Präzisionsmedizin: für interstitielle Lungenerkrankungen nicht in Sicht
Autor:
Reno Barth
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Präzise Eingriffe in die zugrunde liegenden pathophysiologischen Prozesse einer Erkrankung bieten die Chance, optimale therapeutische Wirkung bei minimierten unerwünschten Wirkungen zu erreichen. Im Falle der interstitiellen Lungenerkrankungen ist dies allerdings noch eine Utopie, da die Molekularpathologie der Erkrankung noch zu wenig verstanden wird. Erste Ansätze in Richtung „precision medicine“ gibt es allerdings.
„Precision medicine“ bezeichnet eine Medizin, die Informationen über die Gene einer Person oder über ihre Proteine benützt, um eine Erkrankung zu verhindern, zu diagnostizieren oder zu behandeln, so Prof. Dr. Athol Wells vom Royal Brompton Hospital in London. Am weitesten entwickelt ist dieses Konzept in der Onkologie, wobei es allerdings in aller Regel um Informationen über den Tumor geht, über den Informationen gewonnen werden können, die eine Abschätzung der Prognose erlauben oder den Weg zu einer optimalen Therapie weisen können. Es werde heute also davon ausgegangen, so Wells, dass sich dieses Konzept auf die Behandlung der interstitiellen Lungenerkrankungen übertragen lasse. Therapien für den individuellen Patienten würden dann anhand von genetischen Daten und Biomarkern ausgewählt. Dieses Versprechen sei allerdings mit einiger Vorsicht zu betrachten, denn während man es in der Onkologie mit autonomen primitiven Zellklonen zu tun habe und in manchen Fällen sogar die Modifikation oder Blockade eines einzigen Signalwegs zum klinischen Erfolg führt, spielen bei interstitiellen Lungenerkrankungen homöostatische Signalwege eine entscheidende Rolle. Wells: „Man hat es mit einem Tsunami an koaktivierten Signalwegen zu tun. Einem komplexen Netzwerk molekularer Signalübertragung.“ Vor allem wisse man noch sehr wenig über die Funktionen und Fehlfunktionen dieser Signalwege. Was aussieht wie ein krankheitsrelevanter Signalweg könnte in vielen Fällen vor allem die homöostatische Antwort auf die im Hintergrund liegenden tatsächlichen pathologischen Prozesse darstellen.
Mechanismen der „hemmungslosen Progression“ noch ungeklärt
Im Falle der idiopathischen pulmonalen Fibrose (IPF) habe sich die Kenntnis der zugrunde liegenden Molekularpathologie so weit entwickelt, dass sie nicht mehr als kryptogen eingeschätzt wird. Sie bleibt jedoch idiopathisch, weil „wir nicht verstehen, warum sie hemmungslos progredient verläuft“. Es sei bislang nicht gelungen, einen primären Signalweg für Progression zu identifizieren. Diesen brauche man aber, um ein Konzept der Präzisionsmedizin wie in der Onkologie auch auf die IPF anwenden zu können, so Wells.
Am nächsten komme man der „precision medicine“ aktuell in der Diagnostik. So wurde vor zwei Jahren ein molekularer „Classifier“ präsentiert, der, gemessen an der Biopsie als Goldstandard, in einer Studie mit 96 Patienten die Diagnose einer gewöhnlichen interstitiellen Pneumonie (UIP), als typischem histologischem Befund bei IPF, unabhängig von der hochauflösenden CT, ermöglichte.1 Die Spezifität wurde mit 92 % angegeben, die Sensitivität allerdings nur mit 62 %. Dieser Test könne, so Wells, in Kombination mit hochauflösender CT (HRCT) und klinischen Befunden in einem multidisziplinären Panel die Diagnose einer IPF ermöglichen, ohne dass der Patient dafür dem Risiko einer chirurgischen Lungenbiopsie ausgesetzt werden müsse. Wells betont, dass bei derartigen Tests die Prävalenz der IPF in der Bevölkerung irrelevant für die Vortestwahrscheinlichkeit und vielmehr das individuelle Risiko des Patienten, unter einer IPF zu leiden, ausschlaggebend sei. Man müsse bedenken, dass auch jeder Präzisonstest falsch negative und falsch positive Resultate produziere und daher vor allem dann nützlich ist, wenn die klinische Wahrscheinlichkeit einer positiven Diagnose im mittleren Bereich liegt.
Erste Studie mit Patientenselektion nach genetischen Markern in Planung
In der Therapie ist man aktuell noch sehr weit von Präzisionsmedizin entfernt. Wells weist darauf hin, dass man aktuell ein Netzwerk koaktivierter Signalwege als Kandidaten für die Rolle des Progressionssignalwegs beforsche, dabei allerdings noch nicht wisse, wo diese Bemühungen hinführen werden. Daher habe man keine Präzisionstherapien, sondern hochgradig pleiotrope „dirty drugs“. Von hohem Interesse für die Forschung seien in diesem Zusammenhang gescheiterte Studien vergangener Jahre. Dies gilt vor allem für die Antioxidation mit N-Acetylcystein (NAC), das in der PANTHER-Kohorte mit deutlich negativem Ergebnis in der Gesamtpopulation untersucht wurde. Subgruppen-Analysen veränderten das Bild jedoch dramatisch. Wurde die Kohorte nach Polymorphismen in den Genen TOLLIP und MUC5B stratifiziert, so zeigte sich, dass NAC bei bestimmten Genotypen keinen Effekt hatte, bei anderen schädlich war und in einem Fall die Progression, gemessen als Abnahme der forcierten Vitalkapazität, signifikant und deutlich verlangsamte.2 In der Gesamtkohorte hatten diese Wirkungen einander offenbar perfekt ausgemittelt. Wells: „Man stelle sich vor, wenn wir bei allen negativen Studien, die wir in den letzten Jahrzehnten durchgeführt haben, zu ähnlichen Ergebnissen kämen.“ Aktuell wird geplant, in einer genetisch selektierten Population die Kombination von NAC mit Pirfenidon prospektiv klinisch zu untersuchen. Es wäre dies der erste Schritt in Richtung einer Präzisionstherapie der idiopathischen pulmonalen Fibrose.
Quelle:
State of the Art Session: „Interstitial lung diseases“, ERS 2023 am 12. September 2023
Literatur:
1 Richeldi L et al.: Am J Respir Crit Care Med 2021; 203(2): 211-20 2 Oldham JM et al.: Am J Respir Crit Care Med 2015; 192(12): 1475-82
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