Wirbelkörperfrakturen im Kindes- und Jugendalter
Autor*innen:
Dr. Andrea Schuller
Priv.-Doz. DDr. Stephan Payr
Abteilung für Unfallchirurgie
Spezialambulanz für Kindertraumatologie, Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie
Medizinische Universität Wien
Korrespondierender Autor:
Priv.-Doz. DDr. Stephan Payr
E-Mail: stephan.payr@meduniwien.ac.at
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Monozentrische Aufarbeitung von Wirbelkörperfrakturen im Kindes- und Jugendalter im Verlauf der letzten 20 Jahre: Stellen diese noch immer eine Seltenheit dar? Ist eine Änderung der Unfallursachen in den letzten 20 Jahren zu verzeichnen? Treten Verletzungen der Halswirbelsäule weiterhin vorrangig im Säuglings-/Kleinkindesalter auf?
Keypoints
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Änderung der Kausalität von Wirbelkörperfrakturen: Zunahme von Stürzen aus großer Höhe und sportbedingten Unfällen sowie Abnahme von Unfällen im Straßenverkehr.
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Frakturen der Halswirbelsäule treten zunehmend bei älteren Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Sportunfällen auf.
Unfälle werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als die Haupttodes und -morbiditätsursache bei Kindern und Jugendlichen im europäischen Raum angeführt. Die WHO empfiehlt, sowohl die Qualität als auch die Quantität der Daten über Morbidität und Verletzungsfolgen bei Kindern und Jugendlichen zu optimieren, um gezielte Investitionen zur Prävention von Verletzungen zu tätigen. Bei Verletzungen im Wachstum gilt es, mögliche Langzeitauswirkungen zu minimieren.
Frakturen der Wirbelkörper sind bei Kindern und Jugendlichen mit ca. 1–3% seltene Verletzungen. Seltene Verletzungen gehen mit geringerer Erfahrung einher, daher sollte versucht werden, Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation zu erarbeiten. Ebenso gilt es, immer wieder alte Paradigmen zu reevaluieren und zu aktualisieren.
Die Verletzungsursachen bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen weisen ein breites Spektrum auf und variieren je nach anatomischer Region in ihrer Häufigkeit. Hier sind als Beispiel die Unterschiede in der Häufigkeit der Verletzungen der Wirbelsäulenregionen zu nennen. In der Literatur wird beschrieben, dass 20–60% der pädiatrischen Wirbelsäulenverletzungen den thorakolumbalen Übergang und überwiegend Jugendliche betreffen, während 60–80% der Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS) bei Säuglingen und jüngeren Kindern auftreten. Im Säuglingsalter und bei jüngeren Kindern sind die führenden Ursachen Verkehrsunfälle als Beifahrer, der Sturz aus dem Fenster und Kindesmisshandlung. Jugendliche verletzen sich hingegen häufig bei Verkehrsunfällen als Fahrer oder Beifahrer, bei einem Fall aus großen Höhen, oftmals in Zusammenhang mit Selbstmordabsichten oder bei sportlichen Aktivitäten.
In den Trendsportarten wie Kickscooter-Fahren, Skateboarding, Snowboarding sowie Trampolinspringen etc. spielen die kindliche/jugendliche Neugier und die damit verbundene Risikobereitschaft eine wichtige Rolle. Viele der Verletzungen, die hier bei jüngeren Kindern auftreten, sind auf noch nicht ausreichend entwickelte motorische und kognitive Fähigkeiten, die für eine sichere Ausübung dieser Aktivitäten erforderlich sind, zurückzuführen. Für die Prävention und Therapie solcher Verletzungen ist die Identifizierung neuer und häufig auftretender Verletzungsmuster von großem Interesse. Hierfür sind aktuelle epidemiologische Erfassungen zielführend, um Veränderungen der Frakturtypen und Verletzungsmuster bei Kindern und Jugendlichen zu evaluieren.
Ziel war es, mögliche Änderungen der Unfallursachen für Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten zwei Jahrzehnten zu beschreiben sowie zu überprüfen, ob Verletzungen der HWS noch immer vorrangig im Säuglings- und Kleinkindesalter auftreten.
An unserer Abteilung wurden im Beobachtungszeitraum von 2002 bis 2019 die Daten von insgesamt 144 Kindern und Jugendlichen im Alter von 1 bis 18 Jahren mit Wirbelsäulenfrakturen retrospektiv aufgearbeitet (männlich: 86/144, 59,7%; weiblich: 58/144, 40,3%; Durchschnittsalter: 14,5±3,7 Jahre) (Abb. 1).
Abb. 1: Demografische Darstellung der Patientenkohorte nach Ein- und Ausschlusskriterien
Gesamt erlitt ca. die Hälfte (73/144; 50,7%) der Kinder und Jugendlichen Frakturen in mehr als einem Wirbelkörper. Dies führte insgesamt zu einer Anzahl von 269 frakturierten Wirbelkörpern. Für die beschriebene Kohorte wurden folgende Altersgruppen definiert: 1,4% (2/144) Kleinkinder (0 bis 1 Jahr); 3,5% (5/144) Vorschulkinder (2 bis 5 Jahre); 9,7% (14/144) Kinder in der Grundschule (6 bis 11 Jahre); 32,6% (47/144) Gymnasiasten (12 bis 15 Jahre); und 52,8% (76/144) Jugendliche (16 bis 18 Jahre).
Die Wirbelkörperbrüche waren die Folge vonStürzen aus großer Höhe (66/144, 45,8%), Sportunfällen (43/144, 29,9%), Verkehrsunfällen (30/144, 20,8%) und „diversen“ Ursachen (5/144, 3,5%).
Im Beobachtungszeitraum von 2002 bis 2019 zeigte sich eine Zunahme der Zahl der Stürze aus großer Höhe, die Zahl der Sportunfälle verdoppelte sich und es kam zu einer Abnahme der Zahl der Verkehrsunfälle um 50% (Tab. 1).
Tab. 1: Häufigkeiten der Hauptunfallursachen im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte
Die am häufigsten verantwortliche Sportart war Skifahren (21,0%; 9/43). 10 Patient*innen (6,9%; weiblich: 3,5%, 5; männlich: 3,5%, 5; Durchschnittsalter 16,2±1,2 Jahre) zogen sich Wirbelkörperfrakturen durch einen Sprung aus großer Höhe (>3m) in suizidaler Absicht zu. 26 der Patient*innen mit Wirbelkörperfrakturen(18,1%; weiblich: 4,9%, 7; männlich: 13,2%, 19; Durchschnittsalter 14,2±4,6 Jahre) wurden mit Polytrauma, ebenso meist nach einem Sturz aus großer Höhe, eingeliefert. Insgesamt zeigt sich, dass polytraumatisierte Patient*innen tendenziell schwerer wiegende Frakturen erleiden und somit ein längeres Follow-up verzeichnen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass schwerer wiegende Wirbelsäulenfrakturen meist eine operative Behandlung benötigen bzw. die Patient*innen aufgrund ihrer zusätzlichen Verletzungen einen längeren Krankenhausaufenthalt haben.
Die Brustwirbelsäule (62/144, 43,1%) war von allen Regionen am häufigsten verletzt, gefolgt von der Lendenwirbelsäule (55/144, 38,2%) und der Halswirbelsäule (17/144, 11,8%). Der am häufigsten verletzte Wirbelkörper war wie bei Erwachsenen L1 (34/144; 12,6%).
Der Großteil der Patient*innen (108/144, 75%) konnte konservativ behandelt werden, da das konservative Vorgehen bei stabilen Wirbelkörperfrakturen ohne neurologische Defizite empfohlen wird und dies auf die Mehrheit der Frakturen zutraf. Die hohe Anzahl von Stürzen und Verkehrsunfällen, die häufig zu Kompressionsfrakturen führen, spiegelt sich in den Frakturtypen wider: A1- und A2-Frakturen (AO-Klassifikation der Wirbelsäule) waren mit 78% (200/269) aller Frakturen die häufigsten Frakturtypen.
Zu den Indikationen für eine chirurgische Behandlung zählen die Kompression des Wirbelkanals, eine Instabilität und/oder neurologische Defizite. 25,0% der Patient*innen (36/144) wiesen eine oder mehrere dieser Indikationen auf und benötigten somit eine chirurgische Versorgung mittels ventraler oder dorsaler Stabilisierung. Berstungsfrakturen (A3, unvollständig, und A4, vollständig) lagen bei 16% (43/269) der Frakturen vor. Schwerere Frakturen vom Typ B oder Typ C, die durch Stürze aus großer Höhe, Verkehrs- oder Sportunfälle verursacht wurden, traten selten auf: 3% (7/269) Frakturen vom Typ B und 1% (3/269) Frakturen vom Typ C. Da die Schwere der Fraktur mit der Instabilität und damit mit dem Risiko neurologischer Defizite verbunden ist, erklärt sich die relativ geringe Rate an neurologischen Ausfällen/Defiziten von 5,6% (8/144); sie ist vergleichbar mit der Literatur (7–8%).
Diese 8 Patient*innen (Durchschnittsalter 15,6±4,7 Jahre), die initial nach Trauma neurologische Defizite aufwiesen, waren Jugendliche (7/8); bei 3/8 waren die UrsacheSportverletzungen. 2 der Patienten zogen sich diese Wirbelkörperfrakturen bei einem Kopfsprung in seichtes unbekanntes Gewässer zu und wiesen nach Trauma ein komplettes Querschnittssyndrom (Frankel A) auf. Dieser vermeintlich leicht zu vermeidende Unfallhergang zeigt, dass es weiterhin notwendig ist, Jugendliche diesbezüglich aufzuklären und auf diese Gefahr aufmerksam zu machen!
Bei 2 Patient*innen besserte sich die neurologische Situation nach der operativen Versorgung von Frankel D zu E bzw. von A zu C. Die restlichen 6 Patient*innen (4,2%; Durchschnittsalter 15±5,4 Jahre) wiesen nach der Behandlung unveränderte neurologische Defizite auf. Insgesamt zeigte sich, dass ein initiales neurologisches Defizit (hier mittels Frankel-Scoredokumentiert) im weiteren Verlauf kaum bis gar nicht verbessert werden konnte.
Die Häufigkeit von HWS-Frakturen war mit 11,2% (30/269) aller Frakturen allgemein niedrig, ähnlich wie in der Literatur (9,0%–18,9%). Die Patient*innen mit HWS-Frakturen hatten ein Durchschnittsalter von 14,4 Jahren.
Unsere Daten zeigten eine Zunahme von Frakturen der HWS bei Jugendlichen. Hier zählten Sportunfälle zu den häufigsten Verletzungsursachen. Dies ist mit Berichten in der Literatur vergleichbar. Im Gegensatz dazu zeigen andere Studien, dass tendenziell jüngere Kinder von Verletzungen der HWS betroffen sind. Diese Diskrepanz lässt sich durch Unterschiede in der Studienpopulation und den verwendeten Einschlusskriterien (ligamentäre Verletzungen und SCIWORA [„spinal cord injury without radiographic abnormality“]) erklären. Daher kann in der Literatur oft nicht näher zwischen Wirbelkörperfrakturen und Bandverletzungen unterschieden werden. Verletzungen der HWS, ligamentäre Verletzungen eingeschlossen, mögen häufig bei jüngeren Kindern auftreten, hier zeigte sich jedoch, dass Frakturen der HWS gehäuft bei Jugendlichen auftreten.
Zusammengefasst zeigen diese Daten, dass pädiatrische Wirbelsäulenfrakturen relativ selten sind, mit einem Höhepunkt bei Kindern im mittleren Alter. Es kam zu einer Änderung der Kausalität von Wirbelkörperfrakturen durch eine Zunahme der Zahl von Stürzen aus großer Höhe und sportbedingten Unfällen sowie eine Abnahme der Zahl von Unfällen im Straßenverkehr.
Literatur:
bei den Verfassern
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