Die telemedizinische Sarkomambulanz
Autoren:
Ap.Prof. Priv.-Doz. Dr. Gerhard M. Hobusch
cand. med. Patrik Tauber
Assoc.Prof. Priv.-Doz. Dr. Joannis Panotopoulos
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Medizinische Universität Wien
E-Mail: gerhard.hobusch@meduniwien.ac.at
Sarkome sind seltene maligne Tumoren des Stütz- und Bewegungsapparates. Diese zu erkennen, obliegt dem spezialisierten Tumororthopäden. Die Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Wiener Allgemeinen Krankenhauses setzt diesen Schwerpunkt seit fast 60 Jahren. Die Notwendigkeit einer schnellen Erkennung von Sarkomen aus einer Vielzahl von benignen Tumoren und tumorartigen Erkrankungen, aber auch die Zuführung zu einer multidisziplinären professionellen Behandlung bedürfen einer Optimierung im Umgang mit personellen, zeitlichen und örtlichen Ressourcen und bewährte Diagnose- und Therapieangebote müssen um neue Methoden bereichert werden.
Der Hintergrund: die Nadel im Heuhaufen
An der Wiener Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie finden jährlich Sarkombehandlungen bei bis zu 150 Patient:innen statt. Demgegenüber stehen ca. 3500 ambulante Patient:innen, die aufgrund von letztlich benignen oder tumorartigen Erkrankungen des Bewegungsapparates die Spezialambulanz aufsuchen. Die Unterscheidung kann letztlich erst durch fachkundige Expertise erfolgen und zumeist befreit erst der fachkundige Befund die Patient:innen von ihren schlimmsten Befürchtungen. Diese Kombination aus einem Krankenhaus der Maximalversorgung mit andererseits Subspezialisierungen wie der eines Sarkomzentrums stellt die Patient:innenversorgung daher vor besondere Herausforderungen. Die Organisation des Sarkomzentrums bedarf daher einer strukturellen Optimierung der Konsultationen, um zeitliche und örtliche Ressourcen des Systems dieser Ambulanz zu optimieren.
Patient:innen mit Sarkomen, also bösartigen Knochen- und Weichteiltumoren, bedürfen eines multimodalen Therapiemanagements, das nur in der Betreuung durch ein multidisziplinäres Team, bestehend aus orthopädischen Chirurg:innen, Onkolog:innen, Strahlentherapeut:innen, Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen u.v.m. gelingen kann, wohingegen die vielen Patient:innen mit gutartigen muskuloskelettalen Tumoren und tumorähnlichen Erkrankungen oftmals keine spezielle tumororthopädische Betreuung und schon gar keine multidisziplinäre Betreuung benötigen.
Telecoaching: fachgerechte Anleitung in der Metastasentherapie
Eine weitere Patient:innengruppe bedarf einer besonderen Beachtung: Patient:innen mit sekundären malignen Erkrankungen bilden einen zunehmenden Anteil der Patient:innen in unfallchirurgischen Abteilungen. Auch wenn das unfallchirurgische Armamentarium zur Versorgung vieler pathologischer Frakturen in Österreich allerorts in hoher Qualität vorhanden ist, so bestehen gelegentlich Unsicherheiten betreffend die korrekte chirurgische Therapie. Pathologische Frakturen des Bewegungsapparates müssen nicht zwingend an einer tumororthopädischen Fachabteilung behandelt werden. Dennoch kann die Tumororthopädie bei der Diagnosestellung, Behandlungsplanung und -durchführung telemedizinisch unterstützen (=Telecoaching).
Historie der Telemedizin
Unter Telemedizin versteht man die Bereitstellung von Leistungen des Gesundheitswesens mithilfe von Kommunikationstechnologien, wobei Patient:innen und Gesundheitsdienstanbieter:innen nicht am selben Ort anwesend sein müssen. Behandlungen über Telefonleitungen haben bereits in den 1930er-Jahren in ruralen Gebieten Australiens und Alaskas oder auch etwas später, 1967, stattgefunden, um urbane, aber schwierig zugängliche Knotenpunkte wie den Logan Airport (Boston, USA) mit ärztlich diagnostischem Know-how aus dem Massachusetts General Hospital über eine geschlossene Televisionsleitung und eine dort ansässige diplomierte Krankenschwester in Verbindung zu bringen.1
Onkologie für Telemedizin prädestiniert?
Gerade im onkologischen Fachbereich, der sich durch Subspezialisierung auszeichnet, können telemedizinische Leistungen die Kommunikation im Gesundheitswesen verbessern, z.B. indem auch diese Ärzt:innen flächendeckend erreichbar werden und Patient:innen Anschluss finden. Die Verbesserung der onkologischen Versorgung ist auch ein europäisches Ziel: So soll im europäischen Plan zur Bekämpfung von Krebs elektronische Infrastruktur (u.a. auch Telemedizin) gezielt eingesetzt werden, um Ungleichheiten in der Krebsbehandlung quer durch die Europäische Gemeinschaft zu bekämpfen.2
„Denke Sarkom, wenn (d)ein Buckel größer als ein Golfball ist und wächst“ – der Spruch des britischen Tumororthopäden Rajpal Nandra von 2015 hat leider auch in Österreich nicht dazu geführt, dass jeder Sarkompatient rechtzeitig die richtige Behandlung bekommt.3
Die Aufgabe der telemedizinischen Sarkomambulanz
Das Ziel besteht in der Errichtung einer zentralen Kommunikationsschnittstelle für Patient:innen und Ärzt:innen, um damit klinische Abläufe und das medizinische Qualitätsmanagement einer hochspezialisierten Sarkomambulanz unter Einbeziehung von Telekommunikation zu verbessern. Die telemedizinische Sarkomambulanz erhält dabei auch Förderung durch den „Fonds der Stadt Wien für innovative interdisziplinäre Krebsforschung“. Was im April 2020 an der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus implementiert wurde, um Patient:innen und/oder Zuweiser:innen auch während der Covid-19-Pandemie trotz eingeschränkter Spitalsambulanzkapazitäten die Leistungen dieser hochspezialisierten Sarkomambulanz anbieten zu können, entwickelte sich über die letzten Jahre zur telemedizinischen Sarkomambulanz. Anhand von eingesandtem radiologischem Bildmaterial (Röntgen, CT, MR), Befunden und Arztbriefen werden aus einer Vielzahl von Patient:innen diejenigen identifiziert, die an einem Sarkom oder einem anderen malignen Knochentumor leiden. Diese werden umgehend dem entsprechend beschleunigten Behandlungspfad (Fasttrack-Weiterbehandlung an der Universitätsklinik) zugeführt.
Praxisrelevanz: Ein Angebot wird angenommen
Während der 3 Einführungsjahre des telemedizinischen Services zeichnete sich ein Nutzen in der Reduktion von nicht zwingend notwendigen analogen Ambulanzaufenthalten für Patient:innen ab. In den 3 Jahren der telemedizinischen Begutachtungen nahmen die Zahlen stets zu. Die Ausarbeitung von 1001 Patient:innenkonsultationen in der Zeit von Oktober 2020 bis Oktober 2023 zeigte 811 Erst- und 190 Zweit- oder sogar Mehrfachkonsultationen von Patient:innen, bis schlussendlich auf Basis von Bildmaterial und anderen Befunden der korrekte Behandlungspfad eingegeschlagen bzw. das weitere Prozedere beschlossen werden konnte. Von diesen 1001 Patient:innenanfragen kamen 449 aus Wien, 339 aus Niederösterreich, 83 aus Oberösterreich, 59 aus dem Burgenland und 35 aus Salzburg (Abb.1). Das Service wurde von 532 Patient:innen zum Zwecke einer Erstvorstellung angenommen, 208 Patient:innen davon wurden auch weiterhin telemedizinisch betreut. 247 Patient:innen entschieden sich für telemedizinische Konsultationen zum Zwecke der Tumornachsorge nach durchgeführten Behandlungen. Der Anteil der telemedizinischen Konsultationen in dieser Zeit im Vergleich zu allen Patient:innen in der Sarkom-/Tumorambulanz war ca. 10%. Ein kleiner, aber zunehmender Patient:innenanteil wurde zu Zwecken des Telecoachings angenommen.
Abb. 1: Einteilung der Konsultationen nach Bundeslandherkunft der Patient:innen in Prozent (%)
Praxisrelevanz: erfolgreiche Unterscheidung zwischen Gut und Böse
Viele der ursprünglichen Zuweisungsdiagnosen können als gutartige Veränderungen identifiziert werden (Abb.2). Patient:innen, deren Diagnosen im weiteren Verlauf gutartige Erkrankungen ergaben, warteten durchschnittlich 21 Tage auf eine klinische Begutachtung und schließlich 107 Tage auf einen chirurgischen Eingriff, falls dieser indiziert war. Im Unterschied dazu warteten Patient:innen, deren Diagnosen später primär bösartige Erkrankungen ergaben, auf die klinische Vorstellung inklusive bildgesteuerter Biopsie im Durchschnitt 10 Tage, auf deren histologisch bestätigte Diagnose 15 Tage und auf den Therapiebeginn (Chemotherapie, Strahlentherapie oder chirurgische Therapie) 26 Tage.
Abb. 2: Die Änderungen in den Diagnosecharakteristika durch die telemedizinischen Konsultationen: Viele der ursprünglich noch unklaren Diagnosen werden bereits nach der ersten Konsultation entschärft
Bei 10% der Patient:innen war zum Erstvorstellungstermin gar keine Bildgebung vorhanden, bei 38% musste weitere Bildgebung nachgefordert werden, da die vorhandene zur Diagnostik nicht ausreichte. Diesen Patient:innen konnte also durch die telemedizinische Ambulanz ein erster Ambulanztermin in Präsenz erspart werden.
Fazit: reduzierte Ambulanzbesuche und Wartezeiten für Sarkompatient:innen
Dieses Projekt stellt nach ersten Erfahrungen ein realitätsnahes Modell zur Verbesserung einer spezialisierten Ambulanz durch Einbeziehung der Telemedizin in den Arbeitsablauf dar. Es zeichnet sich ab, dass die telemedizinische Ambulanz eine diagnosengerechte Terminisierung in der analogen Sarkomambulanz und zusätzlich eine Reduktion von Gesamtambulanzzeiten mit sich bringt. Gerade bei Patient:innen mit Sarkomen, die ausnahmslos einer komplexen, zeitintensiven und multidisziplinären und auch persönlichen Begutachtung und Behandlung bedürfen, kann die telemedizinische Betreuung zu einer massiven Vereinfachung führen. Demgegenüber entsteht ein größerer Verwaltungsaufwand. Des Weiteren sollen Behandlungspfade für Patient:innen mit Metastasen definiert und ausgebaut werden. Dies ist notwendig, da aufgrund verbesserter onkologischer Therapien muskuloskelettale Metastasen häufiger werden und daher eine dezentrale Behandlung dieser Erkrankungen in Zukunft wünschenswert ist. Zuweiser:innen sollen vermehrt in die Behandlung solcher Erkrankungen einbezogen oder auch angeleitet werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der telemedizinischen Ambulanz inklusive der Vernetzung mit dem extramuralen Bereich wird relevante Informationen für die Gesundheitspolitik und Fragen der öffentlichen Gesundheit liefern.
Literatur:
1 Murphy RL jr., Bird KT: Telediagnosis: a new community health resource. Observations on the feasibility of telediagnosis based on 1000 patient transactions. Am J Public Health 1974; 64(2): 113-9 2 European Cancer Plan. Communication from the comission to the European parliament and the council; https://primarysources.brillonline.com/browse/human-rights-documents-online/communication-from-the-commission-to-the-european-parliament-and-the-council;hrdhrd46790058 . Zuletzt aufgerufen am 25. 1. 2024 3 Nandra R et al.: If your lump is bigger than a golf ball and growing, think sarcoma. Eur J Surg Oncol 2015; 41(10): 1400-5
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