Operative Versorgung von periprothetischen Femurfrakturen bei liegender Hüftendoprothese mittels Osteosynthese
Autoren:
Dr. Gyula Kiss
DDr. Stephan Frenzel
Univ.-Prof. Dr. Stefan Hajdu
Klinische Abteilung für Unfallchirurgie, Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Medizinische Universität Wien
E-Mail: gyula.kiss@meduniwien.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Der Überbegriff der periprothetischen Femurfrakturen umfasst eine große Spannbreite von unterschiedlichen Bruchformen. Im klinischen Alltag wird auf gängige Klassifikationen mit allen ihren Vor- und Nachteilen zurückgegriffen, die versuchen, ein komplexes Problem soweit zu vereinfachen, dass daraus bestmöglich ein Therapiepfad abgeleitet werden kann. Empfehlungen für die Versorgung periprothetischer Frakturen befinden sich im Wandel, die Versorgung wird im Vergleich zum letzten Jahrzehnt differenzierter.
Take-home-messages
-
Periprothetische Frakturen nehmen in westlichen Industrieländern stetig zu.
-
Die Stabilität der Prothese kann nur intraoperativ mit letzter Sicherheit beurteilt werden, da die radiologische Diagnostik oft ungenau ist.
-
Klassifikationen sind im klinischen Alltag wichtig, können aber nicht alle therapierelevanten Informationen abbilden.
-
Im betagten und multimorbiden Patient:innenkollektiv wird zur Versorgung von B2-Frakturen die Plattenosteosynthese im Vergleich zur Revisionsendoprothese als weniger invasiver Eingriff empfohlen und bringt überzeugende Ergebnisse.
In Österreich wird 2050 der geschätzte Anteil der über 65 Jahre alten Bevölkerung 27,9% betragen und im Vergleich zu 2022 um 8,4% zugenommen haben.1 In einer älter werdenden Bevölkerung wird auch die primäre Endprothetik zunehmen und damit verbunden auch die Komplikationen.2–6 In den USA wird 2030 eine 70%ige Zunahme der Revisionsoperationen im Vergleich zu 2014 prognostiziert.7 Periprothetische Frakturen sind die am schnellsten zunehmende Ursache für diese Eingriffe. Nach aseptischer Lockerung und Luxationen sind sie die dritthäufigste Ursache für Revisionsoperationen.7,8 An unserer Klinik ist bereits jetzt die Versorgung periprothetischer Frakturen die am häufigsten durchgeführte Revisionsoperation nach Hüftendoprothetik.
Klassifikationen: Vor- und Nachteile
Grundsätzlich sollten Frakturklassifikationen verständlich und reproduzierbar sein. Durch ihre Anwendung sollte im klinischen Alltag ein Therapieweg vorgegeben werden, am besten so, dass Aussagen über mögliche Behandlungsergebnisse getroffen werden können.9 In der Geschichte der Orthopädie und Unfallchirurgie ist eine Reihe von Klassifikationen periprothetischer Frakturen zu finden. Die Brüche wurden in der Regel nach Aspekten wie z.B. Lokalisation, Stabilität und/oder Frakturmorphologie eingeteilt, ohne ein Gesamtbild vom Patienten, von der Verletzung und vom Ergebnis der anstehenden Versorgung geben zu können.10 Die Vancouver-Klassifikation wird im klinischen Alltag zur Beschreibung periprothetischer Femurfrakturen nach Hüftersatz am häufigsten verwendet. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern versucht sie, mehrere Kriterien (Frakturlokalisation, Stabilität der Prothese, Qualität des Knochenmantels) zu vereinen.11 Duncan et al. haben 2014 mit ihrem United Classification System (UCS) die Vancouver-Klassifikation so ausgeweitet, dass diese nun für jede liegende Prothese an jeder Extremität verwendet werden kann.12 Andere Klassifikationen berücksichtigen mehr Aspekte, um eine noch besser begründete klinische Entscheidung treffen zu können. Diese werden jedoch im klinischen Alltag gegenwärtig deutlich seltener eingesetzt.13 Da wir uns in diesem Artikel jedoch auf die periprothetischen Femurfrakturen bei liegender H-TEP konzentrieren, werden wir im Weiteren der Einfachheit halber die Vancouver-Klassifikation verwenden.
Kurz und bündig: Vancouver-A-Frakturen
Vancouver-A-Frakturen umfassen Brüche des Trochanter major (Ag) oder des Trochanter minor (Al). Bei diesen Frakturen sollte die Stabilität der Prothese nicht kompromittiert sein, sodass in den meisten Fällen eine konservative Therapie angezeigt ist. An unserer Klinik erfolgt die frühestmögliche Mobilisierung der Patient:innen mit entsprechender analgetischer Therapie unter physiotherapeutischer Betreuung. Eine operative Versorgung von Trochanter-major-Fragmenten wird in der Regel bei symptomatischer ausbleibender Frakturheilung („non-union“), bei einer Dislokation über 2cm oder bei sekundärer Fraktur (z.B. partikelinduzierte Osteolyse) empfohlen.14
Vancouver-B-Frakturen – große Entität, viele Wege
Vancouver-B-Frakturen beschreiben Brüche, welche sich um den Prothesenschaft befinden. Sie werden in 3 weitere Untergruppen gegliedert.
Vancouver B1 – das Problem der Fehleinschätzung
In der Gruppe der B1-Frakturen sollten die Prothesen definitionsgemäß trotz des Bruches weiterhin stabil im Knochen verankert sein. Eine Schwäche der Vancouver-Klassifikation ist, dass die stabile Verankerung der Prothese präoperativ/radiologisch nur eingeschränkt beurteilt werden kann.8,13 Aus diesem Grund wird empfohlen, die Festigkeit der Prothesenverankerung intraoperativ zu überprüfen, um die in der Literatur mit etwa 20% angegebenen radiologisch stabilen, aber klinisch instabilen Prothesen zu identifizieren.15
Zur Versorgung der B1-Frakturen wird in der Regel eine laterale winkelstabile Plattenosteosynthese empfohlen.14 Eine biomechanische Sonder- und Problemstellung nehmen transversale oder kurz-schräge Frakturen genau an der distalen Spitze der femoralen Komponente ein („Noch-B1“- und keine C-Frakturen).16 In diesem Fall kann neben der osteosynthetischen Versorgung mittels Verplattung grundsätzlich auch die revisionsendoprothetische Versorgung mit einer Langschaftprothese erwogen werden, welche die Frakturstelle um 2 Diaphysendiameter überragen sollte. Diese soll dann als intramedullärer Kraftträger die Fraktur überbrücken.14,17
Vancouver-B2-Behandlungsschema im Wandel
Vancouver-B2-Frakturen umfassen wie B1-Frakturen Brüche um den Prothesenschaft. Im Unterschied zu Letzteren ist die Prothese zwar durch den Bruch radiologisch gelockert, aber von einem ausreichend guten Knochen(Zement)-Mantel umgeben. B2-Frakturen kommen unter allen B-Frakturen mit Abstand am häufigsten vor.18
In der Literatur ist hier ein Sinneswandel erkennbar: In dem von Holzapfel et al. im Jahre 2010 veröffentlichten Behandlungsalgorithmus10 wird empfohlen, B2-Frakturen grundsätzlich mit einer Revisionsendoprothese zu adressieren. 11 Jahre später wird in dem Reviewartikel der EFORT (European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology)14 ein differenzierterer Weg beschrieben: Nach entsprechender Klassifizierung des Frakturtyps soll die Beurteilung der Patient:innen mit allen ihren Komorbiditäten erfolgen.
„Gesunde“ Patient:innen ohne Komorbiditäten dürften eine revisionsendoprothetische Versorgung erhalten. Für ältere Patient:innen mit mehreren Begleit- bzw. Grunderkrankungen ist die osteosynthetische Versorgung eine sehr gute Alternative. Im Vergleich zur Revisionsendoprothese ist dieser Eingriff weniger invasiv, technisch weniger aufwendig und auch zeitlich kürzer.19,20
In dem von Haider et al. 202121 veröffentlichten Review-Artikel und der Metaanalyse (33 Studien/2509 Patient:innen) konnte bei B2-Frakturen kein Unterschied zwischen Revisionsendoprothetik und Plattenosteosynthese in Bezug auf klinisches oder radiologisches Ergebnis, Anzahl der vollbelastenden Patient:innen, Mortalität oder Komplikationsrate gezeigt werden.
Zusammenfassung der OP-Technik
An unserer Klinik erfolgt bei B2-Frakturen in der Regel die plattenosteosynthetische Versorgung mit folgender Technik (siehe Abb. 1a–f): Die Darstellung der Fraktur erfolgt durch einen lateralen Subvastus-Zugang. Nach Ausräumung des Frakturspaltes und ausgiebiger Spülung desselben erfolgen die Reposition und die provisorische Retention mit Ulrich-Zangen. Ein möglichst anatomisches Repositionsergebnis ist für das Wiedererlangen der Prothesenstabilität bzw. die bestmögliche Knochenheilung von größter Wichtigkeit. Nach primärer Sicherung der Fraktur, in der Regel mit ein bis zwei Bandcerclagen, erfolgt die Kobra-förmige Anmodellierung/Vorbiegung einer lateralen winkelstabilen Platte an das Trochantermassiv. Die Länge der Platte wird so gewählt, dass sie proximal mit dem angepassten Plattenende das gesamte Trochantermassiv umfasst und distal 4 winkelstabile Schrauben (8 Corticalices) gesetzt werden können, wobei sich die proximalste Schraube etwa 2 Diaphysendiameter (8cm oder handtellerbreit) distal vom Frakturende befinden soll. Proximal in der Trochanterregion sollte die Verankerung der Platte mit mindestens 4 Corticalisschrauben (8 Corticalices) erfolgen. Um die Nachsinterung des Prothesenschaftes zu verhindern, wird zum Abschluss eine Kabelcerclage über die Platte mit dem dafür vorgesehenen Instrumentarium fixiert.
Das System sollte als „Fixateur interne“ verstanden werden. Etwaige distal gelegene Prothesen (K-TEP) sollten nach Möglichkeit überlappend in die Osteosynthese einbezogen werden.22 Unsere Ergebnisse mit dieser Versorgungstechnik sind vielversprechend.19
Vancouver B3
Vancouver B3 beschreibt Brüche, welche neben einer instabilen Prothese auch ein „inadäquates“ Knochenlager – z.B. Trümmerfraktur, Osteoporose, Eierschalenknochen – haben. In den Leitlinien wird eine Versorgung mit Revisionsendoprothesen empfohlen. Auf die Vielfalt der Möglichkeiten wird an dieser Stelle nicht eingegangen.14 Die Mehrzahl dieser Frakturen versorgen wir ebenfalls mit der oben beschriebenen Technik der Plattenosteosynthese mit bislang überzeugenden Ergebnissen.
Vancouver-C-Frakturen: das ganze Femur sichern
Frakturen in dieser Kategorie verlaufen unter dem distalen Ende der Schaftkomponente der Hüftprothese. Der Abstand zwischen Fraktur und Prothese wird mit mindestens 2–3 Diaphysendiametern angegeben. Die Prothese sitzt stabil im Oberschenkelknochen. Demnach ist eine osteosynthetische Versorgung Mittel der Wahl.14 Hierfür ist die winkelstabile Plattenosteosynthese23 die Methode der Wahl. Prinzipiell wenden wir auch hier die gleiche operative Technik, wie bei den B2-Frakturen beschrieben (siehe oben), an.
In der Literatur werden retrograd eingebrachte Verriegelungsnägel als selten verwendete Alternative zur Plattenosteosynthese erwähnt.14 An unserer Klinik kommen diese bei dieser Indikation so gut wie nie zum Einsatz. Auch bei Plattenosteosynthesen sollte jedoch das Prinzip von sog. „stress risers“ im Hinterkopf behalten werden: Die Prothese gilt als intramedulläre Schienung für den proximalen Teil des Femurs und stellt somit eine rigide Einheit dar. Wenn distal eine Platte angebracht wird, sollte diese mit der Prothese überlappend platziert werden.22 Wäre das nicht der Fall, entstünden zwischen Prothesenende und Plattenbeginn Zonen mit erhöhtem biomechanischem Stress und zukünftige Sollbruchstellen.
Risiken und Komplikationen
Die an unserer Klinik beobachteten Komplikationen stehen im Einklang mit der aktuellen Literatur. Sowohl bei der Osteosynthese als auch bei Revisionsendoprothesen sind Infektionen (23,6%), Lockerung der femoralen Komponente (21,5%) sowie Refrakturen (16,2%) die häufigsten Komplikationen. In der Revisionsarbeit von Haider et al. konnte zwischen den beiden Versorgungsmethoden bezogen auf das Nachsinken der Prothese bei B2- und B3-Frakturen kein statistisch signifikanter Unterschied nachgewiesen werden. In der Subgruppenanalyse der B2-Frakturen konnte ebenso kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Osteosynthese und Revisionsendoprothese bezogen auf die Reoperations- oder Revisionsrate gezeigt werden.21
Abschließende Worte
Die Zahl der betagten und multimorbiden Patient:innen nimmt stetig zu. Leitlinien müssen ständig so angepasst werden, dass Gegebenheiten und Bedürfnisse auch dieses Patient:innenkollektivs respektiert werden.24 Das Ziel in der Behandlung – ob osteosynthetisch oder (revisions-)endoprothetisch – sollte eine frühfunktionelle Nachbehandlung mit raschestmöglicher Mobilisierung sein.25–27
Literatur:
1 Statistik Austria: Bevölkerungsprognosen für Österreich und die Bundesländer. 2024 2 Della Rocca GJ et al.: J Orthop Trauma 2011; Jun:25 Suppl 2: 66-70. 3 Bozic KJ et al.: J Bone Joint Surg Am. 2009 Jan;91(1): 128-33. 4 Kurtz SM et al.: J Bone Joint Surg Am 2007; 89(Suppl 3): 144-51 5 Kurtz SM et al.: J Bone Joint Surg Am 2007; 89(4): 780-5 6 Pivec RK at al.: J Long Term Eff Med Implants 2015; 25(4): 269-75 7 Schwartz AM et al.: J Arthroplasty 2020; 35(6, Supplement): S79-S85 8 Lindahl H et al.: J Bone Joint Surg Am 2006; 88(6): 1215-22 9 Kandziora F et al.: Trauma und Berufskrankheit 2017; 19(2): 56-68 10 Holzapfel B et al.: Der Orthopäde 2010; 39(5): 519-35 11 Duncan C, Masri B: Instr Course Lect 1995; 44: 293-304 12 Duncan C, Haddad FS: Bone Joint J 2014; 96-B(6): 713-6 13 Frenzel S et al.: Int Orthop 2015; 39(10): 1909-20 14 Patsiogiannis N et al.: EFORT Open Rev 2021; 6(1): 75-92 15 Corten K et al.: J Bone Joint Surg Br 2009; 91(11): 1424-30 16 Chakrabarti D et al.: Injury 2019; 50(12): 2301-5 17 Yasen AT, Haddad FS: Int Orthop 2015; 39(9): 1873-9 18 Chatziagorou G et al.: Bone Joint J 2019; 101-b(11): 1447-58 19 Joestl J et al.: Injury 2016; 47(4): 939-43 20 Stoffel K et al.: Arch Orthop Trauma Surg 2020; 140(10): 1381-94 21 Haider T et al.: JBJS Rev 2021; 9(8) 22 Walcher MG et al.: J Arthroplasty 2016; 31(12): 2894-9 23 Chatziagorou G et al.: Injury 2019; 50(12): 2292-2300 24 British Hip Society: Management of Total Hip Arthroplasty Peri-prosthetic Fractures. BHS Surgical Standard 2024 25 Khwaja A et al.: Eur J Orthop Surg Traumatol 2021; 31(5): 861-9 26 Lee KJ: Hip Pelvis 2020; 32(3): 125-31 27 Phang JK et al.: BMC Musculoskelet Disord 2023; 24(1): 417
Das könnte Sie auch interessieren:
Therapie der Patellaluxation
Die Inzidenz der Patellaluxation liegt zwischen 2 und 77 pro 100000 Menschen und ist eine der häufigsten Verletzungen des Kniegelenks. Vor allem junge Menschen zwischen 10 und 20 Jahren ...
Instabilität der Schulter und des Ellbogens im Wachstumsalter
Gelenksinstabilität der Schulter und des Ellbogens gelten immer noch als komplizierte Themen und haben eine relevante Dunkelziffer, ganz besonders bei Patient:innen im Wachstumsalter. Es ...
Auswirkungen von muskuloskelettalen Infektionen auf die psychische Gesundheit
Muskuloskelettale Infektionen sind gefürchtete, schwerwiegende Komplikationen, die zu lebensbedrohlichen Zuständen werden können. Dies bedeutet für die Betroffenen neben den physischen ...