Management der interkalären Fraktur bei liegender Knie- und Hüft-TEP
Autoren:
Dr. Tobias Kastenberger
Univ.-Prof. Dr. Rohit Arora
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Medizinische Universität Innsbruck
Korrespondierender Autor:
Univ.-Prof. Dr. Rohit Arora
E-Mail: rohit.arora@i-med.ac.at
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Interprothetische Frakturen bei liegender Knie- und Hüftendoprothese stellen die behandelnden Ärzt*innen vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Frakturlokalisation, Knochenqualität, allgemeiner Gesundheitszustand der Patient*innen und die Art des Implantats müssen in die Behandlungsstrategie mit einbezogen werden. Goldstandard der Frakturversorgung bei stabilen Hüft- bzw. Kniegelenksprothesen ist die winkelstabile Plattenosteosynthese, diemit unterschiedlichen Cerclagesystemen und Allograft-Knochen kombiniert werden kann.
Keypoints
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Aufgrund des demografischen Wandels stellen interprothetische Femurfrakturen eine immer häufiger werdende Verletzung dar.
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Goldstandard ist die winkelstabile Plattenosteosynthese mit oder ohne Cerclagen bzw. Doppelplattenosteosynthese.
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Eine stabile Frakturversorgung bei gleichzeitig stabil verankerten Hüft- bzw. Kniegelenksprothesen ist die Voraussetzung der Frakturbehandlung sowie der frühzeitigen Mobilisation.
Hüft- und Knieprothesen sind die häufigsten verwendeten Prothesen bei einer immer älter werdenden Population mit einem erhöhtem Aktivitätslevel und dem Anspruch auf einen schmerzfreien Lebensstil. Als Konsequenz steigt die Anzahl der Patienten, die ipsilaterale Hüft- und Knieprothesen implantiert haben. Interprothetische Oberschenkelfrakturen sind definiert als Frakturen des Femurs zwischen ipsilateral implantierten Hüft- und Knieprothesen. Fortschritte in der Behandlungsstrategie und Implantatwahl abhängig von Frakturklassifikation konnten das Patienten-Outcome bei diesen Verletzungen deutlich verbessern.
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung sowie der vermehrt implantierten Hüft- und Knieprothesen ist zukünftig mit einem Anstieg der Zahl interprothetischer Frakturen zu rechnen. 1995 beschrieben Dave und Mitarbeiter den ersten Fall einer interprothetischen Femurfraktur. 1998 berichteten Kenny und Mitarbeiter eine Häufigkeit von interprothetischen Femurfrakturen von 1,25% aller Patienten mit Hüft- und Knieprothesen. Die häufigsten Risikofaktoren für das Auftreten von interprothetischen Femurfrakturen sind höheres Lebensalter, bereits erfolgte Revisionsendoprothetik, Osteoporose bzw. Osteopenie und weibliches Geschlecht. Die Behandlung interprothetischer Frakturen ist eine anspruchsvolle Prozedur mit hohen intra- und postoperativen Komplikationsraten.
Behandlungsziele sind die Wiederherstellung der Länge, Achse und Rotation der Fraktur, die Frakturheilung mit erhaltener Prothesenfunktion sowie eine ausreichende stabile Plattenosteosynthese, welche eine frühzeitige postoperative Mobilisation ermöglicht.
Biomechanik
Biomechanische Daten von interprothetischen Femurfrakturen gibt es aufgrund der Seltenheit dieser Frakturen und ihrer Heterogenität in Bezug auf die Lokalisation nur wenige. Lehmann und Mitarbeiter zeigten 2010 in einer biomechanischen Studie den protektiven Effekt einer lateralen Femurplatte bei gleichzeitiger Osteotomie zwischen den Implantaten. In einer weiteren Studie berichteten die Autoren, dass das Risiko einer interprothetischen Femurfraktur bei Verwendung von zementierten Stems geringer ist als bei Verwendung einer implantatüberlappenden, winkelstabilen lateralen Femurplatte. Dabei ist biomechanisch nicht geklärt, wie weit die Platten die Prothesenenden überlappen sollen. Einige Autoren schreiben, dass die Osteosyntheseplatte die Prothesenspitze um mindestens zwei Durchmesser der Femurdiaphyse überragen soll, ohne dass dies biomechanisch nachgewiesen ist. Cerclagen zur zusätzlichen Fraktursicherung werden kontrovers diskutiert. In manchen Situationen unvermeidbar, können sie jedoch die häufig bereits kompromittierte Durchblutung des Knochens weiter beeinträchtigen. Dementsprechend sollten Cerclagen unterstützend zur Versorgung mit winkelstabilen Osteosyntheseplatten angewandt werden.
Ein erhöhtes interprothetisches Frakturrisiko besteht zwischen eingebrachten schaftgeführten Gelenkprothesen, wobei die Distanz der Schaftspitzen kleiner als 110mm ist. Zu kleine interprothetische Abstände sind Thema biomechanischer Forschung. Angenommen wird, dass zu kurze Abstände Sollbruchstellen darstellen könnten. Erhardt und Mitarbeiter beschrieben 2010, dass Abstände weniger als 6cm oder weniger als zwei Diaphysendurchmesser zu vermeiden sind. Weiterführende Studien von Weiser und Mitarbeiter zeigten 2014, dass der interprothetische Abstand keine Rolle bei der Entstehung interprothetischer Frakturen spielt, sondern dass die kortikale Dicke im Bereich der Prothesenspitzen den entscheidenden Parameter darstellt. Obwohl biomechanisch nicht bestätigt ist, wie weit die Platte die Prothesenenden überragen soll, empfehlen wir eine Schutzosteosynthese, um eventuelle zukünftige Sollbruchstellen zwischen den Prothesenenden zu vermeiden (Abb.1).
Abb. 1: 92-jährige Frau mit einer instabilen pertrochantären proximalen Oberschenkelfraktur bei liegender schaftgeführter Knieprothese. A) Das ap. Röntgen zeigt die pertrochantäre Oberschenkelfraktur. B) Um eine Sollbruchstelle zwischen dem Nagelende proximal und dem Prothesenende distal zu vermeiden, wurde eine Schutzosteosynthese mittels Platte durchgeführt
Eine biomechanische Studie an Humanpräparaten zeigte nach Implantation einer Hüftendoprothese ein um 30% erhöhtes Frakturrisiko, verglichen mit nativen Knochen. Durch Implantation eines retrograden Marknagels steigt das Frakturrisiko im Falle eines Sturzes gegenüber dem nativen Knochen um 50%.
Klassifikation
Die Möglichkeiten der Versorgung interprothetischer Frakturen reichen von der Osteosynthese mittels winkelstabiler oder nicht winkelstabiler Platte mit oder ohne Cerclagen, der Verwendung von Strutgrafts, dem Prothesenwechsel bis hin zum totalen Femurersatz. Welches Verfahren angewandt wird, hängt von der individuellen Fraktur ab. Entscheidend sind Fixationsstatus der implantierten Prothese, Frakturlokalisation, interprothetischer Abstand, die umgebende Knochenqualität und der Weichteilstatus.
Zur Klassifikation interprothetischer Frakturen kann das von Pieres beschriebene Klassifikationssystem angewendet werden. Hierbei werden die Frakturen in 3Haupttypen unterteilt:
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Typ 1: Frakturen um eine Hüftprothese
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Typ 2 : Frakturen im Bereich einer Knieprothese ohne Stem
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Typ 3: Frakturen im Bereich einer Knieprothese mit Stem.
Typ-1- und Typ-2-Frakturen werden unterteilt in:
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Gruppe A: stabile Hüft- und stabile Knieprothese
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Gruppe B: instabile Hüftprothese, aber stabile Knieprothese
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Gruppe C: stabile Hüftprothese, aber instabile Knieprothese
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Gruppe D: instabile Hüft- und instabile Knieprothese.
Bei Typ-3-Frakturen unterscheiden sich folgende Subgruppen:
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Typ 3A: stabile Prothesen mit guter Knochensubstanz zwischen den Prothesen
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Typ 3B: stabile Hüft- und Knieprothesen mit schlechter Knochensubstanz zwischen den Prothesen bis hin zu Knochensubstanzverlust zwischen den Prothesenenden
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Typ 3C: instabile Prothesen (Hüfte, Knie oder beide) mit guter Knochensubstanz zwischen den Prothesen
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Typ 3D: instabile Prothesen (Hüfte, Knie oder beide) mit schlechter Knochensubstanz zwischen den Prothesen bis hin zu Knochensubstanzverlust zwischen den Prothesenenden
Durch die Beschreibung der Frakturlokalisation, die Identifikation der implantierten Prothese und die Beschreibung der Prothesenstabilität bietet dieses Klassifikationssystem einerseits eine morphologische Beschreibung und führt andererseits zu einer direkten Behandlungsstrategie (Abb. 2):
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Subtypen 1A, 2A: Plattenosteosynthese
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Subtypen 1B, 1C, 2B, 2C: Revision einer instabilen Prothese bzw. zu einer längeren oder schaftgeführten Prothese mit oder mit ohne zusätzliche Plattenosteosynthese
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Typ-3-Frakturen: Stabile Implantate ohne ausreichende Knochenverankerung oder instabile Implantate mit unzureichender Knochenverankerung werden mit Revisionsendoprothesen und/oder Plattenosteosynthese mit oder ohne Knochenersatz behandelt.
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Bei Typ 1D, 2D, 3B, 3C und 3D müssen ein totaler femoraler Ersatz oder eine Augmentation des Femurs mit Allograft angedacht werden.
Abb. 2: Klassifikation nach Pieres und Behandlungsstrategie
Ein weiteres zur Anwendung kommendes Klassifikationssystem haben Ochs und Mitarbeiter 2013 publiziert. Es soll eine Hilfestellung bei der Auswahl des richtigen Operationsverfahrens geben und ist sehr ähnlich dem von Pieres verwendeten Klassifikationssystem (Abb. 3).
Abb. 3: Klassifikation nach Ochs et al. 2013 und Behandlungsstrategie
Versorgungsstrategien
Aktuell ist die Anwendung von winkelstabilen Osteosyntheseplatten das Mittel der Wahl in der Versorgung interprothetischer Femurfrakturen. Diese Implantate bieten erhöhte Stabilität bei Vorliegen von osteoporotischen Knochen, widerstehen dem Varuskollaps und können minimal invasiv eingebracht werden. Aktuell wird eine Überlappung der Osteosyntheseplatte über die Prothesenspitze von mindestens zweimal dem Schaftdurchmesser empfohlen. Diese Empfehlung stellt das empfohlene Minimum an Plattenlänge dar. Eine wesentlich höhere Stabilität und ein Mehr an Fixationsmöglichkeiten wie auch eine Risikominimierung für weitere Frakturen wird durch eine Plattenosteosynthese über die gesamte Schaftlänge erreicht (Abb. 4).
Abb. 4: 94-jährige Frau mit distaler periprothetischer Femurfraktur bei liegendem Femurnagel. Knieprothese und Femurnagel stabil. A) Das ap. Röntgen zeigt eine sehr distale Fraktur. B) Seitliches Röntgen. C) Die Patientin wurde mit einer distalen lateral angelegten winkelstabilen Platte versorgt. Proximal wurde eine Locking-Attachment-Platte benützt, um die Schrauben um den Nagel herum platzieren zu können. D) Im intraoperativen seitlichen Röntgen wurde dokumentiert, dass die distalen Schrauben zementaugmentiert wurden, um die Primärstabilität der Schraubenverankerung zu erhöhen
Durch die präexistenten Hüft- und Knieendoprothesen reduzieren sich die Möglichkeiten an implantierbaren winkelstabilen Schrauben um die Prothesenschäfte, um ausreichend Stabilität der Plattenosteosynthese zu erreichen. Alternativen stellen bikortikale Schrauben dar, die winkelvariabel einbracht werden können. Ebenso können auch eine zusätzliche Attachment-Platte, die Verwendung von Cerclagen und Zementaugmentation der Schrauben in Betracht gezogen werden.
Bei zementiert eingebrachten Prothesen können die Schrauben sehr stabil ebenso im Zement verankert werden (Abb. 5).
Abb. 5: 90-jährige Patientin mit interprothetischer Spiralfraktur des Femurs. Knie- und Hüftprothese stabil. A) Das ap. Röntgen zeigt die Spiralfraktur. B) Seitliches Röntgen. C) ap. Röntgen: Plattenosteosynthese mit Cerclage und Overlapping des Femurschaftes. D) Seitliches Röntgen
Joestl und Mitarbeiter führten 2014 eine vergleichende klinische Studie durch, wobei bei Vorliegen von Vancouver-B2-Frakturen um eingebrachte Hüftprothesenschäfte entweder winkelstabile Plattenosteosynthesen (LCP) oder Revisionsendoprothesen als Versorgungsstrategie gewählt wurden. Alle mit winkelstabilen Osteosyntheseplatten versorgten Frakturen konnten komplikationslos zur Ausheilung gebracht werden, wobei es keine Hinweise auf sekundäre Schaftmigraftion, Pseudarthosenbildung oder Plattenbrüche gab. Die Operationszeit war in der Gruppe der mit winkelstabilen Osteosyntheseplatten Versorgten kürzer. Hervorgehoben wird in dieser Studie, dass die anatomische Reposition des Femurschafts Voraussetzung für die Frakturversorgung und die Schaftstabilität ist und dadurch eine sekundäre Prothesenschaftmigration verhindert werden kann.
Ein Novum stellt die Doppelplattenosteosynthese dar, die z.B. am distalen Femur bei stabilen Knieendoprothesen ausreichend Stabilität bietet, um eine Heilung zu erzielen. Hier wird eine zweite Augmentationsplatte medial am distalen Femur einbracht, um den Varusstress zusätzlich zu minimieren und die Rigidität der Osteosynthese zu erhöhen (Abb. 6).
Abb. 6: 95-jährige Frau mit distaler periprothetischer Femurfraktur bei liegender Hüftprothese. Knie- und Femurkopfprothese stabil. A) Das ap. Röntgen zeigt eine sehr distale Fraktur. B) Seitliches Röntgen. C) Das ap. Röntgen zeigt die liegende Femurkopfprothese. D) Die Patientin wurde mit einer lateral angelegten winkelstabilen Platte versorgt. Proximal wurde eine Locking-Attachment-Platte benützt. Distal wurde eine mediale Augmentationsplatte verwendet, um die sehr distale Fraktur stabil zu versorgen
Bei Vorliegen sehr schlechter Knochenmasse sollte über die Verwendung eines zusätzlichen Knochentransplantats (Strutgraft) nachgedacht werden. Ist eine Osteosynthese aufgrund der verminderten Knochenqualität nicht möglich, verbleiben als Möglichkeiten die Implantation eines totalen Femurersatzes oder die Verwendung eines individuell gefertigten Interpositionsnagels.
Die postoperative Rehabilitation erfolgt unter Anwendung von Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin bis zur Vollbelastung wie auch einer i.v. Antibiose zur Infektprophylaxe für 5 Tage. Nach Osteosynthese kann eine frühzeitige Mobilisation erfolgen, wobei wenn möglich eine Teilbelastung von 20 kg für 6 Wochen empfohlen wird. Für ältere Patienten ist jedoch eine Teilbelastung nicht möglich. Daher sollte immer eine belastungsstabile Osteosynthese, die eine unmittelbare postoperative Vollbelastung erlaubt, angestrebt werden. Nach Einbringen einer Revisionsendoprothese kann unmittelbar nach der Operation schmerzabhängig belastet werden.
Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt dauert bei älteren Patienten mit einer Vielzahl von Komorbiditäten ca. 27 Tage.
Zusammenfassung
Interprothetische Femurfrakturen stellen eine seltene, aber aufgrund des demografischen Wandels häufiger werdende Verletzung dar.
Stabile Frakturversorgung und stabil verankerte Hüft- bzw. Kniegelenksprothesen sind essenzielle Voraussetzungen für die erfolgreiche Frakturbehandlung. Die winkelstabile Plattenosteosynthese, kombiniert mit Cerclagen, ist die häufigste angewandte Operationsmethode. Sie kann weichteilschonend durchgeführt werden und ermöglicht eine versorgungsnahe postoperative Mobilisation. Totale Femurersatzprothesen sind für Fälle vorbehalten, in denen eine Osteosynthese bzw. Revisionsendoprothese nicht möglich ist.
Literatur:
bei den Verfassern
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