
Luxation nach Hüfttotalendoprothese: Wann revidieren? Immer tripolar?
Autoren:
Dr. Sebastian Simon1
Priv.-Doz. Dr. Jochen Hofstätter1,2
1 Michael-Ogon-Labor für orthopädische Forschung, Orthopädisches Spital Speising, Wien
2II. Orthopädische Abteilung, Orthopädisches Spital Speising, Wien
Korrespondierender Autor:
Priv.-Doz. Dr. Jochen Hofstätter
E-Mail: jochen.hofstaetter@oss.at
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Bei jeder Luxation müssen Ursache und Ausmaß der Instabilität abgeklärt werden. Bei rezidivierenden Luxationen sowie instabilen Verhältnissen nach Erstluxation ist nur eine Revisionsoperation zielführend. Dual-Mobility(DM)-Systeme sind eine bewährte Option in der Revisionsendoprothetik, aber kein Allheilmittel.
Keypoints
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Die Abklärung der Luxationsursache ist essenziell.
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DM-Systeme sind insbesondere bei luxationsgefährdeten älteren Patienten indiziert.
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Implantatspezifische Besonderheiten von DM-Systemen müssen beachtet werden.
Die Dislokation stellt neben der Infektion und der aseptischen Lockerung eine der postoperativen Hauptkomplikationen in der Hüftendoprothetik dar und ist einer der Hauptgründe für Revisionseingriffe. Die Häufigkeit von Dislokationen wird mit 0,2–10% nach primären und bis zu 35% nach Revisions-Hüft-TEP beziffert. Ungefähr 75% der Luxationen ereignen sich bereits im ersten Jahr nach primärer Hüft-TEP-Implantation. Eine Luxation bzw. die Angst vor einer neuerlichen Luxation ist eine psychisch sehr belastende Situation für Patienten.
Multiple Faktoren beeinflussen die Stabilität: z.B. Positionierung der Prothesenkomponenten (Pfannenanteversion und -inklination, femoraler und acetabulärer Offset, Länge, Schafttorsion und Flexion) entsprechend der Ausgangsanatomie und der spinopelvinen Balance, operativer Zugangsweg, Kopfgröße, Knochen- und Weichteildefekte, neuromuskuläre Erkrankungen etc.
Dorr et al. und Morrey et al. teilen Hüft-TEP-Luxationen wie folgt ein.
Ursächliche Einteilung:
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Positionsbedingte Dislokation ohne Nachweis von Komponentenmalalignment oder Weichteilimbalance
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Fehlpositionierung von Pfanne und/oder Schaft
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Weichteilimbalance
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Kombination von Malalignment und Weichteilimbalance
Zeitliche Einteilung:
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8 Wochen
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2 Monate bis 2 Jahre
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mehr als 2 Jahre
Lewinnek et al. definierten sogenannte „safe zones“ für die Pfanneninklination von 40°±10° und für die Anteversion von 15°± 0°, um das Luxationsrisiko zu minimieren. Diese Richtwerte stellen jedoch eine unzureichende Beschreibung dar, da es keine generellen „safe zones“ für die Vermeidung von Dislokationen gibt. Insbesondere die spinopelvine Balance rückte innerhalb der letzten Jahre in den Fokus der Hüftstabilitätsbeurteilung. Patienten mit langstreckigen LWS-Fusionen und/oder einem sagittalen Malalignment haben ein deutlich erhöhtes Luxationsrisiko. Dieser Aspekt ist in den oben genannten Klassifikationen noch nicht berücksichtigt.
Dieser Artikel soll einen Überblick über die Komplexität von Hüft-TEP-Luxationen geben, einen vereinfachten Abklärungs- und Therapiealgorithmus (Abb. 1) anbieten und insbesonders auf das Double-Mobility(DM)-System eingehen (Abb. 2).
Diagnostik und Therapie
Erleidet ein Patient eine Luxation, sind die genaue Abklärung der Ursache und das Ausmaß der Instabilität entscheidend für das weitere Vorgehen. Dabei ist eine Untersuchung in Narkose essenziell. Bei stabilen Verhältnissen und Erstluxation ist ein nicht operatives Vorgehen indiziert. Hier wird häufig eine Hüftorthese für 6 Wochen verwendet. Sie bietet den Patienten subjektiv mehr Sicherheit und gibt der geschädigten Kapsel Zeit zur Konsolidierung. Die Evidenz zur Orthesenversorgung ist jedoch nur sehr gering. Patienten mit einem hohen BMI (>25kg/m2), einer frühen postoperativen Luxation sowie einer nicht idealen Pfannenpositionierung haben ein schlechtes Outcome hinsichtlich einer erfolgreichen konservativen Behandlung. Weitere obligatorische diagnostische Schritte umfassen eine Röntgenaufnahme und eventuell eine CT zur Beschreibung der Schafttorsion und der Pfannenanteversion sowie zum Infektausschluss.
Falls es sich um eine Frühluxation handelt, kann bei signifikanter Fehlpositionierung ein Komponentenwechsel noch leichter durchgeführt werden. Prinzipiell ist bei einem operativen Vorgehen immer der knochen- und weichteilschonendste Eingriff zu wählen.
Der kleinstmögliche Eingriff ist die Verwendung eines überhöhten Inlays und eines längeren Kopfs, welcher Länge und Offset beeinflusst. Kombinationen aus überhöhtem Inlay und Kopf mit Kragen sollten aufgrund des hohen Risikos eines Impingements vermieden werden.
Bei alten festen Pfannen und älteren Patienten kann ein neues PE in die alte Pfanne hineinzementiert werden. Hier kann oft ein 36er-PE verwendet werden, wo in der ursprünglichen Pfanne nur ein 28er vorgesehen war. Constrained Inlays werden im angloamerikanischen Raum häufiger als bei uns verwendet. Auch hier gibt es mehrere unterschiedliche Systeme (Abb. 2). Die Voraussetzung hierfür sind fest eingewachsene Implantate, weil es ansonsten zu Frühlockerungen kommt. Aber auch Constrained Inlays bieten keinen absoluten Schutz und sollten nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden.
Wenn die ursprüngliche Pfanne groß genug ist, kann auch eine DM-Pfanne einzementiert werden. Muss ein Pfannenwechsel durchgeführt werden, gibt es unterschiedliche Varianten, wie ein DM-System zum Einsatz kommen kann.
Dual-Mobility-Pfannen
Gilles Bousquet, André Rambert, Jean Rieu und Daniel Noyer aus St. Etienne, Frankreich, entwickelten in den frühen 1970er-Jahren, basierend auf dem Modell von Christiansen, das Dual-Mobility-Konzept der Hüft-TEP, um den Abrieb zu verringern und die Stabilität zu verbessern. Es beinhaltet eine zementierbare oder zementfreie metallische Pfanne und ein mobiles Polyethylengleitlager, das einen Metall- oder Keramikkopf umschließt.
Ab 1979 waren die ersten zementfreien Pfannen am Markt erhältlich (beide Fa. SERF, Frankreich). Modifikationen dieser ersten Generation, wie zum Beispiel HA-Titanplasmaspraybeschichtung, Reduktion des anterioren Overhangs und natürlich auch die Entwicklung von highly-crosslinked PE mit und ohne Vitamin E führten zu einer weiteren signifikanten Verbesserung der derzeit am Markt befindlichen Implantate.
Abb. 2: a) Konzept eines DM-Systems, b) verschiedene Pfannensysteme für eine DM-Pfanne
Es gibt grundsätzlich zwei Bewegungsradien. Der erste ist zwischen dem Kopf und der konkaven Seite des Polyethylens und der zweite ist zwischen PE und der Pfanne. Bei kleinen Bewegungsumfängen bewegt sich der Kopf innerhalb des PE-Gleitlagers (Abb. 2a). Der innere Bewegungsradius zwischen Kopf und Polyethylen erzielt beim 22-mm-Kopf einen konischen Bewegungsradius von 51° und beim 28mm-Kopf einen Radius von 76° (Novae, Fa. Serf, Frankreich). Darüber hinaus kommt es zum Kontakt des Halses mit dem PE-Kopf und dieser beginnt sich mitzubewegen.
Der zweite Bewegungsradius zwischen PE und Pfanne hängt im Wesentlichen von der Pfannengröße ab. Hier ist der Radius bei einer 43er-Pfanne 126° und bei einer 65er-Pfanne 140° (Novae, Fa. Serf, Frankreich). Eine 53er-Pfanne, 45° inkliniert und 20° antevertiert, erreicht bei einem 11mm dicken Prothesenhals einen Bewegungsumfang von 126° in Abduktion/Adduktion, 186° in Flexion/Extension und 220° in der Rotation. Die Kontaktfläche zwischen Hals und PE-Kopf wird „third articulation“ genannt und ist ebenfalls eine wichtige Stelle, an der Abrieb entsteht (Abb. 2a). Studien zeigen, entgegen dem häufigen Vorurteil, keinen erhöhten gesamtvolumetrischen Abrieb der DM-Systeme im Vergleich zu einer normalen Standardartikulation. Abriebstudien haben gezeigt, dass der lineare innere Abrieb etwa 8- bis 9-mal größer ist als der äußere Abrieb. Der volumetrische Abrieb zwischen innerem und äußerem Radius ist wiederum annähernd gleich.
Die Implantation einer DM-Pfanne kann einerseits über einen Konverter (geklickt oder geschraubt, Abb. 2b4.) in eine Revisionspfanne erfolgen oder andererseits in Revisionsringe (Abb. 4), Revisionselemente (Abb. 6) oder Revisionspfannen einzementiert werden (Abb.2–6). Da es sich bei den Konvertern oft um ein anderes Metall als das bei der verwendeten Pfanne handelt, ist die Gefahr von Korrosion aufgrund der großen Kontaktfläche ein Thema.
Mittel- und langfristige Studien zeigen gute bis sehr gute Ergebnisse von DM-Pfannen. Relativierend muss jedoch angemerkt werden, dass es sich hierbei immer um relativ kleine Studien handelt. Die Verwendung von Konvertern ist ein Thema, dem man insbesondere bei jungen Patienten abwartend gegenüberstehen sollte, weil im Laufe der Zeit eventuell Abriebs- und Korrosionsprobleme auftreten könnten.
Abb. 3: a) 44 Jahre alter männlicher Patient, bei dem ein 36-mm-PE in eine bestehende Pfanne einzementiert und eine Weichteilrekonstruktion und ein Schaftwechsel mit einem 36-mm-Kopf durchgeführt wurden, b) a.p. Beckenröntgen 2 Jahre postoperativ, ohne Luxationen
Abb. 4: a) Mechanismus einer intraprothetischen Luxation einer DM-Pfanne, b, c) intraprothetische Dislokation, d) Implantation eines 36-mm-Kopfs mit einem Standard-PE in die bestehende Pfanne
Abb. 5: a) Periprothetische distale Femurfraktur, b, c) Z.n. Total-Femur-Implantation und Beckenrekonstruktion mit einem distalen Femurautograft und einem Burch-Schneider-Ring über anterioren Zugang, d) Weichteilrekonstruktion über lateralen Subvastus-Zugang
Abb. 6: a) Girdlestone mit anschließender Implantation einer TMARS-Pfanne mit Augmenten über einen dorsalen Zugang, b) Z.n. Implantation einer Ecofit-Pfanne in eine bestehende CSF-Pfanne, Schaftwechsel auf einen SLL sowie Weichteilrekonstruktion
Grundsätzlich kommen alle Patienten mit einem stark erhöhten Luxationsrisiko für eine DM-Pfanne infrage. In der Primärendoprothetik profitieren folgende Patientenkollektive von einem erhöhten Luxationsschutz:
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ältere Patienten
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Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen
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adipöse „Low demand“-Patienten/Pflegefälle
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alte Patienten mit Schenkelhals- oder pertrochantärer Fraktur
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Patienten mit hochgradiger Glutealinsuffizienz
Beispiele aus der Revisionsendoprothetik
Abbildung 2
Abbildung 2a zeigt das Konzept eines DM-Systems mit den unterschiedlichen Artikulationen bzw. Abriebregionen (1st, 2nd and 3rd articulation). Abbildung 2b stellt verschiedene Pfannensysteme zur Implantation eines DM-Systems dar: Ecofit®-2M-Pfanne (Implantcast®) zementiert (1) und zementfrei (2), (3) MDM-X3® (Stryker®), (4) MPACT® (Medacta®), (5) Lumic® (Implantcast®). Alle Modelle zeigen einen unterschiedlichen Grad der Überdachung.
Abbildung 3
Abbildung 3a zeigt einen 44 Jahre alten männlichen Patienten mit Zustand nach innerer Hemipelvektomie links bei sekundärem Osteosarkom aufgrund eines M. Paget. Eine Hemibeckenallograft-Rekonstruktion wurde in Italien durchgeführt und eine Trident-Pfanne (Stryker®) mit einem Constrained Inlay implantiert. Es folgten zwei Revisionseingriffe aufgrund rezidivierender Luxationen. Der Patient war 10 Monate mit einer luxierten Hüfte unterwegs. Es wurde ein 36-mm-PE in die bestehende Pfanne einzementiert und mithilfe des Mutars-Bandes erfolgten eine Weichteilrekonstruktion und ein Schaftwechsel mit einem 36-mm-Kopf. Das a.p. Beckenröntgen 2 Jahre postoperativ zeigte einen luxationsfreien Patienten, wie in Abbildung 2b zu sehen ist.
Abbildung 4
Der Mechanismus einer intraprothetischen Luxation einer DM-Pfanne ist in Abbildung 4a dargestellt. Abbildung 4b und c zeigen eine intraprothetische Dislokation 7 Jahre nach einer Lumic-DM-Implantation. Abbildung 4d zeigt den erfolgten Wechsel auf einen 36-mm-Kopf mit einem Standard-PE in die bestehende Pfanne.
Abbildung 5
Eine periprothetische distale Femurfraktur nach multiplen Revisionen ist in Abbildung 5a dargestellt. Es zeigten sich hochgradige knöcherne Defekte an Acetabulum und Femur sowie eine Gonarthrose rechts. Es folgten eine Total-Femur-Implantation sowie eine Beckenrekonstruktion mit einem distalen Femur-Autograft (Abb.5b,c). Durch einen anterioren Zugang wurden ein Burch-Schneider-Ring und eine zementierte Ecofit-Pfanne mit einem DM-System implantiert. Die Total-Femur-Implantation erfolgte unter Verwendung des lateralen Subvastus-Zugangs und die Weichteile wurden mithilfe des MUTARS-Schlauch rekonstruiert (Abb.5d).
Abbildung 6
Abbildung 6a zeigt eine Girdlestone-Situation nach multiplen Revisionen mit einem ausgebrochenen Burch-Schneider-Ring und Implantation einer Lumic-Sockelpfanne. Anschließend erfolgten die Implantation einer TMARS-Pfanne mit Augmenten und einer zementierten Ecofit-DM-Pfanne mittels dorsalen Zugangs. Abbildung 6b zeigt eine Patientin mit mehreren Hüftrevisionen und rezidivierenden Luxationen. Es folgten eine Implantation einer Ecofit-Pfanne in eine bestehende CSF-Pfanne und ein Schaftwechsel auf einen SLL sowie eine Weichteilrekonstruktion mittels Mutars-Schlauchs.
Komplikationen
Das DM-System hat grundsätzlich zwei implantatspezifische Komplikationen:
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Intraprothetische Dislokation (Abb.3): Hier kommt es zu einer Dislokation des Keramik- bzw. Metallkopfs aus dem PE-Kopf. Typischerweise tritt diese Komplikation erst nach 6 Jahren oder später auf. Ursächlich ist der Abrieb der „second and third articulation“. Eine Optimierung des Kontaktbereichs zwischen PE-Kopf und Hals hat die Problematik im Vergleich zur ersten Generation verbessert. Derzeit wissen wir jedoch nicht, ob dieses Problem in Zukunft nicht doch häufiger auftreten wird. Folgende Situationen forcieren den Abrieb an der Kontaktfläche zwischen Prothesenhals und PE-Kopf: 1. Kopf mit Kragen, 2. alte Schäfte mit dickem Hals, z.B. mit 14/16-Konus, 3. Fehlpositionierung von Schaft und/oder Pfanne. Eine intraprothetische Dislokation muss offen revidiert und kann nicht geschlossen reponiert werden.
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Psoasimpingement: Das Pfannendesign wurde zwar etwas verbessert, dennoch ist die Wahrscheinlichkeit für Irritationen bei großen Pfannen und daher großem PE-Kopf höher als bei herkömmlichen Pfannensystemen.
Literatur:
bei den Verfassern
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