Pharmakotherapie bei Covid-19
Autor:
Priv.-Doz. DDr. Christian Schörgenhofer
Universitätsklinik für klinische Pharmakologie
Medizinische Universität Wien
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Während antivirale Medikamente inklusive der neuen Antikörpercocktails in der Frühphase der Covid-19-Erkrankung eingesetzt werden können, rücken antiinflammatorische und immunmodulatorische Substanzen in den Fokus für jene Patienten mit schwerem bis kritischem Krankheitsverlauf. Alunacedase Alfa, Aviptadil, Asunercept, Solnatide oder Allocetra sind Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, die alle für den Einsatz bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten evaluiert werden.
Keypoints
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Eine antivirale Intervention ist nur in der Frühphase der Covid-19-Erkrankung sinnvoll.
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Patienten mit schweren Verläufen benötigen vor allem eine antiinflammatorische bzw. immunmodulatorische Therapie.
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Zu den in der Pipeline stehenden Substanzen zählen das rekombinante humane ACE2 Alunacedase Alfa, das synthetische vasoaktive Peptid Aviptadil, das CD95Fc-Fusionspeptid Asunercept, das epitheliale Natriumkanäle aktivierende Peptid Solnatide sowie die Infusion einer allogenen, apoptotischen Zellsuspension (Allocetra-OTS).
Der pandemischen Ausbreitung des „severe acute respiratory syndrome coronavirus-2“ (SARS-CoV-2) folgte in einer noch nie dagewesenen globalen Anstrengung die Suche nach der „magic bullet“, also nach einer möglichst effektiven Therapie gegen Covid-19. Aktuell sind >4000 aktive Studien auf clinicaltrials.gov für Covid-19 registriert, darunter >1150 Phase-II/III-Studien. Hier sollen einige vielversprechende Substanzen vorgestellt werden, wobei angesichts dieser Zahlen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann.
Allgemein sollte sich die Pharmakotherapie für Covid-19 am Krankheitsstadium der Patienten orientieren. Antivirale Interventionen, wie Remdesivir oder die Gabe der zur Zulassung eingereichten direkt antiviralen monoklonalen Antikörper Bamlanivimab/Etesevimab und Casirivimab/Imdevimab, sind prinzipiell nur in der durch massive Virusreplikation gekennzeichneten Frühphase der Erkrankung sinnvoll. Schwere Verläufe mit respiratorischem Versagen und teils massiver systemischer Inflammation entwickeln sich häufig erst nach dem Höhepunkt der Virusreplikation.1 Daher stehen für die Behandlung von Patienten mit schweren Krankheitsverläufen, die auch intensivmedizinische Betreuung benötigen, vor allem antiinflammatorische und immunmodulatorische Substanzen im Vordergrund.
Etablierte Therapien
Aktuell etabliert ist die Therapie mit Dexamethason bei hospitalisierten Patienten, die eine Sauerstofftherapie jedweder Art benötigen. Zudem hat das amerikanische National Institute of Health nach rezenten Publikationen (RECOVERY und REMAP-CAP) die Verwendung von Tocilizumab, einem Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper, bei Patienten mit rasch zunehmendem Sauerstoffbedarf und Zeichen einer ausgeprägten Inflammationsreaktion und bei Patienten, welche rasch (<3 Tagen) nach Hospitalisierung eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, empfohlen.
Alunacedase Alfa
Alunacedase Alfa (APN01; Apeiron Biologics) ist ein rekombinantes humanes Angiotensin-Converting-Enzym-2 (ACE2). Die Entwicklung des Medikaments begann während der ersten SARS-Epidemie und wurde nun fortgeführt. Es gibt zwei Angriffspunkte: Einerseits ist ACE2 ein membranständiges Enzym, das als Rezeptor für SARS-CoV-2 dient und den viralen Eintritt in Körperzellen (z.B. Typ-II-Alveozyten, Darmepithelzellen etc.) vermittelt. Alunacedase Alfa soll als „Decoy-Rezeptor“ das Spikeprotein des Virus binden und die Infektion von Körperzellen somit verhindern. Andererseits hat ACE2 eine enzymatische Aktivität und ist für den Abbau von Angiotensin II verantwortlich. Angiotensin II erhöht die vaskuläre Permeabilität und den pulmonalarteriellen Druck, wirkt profibrotisch, verstärkt die Einwanderung von Entzündungszellen und wirkt proinflammatorisch. ACE2 hat somit lungenprotektive Wirkungen.2,3
Eine doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Phase-II-Studie mit 200 Patienten wurde im Jänner 2021 abgeschlossen. Die Studie wurde noch nicht publiziert, allerdings hat Apeiron in einer Presseaussendung mitgeteilt, dass der primäre Endpunkt, die 28-Tage-Mortalität, unbeeinflusst blieb. Beobachtet wurden jedoch eine kürzere Dauer der invasiven Beatmung bei den überlebenden Patienten, eine schnellere Reduktion der Viruslast sowie positive Effekte auf Biomarker.
Aviptadil
Aviptadil (Zyesami; NeuroRX) ist ein synthetisches vasoaktives intestinales Peptid (VIP), das ursprünglich zur Behandlung dererektilen Dysfunktion entwickelt wurde. VIP wurde zuerst im Gastrointestinaltrakt nachgewiesen und nach seiner vasodilatatorischen Wirkung benannt. Später wurde VIP und dessen Rezeptoren auch in anderen Zelltypen, darunter Nervenzellen, T-Lymphozyten, und Typ-II-Alveozyten außerhalb des Gastrointestinaltrakts nachgewiesen.4 Die Hypothese, Aviptadil bei Covid-19 einzusetzen, fußt auf drei Säulen: Es wirkt (i) antiapoptotisch auf Typ-II-Alveozyten und stimuliert zudem deren Surfactantproduktion; (ii) antiinflammatorisch über eine Hemmung des proinflammatorischen Transkriptionsfaktors NFkB und die Stimulation von regulatorischen T-Lymphozyten; und (iii) vasodilatatorisch und reduziert somit die pulmonalarterielle Hypertonie.5–7
Die Rekrutierung einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie bei 196 kritisch kranken Patienten wurde am 26. Februar 2021 abgeschlossen. Obwohl die Studiendaten noch nicht publiziert wurden, kann man einer Pressemitteilung über den Interimsreport bereits positive Daten entnehmen: Bei der Interimsanalyse waren Patienten, die Aviptadil erhielten, signifikant kürzer hospitalisiert (medianer Unterschied 10 Tage, p<0,006). Zudem zeigten sich bereits positive Trends bezüglich eines längeren Überlebens und der Erholung von respiratorischem Versagen sowie einer Krankenhausentlassung bis zum Tag 28. Es gab keine relevanten Sicherheitsprobleme und die Substanz wird in den USA in einem „expanded access program“ weiterhin verwendet.
Asunercept
Asunercept der Firma Apogenix ist ein CD95Fc-Fusionsprotein, das die CD95-Ligand(=FAS-Ligand)-induzierte Apoptose in Körperzellen verhindern soll. In bronchoalveolärer Lavage-Flüssigkeit von Non-Covid-19-Patienten mit Lungenversagen wurden hohe CD95-Ligand-Konzentrationen nachgewiesen. Diese Flüssigkeit hat in Zellversuchen ebenso Apoptose induziert, was wiederum durch einen CD95-Ligand-Antikörper verhindert werden konnte.8, 9 Ebenso wurde in T-Lymphozyten von Covid-19-Patienten eine erhöhte CD95-Expression festgestellt, was die häufig beobachtete Lymphopenie erklären könnte. Zudem wurde im Zusammenhang mit der CD95-Expression eine eingeschränkte Aktivität von T-Lymphozyten beschrieben.10 Asunercept soll somit die Apoptose von Alveozyten und Lymphozyten reduzieren und möglicherweise deren antivirale Aktivität optimieren, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Aktuell werden zwei multizentrische Studien durchgeführt, von denen noch keine Daten veröffentlicht wurden.
Solnatide
Solnatide (Apeptico) ist ein synthetisches Peptid, das der „TIP“-Domäne des humanen Tumornekrosefaktors alphaentspricht, allerdings nicht dessen Rezeptor aktiviert. Der Wirkmechanismus von Solnatide beruht auf der Aktivierung von epithelialen Natriumkanälen (ENaC), was zu einer Verbesserung der alveolären Flüssigkeitsclearance bei kritisch Kranken führen soll. Dieser Effekt wurde bereits bei schwerst kranken Patienten mit Lungenversagen anderer Ätiologie gezeigt.11 Tierstudien zeigen darüber hinaus antiinflammatorische Effekte.12 Eine multizentrische placebokontrollierte Studie mit insgesamt 40 Patienten wird aktuell durchgeführt.
Allogene Zellinfusion
Einen ganz anderen Ansatz wählt die Firma Enlivex, die das Medikament Allocetra-OTS entwickelt. Dabei handelt es sich um angereicherte, mononukleäre Zellen, die von gesunden Spendern mittels Leukapherese gewonnen werden und bei denen unter Verwendung eines speziellen Protokolls Apoptose induziert wird. Diese Zellsuspension wird bei kritisch kranken Patienten mit überschießender Inflammationsreaktion, z.B. mit Covid-19 oder Sepsis,13 als allogene Zellinfusion verabreicht. In Makrophagen und dendritischen Zellen sollen sogennante „apoptotic recognition receptors“ aktiviert werden, was insgesamt ein antiinflammatorisches Signal zur Folge hat und zu einer Wiederherstellung der Immunhomöostase führen soll. In einem präklinischen Sepsismodell konnte so das Überleben deutlich verlängert und die Menge proinflammatorischer Zytokine signifikant reduziert werden.14 Einer Pressemitteilung der Firma zufolge haben 21 schwer und kritisch kranke Patienten mit Covid-19 dieses Medikament bereits erhalten. Alle Patienten überlebten und >90% der Patienten wurden bis zum Tag 28 wieder entlassen. Diese Daten kommen aus keiner randomisierten, kontrollierten Studie und sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden. Außerdem gibt es kaum Informationen über den exakten klinischen Zustand der behandelten Patienten.
Fazit
Ob einer der erwähnten Therapieansätze den erhofften Erfolg im Kampf gegen Covid-19 bringt, bleibt abzuwarten. Die Pipeline ist mehr als voll. Die zugrunde liegenden Wirkmechanismen der meisten der untersuchten Substanzen könnten zukünftig jedoch auch für zahlreiche andere Indikationen fernab von Covid-19 interessant sein.
Literatur:
1 Gandhi RT et al.: Mild or moderate Covid-19. N Engl J Med 2020; 383: 1757-66 2 Kuba K et al.: Angiotensin-converting enzyme 2 in lung diseases. Curr Opin Pharmacol 2006; 6: 271-6 3 Zhang H et al.: Angiotensin-converting enzyme 2 (ACE2) as a SARS-CoV-2 receptor: molecular mechanisms and potential therapeutic target. Intensive Care Med 2020; 46: 586-90 4 Delgado M et al.: The significance of vasoactive intestinal peptide in immunomodulation. Pharmacol Rev 2004; 56: 249-90 5 Javitt JC: Vasoactive intestinal peptide treats respiratory failure in COVID-19 by rescuing the alveolar type II cell. Authorea 2020; doi: 10.22541/au.159569209.99474501 6 Delgado M et al.: Vasoactive intestinal peptide (VIP) and pituitary adenylate cyclase-activation polypeptide (PACAP) protect mice from lethal endotoxemia through the inhibition of TNF-alpha and IL-6. J Immunol 1999; 162: 1200-5 7 Petkov V et al.: Vasoactive intestinal peptide as a new drug for treatment of primary pulmonary hypertension. J Clin Invest 2003; 111: 1339-46 8 Lee KS et al.: Evaluation of bronchoalveolar lavage fluid from ARDS patients with regard to apoptosis. Respir Med 2008; 102: 464-9 9 Matute-Bello G et al.: Soluble Fas ligand induces epithelial cell apoptosis in humans with acute lung injury (ARDS). J Immunol 1999; 163(4):2217-25 10 Bellesi S et al.: Increased CD95 (Fas) and PD-1 expression in peripheral blood T lymphocytes in COVID-19 patients. Br J Haematol 2020; 191: 207-11 11 Krenn K et al.: Inhaled AP301 for treatment of pulmonary edema in mechanically ventilated patients with acute respiratory distress syndrome: a phase IIa randomized placebo-controlled trial. Crit Care 2017; 21: 194 12 Hamacher J et al.: The lectin-like domain of tumor necrosis factor improves lung function after rat lung transplantation--potential role for a reduction in reactive oxygen species generation. Crit Care Med 2010; 38: 871-8 13 van Heerden PV et al.: Apoptotic Cells for therapeutic use in cytokine storm associated with Sepsis. MEDRXIV 2021. doi: https://doi.org/10.1101/2020.12.03.20242586 14 Karbia N etal.: Apoptotic cell therapy for cytokine storm associated with acute severe sepsis. Cell Death Dis 2020; 11: 535
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