Die Crux mit den Antikörpern
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
Ein Antikörpertest sagt im Einzelfall wenig darüber aus, inwieweit die betreffende Person gegen Covid-19 geschützt ist. Das Auftauchen neuer Virusvarianten macht diese Situation nicht besser, wie der Virologe Assoc. Prof. Dr. Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien erläuterte.
Keypoints
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Es ist kaum möglich, auf Basis von Messwerten kommerzieller Antikörpertests (BAU/ml) Aussagen über das Ausmaß des individuellen Immunschutzes zu treffen.
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Das liegt u.a. daran, dass Antikörper im Blut nur ein Surrogat für die Antikörper am Ort des Infektionsgeschehens darstellen.
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Die Konzentration von neutralisierenden Antikörpern ist individuell unterschiedlich, und das Verhältnis zwischen neutralisierenden und nicht neutralisierenden Antikörpern ist interindividuell nicht konstant.
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Für die Omikron-Variante gilt zudem, dass die neutralisierende Wirkung von Antikörpern reduziert ist.
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Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen Spike-Protein-spezifischer Bindungstests und Neutralisationstests wird sehr wahrscheinlich größer.
Wenn SARS-CoV-2 sich in einer Zelle – z.B. in einer Epithelzelle des Respirationstraktes – befindet und dort repliziert, können eigentlich nur T-Zellen – CD4- und CD8-Zellen – diesen Vorgang stoppen, indem sie die befallenen Zellen eliminieren“, erläuterte Assoc. Prof. Mag. Dr. Lukas Weseslindtner, Leiter des Labors für Antikörperdiagnostik, Zentrum für Virologie, MedUni Wien. Die Hauptrolle von Antikörpern besteht hingegen darin, das noch extrazellulär zirkulierende Virus zu neutralisieren, also die Infektion von zusätzlichen Zellen zu verhindern. „Antikörper haben aber auch eine unterstützende Funktion für die zelluläre Immunität“, ergänzte der Virologe.
„In der Routinediagnostik messen wir Antikörper aus dem Blut“, fuhr Weseslindtner fort. „Sie sind daher eigentlich nur als Korrelat dafür anzusehen, dass ein gewisses immunologisches (B-Zell-)Gedächtnis vorhanden ist bzw. neutralisierende Antikörper über die Schleimhäute abgegeben werden.“
Bei einer Impfung gegen SARS-CoV-2 werden Antikörper gegen das Spike-Protein gebildet (da dieses Protein in den bei uns verfügbaren Impfstoffen – zumindest als mRNA – enthalten ist). „Allerdings hat nur ein gewisser Teil dieser Antikörper auch eine neutralisierende Wirkung“, schränkte Weseslindtner ein. Die neutralisierenden Antikörper sind vornehmlich gegen die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) – einen kleinen Teil des Spike-Proteins – gerichtet.
Antikörperbestimmung – für und wider
Im Tiermodell konnte gezeigt werden, das nach einer Covid-19-Impfung Antikörper gebildet werden, die nicht nur im Blut, sondern z.B. auch im Alveolarsekret und an den Schleimhäuten nachweisbar sind. Bei Affen wurde nachgewiesen, dass die Konzentration dieser Antikörper – und besonders jener mit neutralisierender Wirkung – sehr gut mit dem Schutz der unteren Atemwege korreliert. „Zwar können die Tiere bei sehr konzentriertem Virusinokulum sehr wohl infiziert werden, weil die schützenden Antikörper irgendwann abgesättigt sind, aber die resultierende Infektion wird dann vom Immunsystem im oberen Respirationstrakt gestoppt und unter Kontrolle gehalten“, erklärte Weseslindtner. Allerdings zeigte sich in derselben Studie eine sehr viel schlechtere Korrelation von neutralisierenden Antikörpern mit dem Infektionsschutz der oberen Atemwege. „Das sind übrigens alles Daten vor Auftreten der Omikron-Variante“, schränkte der Experte ein.
Die Antikörpertiter im Blut korrelieren also grundsätzlich mit der Schutzwirkung in den tiefen Atemwegen, aber schlechter mit dem Schutz im oberen Respirationstrakt.
Dazu passen Studienergebnisse, die man im Rahmen der Impfstoffentwicklung bei Menschen gemacht hat. Hier wurden die Antikörperkonzentrationen nach der Impfung von Personen, die nach Impfung trotzdem eine SARS-CoV-2-Infektion (inklusive der oberen Atemwege) entwickelten, mit jenen verglichen, bei denen das nicht der Fall war. Dabei zeigte sich eine etwas niedrigere Antikörperkonzentration bei Menschen, die in der Folge nicht vor der Infektion geschützt waren. Bei den gemessenen Konzentrationen bestand aber eine erhebliche Überlappung zwischen der geschützten und der nichtgeschützten Gruppe. Weseslindtner: „Die Überlappung bewirkt, dass man keinen sicheren Cut-off-Wert findet, der auch für einen Schutz der oberen Atemwege steht. Deshalb sollte man selbst bei individuell sehr hohen Antikörperkonzentrationen die Möglichkeit von SARS-CoV-2-Infektionen – vor allem der oberen Atemwege – nicht gänzlich ausschließen.“
Was kann der Antikörpertest leisten?
„Somit können wir keine sichere Aussage bezüglich des Schutzkorrelates für den Einzelnen treffen, sehr wohl können wir aber grundsätzlich und im Rahmen von Studien das Ansprechen auf SARS-CoV-2-Impfungen bezüglich der humoralen Immunantwort bei verschiedenen Personengruppen vergleichen“, so Weseslindtner. So stellte sich heraus, dass im Schnitt hochbetagte Menschen nach der Impfung insgesamt niedrigere Antikörpertiter als Jüngere aufwiesen. „Natürlich sieht man auch bei immunsupprimierten Personen bezüglich der mittleren Antikörperkonzentrationen große Unterschiede zu Immunkompetenten.“ Diese Unterschiede korrelieren im Großen und Ganzen mit der impfinduzierten Schutzwirkung vor schweren Krankheitsverläufen.
Antikörpermessung – alles andere als trivial
Ein weiteres Problem bei der Suche nach dem individuellen Schutzkorrelat sind Test-spezifische Schwankungen, die trotz der WHO-Standardisierung weiterhin bestehen. Dies zeigen zum Beispiel Ergebnisse der österreichweiten Rundversuche, bei denen alle Labors zwei Proben vom selben Patienten maßen, die zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Impfung abgenommen worden waren. Die Tendenz des Antikörperabfalls wurde bei allen Messungen übereinstimmend dargestellt und innerhalb einzelner Testhersteller gab es kaum Abweichungen, zwischen den von verschiedenen Tests gemessenen Konzentrationen in BAU/ml („binding antibody unit“ pro ml) zeigten sich allerdings signifikante Unterschiede. Diese Unterschiede werden bei höheren Antikörperkonzentrationen tendenziell größer. „Das Mindeste, was man also tun sollte, wenn man von einem bestimmten BAU-Wert spricht, ist, anzugeben, mit welchem Testsystem er gemessen wurde“, forderte der Virologe.
Den Grund für diese Schwankungen erklärte Weseslindtner so: „Obwohl alle Tests das Spike-Protein als Antigen verwenden, gibt es Unterschiede in der Art, wie dieses Antigen verarbeitet wird. Außerdem haben die verwendeten Fluoreszenztests nur in einem bestimmten Konzentrationsbereich ein lineares Verhältnis zwischen Fluoreszenz und Antikörpertiter. Ab einer bestimmten Konzentration tritt das System in eine Sättigungsphase ein. Einfach gesagt: Irgendwann ist das Substrat aufgebraucht. Und dazu kommt noch, dass dieser lineare Bereich bei verschiedenen Testsystemen unterschiedlich gelagert ist. Das bedeutet also, dass Test X bei bestimmten, hohen Antikörperkonzentrationen besser funktioniert als Test Y.“
Wie unterscheidet man nun neutralisierende von nichtneutralisierenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2? „Genau genommen geht das nur mit einem Neutralisationstest, weil in diesem Test das, was man ausliest, wirklich der Infektion von Zellen entspricht“, stellte der Experte klar.
Eine zweite Möglichkeit besteht in der Verwendung von Surrogattests. Ein Surrogat für die Neutralisation wäre die Bindungshemmung der RBD an ACE2 (den Eintrittsrezeptor für das Virus an der menschlichen Zelle). „Obwohl wir diese Tests in den letzten Monaten umfassend evaluiert haben, sind sie bisher noch nicht an die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 angepasst worden“, warnte der Virologe.
Besonders die Omikron-Variante zeichnet sich ja durch zahlreiche Mutationen im Spike-Protein aus, von denen einige auch die RBD betreffen. „Das führt eben dazu, dass die Antikörper von geimpften bzw. genesenen und geimpften Personen gegen Omikron eine deutlich geringere neutralisierende Wirkung aufweisen.“
Dies ist in Abbildung 1 dargestellt. Sie zeigt die Ratio der pNT50 der Varianten Delta, Beta und Omikron im Vergleich zu D614, dem Wildtyp. Dabei steht p für „pseudotypisiertes Virus“, wobei es sich um (harmlose) Viren handelt, bei denen zu Testzwecken die Oberflächenproteine ausgetauscht werden, in diesem Fall zu jenen von SARS-CoV-2. NT50 steht für den Antikörpertiter, mit dem noch eine 50-prozentige Neutralisation der genannten pseudotypisierten Viren möglich ist. Die Abbildung zeigt, dass insbesondere Omikron zu einer schlechteren Neutralisation als der Wildtyp und auch als die Varianten Beta und Delta führt.
Abb. 1: Titer neutralisierender Antikörper bei verschiedenen SARS-CoV-2-Varianten im zeitlichen Verlauf (modifiziert nach Sievers BL et al.: Sci Transl Med 2022; doi: 10.1126/scitranslmed.abn7842)
Quelle:
„Impftiterbestimmung nach COVID-Impfung – sinnvoll oder sinnlos?“, Vortrag von Assoc. Prof. Mag. Dr. Lukas Weseslindtner, Zentrum für Virologie, MedUni Wien, im Rahmen des (hybriden) Österreichischen Impftags am 22. Jänner 2022
Literatur:
Literatur beim Vortragenden
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