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Therapieoptionen beim Riss des vorderen Kreuzbands

Verletzungen des vorderen Kreuzbands sind häufig bei jungen, aktiven Menschen, vor allem bei Sportarten mit abrupten Bewegungsabläufen. Der nachfolgende Artikel zeigt eine Übersicht über die aktuellen Therapieoptionen.

Keypoints

  • Verletzungen des vorderen Kreuzbands sind häufig bei jungen, aktiven Menschen, vor allem bei Sportarten mit abrupten Bewegungsabläufen.

  • Frauen haben aufgrund biomechanischer und hormoneller Faktoren ein deutlich höheres Risiko.

  • Die meisten Verletzungen passieren durch nichtkontaktbedingte Bewegungen wie Richtungswechsel oder Landung nach einem Sprung.

  • Konservative Behandlungen sind für weniger aktive Patienten geeignet, während eine Operation bei Sportler:innen und aktiven Menschen bevorzugt wird.

  • Häufige Begleitverletzungen umfassen Meniskus- und Knorpelschäden.

  • Die Rekonstruktion erfolgt meist mit einem autologen Sehnentransplantat, und bei hoher Rotationsinstabilität kann eine zusätzliche Stabilisierung durch eine anterolaterale Tenodese notwendig sein.

  • Der tibiale Slope beeinflusst das Risiko einer erneuten Ruptur, und die VMO-Aktivität spielt eine wichtige Rolle in der Rehabilitation.

Epidemiologie

Der Riss des vorderen Kreuzbandes (VKB) ist eine häufige muskuloskelettale Verletzung und eine der häufigsten Verletzungen des Kniegelenkes, insbesondere bei Sportarten mit einem hohen Anteil an Dreh- und Stop-and-go-Bewegungen. Epidemiologische Daten zeigen eine höhere Inzidenz bei jungen, aktiven Bevölkerungsgruppen, mit einer jährlichen Rate von geschätzten 30 bis 50 Fällen pro 100.000 Personen. Neuere Studien weisen auf einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl von Kreuzbandverletzungen in den letzten zehn Jahren hin, was wahrscheinlich auf eine zunehmende Sportbeteiligung zurückzuführen ist.

Frauen haben ein 2- bis 8-fach höheres Risiko für VKB-Verletzungen als Männer. Dieser Unterschied scheint auf biomechanischen, hormonellen und neuromuskulären Faktoren zu basieren. Studien konnten zeigen, dass die Verletzungsraten bei drehbelastenden Sportarten (z.B. Fußball und Handball) bei Frauen signifikant höher sind. Eine mögliche Erklärung dafür scheinen die hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus zu sein, die zu einer erhöhten Bandelastizität führen.

Verletzungsmechanismus

Die Unfallkinematik von VKB-Verletzungen ist in ca. 70% der Fälle auf nicht kontaktbedingte Mechanismen zurückzuführen, die bei plötzlichen Richtungswechseln, Landungen nach einem Sprung oder abrupten Stopps auftreten. Bei diesen Bewegungen kommt es zu einer kombinierten Belastung des Knies in Form von Valgusstress, Innenrotation und einer ventralen Verschiebung des Schienbeins relativ zum Oberschenkel. Durch diese Kombination kann es zu einem Riss des VKB kommen. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Position des Knies beim Landen oder beim Richtungswechsel. Eine erhöhte Knievalgusstellung ist dabei, insbesondere bei Frauen, ein wesentlicher Risikofaktor für ACL-Verletzungen.

Konservative Behandlung

Die konservative Therapie wird bei Patient:innen mit geringeren funktionellen Anforderungen, insbesondere bei älteren oder weniger aktiven Menschen, angewendet. Sie ist möglich, wenn das Knie stabil bleibt und wenn keine signifikanten Begleitverletzungen (wie Meniskus- oder Knorpelschäden) vorliegen.

Operative Behandlung

Eine operative Versorgung wird bei Aktiven empfohlen, insbesondere in Sportarten mit hohem Risiko für erneute Verletzungen (wie Fußball, Handball, Skifahren). Auch bei begleitenden strukturellen Schäden (z.B. Meniskusriss oder Knorpelfrakturen) ist eine Operation indiziert, um eine langfristige Instabilität und degenerative Gelenkveränderungen zu vermeiden. Der Eingriff dient dazu, die mechanische Stabilität des Knies wiederherzustellen, um eine Rückkehr zum vollen Aktivitätsniveau zu ermöglichen.

Begleitverletzungen

Meniskusverletzungen treten bei etwa 40–70% der Patienten mit VKB-Rupturen auf. Bei frischen Verletzungen ist der Außenmeniskus häufiger betroffen als der Innenmeniskus. Diese Verletzungen können in der initialen MRT-Untersuchung leicht übersehen werden. Dies trifft vor allem auf Rampenläsionen des medialen Meniskushinterhorns zu. Ein ausgeprägtes Ödem an der Tibia ist in indirektes Zeichen dafür und sollte mittels „trans-notch view“ intraoperativ überprüft werden. Chronische VKB-Rupturen führen häufiger zu medialen Meniskusläsionen, da der mediale Meniskus durch die Instabilität des Knies stärker belastet wird.

Knorpelverletzungen finden sich bei etwa 20–40 % der Fälle von VKB-Rupturen. Diese Verletzungen betreffen oft den femoralen Gelenkknorpel oder das Tibiaplateau. Solche Knorpelschäden können langfristig zu einer vorzeitigen Arthrose führen, wenn sie unbehandelt bleiben. Die traumatische Kontusion könnte in weiterer Folge zu einer sekundären Knorpeldegeneration führen, wobei das genaue Ausmaß der Schädigung im Vorfeld schwer abschätzbar ist.

Verletzungen der Seitenbänder, insbesondere des medialen Seitenbandes (MCL), treten bei 20–30 % der VKB-Rupturen auf. Meist handelt es sich um partielle oder komplette Risse des medialen Kollateralbandes. Kombinationsverletzungen aus VKB-Ruptur, Meniskusverletzung und MCL-Schädigung werden als „unhappy triad“ bezeichnet. Mediale Seitenbandverletzungen können in den meisten Fällen konservativ behandelt werden, spielen aber eine Rolle für die Transplantatwahl. Um den medialen Bandkomplex nicht weiter zu schwächen, sollte man bei einem geschwächten Innenband die Verwendung der Hamstringsehnen zur Transplantaterstellung vermeiden.

Verletzungen des hinteren Kreuzbandes (HKB) in Kombination mit VKB-Rupturen sind selten, aber bei schwereren Traumata wie Hochgeschwindigkeitsverletzungen oder Verkehrsunfällen zu beobachten, meist als Knieluxation. Knochenmarködeme betreffen typischerweise die lateralen Anteile des Tibiaplateaus und den lateralen Femurkondylus, was auf die typische Verletzungsmechanik hinweist (meist ein Valgus-Drehmoment). Patellaluxationen und Schäden am retropatellaren Knorpel treten seltener auf, sind jedoch bei bestimmten Unfallmechanismen möglich. Sie treten oft in Kombination mit einer traumatischen Dislokation des Kniegelenks auf und können zusätzliche behandlungsbedürftige Verletzungen verursachen.

VKB-Refixierung

Eine Kreuzbandrefixation beim femoralen Ausriss des VKB sollte zeitnah, idealerweise innerhalb von 2 bis 3 Wochen nach der Verletzung, durchgeführt werden, um die Heilungschancen zu verbessern. Die Refixation erfolgt arthroskopisch und beinhaltet die Wiederbefestigung des abgerissenen Bandes an seinem femoralen Ansatz. Dies wird in der Regel mit Fadenankern oder speziellen Nahttechniken durchgeführt. Je nach Stabilität des Restbandes kann eine zusätzliche Verstärkung durch ein „ligament brace“ erfolgen. Ähnlich dazu können Teilrupturen des VKB in gleicher Weise versorgt werden.

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Abb. 1: Die Unfallkinematik von VKB-Verletzungen ist in ca. 70% der Fälle auf nichtkontaktbedingte Mechanismen zurückzuführen, die bei plötzlichen Richtungswechseln, Landungen nach einem Sprung oder abrupten Stopps auftreten

VKB-Rekonstruktion

Die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands ist eine etablierte operative Methode zur Wiederherstellung der Stabilität des Knies nach einem Riss des vorderen Kreuzbands. Da das gerissene Band in der Regel keine spontane Heilung zeigt, wird das Kreuzband durch ein autologes Sehnentransplantat ersetzt. Zu den am häufigsten verwendeten Sehnen zählen die Hamstringsehnen und die Patellarsehne, wobei auch die Quadrizepssehne zunehmend Verwendung findet.

Techniken und Sehnentransplantate
Hamstringsehnen

Diese Sehnen werden durch einen minimalinvasiven Schnitt entnommen, gefaltet und als Transplantat verwendet. Sie bieten eine gute biomechanische Stabilität und verursachen weniger Schmerzen an der Entnahmestelle im Vergleich zur Patellarsehne.

Patellarsehne

Hierbei wird ein Teil der Patellarsehne mit knöchernen Anteilen von der Patella und der Tibia entnommen. Diese Technik bietet eine besonders stabile Verankerung und wird häufig bei sportlich sehr aktiven Patient:innen bevorzugt, die hohe Anforderungen an ihr Kniegelenk stellen. Der Nachteil sind jedoch häufigere Probleme an der Entnahmestelle und vordere Knieschmerzen.

Quadrizepssehne

Diese Sehne hat sich in den letzten Jahren als Alternative etabliert. Sie bietet eine größere Dicke und biomechanische Stabilität, mit geringeren Entnahmestellenproblemen im Vergleich zur Patellarsehne. Zudem zeigt sie gute Ergebnisse bei der Rekonstruktion, insbesondere bei komplexen Fällen oder Revisionseingriffen.

Die Wahl des Transplantates hängt vom Aktivitätsniveau, den individuellen anatomischen Gegebenheiten und den Präferenzen des Operateurs/der Operateur:in ab. Jüngste Studien zeigen, dass alle Transplantate bei richtiger Technik gute funktionelle Ergebnisse liefern, wobei die Risiken und Vorteile individuell abgewogen werden sollten.

Allografts

Die Verwendung von Allografts (Spendersehnen) bei der VKB-Rekonstruktion wird in speziellen Fällen bevorzugt, insbesondere wenn autologes Gewebe nicht verfügbar oder weniger geeignet ist. Bei Revisionseingriffen kann auf Allografts zurückgegriffen werden, da die körpereigenen Sehnen bereits verwendet worden sind. Ebenso werden Allografts bei komplexen Knieverletzungen, die mehrere Bandrekonstruktionen erfordern, eingesetzt, um mehrere Bänder gleichzeitig zu rekonstruieren, ohne dass mehrere autologe Sehnen entnommen werden müssen.

Slope

In den letzten Jahren hat die Forschung gezeigt, dass der tibiale Slope (Neigungswinkel des Tibiaplateaus) eine entscheidende Rolle für die Stabilität des VKB spielt. Eine erhöhte tibiale Neigung kann das Risiko einer VKB-Ruptur sowie das Risiko einer erneuten Ruptur nach einer Rekonstruktion signifikant erhöhen.

Patienten mit einer signifikanten Vergrößerung des tibialen anterioposterioren Slope (typischerweise >12°) haben ein höheres Risiko, nach einer VKB-Rekonstruktion eine erneute Ruptur zu erleiden. Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass eine Slope-Erhöhung das vordere Schubladenphänomen begünstigt und die anterioren Kräfte auf das VKB erhöht. Eine Slope-Korrektur sollte in Betracht gezogen werden, wenn der Slope deutlich erhöht ist und der Patient in eine Hochrisikogruppe fällt, z.B. durch eine frühere VKB-Ruptur oder bei starkem sportlichem Engagement.

Bei Patienten, die nach einer VKB-Rekonstruktion eine erneute Ruptur erleiden ist eine Untersuchung des tibialen Slope mittels lang gezogener seitlicher Aufnahmen der Tibia angezeigt. Eine erhöhte tibiale Neigung kann ein Risikofaktor für die Instabilität sein. In diesen Fällen kann eine gleichzeitige Slope-Korrektur während der Revision der VKB-Rekonstruktion die Ergebnisse verbessern.

Die Korrektur des tibialen Slopes kann durch eine anteriore „Closing wedge“-Osteotomie oder eine posteriore „Opening wedge“-Osteotomie erfolgen. Ziel ist es, den Slope in einen physiologischen Bereich zu bringen; dieser liegt zwischen 5° und 10°.

Anterolaterales Ligament (ALL)

Bei Patienten mit einer deutlichen Rotationsinstabilität, die sich durch einen ausgeprägten positiven Pivot-Shift-Test zeigt, kann eine alleinige VKB-Rekonstruktion nicht ausreichen, um die rotatorische Stabilität des Knies vollständig wiederherzustellen. Eine zusätzliche laterale extraartikuläre Tenodese (LET) kann in diesen Fällen helfen, die Rotationskräfte zu kontrollieren und die Kniegelenksstabilität zu verbessern. Bei Verletzungen des medialen Seitenbandes kann der Pivot-Shift-Test jedoch nur eingeschränkt durchgeführt werden.

Bei jungen Patient:innen (<25a) mit hohem Aktivitätsniveau, die Stop-and-go Sportarten ausüben (z.B. Fußball, Basketball), kann eine LET die Rerupturrate senken. Auch in Revisionsfällen kann eine LET den Anteil der Rerupturen senken.

Vastus medialis obliquus (VMO)

VKB-Rupturen und die damit verbundenen operativen Rekonstruktionen haben einen signifikanten Einfluss auf die Aktivität des VMO. Dieser ist ein Teil des Quadrizepsmuskels und spielt eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Patella und der Kontrolle der Kniebewegung, insbesondere in den letzten 15° der Kniestreckung. Eine gestörte Funktion des VMO kann zu einer verzögerten Rehabilitation, reduzierter Kniefunktion und einem erhöhten Risiko für patellofemorale Schmerzen führen.

Durch die VKB-Ruptur kommt es zu einer arthrogenen Muskelinhibition (AMI), bei der insbesondere der VMO durch das verletzte Kniegelenk gehemmt wird. Durch die reduzierte Muskelaktivierung wird die Stabilität negativ beeinflusst. Auch nach der operativen Rekonstruktion des VKB bleibt die Aktivität des VMO oft vermindert. Diese muskuläre Dysfunktion kann für 6–12 Monate nach dem Trauma bestehen.

Neben dem propriozeptiven Training und dem Krafttraining ist die neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES) eine bewährte Methode zur Behandlung der muskulären Inhibition des VMO nach VKB-Verletzungen und -Rekonstruktionen. Dadurch wird die Muskelaktivität des VMO signifikant verbessert, indem die Muskelrekrutierung unterstützt und die Inhibition reduziert wird. Dies fördert eine frühere Wiederherstellung der muskulären Kontrolle.

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