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48. Jahrestagung der ÖGP

Genderbias in der Patient:innenbehandlung

Geschlechterunterschiede zeigen sich in Inzidenz, Prävalenz, Krankheitsentstehung, Diagnose und Therapie von Erkrankungen. Zudem haben Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status und Bildungsniveauein höheres Erkrankungsrisiko.Für eine inklusive Gesundheitsversorgung sollten daher Geschlechter- und weitere Diversitätsaspekte berücksichtigt werden.

Keypoints

  • Es bestehen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung von Frauen und Männern und weiteren Diversitätsgruppen.

  • Bei der Behandlung von Asthma und weiteren pneumologischen Erkrankungen sollten Geschlechter- und weitere Diversitätsaspekte berücksichtigt werden.

  • Für eine geschlechtersensible Datenerhebung sollte sowohl das biologische als auch das soziokulturelle Geschlecht erfragt werden.

Einleitung

Weltweit bestehen Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung: So leben Frauen zwar länger, aber davon neun Jahre in schlechter Gesundheit, Männer hingegen nur sechs Jahre und neun Monate.1Frauen haben eine geringere Pension als Männer, in Österreich beträgt diese Pensionslücke (Gender Pension Gap) 42,1%, dies hat vor allem für ältere Frauen einen Einfluss auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung.2

Es bestehen auch Unterschiede basierend auf dem Geschlecht der behandelnden Personen: So zeigen Studien, dass Personen, die von Ärztinnen behandelt werden, häufig bessere Outcomes haben und die Mortalitäts- und Readmissionsratenbei ihnen geringer sind.3 Im Rahmen der Covid-Pandemie hat sich gezeigt, dass insgesamt mehr Frauen als Männer infiziert waren, sie sich gleichzeitig aber häufiger testen und impfen ließen; bei Männern waren die Verläufe schwerwiegender, sie waren häufiger in intensivmedizinischer Behandlung und die Mortalität war höher.4 So zeigt die Global Burden of Disease Study, dass sowohl Frauen als auch Männeraufgrund von Covid-19 die meisten „disability-adjusted life years“ (DALY; behinderungsbereinigte Lebensjahre) aufweisen. Weitere pulmologische Erkrankungen wie COPD folgen bei den Männern bereits an vierter Stelle nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Schlaganfällen und bei Frauen an fünfter Stelle nach Rückenschmerzen, Diabetes und Depressionen.5

Diese Unterschiede in der Inzidenz, Prävalenz, Prävention, Krankheitsentstehung, Diagnose und Therapie von Erkrankungen können sowohl auf den Einfluss des biologischen Geschlechts (engl. „sex“) als auch des soziokulturellen Geschlechts (engl. „gender“) zurückgeführt werden. Zum biologischen Geschlecht gehören unter anderem die Chromosomen, Geschlechtshormone, Gameten (Eizelle/Spermium) sowie die inneren und äußeren Geschlechtsorgane;das soziokulturelle Geschlecht wird unter anderem durch Geschlechteridentität und Geschlechterrollen definiert.6 Neben dem Geschlecht werden in der geschlechter- und diversitätssensiblen Medizin basierend auf dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot in Österreich auch weitere Diversitätskategorien wie das Alter, ethnische Zugehörigkeit/kultureller Hintergrund, Religion/Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Behinderung berücksichtigt.7

Im Folgenden sollen Geschlechter- und weitere Diversitätsaspekte bei Asthma, Lungenkarzinom, COPD sowie bei der Rehabilitation betrachtet werden.

Asthma

Asthma kommt im Kindesalter häufiger bei den Jungen als bei den Mädchen vor, das kehrt sich in der Pubertät jedoch um. Bei der Therapie von Asthma sind Geschlechteraspekte zu berücksichtigen: So sollten die behandelnden Personen mögliche eigene Geschlechterstereotype reflektieren. Zudem sollen sie berücksichtigen, dass Personen abhängig von ihrem Geschlecht Symptome möglicherweise unterschiedlich wahrnehmen und kommunizieren.8 Auch Aspekte wie berufliche Tätigkeit, Lebensstil und Komorbiditäten sollten beachtet werden (soziokulturelles Geschlecht). Zudem sollte bei biologisch weiblichen Personen auf die mögliche Verschlimmerung der Symptome während der Schwangerschaft, der Menopause bzw. der Menstruation geachtet werden (biologisches Geschlecht). Auch weitere Diversitätsaspekte sollten bei der Behandlung Berücksichtigung finden (Abb. 1).8

Abb. 1: Behandlung von Asthma unter Berücksichtigung von Geschlechteraspekten (modifiziert nach Boulet LP et al. 2022)8

Lungenkarzinom

Insgesamt sindInzidenz und Mortalität von Krebserkrankungen bei Männern höher als bei Frauen.9 Das wird mit dem Lebensstil begründet, aber auch genetische Gründe wie unter anderem das Tumorsuppressorgen auf dem X-Chromosom und Unterschiede in der Immunreaktion werden angeführt.10 Lungenkrebs ist nach dem Prostatakarzinomdie zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und die Krebserkrankung, an der die meisten Männer und Frauen in Österreich sterben.9

Rund ein Drittel aller Krebsfälle ist auf ungünstige Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten sowie auf Zigaretten- und Alkoholkonsum zurückzuführen. Männer ernähren sich weiterhin weniger gesund als Frauen, konsumieren mehr Alkohol und rauchen mehr. Allerdings ist bei den Männern ein leichter Rückgang des Tabakkonsums zu verzeichnen, bei den Frauen jedoch ein Anstieg. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Inzidenz von Lungenkrebs bei Frauen zunehmen wird. Bei der Therapie von Krebserkrankungen ist zu beachten, dass Frauen mehr Nebenwirkungen haben und die Therapie häufiger unterbrochen werden muss. Eine individualisierte, geschlechtersensible Behandlung ist daher von Bedeutung.1,2

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Insgesamt haben mehr Männer COPD als Frauen, bei Frauen ist allerdings ein Anstieg zu verzeichnen. Geschlechterunterschiede bei der Lungenentwicklung sowie Geschlechtshormone und Umweltfaktoren führen zu Unterschieden in der Progression, Krankheitsschwere, Morbidität und Mortalität. Studien zeigen, dass Frauen für jede gerauchte Zigarette eine schwerere COPD in einem früheren Alter entwickeln. Die Prävalenz der früh einsetzenden COPD und der COPD, die ohne die Inhalation von Tabak entsteht, ist bei Frauen höher. Das wird unter anderem auch mit soziokulturellen Aspekten begründet: So sind Frauen insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen aufgrund häuslicher Tätigkeit häufiger Dämpfen, Gasen, Staub oder Rauch und somit Biomassebrennstoffen ausgesetzt. Insgesamt sind bei der Behandlung von COPD auch noch weitere Diversitätsaspekte zu berücksichtigen.11

Rehabilitation

Bisher werden bei der Rehabilitation pneumologischer, aber auch anderer Erkrankungen Geschlechter- und weitere Diversitätsaspekte nicht ausreichend berücksichtigt. Subjektive Rehabilitationsziele werden durch Lebens- und Arbeitsbedingungen, Unterschiede in der Emotionsregulation und Krankheitsbewältigung beeinflusst. Dies hat wiederum einen Einfluss auf die Inanspruchnahme und Wirksamkeit von Rehabilitationsleistungen. Hier bestehen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, geschlechtersensible Rehabilitationsangebote sind bisher jedoch kaum vorhanden. Für die Weiterentwicklung der Rehabilitation, der Verbesserung der Qualität und Inanspruchnahme sind daher unter anderem Geschlechteraspekte sowie die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen und die Rahmenbedingungen und Inhalte dementsprechend anzupassen.12

Schlussfolgerung und Ausblick

Für eine chancengerechte, geschlechtersensible und inklusive Gesundheitsversorgung ist es notwendig, unter anderem Daten zur Geschlechtervielfalt zu erheben. Es wird angeraten, in Befragungen das Geschlecht folgendermaßen abzufragen (Abb. 2):

  1. „Welches Geschlecht wurde bei Ihrer Geburt in die Geburtsurkunde eingetragen?“

  2. „Da sich nicht alle Menschen ihrem eingetragenen Geschlecht zugehörig fühlen: Welchem Geschlecht fühlen Sie sich zugehörig?“13

Abb. 2: Geschlechtersensible Datenerhebung (modifiziert nach RKI 2021)13

Auch bei der Entwicklung digitaler Anwendungen und Algorithmen sollten die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen Berücksichtigung finden.14 Studierende, Auszubildende und Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten über ausreichend Wissen und Kompetenzen zu Geschlechter- und weiteren Diversitätsaspekten verfügen, um eine adäquate Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.15 Auf diese Weise können die nachhaltigen Entwicklungsziele („sustainable development goals“; SDG) der Vereinten Nationen SDG3 „Gesundheit und Wohlbefinden“, SDG5 „Gender Equality“ und SDG10 „Reduktion von Ungleichheiten“ sowie ein Nutzen für die Volkswirtschaft durch eine Reduktion von Arbeitsunfähigkeitstagen und höhere Produktivität, Arbeitskraft und Wirtschaftsleistung erreicht werden.

1 Robert Koch-Institut (Hrsg.): Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. Berlin: RKI 2020. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/Gesundheitliche_Lage_der_Frauen_2020.html ; zuletzt aufgerufen am 17.1.2025 2 Gaiswinkler S et al.: Frauengesundheitsbericht 2022. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), Wien 2023 3 Tsugawa Y et al.: Comparison of hospital mortality and readmission rates for Medicare patients treated by male vs female physicians. JAMA Intern Med 2017; 177(2): 206-13 4 Seeland U et al.: Evidence for treatment with estradiol for women with SARS-CoV-2 infection. BMC Med 2020; 18(1): 369 5 Patwardhan V et al.: Differences across the lifespan between females and males in the top 20 causes of disease burden globally: a systematic analysis of the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet Public Health 2024; 9(5): e282-e94 6 Mauvais-Jarvis F et al.: Sex and gender: modifiers of health, disease, and medicine. Lancet 2020; 396(10250): 565-82. Erratum in: Lancet 2020;396(10252):6687 Gleichbehandlungsgebot Österreich. www.oesterreich.gv.at/themen/dokumente_und_recht/gleichbehandlung/Seite.1860100.html ; zuletzt aufgerufen am 17.1.20258 Boulet LP et al.: Addressing sex and gender to improve asthma management. NPJ Prim Care Respir Med 2022; 32(1): 56 9 Statistik Austria: Österreichisches Krebsregister (Stand 9.1.2024) und Todesursachenstatistik. Anzahl maligner invasiver Tumoren inkl. DCO-Fälle. https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/krebserkrankungen ; zuletzt aufgerufen am 22.1.202410 Kindler-Röhrborn A: Krebsrisiko: Bei Frauen und Männern unterschiedlich ausgeprägt. Dtsch Ärzteblatt 2020; 117(11): 12 11 DeMeo DL: Sex, gender, and COPD. Annu Rev Physiol 202412 Ott J et al.: Scoping ‘sex’ and ‘gender’ in rehabilitation: (mis)representations and effects. Int J Equity Health 2022; 21(1): 179 13 Robert Koch-Institut (RKI): Fragebogen zur Studie Gesundheit in Deutschland aktuell: GEDA 2019/2020-EHIS. J Health Monitoring 2021; 6(3): 88-106 14 Ludwig S: Frauen in der globalen Gesundheit – Digitalisierung und Karrieregerechtigkeit. In: Aulenkamp J et al. (Hrsg.): Frauen in der digitalen Zukunft der Medizin und Gesundheitswirtschaft: Karrieregerechtigkeit, Gendermedizin, (She)Health, Diversity. Heidelberg: medhochzwei, 2021 15 Ludwig S: Advancing gender equality in health through FemTech and inclusive digitalisation. Eurohealth 2024; 30(2): 16-20

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