Pollenallergie vielfältiger und immer komplexer
Bericht:
Vera Weininger, BA
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Die Pollenbelastung für Allergiker beschränkt sich nicht mehr nur auf das Frühjahr, denn mittlerweile begleitet uns der Pollenflug über das ganze Jahr. Warum sich die Saison für Allergiker tendenziell verlängert und welche Services und Projekte der Pollenwarndienst Ärzten für die Betreuung ihrer Patienten anbietet, präsentierten die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, Uwe Berger, MBA, und Dr. Markus Berger vom Österreichischen Pollenwarndienst bei der Pressekonferenz der Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung (IGAV).
Die Zahl der Allergien steigt in der Bevölkerung stetig an und dennoch werden sie als ernstzunehmende Erkrankung gerne unterschätzt. Sie machen krank und können sich in ihrer Ausprägung verschlimmern, wenn sie nicht rechtzeitig und präzise behandelt werden.
Die Entwicklung einer Allergie im Laufedes Lebens erklärt sich durch die Ausprägung von IgE-Antikörpern an Zellen des Immunsystems, die gegen bestimmte Allergene gerichtet sind. Durch den neuerlichen Kontakt mit dem Allergen aktiviert das IgE Mastzellen und basophile Zellen unddamit wird eine Hypersensitivitätsreaktion losgetreten, wodurch es zur Ausschüttung von Histamin, Zytokinen sowie proinflammatorischen Mediatoren kommt, die bei Allergikern die typischen Allergiesymptome hervorrufen.
Durch die Aufzeichnungen des Pollenwarndienstes wissen wir heute, dass die Pollensaison bereits im Dezember beginnt, was Univ.-Prof. Dr. Jensen-Jarolim, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), einerseits durch die Klimaveränderung, die zu stärkerer Erwärmung in unseren Breitengraden führt, und andererseits durch das Gedeihen nicht heimischer „Alienpflanzen“ (Feige, Olivenbaum) in Nachbars Garten begründet. Für Allergiker wird damit ein fataler Kreislauf in Gang gesetzt.
Faktor Umweltverschmutzung
Die fortschreitende Umweltverschmutzung (Übersalzung der Wege, vermehrtes CO2, Ozon, UV, Dieselabgase u.v.m.) stresst zusehends die Pflanzen unserer Umgebung, was dazu beiträgt, dass sie immer mehr Allergene ausschütten und in die Luft schleudern. Diese Allergene binden an die genannten Umweltschadstoffe, die der Mensch selbst verursacht, und so umgibt uns ein Mix aus diesen Partikeln und Allergenen bzw. Pollen fast dauerhaft. Das von Allergologen geschätzte „One Health“-Konzept geht davon aus, dass sowohl Menschen, Tiere als auch Pflanzen die Umwelt teilen und vom gesundheitsschädigenden Kreislauf, welchen die Umweltverschmutzung in Gang setzt, daher in gleichem Ausmaß und parallel betroffen sind.1
Kreuzreaktionen durch neue Arten
Wenngleich die IgE-Antikörper auf spezifische Allergene reagieren, sind in unterschiedlichen Pollengattungen doch verwandte Moleküle anzutreffen, welche von IgE-Antikörpern mit den ursprünglich erkannten Pollenallergen verwechselt werden können, wodurch Kreuzreaktionen ausgelöst werden. Das Allergen Bet v 1 der Birke gehört zur Familie der PR-10-Allergene, wodurch es bei einer Sensibilisierung gegen Birkenpollen zur Ausweitung auf weitere kreuzreaktive Allergene– wie Pollen von Hasel, Erle, Buche und Eiche – kommen kann. Die Verbreitung neu angesiedelter Pflanzengattungen in unseren Breiten trägt zu Kreuzreaktionen bei, beispielsweise sind Allergene aus Olivenpollen durch ihre Struktur kreuzreaktiv mit den Eschenallergenen.
Jensen-Jarolim berichtete weiters von Kreuzreaktionen von Pollen mit Nahrungsallergenen. Sehr stabilensLTP(Lipidtransfer Protein)-Allergene finden sich in Platanen, die häufig im urbanen Raum anzutreffen sind, aber auch in Hanf und Haselnüssen. Bei Sensibilisierung gegen nsLTP aus Platanenpollen kann der Konsum von Hanfprodukten nicht nur klassischen „Heuschnupfen“ oder orales Allergiesyndrom auslösen, sondern bei Plantanenpollenallergikern kann es durchaus zu schwerwiegenden allergischen Kreuzreaktionen kommen.
Diagnosesicherung durch Allergenscreening – IgE als Biomarker
All diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass Allergiker über längere Zeiträume im Jahr an Symptomen leiden. Wenngleich eine symptomatische Therapie mittels Antihistaminika zur Besserung beitragen kann, ist es auf lange Sicht gesehen wichtig, therapeutisch an der Ursache der Allergie anzusetzen, um eine spezifische Allergeninmmuntherapie einzuleiten.2Wird keine kausale Therapie eingeleitet, besteht die Gefahr einer Allergikerkarriere, die sich am Ende von der Hausstaubmilben- bis zurGräser- und Birkenpollenallergie und mehr erstrecken kann. Haut- und Bluttests stehen uns heute zur Allergiediagnostik zur Verfügung. Auch wenn die Testung auf Moleküle und Allergene durch Glas-Mikrochip oder Nitrozellulose-Chip derzeit noch nicht von der Kasse übernommen wird, lohnt sich eine Investition in diese Analysemethoden, da sie die Testung auf IgE gegen bis zu 300 Allergene ermöglichen und somit viel Zeit sparen.
Zu Zeiten der Pandemie und Pollenallergiesaison stellt sich für Ärzte häufig die Frage, ob es sich bei Symptomen nicht auch um eine SARS-CoV-2-Infektion handeln kann. Der 6-Punkte-Check (Tab. 1) der Medizinischen Universität Wien hilft eine Pollenallergie von einer SARS-CoV-2 Infektion zu unterscheiden.3
Tab. 1: 6-Punkte-Check: Symptome der Pollenallergie und von Covid-19 im Vergleich (Quelle: Medizinische Universität Wien bzw. Hagemann J et al. 2021)3
SARS-CoV-2-Impfung und Allergen-Immuntherapie
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie wird an die ÖGAI des Öfteren die Frage herangetragen, ob eine SARS-CoV-2-Impfung die Weiterführung einer subkutanen Allergen-Immuntherapie ausschließt. Nach Pfaar et al. stellt die SARS-CoV-2-Impfung für die Fortsetzung einer Allergen-Immuntherapie kein Problem dar, dennoch sollte ein Abstand von 10 Tagen zwischen Impfapplikation und Allergenimmuntherapie eingehalten werden.4Eine sublinguale Therapie kann durchgehend fortgeführt werden. Weiters zeigten einige wichtige Arbeiten, dass das Risiko für Allergiker bei einer SARS-CoV-2-Impfung nicht größer ist als bei der Normalbevölkerung.5,6 Nach Worm et al. bzw. Klimek et al. wurde ein Ampelschema für das Vorgehen bei unterschiedlichen allergologischen Erkrankungen bei einer SARS-CoV-2-Impfung entwickelt, wobei das Anaphylaxierisiko für alle Vakzinen unter 1 pro 1 Million liegt (Abb. 1).7, 8Vorweg, Allergiker mit Heuschnupfen befinden sich im grünen Ampelbereich und müssen sich vor einer SARS-CoV-2 Impfung nicht fürchten, wenn keine anderen Risikofaktoren bestehen. Im gelben Ampelbereich befinden sich vor allem Patienten, die schon einmal auf andere Impfungen reagiert haben. Diese Patienten sollten daher unbedingt 30 bis 45 Minuten abwarten, bevor sie nach Hause entlassen werden.Prophylaktisch können Antihistaminika eingenommen werden.8 Im roten Ampelbereich befinden sich v.a. Patienten, die bereits mit einer Anaphylaxie auf eine SARS-CoV-2-Impfung reagiert haben, wobei es im Ermessen des Arztes liegt, ob die zweite Impfdosis verabreicht wird. In diesem Fall sollte die zweite Impfung jedoch nur im geschützten Bereich einer Klinik unter Vorbehandlung durchgeführt werden.7, 8
Abb. 1: Vorgehen bei einer Covid-19-Impfung und Allergien (modifiziert nach Worm M et al. 2021)7
Aktuelle Forschungsprojekte
Im Rahmen der Pressekonferenz präsentierte Dr. Markus Berger vom Pollenwarndienst der Medizinischen Universität Wien das wissenschaftliche Projekt über den Einfluss von Luftverschmutzung auf Pollenallergiker.9 In den letzten Jahren hat man durch die Datensammlung des Pollenwarndienstes gesehen, dass die Symptomangaben im Allergietagebuch der Allergiker nicht immer mit den Zeiten des Pollenflugs auf der Website des Pollenwarndienstes übereinstimmten.9 Auf der Suche nach anderen Ursachen abseits des Pollenflugs wurden die Luftqualitätsparameter (Feinstaub, Ozon, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid) sowie die Parameter Temperatur und Luftfeuchtigkeit herangezogen und mit den Symptomdaten der Pollenallergiker aus den Jahren 2010 bis 2018 verglichen.9Das Ergebnis aus allen Luftqualitätsparametern ergab, dass Ozon die Symptomlast verstärkt. Dieser Einfluss war am deutlichsten bei den Graspollenallergikern zu sehen, konnte aber auch bei Birken- und „Ragweed“-Pollenallergikern nachgewiesen werden.9 Aufgrund der geringen Wasserlöslichkeit dringt Ozon tief in die Lunge ein und kann zu irritativen Veränderungen und Entzündungen des Atemwegsepithels führen.
Ein aktuelles Projekt des Pollenwarndienstes untersucht den Einfluss des Tragens von Masken auf Allergiesymptome. Dazu werden Symptomdaten aus den Pollentagebüchern der Jahre 2017 bis 2020 von Betroffenen aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Schweden herangezogen. Dabei werden Unterschiede zwischen Zeiten, in denen Menschen Masken tragen mussten, und Zeiten, in denen das nicht erforderlich war, untersucht. Erste Analysen zeigten in der „Maskenzeit“weniger die Nase und Lunge betreffende Symptome, hingegen eine Steigerung der Allergiesymptome an den Augen. Bereits vor der Pandemie wurde seitens der Allergologen auf das Tragen von Masken zur Symptomlastreduktion hingewiesen, dennoch zeigten sich die meisten Patienten hier ohne Compliance.
Services für den behandelnden Arzt
Im Zentrum der Services des Pollenwarndienstes für Ärzte stehen der Befundbericht und das sogenannte Ärzteservice. Auf der Internetplattform www.pollenwarndienst.at kann ein Befundbericht durch jeden Pollentagebuch-Benutzer erstellt werden. Hierbei werden die Symptomeinträge der Nutzer mit den Pollenkonzentrationen des Aufenthaltsortes des ausgewählten Jahres verglichen. Der Bericht zeigt an, ob die Beschwerden eines Patienten mit dem Pollenflug eines Aeroallergens am Aufenthaltsort des Nutzers korrelieren.
Das Ärzteservice (www.pollenwarndienst.at/aerzteservice) gibt registrierten Ärzten die Möglichkeit, schnell und übersichtlich den vergangenen, aktuellen und zukünftigen Pollenflug eines ausgewählten Allergens zu einem gewünschten Ort einzusehen. Zusätzlich kann der Arzt mit Hilfe eines „Ärzte-Tokens“, einem 6-stelligen Code, den der Patient auf der App generiert und welcher für fünf Minuten gültig ist, den Befundbericht des Patienten am Ordinationsrechner öffnen. Der schnelle Abgleich von Pollenflug und Symptomen soll so den Arzt bei der Diagnose, Therapiewahl und Therapieevaluation unterstützen.
Prognose Pollensaison 2021
Abschließend präsentierte Uwe Berger, MBA, Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes, eine Prognose über die bevorstehende Pollensaison:
Abb. 2: Pollen im Jahresverlauf (Quelle: www.pollenwarndienst.at )
Die Blüte der Purpurerle hat schon Ende Dezember angefangen, während sich die Hasel- und Erlenblüte durch den Kälteeinbruch im Jänner zwei Wochen nach hinten verschoben hat. Die Erlenpollensaison wird heuer als im unteren Durchschnitt prognostiziert. Nachdem das letzte Birkenpollenjahr ein sehr starkes Jahr war, ist heuer eine eher unterdurchschnittliche Saison in Österreich zu erwarten. Derzeit befinden sich die ersten Eschenpollen in der Luft, die Saison erstreckt sich von März bis Mai und wird auch eher unterdurchschnittlich prognostiziert.Über die Gräserpollensaison lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht viel sagen, da sie von der Temperatur und den Niederschlägen im April bestimmt wird. Zudem ist die Blütenintensität von Ort zu Ort und Wiese zu Wiese unterschiedlich. Auch die Belastung durch Beifuß- und Ragweedpollen wird sich erst zeigen, da sie vom Lichtgenuss und den Niederschlagsmengen kurz vor der Blüte gesteuert werden. Eine Übersicht zur Pollensaison bietet die vom Östereichischen Pollenwarndienst zur Verfügung gestellte Pollenscheibe (Abb. 2).
Fazit
Aufgrund der steigenden Belastung und Saisonverlängerung für Pollenallergiker durch die Luftverschmutzung und Kreuzallergien ist heutzutage eine präzise Allergendiagnostik für Patienten die bestmögliche Prävention einer Allergikerkarriere. Ozon sorgt nachgewiesenermaßen für eine stärkere Symptomlast bei Sensibilität auf Gräserpollen – teils auch auf Birken- und Ragweedpollen. Spezifische Allergenimmuntherapien unterstützen Patienten bei der Behebung der Ursachen der ernstzunehmenden Krankheit und sind nach derzeitigem Stand der Forschung kein Hindernis für eine parallele SARS-CoV-2-Impfung. Dennoch sollten Vorgehensweisen bei Paralleltherapien und strenge Kontraindikationen für Patienten mit Anaphylaxierisiko nicht außer Acht gelassen werden. Mit derSammlung der Symptomdaten von Allergikern und der Prognoseerstellung betreffend die Pollenflugsaisonen trägt der Österreichische Pollenwarndienst mit seinen Services in diesen Tagen durch sein Webportal zur komplexen Allergendiagnostik mit repräsentativen Hilfestellungen bei.
Quelle:
Pressegespräch „Start in die Pollensaison 2021“ von MedUni Wien, dem Österreichischen Pollenwarndienst sowie der Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung vom 18. März 2021
Literatur:
1 Pali-Schöll I et al.: One health in allergology. A concept that connects humans, animals, plants, and the environment. Allergy 2021; doi: 10.1111/all.14804 2 Matricardi PM et al.: Molecular diagnosis for allergen immunotherapy. J Allergy Clin Immunol 2019; 143(3): 831-43 3 Hagemann J et al.: Differentiation of COVID-19 signs and symptoms from allergic rhinitis and common cold - An ARIA-EAACI-GA2LEN consensus. Allergy 2021; doi: 10.1111/all.14815 4 Pfaar O et al.: COVID-19 pandemic and allergen immunotherapy - an EAACI survey. Allergy 2021; doi: 10.1111/all.14793 5 Tanno LK et al.: Allergy and coronavirus disease (COVID-19) international survey: Real-life data from the allergy community during the pandemic. World Allergy Organ J 2021; 14(2): 100515 6 Turner PJ et al.: COVID-19 vaccine-associated anaphylaxis: A statement of the world allergy organization anaphylaxis committee. World Allergy Organ J 2021; 14(2): 100517 7 Worm M et al.: Anaphylaxie-Risiko bei der COVID-19-Impfung: Empfehlungen für das praktische Management. MMW Fortschr Med 2021; 163(1): 48-51 8 Klimek L et al.: Leitfaden Allergien auf COVID-19 Impfstoffe. https://aeda.de/uploads/media/AeDA_Impfreaktionen_Web.pdf; zuletzt aufgerufen am 19.4.2021 9 Berger M et al.: Impact of air pollution on symptom severity during the birch, grass, and ragweed pollen period in Vienna, Austria: Importance of O3 in 2010-2018. Environ Pollut 2020; 263: 114526
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