterolateraler Quadrantwirbel</strong><br /> Aufgrund einer kompletten Fehlbildung des anterolateralen Anteils des Wirbelkörpers wird hier nur ein posterolateraler Quadrant mit variabler Größe gebildet, der über einen Pedikel mit dem Wirbelbogen verbunden ist. Er kann auf allen Höhen der Wirbelsäule vorkommen, tritt jedoch am häufigsten am thorakolumbalen Übergang auf. Die hervorgerufene Kyphoskoliose hat meist einen scharfen Winkel und betrifft durchschnittlich 5 Wirbel. Meist entdeckt man die Deformität im Alter von 3 Jahren. Die Progression vor dem 10. Lebensjahr ist durchschnittlich 2,5°/Jahr und steigt danach auf 5°/Jahr an.<br /><br /><strong> Lateraler Halbwirbel</strong><br /> Diese Deformität wird durch eine komplette unilaterale Formationsstörung eines Wirbels hervorgerufen. Aufgrund der unterschiedlichen Prognose wird sie in 3 weitere Subtypen unterteilt:<br /><br /> Vollständig segmentierter Halbwirbel (65 % )<br /> Diese Deformität kann in der gesamten Wirbelsäule auftreten. Die Disci intervertebrales kranial und kaudal zeigen – ebenso wie der laterale Anteil des Dreiecks – eine normale Größe. Somit fungiert der Halbwirbel im Wachstum als zunehmender Keil. Die Prognose hängt von der Lokalisation des Halbwirbels ab. In der oberen BWS entwickelt sich bis zum Wachstumsabschluss – meist mit einem langsamen Progress – ein Cobb-Winkel von bis zu 40°. Jedoch kommt es hierbei meist zu störenden kosmetischen Beeinträchtigungen.<br /> In der unteren BWS sowie der gesamten LWS beträgt der Cobb-Winkel bis 45°, es kommt jedoch kaum zu einem störenden Gesamtbild. Im lumbosakralen Übergang ruft der Halbwirbel ein Tilting der Wirbelsäule zu einer Seite hervor. Daraus entwickelt sich eine kompensatorische Krümmung mit starker Rotationskomponente. Hier ist eine frühe operative Korrektur indiziert, bevor die sekundäre Krümmung strukturell wird. Ein Halbwirbel in der oberen BWS resultiert in einer großen deformierenden lumbalen Kurve mit einem schnellen Progress. Im Bereich der unteren BWS und der gesamten LWS entwickelt sich keine kompensatorische Kurve und dies führt zu einer ausgeprägten Imbalance.<br /> Bei Vorliegen von zwei oder mehr Halbwirbeln entscheidet die Lage über die weitere Progression. Bei gegenüberliegenden Deformitäten ist die Wirbelsäule in ihrer Gesamtheit meist ausgeglichen und optisch keine Beeinträchtigung zu erkennen. Befindet sich der Halbwirbel ipsilateral, kann – insbesondere im lumbosakralen Übergang – ein rascher Progress mit einem Cobb-Winkel von bis zu 70° stattfinden. Daher sollte hier eine frühzeitige operative Korrektur durchgeführt werden.<br /><br /> Semisegmentierter Halbwirbel (22 % )<br /> Am häufigsten ist diese Anomalie in der LWS lokalisiert. Die Form des deformierten Wirbels ist dem vollständig segmentierten sehr ähnlich, jedoch ist er mit einem benachbarten Wirbel synostosiert. Der verbliebene Discus intervertebralis weist eine normale Größe auf. Da zwei Wachstumsfugen auf der konvexen Seite verknöchert sind, bleibt die Wirbelsäule balanciert. Eine Behandlung ist meist nicht nötig, da der Cobb-Winkel bis Wachstumsende <40° liegt.<br /> Eine Ausnahme ist das Vorliegen der Deformität im lumbosakralen Übergang. Hier kommt es zu einer zunehmenden Achsabweichung mit Verlust der Balance. Der Patient benötigt eine frühzeitige operative Korrektur.<br /><br /> Inkarzerierter Halbwirbel (12 % )<br /> Diese Deformität ist die seltenste der 3 Subtypen und am häufigsten in der BWS zu finden. Der inkarzerierte Wirbel weist eine ovalere Form auf, die Größe des lateralen Anteils beträgt meist weniger als zwei Drittel eines normalen Wirbels und er überragt die Mittellinie nicht. Die Disci intervertebrales sind kaum vorhanden. Die benachbarten Wirbel verändern ihre Form und kompensieren damit das Alignement, sodass häufig nur eine geringe Skoliose entsteht. Die Progression liegt unter 1°/Jahr und bei Skelettreife liegt nie ein Cobb- Winkel >30° vor. Somit ist eine Behandlung meist nicht nötig.<br /><br /><strong> Posteriorer Halbwirbel</strong><br /> Hier wird der anteriore Anteil des Wirbelkörpers nicht gebildet, wodurch ein posteriorer Keil entsteht, der über beide Pedikel mit dem Wirbelbogen verbunden ist. Diese Fehlbildung tritt fast immer in der kaudalen Brustwirbelsäule auf und betrifft im Durchschnitt 5 Wirbelkörper. Im Gegensatz zu der scharfen Kurve der Kyphose ist der Cobb-Winkel einer möglichen beteiligten Skoliose meist unter 20°.<br /><br /><strong> Schmetterlingswirbel („sagittal cleft“)</strong><br /> Bei diesem Typ werden der anteriore und zentrale Anteil des Wirbelkörpers nicht ausgebildet. Daraus resultieren 2 posterolaterale Fragmente, die über 2 Pedikel mit dem Wirbelbogen verbunden sind. Aus der nach medial und anterior zugespitzten Keilform der Fragmente ergibt sich in der ap- Röntgenaufnahme die typische Schmetterlingsform.<br /> Aus symmetrischen Fragmenten resultiert eine reine Kyphose, bei asymmetrischen Fragmenten entsteht eine Kyphoskoliose. Die Deformität tritt meist am thorakolumbalen Übergang auf und betrifft durchschnittlich 5 Wirbel.<br /><br /><strong> Anteriorer oder anterolateraler Keilwirbel</strong><br /> Hierbei wird der betroffene Wirbel durch eine Formationsstörung im anterioren oder anterolateralen Anteil nicht komplett entwickelt. Der Wirbelkörper reicht bis zum Ligamentum longitudinale anterius, erreicht im deformierten Anteil jedoch nur 30–50 % der Gesamthöhe des Wirbels. Die häufigsten Lokalisationen sind in der unteren BWS und oberen LWS. Das Ausmaß der Kurve betrifft durchschnittlich 6 Wirbel.</p> <h2>Typ II : Segmentationsfehler</h2> <p>Bei 21 % der Patienten mit Kyphoskoliosen oder reinen Kyphosen wird die Deformität durch einen Fehler der anterioren Wirbelkörpersegmentation hervorgerufen. Durch die fehlerhafte Segmentation tritt ein Knochenblock auf, der durch die angrenzenden Disci bis in den benachbarten Wirbel eintritt. Diese Fehlbildung kann man in 3 Untergruppen unterteilen:<br /><br /><strong> Anteriorer Blockwirbel („unsegmented bar“)</strong><br /> Bei diesem Typ liegt die Fehlbildung symmetrisch in der sagittalen Ebene und produziert somit eine reine Kyphose, deren Kurve im Durchschnitt 5 Wirbel betrifft und in der gesamten Wirbelsäule auftreten kann. Die Größe des Blockwirbels zieht sich am häufigsten über 3,5 Wirbel. Die Progression des Cobb-Winkels liegt bei circa 1°/Jahr.<br /><br /><strong> Anterolateraler Blockwirbel („unsegmented bar“)</strong><br /> Hierbei tritt ein Blockwirbel (durchschnittlich 3 Wirbel) auf, der asymmetrisch in der Sagittalebene liegt und damit eine Kyphoskoliose hervorruft. Die Kurve betrifft meist 7 Wirbel und kann in der gesamten Wirbelsäule auftreten. Die Konvexität kann zu gleichen Teilen zur linken wie zur rechten Seite ausgeprägt sein. Das Wachstum im Bereich des „unsegmented bar“ ist aufgrund der fehlerhaften Segmentation der Disci intervertebrales und der Wachstumsplatten aufgehoben. Auf der kontralateralen Seite setzt sich das longitudinale Wachstum jedoch fort. Die Progression vor dem 10. Lebensjahr liegt bei 2–3°/Jahr. Im pubertären Wachstumsschub zeigt der thorakolumbale Übergang eine Progression von 7°/Jahr und die BWS von 5°/Jahr. Bei bis zu 16 % der Patienten ist diese Erkrankung mit einer okkulten intraspinalen Anomalie vergesellschaftet.<br /><strong> Bilateraler Blockwirbel („unsegmented bar“)</strong><br /> Die Segmentationsstörung betrifft hierbei den gesamten Discus intervertebralis. Es kommt damit zu einer kompletten Fusion von 2 oder 3 Wirbeln und damit selten zu einer Skoliose.</p> <h2>Typ III: gemischte Wirbelkörperanomalien</h2> <p>Hierbei besteht eine Kombination aus einem anterolateralen Blockwirbel und einem oder mehreren Halbwirbeln. Die resultierende Kyphoskoliose tritt in der unteren BWS und oberen LWS auf, produziert eine scharfe Krümmung und betrifft durchschnittlich 5,5 Wirbel. Gemischte Wirbelkörperanomalien sind bei 11 % der Patienten mit Kyphosen und Kyphoskoliosen ursächlich für die Deformität. Bei Patienten unter 10 Jahren ist mit einem Progress von 5°/Jahr zu rechnen. Ab dem 10. Lebensjahr nimmt der Cobb-Winkel durchschnittlich um 8° pro Jahr zu. Bei bis zu 41 % der Patienten mit dieser Deformität sind intraspinale Anomalien nachweisbar. Typ IV: unklassifizierbare Anomalien Diese Fehlbildungen kommen bei 7 % der Patienten vor, liegen am Apex einer Kyphoskoliosenkurve und können aufgrund der Schwere der Deformität nicht differenziert werden (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s8_abb1.jpg" alt="" width="684" height="1189" /></p> <h2>Kongenitale Anomalien der Rippen und der Thoraxwand</h2> <p>Kongenitale Anomalien der Thoraxwand werden durch einen Formationsoder Segmentationsfehler der Rippen hervorgerufen und sind daher häufig mit kongenitalen Skoliosen und Kyphosen vergesellschaftet. Die Entwicklung der Rippen geht von mesenchymalen Kondensationen der thorakalen Somiten aus. Zunächst bilden sich die Processus costales, die sich zunehmend nach ventral bis zur Sternalleiste verlängern.<br /> Bei einer Fusion von 2 oder 3 Rippen oder einem leichten Wanddefekt, der durch das Fehlen oder die Deviation einer Rippe hervorgerufen wird, spricht man von einer simplen Deformität.<br /> Eine komplexe Deformität weist multiple Rippenfusionen mit einem großen Wanddefekt auf, der durch starke Deformität oder das Fehlen von mehreren Rippen hervorgerufen wird.<br /> Bei circa 20 % der Patienten mit einer kongenitalen Skoliose oder Kyphose kommt eine Anomalie der Rippen vor. Mädchen sind etwa 2,5 Mal häufiger als Jungen betroffen. Das Verhältnis von simplen zu komplexen Deformitäten liegt bei 80 % zu 20 % .<br /> Eine simple Thoraxdeformität tritt zu 80 % auf der konkaven Seite einer Skoliose auf, während sich komplexe Anomalien zu gleichen Teilen auf der Konkavität und Konvexität entwickeln können. Eine abnorme Anzahl an Rippen kann bei 10 % der Patienten mit kongenitalen Skoliosen, insbesondere bei einem unilateralen Segmentationsfehler, festgestellt werden.<br /> Eine Fusion der Rippen auf der konkaven Seite der Skoliose könnte einen gewissen adhäsiven Effekt aufweisen, der jedoch im Vergleich zur treibenden Kraft, dem unilateralen Wachstum der Wirbelsäule, vernachlässigbar ist.<br /> Durch das Vorliegen einer simplen oder komplexen Anomalie der Rippen kommt es zu keiner vermehrten Progression des Cobb-Winkels pro Jahr, jedoch kann die Restriktion des Atemvolumens zu einem zunehmenden respiratorischen Versagen und damit zu einem frühen Tod in der Kindheit führen.</p> <h2>Intraspinale Anomalien</h2> <p>Die Häufigkeit von intraspinalen Anomalien bei kongenitalen Skoliosen und Kyphosen variiert je nach Studie zwischen 6 und 58 % . Die Diskrepanz könnte mit der embryologischen Entwicklung des Rückenmarks erklärt werden. Die Grundlage des Rückenmarks wird – wie der Entwicklungsplan der Wirbelsäule – in der frühen Mesenchymalphase gebildet. Daher könnte eine intraspinale Anomalie bei kongenitalen Skoliosen deutlich häufiger als bei Kyphoskoliosen und Kyphosen auftreten. Eine Kyphose entwickelt sich erst, nachdem das Rückenmark bereits vollständig entwickelt ist.<br /> In allen Studien trat die Diastematomyelie mit 14 % am häufigsten auf, gefolgt von Syringomyelien und „tethered cord“. Intraspinale Anomalien sind bei 67 % der Kinder mit neurologischen Defiziten vergesellschaftet. Bei 56 % der Patienten treten im Rahmen der Myelonfehlentwicklung auch Anomalien der Haut auf, besonders häufig sind okkulte Behaarung, Nävi und Teleangiektasien zu finden. Aus diesem Grund ist es unbedingt notwendig, dass bei jedem Patienten mit einer kongenitalen Skoliose eine MRT-Untersuchung der gesamten Wirbelsäule durchgeführt wird, bevor eine Operation stattfindet, um intraspinale Fehlbildungen auszuschließen, da diese im Rahmen der Korrektur neurologische Komplikationen auslösen können.</p> <h2>Assoziierte Anomalien</h2> <p>Bei bis zu 30 % der Patienten können weitere Fehlbildungen festgestellt werden. Am häufigsten zeigen sich hierbei Deformitäten in der unteren Extremität (Klumpfüße, Hypoplasien, Coxa vara, Beinverkürzung, Syndaktylie). Es können jedoch auch kardiale, renale und intestinale Fehlbildungen sowie Assoziationen mit dem Goldenhar- und dem Prader-Willi-Syndrom festgestellt werden.<br /><br /> <strong>Sprengel-Deformität</strong><br /> Das Schulterblatt entwickelt sich mit dem Arm aus derselben Knospe in der 3. Embryonalwoche auf der Höhe zwischen dem 5. Halswirbel und dem 1. Brustwirbel. Nach der 5. Woche ist die Scapula vorhanden und wandert bis zum Ende des 3. Monats konsekutiv zu ihrer endgültigen Position zwischen dem 2. und 7. Brustwirbel. Ein unvollständiger Descensus resultiert in einem Schulterhochstand, der als Sprengel-Deformität bezeichnet wird. Diese Pathologie tritt bei 6 % der Patienten mit kongenitaler Skoliose auf und ist in 96 % mit einem zervikothorakalen oder thorakalen Apex vergesellschaftet.<br /> Wenn die Deformität auf der konkaven Seite der Skoliose auftritt (60 % ), fällt der durch die Skoliose hervorgerufene Schulterhochstand nicht auf und der Patient präsentiert sich symmetrisch. Bei einer Sprengel- Deformität auf der Konvexseite einer Skoliose (40 % ) kommt es zu einer Verschlechterung des kosmetischen Ergebnisses. Daher sollte bei einer operativen Korrektur hier ebenfalls die Scapula kaudalisiert werden. Mit 53 % kommen Rippendeformitäten etwas häufiger auf der ipsilateralen Seite der Sprengel-Deformität vor.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Korsettbehandlung ist bei kongenitalen Skoliosen nur bei der Behandlung von kompensatorischen Gegenkrümmungen nach der operativen Korrektur des Primärdefektes indiziert. Die kongenitale Deformität zeichnet sich durch das Fehlen von Wachstumsplatten aus und ist rigide. Dies kann durch ein Korsett nicht ausgeglichen werden.<br /> Zur Prävention einer weiteren Progression wird eine operative Sanierung vor dem 5. Lebensjahr bei einer Skoliose mit einem Cobb-Winkel <40° und einer Progression >5° pro Jahr empfohlen. Im Rahmen der halbjährlichen klinischen Verlaufskontrollen sollte jeweils eine Röntgenkontrolle durchgeführt werden. Nur somit kann ein Progress frühzeitig entdeckt und die Therapieform optimal angepasst werden.<br /> Die Entscheidung über das operative Verfahren muss individuell getroffen werden. Unerlässlich hierfür ist die Durchführung einer Computertomografie zur genauen Klassifizierung der Fehlbildung. Insbesondere müssen das Alter des Patienten, die Art und Größe der Deformität und das Vorhandensein einer Rückenmarkskompression berücksichtigt werden. Die Durchführung eines präoperativen MRT der gesamten Wirbelsäule zum Ausschluss von intraspinalen Anomalien wird für alle Patienten mit kongenitalen Deformitäten der Wirbelsäule empfohlen.<br /> Eine Progression der Deformität kann durch eine Fesselung mittels kurzstreckiger dorsaler Instrumentierung und Resektion des deformierten Wirbels verhindert werden. Die häufigste und am einfachsten zu behandelnde Fehlbildung, der unilaterale Halbwirbel, sollte frühzeitig mit einer einfachen Resektion des Halbwirbels und kurzstreckiger Spondylodese behandelt werden. Der Halbwirbel wird über den hinteren Zugang reseziert. Über das Schrauben-Stab-System wird konvexseitig komprimiert und die beiden Nachbarwirbel damit parallel eingestellt. Es resultiert keine Bewegungseinschränkung und die Wirbelsäule kann danach normal weiterwachsen. Die Halbwirbelresektion sollte schon im frühesten Kindesalter durchgeführt werden, um zu verhindern, dass sich größere Deformitäten, insbesondere Kyphoskoliosen, entwickeln (Abb. 2).<br /> Bei komplexen oder multisegmentalen Störungen kann meist keine Resektion durchgeführt werden. Hier empfiehlt sich die Wachstumslenkung mittels „growing rods“. Mit den neuen Systemen können die halbbis jährlichen Nachstellungen nun bereits perkutan durchgeführt werden. Die „Growing rod“- Technik wird schon seit vielen Jahren eingesetzt und ist Gegenstand laufender Forschungen, um die OPTechnik zu verbessern. Der Trend geht in Richtung minimal invasiver Verfahren und Schonung der Muskulatur. Grundsätzlich besteht das Problem, dass konventionelle „growing rods“ ein- bis zweimal/ Jahr im Rahmen einer Nachstelloperation verlängert werden müssen, um das Körperlängenwachstum auszugleichen. Diese Eingriffe stellen eine erhebliche Belastung für die Patienten und ihre Familien dar. Durch die sogenannten „magnetic rods“ können diese Nachstelloperationen vermieden werden, da sich die Stäbe perkutan nachstellen lassen. Die Prozedur erfolgt ambulant, ohne Narkose, und ist vollkommen schmerzfrei. Im Jahr 2016 führten wir die österreichweit erste Operation mit diesem neuartigen Wachstumssystem durch und sehen dies als deutliche Behandlungserleichterung für diese Patientengruppe an (Abb. 3).<br /> Bei Kindern unter 5 Jahren mit der Deformität in der BWS und insbesondere mit Thoraxdeformität auf der konkaven Seite der Skoliose wird eine operative Korrektur mit dem VEPTR-System („vertical expandable prosthetic titanium rib“) empfohlen. Eine langstreckige dorsale Instrumentierung hat bei diesen Patienten einen adversen Effekt auf das Thorax- und Lungenwachstum (Abb. 4).<br /> Bei Patienten nach dem 5. Lebensjahr mit Kyphosen >50° reicht aufgrund des geringen Wachstumspotenzials eine rein dorsale Instrumentierung nicht mehr aus. Hier wird zur optimalen Behandlung zusätzlich ein anteriores Release empfohlen. Prä- und intraoperativ muss unbedingt auf eine Traktion verzichtet werden. Hierbei würde das Rückenmark gegen den Apex gepresst werden, was mit einem großen neurologischen Risiko vergesellschaftet ist. Wenn ein Gibbus eines Patienten bereits neurologische Auffälligkeiten hervorgerufen hat, muss der gesamte Wirbel entweder über einen transthorakalen Eingriff oder eine Kostotransversektomie entfernt werden. Meist ist bei rigiden Hyperkyphosen eine VCR („vertebral column resection“) indiziert, wobei dazu ein oder mehrere Wirbelkörper von dorsolateral reseziert werden (Abb. 5). Die Deformität wird dadurch flexibel und kann meist gut korrigiert werden. Es handelt sich allerdings um ein technisch anspruchsvolles Verfahren mit neurologischem Risiko, insbesondere bei Osteotomiehöhen im BWSBereich. Laut dem SRS (Scoliosis Research Society) Morbidity and Mortality Report ist das neurologische Risiko bei der Korrektur von kongenitalen Kyphosen im Vergleich zu anderen Deformitäten am höchsten und beträgt bis zu 10 % .<br /> Bei all diesen Verfahren ist das sogenannte „Spinal cord“-Monitoring von essenzieller Bedeutung, da man intraoperativ permanent die Rückenmarksfunktion überwachen kann und zwar sowohl die sensorischen (SEP) als auch die motorischen Bahnen (MEP). Patienten, insbesondere mit Hyperkyphosen, die das neurologische Risiko scheuen und auf eine wesentliche Korrektur verzichten können, kann auch eine rein abstützende Operation mit einer gefäßgestielten Rippe oder Fibula angeboten werden. Dabei wird über einen ventralen Eingriff das Transplantat in den Kyphosescheitel eingesetzt und baut über die Jahre so weit um, dass es die Kyphose dauerhaft abstützen kann. Diese Art der Wirbelsäulenoperationen sollte, insbesondere bei Kindern, ausnahmslos in Zentren durchgeführt werden, die profunde Erfahrung mit diesen komplexen Fragestellungen haben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s8_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="658" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s8_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="1037" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s8_abb4.jpg" alt="" width="1417" height="590" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s8_abb5.jpg" alt="" width="959" height="716" /></p></p>
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<p>bei den Verfassern</p>
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