Nebenwirkungen, Impfschäden und Nutzen-Risiko-Analyse
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi
Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
E-Mail: michael.kundi@meduniwien.ac.at
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Die weltweite Impfkampagne gegen Covid-19 ist in der bisherigen Medizingeschichte beispiellos. Die rasche Entwicklung der Impfstoffe in Kombination mit der wechselnden epidemiologischen Lage macht jedoch viele Menschen skeptisch. Daher gilt es umso mehr, über Nebenwirkungen und das Nutzen-Risiko-Verhältnis der aktuell verfügbaren Impfstoffe Bescheid zu wissen.
Keypoints
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Alle in der EU zugelassenen Impfstoffe haben eine vergleichsweise hohe Reaktogenität.
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Schwere Nebenwirkungen oder Impfschäden müssen per definitionem lebensbedrohend sein oder dauerhafte Schäden verursachen.
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Selten beschriebene Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen sind neben anaphylaktischen Reaktionen Myokarditiden (besonders bei jungen Männern).
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Zu den beschriebenen seltenen Nebenwirkungen der Vektorimpfstoffe zählen das VITT-Syndrom und neurologische Reaktionen.
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Bei der Nutzen-Risiko-Analyse müssen neben der Impfstoffgruppe auch das Alter und das Geschlecht der Geimpften berücksichtigt werden.
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Für alle derzeit eingesetzten Impfstoffe, alle Altersgruppen und beide Geschlechter besteht derzeit ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde so eine Kampagne durchgeführt wie die Covid-19-Impfkampagne. Innerhalb eines Jahres wurden weltweit ca. 10 Milliarden Dosen verimpft. Allein in der EU sind es mehr als 630 Millionen. Es müssen daher in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung Millionen von Erkrankungen oder Todesfällen aufgetreten sein.
Koinzidenz vs. Kausalität
Für die Arzneimittelsicherheit ist das eine Herausforderung, weil eine zufällige zeitliche Koinzidenz von einer möglichen Kausalität abgegrenzt werden muss. Obwohl die Pharmafirmen bei den Zulassungsstudien sehr hohe Probandenzahlen, wie sie in den letzten Jahren aufgrund der Anforderungen der Zulassungsbehörden üblich wurden, vorgesehen haben, können solche Phase-III-Untersuchungen nur Ereignishäufigkeiten von ca. 1–3 Fällen pro 10000 Dosen sicher detektieren. Seltenere Ereignisse müssen in Phase-IV-Studiendurch aktive oder passive Surveillance oder gezielte epidemiologische Untersuchungen ermittelt werden. In einer noch nie dagewesenen Kooperation zwischen Wissenschaft, Behörden, Wissenschaftsjournalen und der Industrie wurde den Hinweisen auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Impfung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachgegangen.
Reaktogenität vs. Nebenwirkung
Die Zulassungsstudien ergaben bei allen Covid-19-Impfstoffen, die in der EU zugelassen wurden, eine vergleichsweise hohe Reaktogenität (Impfreaktionen innerhalb eines Zeitraums von ca. sieben Tagen nach Impfung, die auf die Gewebsverletzung und die unmittelbare, zytokinvermittelte lokale Reaktion zurückgehen). Die überwiegende Mehrheit zeigt lokale Reaktionen, insbesondere Schmerz an der Einstichstelle, und systemische Reaktionen, in erster Linie Müdigkeit, Kopfschmerz und Myalgie.
Von dieser Reaktogenität muss man die schweren Nebenwirkungen und den Impfschaden abgrenzen. Eine schwere Nebenwirkung ist gemäß Arzneimittelgesetz eine Nebenwirkung, „die tödlich oder lebensbedrohend ist, eine stationäre Behandlung oder deren Verlängerung erforderlich macht, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung oder Invalidität führt oder eine kongenitale Anomalie oder ein Geburtsfehler ist“. Solche Nebenwirkungen können im Allgemeinen nur mittels Surveillancesystemen oder gezielter Anwendungsbeobachtungsstudien ermittelt werden.
Ein Impfschaden kann anerkannt werden, wenn durch eine in Österreich erfolgte, im Mutter-Kind-Pass angeführte oder durch Verordnung des Gesundheitsministers empfohlene oder verpflichtende Impfung (die seinerzeitige Pockenschutzimpfung und Tuberkuloseimpfung und seit Februar 2022 die Covid-19-Schutzimpfung) dauerhafte Schäden hervorgerufen wurden oder eine Nebenwirkung auftrat, die als schwere Körperverletzung einzustufen ist.
Daten zu Nebenwirkungen
Schon wenige Wochen nach Beginn der Massenimpfung in den USA wurden die ersten ernsten Nebenwirkungen, die in den Zulassungsstudien nicht auffielen, seitens der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) der USA veröffentlicht.
Es handelte sich um anaphylaktische Reaktionen auf die mRNA-Impfstoffe (Comirnaty, BioNTech/Pfizer; Spikevax, Moderna). Heute wissen wir, dass alle bisher in der EU eingesetzten Impfstoffe solche Reaktionen auslösen können. Dabei sind Frauen sehr viel häufiger betroffen als Männer und besonders Erwachsene unter 65 Jahren. Die Inzidenz liegt zwischen 1 und 16 Fällen pro 1 Million Impfungen. Obwohl wegen der zeitlichen Nähe zur Impfung (in fast allen Fällen innerhalb von 30 Minuten) die Kausalität kaum abgestritten werden kann, ist mangels Daten eine Zuordnung zu bestimmten Bestandteilen der Impfstoffe nicht möglich. In Verdacht stehen Polysorbat, Polyäthylenglykol und Trometamol. Eine bekannte Allergie gegen diese Exzipienten oder eine vorangegangene Anaphylaxie sind Ausschlussgründe für eine Impfung mit demselben Impfstoff. Diese rasche Detektion eines Signals zeigt, dass die Überwachungssysteme funktionieren(Beispiel der Meldungen aus Österreich: Abb. 1).
Abb. 1: Meldungen über Nebenwirkungen der verfügbaren Impfstoffe2021 an das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen
In den folgenden Monaten wurden weitere Signale (Erkrankungen, die nach Impfung häufiger aufgetreten sind, als aufgrund der Hintergrundmorbidität zu erwarten wäre) detektiert. Bei den Vektorimpfstoffen (Vaxzevria, AstraZeneca; Janssen, Johnson&Johnson) war das ein dem Heparin-induzierten Thrombozytopenie-Syndrom ähnliches Erkrankungsbild, das heute als VITT(„vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia“)-Syndrom bezeichnet wird. Diese Nebenwirkung tritt überwiegend 5–20 Tage nach Impfung mit einer Häufigkeit von 1–4 Fällen pro 100000 Dosen auf. Weitere möglicherweise bei den Vektorimpfstoffen sehr selten auftretende Nebenwirkungen, die auch Eingang in die Fachinformationen gefunden haben, sind neurologische Reaktionen (Guillain-Barré-Syndrom, transverse Myelitis) und das Kapillarlecksyndrom.
Bei den mRNA-Impfstoffen wurden insbesondere bei jungen Männern in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung Myokarditiden beobachtet. Die Inzidenz ist stark alters- und geschlechtsabhängig und liegt nach neuesten Daten bei 12–17-jährigen Knaben mit ca. acht Fällen pro 100000 Dosen am höchsten (das betrifft die zweite Dosis, die mit einer höheren Rate verbunden ist) und sinkt dann mit zunehmendem Alter auf einen Fall pro 200000 Dosen bei den 30–39-jährigen Männern. Bei den Frauen liegt die Rate durchwegs unter einem Fall pro 100000 Dosen. Bei allen diesen Nebenwirkungen ist die Ätiologie ungeklärt, aber der Zusammenhang mit der Impfung wahrscheinlich.
Nutzen-Risiko-Analyse
Wie bei jedem Arzneimittel muss auch bei Impfungen ständig das Nutzen-Risiko-Verhältnis geprüft werden. Bei Impfungen ergibt sich der Nutzen aus den verhüteten Erkrankungen, deren Schwere und Folgewirkungen. Das Risiko ergibt sich aus den schweren Nebenwirkungen und dem entgangenen Impferfolg. Das steht im Kontrast zu den subjektiven, oft verzerrten Risikowahrnehmungen, bei denen meist das Risiko der Erkrankung mit dem Risiko der Impfung verglichen wird. Dabei wird das Risiko der Erkrankung oft bagatellisiert und das Risiko der Impfung übertrieben. Ersteres liegt oft daran, dass der Einzelne meint, das Risiko einer Infektion und Erkrankung steuern zu können. Das ist aber nur sehr eingeschränkt der Fall, wenn man sich nicht völlig von sozialen Kontakten abschirmt (was letztlich aufgrund der Versorgungsnotwendigkeiten gar nicht möglich ist).
Was die individuellen Chancen betrifft, nach erfolgter Infektion auch ohne Impfung nicht schwer zu erkranken, so werden hier völlig falsche Vorstellungen zu Covid-19 und seiner Pathologie verbreitet. Ein starkes Immunsystem schütze vor schweren Erkrankungen, wird behauptet. Abgesehen davon, dass niemand weiß, was ein starkes Immunsystem ist, haben das Auftreten und die Schwere der Erkrankung damit gar nichts zu tun. Gewiss haben Personen mit bestimmten Vorerkrankungen und ältere Personen ein höheres Risiko, aber es gibt schwere Fälle in allen Altersgruppen und niemand, auch kein fitter Sportler, ist gegen eine schwere Erkrankung gefeit.
Die konkrete Durchführung einer objektiven Nutzen-Risiko-Analyse muss sich auf vorhandene Daten stützen und ist daher immer wieder neu durchzuführen, wenn sich neue Befunde ergeben und wenn sich die epidemiologische Lage ändert. Die Impfung wird selbstverständlich dann sinnlos und das Nutzen-Risiko-Verhältnis zuungunsten der Impfung ausfallen, wenn es die Erkrankung, vor der die Impfung schützen soll, nicht mehr gibt (wie das bei der früher verpflichtenden Pockenimpfung der Fall war).
Geht man davon aus, dass die für das Jahr 2021 beobachteten Risiken einer Hospitalisierung, von Intensivstationsaufnahmen und Todesfällen auch für das Jahr 2022 zutreffen, dann lässt sich eine Nutzen-Risiko-Analyse unter Verwendung der bekannten Daten über die Wirksamkeit der Impfung zur Verhütung schwerer Covid-19-Verläufe vornehmen. Dabei muss man beachten, dass dieses Risiko sich nach Alter unterscheidet. Da es geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Nebenwirkungen gibt, muss auch das Geschlecht berücksichtigt werden.
Da die Covid-19-Impfstoffe ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil haben, muss die Analyse nach Impfstoffgruppen erfolgen (mRNA-Impfstoffe, Vektorimpfstoffe). Da der inzwischen zugelassene Subunit-Impfstoff von Novavax (Nuvaxovid) noch nicht außerhalb der klinischen Prüfungen eingesetzt wurde, ist dessen Profil von seltenen Nebenwirkungen noch nicht bekannt und er kann daher derzeit nicht hinsichtlich Nutzen-Risiko-Verhältnis in gleicher Weise wie die anderen Impfstoffe geprüft werden.
Für alle derzeit eingesetzten Impfstoffe, alle Altersgruppen und beide Geschlechter besteht derzeit ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. Am geringsten ist es bei 7–11-jährigen Knaben (2,2-fach höheres Risiko bei Ungeimpften) und am höchsten (14,8-fach höheres Risiko bei Ungeimpften) bei Männern ≥40 Jahre. Bei dieser Analyse werden die Fälle von Hospitalisierung, von Intensivstationsaufnahmen, von Todesfällen und schweren Nebenwirkungen bzw. schweren Folgewirkungen von Covid-19 bei jeweils 100000 Ungeimpften und 100000 Geimpften einander gegenübergestellt (Abb. 2).
Abb. 2: Schema einer Nutzen-Risiko-Analyse
Da es sich um unterschiedlich schwerwiegende Endpunkte handelt, muss eine Gewichtung vorgenommen werden. Dabei wurde die Hospitalisierung mit 1, die Intensivstationsaufnahme mit 2, Tod mit 3 Einheiten bewertet. Eine Myokarditis ging mit einem Gewicht von 1,5, ein VITT-Fall mit 2 ein. Als Worst-Case-Szenario wurden bei den Folgewirkungen der SARS-CoV-2-Infektion nur jene einbezogen, die der prominentesten möglichen Nebenwirkung der Impfung entsprechen (Sinusvenenthrombose bei VITT und Post-Covid-19-Myokarditis). Nebenwirkungen der Impfung, die mit weniger als 0,1 Punkten eingehen, wurden in der Analyse einbezogen, aber in der grafischen Darstellung weggelassen. Anaphylaktische Reaktionen wurden nicht berücksichtigt, da sie entweder vermeidbar sind oder bei Befolgung der Anwendungsempfehlungen keine schweren Nebenwirkungen darstellen.
Fazit
Die Covid-19-Impfungen und die Impfkampagne sind eine Erfolgsgeschichte. Es wurden allein in Österreich abertausende Hospitalisierungen und Todesfälle vermieden. Dennoch gibt es Skepsis in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung. Keine Impfung ist ohne Nebenwirkungen, es besteht aber für alle impfbaren Gruppen der Bevölkerung nach wie vor ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. Es gibt keinen rationalen Grund, sich nicht impfen zu lassen. Natürlich müssen Nutzen und Risiko stets weiter beobachtet werden. Die Bevölkerung kann darauf vertrauen, dass die Behörden und einschlägigen Gremien stetig Nutzen und Risiko weiter überwachen und rechtzeitig die Empfehlungen ändern, sollte sich andeuten, dass die Covid-19-Impfung keinen Vorteil mehr bringt.
Literatur:
beim Verfasser
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