„Das Verständnis der biologischen Mechanismen hinter Covid-19 ist wichtig“
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Ivan Tancevski
Schwerpunkt Pneumologie
Universitätsklinik für Innere Medizin II
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: ivan.tancevski@i-med.ac.at
Das Interview führte
Dr. Katrin Spiesberger, MSc
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Mitte September fand der Jahreskongress der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) statt, bei dem Priv.-Doz. Dr. Ivan Tancevski, Innsbruck, in seinem Vortrag Einblicke in die molekularen Mechanismen hinter Covid-19 gab und die Ergebnisse der Innsbrucker CovILD-Studie Revue passieren ließ.
Im Rahmen der Session „PH und ILD: partners in crime?“ hielt Priv.-Doz. Dr. Ivan Tancevski, Innsbruck, einen Vortrag mit dem Titel „Thromboinflammation and fibrosis: partners in crime in Covid-19?“ und gab dem Publikum interessante Einsichten in die molekularen Mechanismen hinter einer Covid-19-Erkrankung bzw. in deren Auswirkung auf die Lunge. Gleich nach seiner Präsentation durften wir mit dem Experten über dieses interessante Thema sprechen.
Herr Dozent Tancevski, einige Folien Ihrer Präsentation waren den molekularen Mechanismen einer schweren Covid-19-Pneumonie gewidmet.Können Sie diese für unsere Leserkurz zusammenfassen?
I. Tancevski: Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Mechanismen, die zu einer starken Verminderung des Sauerstoffaustauschs – genau darum geht es – führen, die direkte oder sekundäre Zerstörung der alveolaren Epithelzellen. Einerseits geschieht dies durch das Virus selbst, andererseits wird durch die überschießende Immunreaktion die Regeneration der kaputten Lunge gehemmt. Das inflammatorische Geschehen wird durch das Einwandern von Monozyten und neutrophilen Granulozyten angetrieben. Dabei ersetzt ein Teil der einwandernden Immunzellen die physiologischerweise vorhandenen alveolaren Makrophagen, sodass schließlich unterschiedlich aktivierte Makrophagen in den Lungen von schwer an Covid-19 erkrankten Patienten zu finden sind. Unter anderem kommt es zu einer Vermehrung von sogenannten M2-Makrophagen, die eigentlich für die Regeneration eines kaputten Gewebes zuständig wären. Im Fall von Covid-19-induzierter Pneumonie induzieren sie aber die Fibrose. Durch die Inflammation entstehen zudem pathologische Fibroblasten, und alveolare Epithelzellen verlieren ihre normale Funktion und Form und differenzieren zu Fibrose-bildenden Zellen.
Das Grundübel bei schwerem Covid-19 liegt sicherlich auch in einer inadäquaten Interferonantwort – sei es genetisch oder durch präformierte Autokörper, die Interferone abfangen. In einer großen internationalen Studie konnten wir zeigen, dass dies bei bis zu 20% der über 80-Jährigen mit schwerem Verlauf der Fall ist. Aber auch wenn die Interferon-Response normal ist, allerdings eine viel zu hohe Viruslast vorliegt, werden Alveolarmakrophagen und Epithelzellen zerstört und den einströmenden inflammatorischen Zellen dadurch die Türen geöffnet: So wird das Inflammationsgeschehen bis hin zur Fibrose angefeuert.
Sie haben gleich zu Beginn Ihres Vortrags die Signaltransduktionswege von Influenza und SARS-CoV-2 einander gegenübergestellt. Worin liegen die Unterschiede?
I. Tancevski: Vorweg, das Verständnis dieser zugrunde liegenden Wege ist wichtig, weil so klar wird, wieso z.B. gewisse Therapien aus der Rheumatologie Sinn in der Behandlung einer schweren Covid-19-Pneumonie machen, wie Kortison oder gegen Interleukin(IL)-1 oder IL-6 gerichtete Therapien.
Bei einer Influenza-Infektion werden virale RNA-Sequenzen von den Toll-like-Rezeptoren (TLR)3, 7 und 8, aber auch RIG-I und NOD2 erkannt bzw. gebunden. Diese Rezeptorbindung führt in weiterer Folge zur Interferonproduktion. Durch eine adäquate Interferonfreisetzung wirdder Viruseintritt in Lungenzellen bzw. die Virusreplikation in bereits befallenen Zellen verhindert und man überlebt eine solche Infektion meist gut – vor allem mit Impfung.
Bei einer SARS-CoV-2-Infektion hingegen ist neben dem ACE2 als Rezeptor in Zusammenspiel mit TMPRSS2 auch der TLR4 involviert. TLR4 ist eigentlich ein Rezeptor, der vor allem bakterielle Oberflächenantigene erkennt. Das heißt, dass SARS-CoV-2 mit seinen Oberflächenproteinen solche bakteriellen Strukturen nachahmt und damit die Produktion von IL-6, IL-1 und weiteren inflammatorischen Zytokinen sowie Chemokinen ankurbelt. Dieses hochinflammatorische Geschehen führt dann zu den bekannten Covid-19-Krankheitsbildern wie SIRS („systemic inflammatory response syndrome“) bzw. zu ARDS („acute respiratory distress syndrome“).
In Zusammenhang mit Covid-19-induziertem Lungenversagen wird auch immer von Mikrothromben gesprochen. Was hat es damit auf sich?
I. Tancevski: Im Jahr 2020 wurde bereits vermutet, dass eine der Hauptursachen für akutes Lungenversagen bei Covid-19 die Kombination aus Thrombenbildung und Inflammation (sog. Thromboinflammation) ist. Dies bedeutet, dass in Lungenkapillaren eine hohe Expression von Adhäsionsmolekülen für Leukozyten, VWF (Van-Willebrandt-Faktor), VEGF (vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor), Komplementfaktoren usw. vorliegen würden. Allesamt Faktoren, die die Anhaftung von Monozyten und in der Folge die Entzündung und Thrombenbildung im Endothel induzieren.
Ein Jahr später konnte eine Gruppe aus Graz diese Vermutung experimentell bestätigen: Hier ließ vor allem die sehr deutliche Ablagerung von VWF in Lungengewebe von Covid-19-Patienten vermuten, dass Thrombenbildung in Gang gesetzt wird. Eine weitere Arbeit zeigte, dass vor allem in der Frühphase viele Lymphozyten in Lungenkapillaren einwandern und es so zu Entzündung und Mikrothromben kommt. Somit finden wir bei einer schweren Covid-19-Pneumonie sowohl eine hohe Entzündungslast als auch Mikrothromben, wodurch der Sauerstoffaustausch deutlich reduziert wird, wasbei diesen Patienten zur Hypoxämie führt. Im Vergleich zu Influenza ist die Prävalenz dieser kapillaren Mikrothromben bei Covid-19-Patienten 9-mal höherund mag retrospektiv für schwere SARS-Infektionen charakteristisch sein.
Bleiben diese auch bei Late Covid bestehen?
I. Tancevski: Im Verlauf einer schweren Covid-19-Erkrankung besteht natürlich ein höheres Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose im klassischen Sinn, Mikrothromben sind aber eher in der Frühphase der Infektion zu finden. In der späteren Phase finden wir dann charakteristischerweise Fibrose und Areale mit organisierender Pneumonie. Auch in dieser Phase kann analog zur Behandlung einer organisierenden Pneumonie ein Therapieversuch mit Kortison erfolgreich sein. Wenn allerdings bereits eindeutige Fibrosierungen und Bronchiektasen vorliegen, also durch Fibrose aufgeweitete und deformierte Bronchien, dann werden wir mit Kortison wahrscheinlich nichts mehr erreichen können.
Auch Ihre CovILD-Studie haben Sie thematisiert. Was sind die wichtigsten Outcomes dieser Studie?
I. Tancevski: Dazu ein kleiner Rückblick: Im März 2020, als die ersten Covid-19-Fälle mit schwerem Verlauf in Tirol auftraten und das Ganze nicht eingedämmt werden konnte, fragten wir uns, welchen Beitrag wir für die weitere Versorgung leisten könnten. Da aus früheren Epidemien mit SARS 2002/2003 und mit MERS 2012 bekannt war, dass ein großer Teil der Überlebenden eine Lungenfibrose entwickeln würde, beschlossen wir, die Patienten aus der ersten Welle nach Abklingen der Akuterkrankung im Verlauf zu untersuchen. So hätten wir die Chance, eine möglicherweise progrediente Lungenfibrose frühzeitig zu erkennen und zu therapieren.
Wir konnten insgesamt 145 Betroffene in unsere prospektive CovILD-Studie einschließen, die ersten davon wurden bereits im April 2020 untersucht. Vier Monate später konnten wir glücklicherweise Entwarnung geben und unsere „good news“ am weltweit größten Pneumologiekongress, dem der European Respiratory Society (ERS), verbreiten:dass die allermeisten Patienten nach Covid-19 keine fortschreitende Lungenfibrose entwickeln würden. Mittlerweile wissen wir aus unseren Follow-up-Visiten, dass bei vormals schwer betroffenen Covid-19-Patienten in manchen Fällen nach einem Jahr im CT noch fibrotische Residuen zu finden sind. Man könntees vielleicht mit Narben vergleichen, die in den allermeisten Fällen die Lungenfunktion nicht sonderlich beeinträchtigen werden.
Sie haben also nicht therapiert, sondern nur beobachtet?
I. Tancevski: Natürlich hättenwir –und das war auch im Ethikantrag ganz genau festgehalten – Patienten, die eine progressive Fibrose oder eine organisierende Pneumonie entwickeln, entsprechend behandelt. Schlussendlich war das in dieser Kohorte aber nicht nötig. Insofern konnten wir wirklich den natürlichen Verlauf einer Lungenschädigung durch die ursprüngliche SARS-CoV-2-Variante beobachten. Dies war in dieser Form sicherlich einzigartig und macht aus unserer Patientenkohorte ein wissenschaftlich höchst interessantes Kollektiv.
Die CovILD-Studie lief zwölf Monate. Haben Sie auch Daten über einen längeren Beobachtungszeitraum?
I. Tancevski: Es war eine sehr aufwendige und zeitintensive Studie, in der die Patienten wiederholt sehr umfangreiche Fragebögen abzuarbeiten hatten, darüber hinauswurden sie mittels Echokardiografie und CT untersucht und auch die Lungenfunktion und die Laborwerte wurden bei jedem Besuch erhoben. Als wir nach 12 Monaten beobachten konnten, dass sowohl kardial als auch pulmonal keine weiteren Veränderungen zu erwarten sein würden, und da ein Teil der Patienten bereits nicht mehr an den aufwendigen Untersuchungen teilnehmen wollte, wurde die Studie nicht mehr weitergeführt.
Welche Erfahrungen konnten Sie bislang mit den aktuellen Covid-Varianten machen?
I. Tancevski: Die Situation heute ist mit der vor zwei Jahren nicht zu vergleichen, und die Delta-Variante im Herbst 2021 war hoffentlich die letzte, die häufig zu akutem Lungenversagen geführt hat. Seit Omikron haben wir vorwiegend grippale Beschwerden unterschiedlichen Ausmaßes. Dennoch sehen wir durchaus einzelne Fälle mit Lungenentzündung – diese werden den international gültigen Empfehlungen entsprechend behandelt.
Wie ist die Situation derzeit bei Ihnen in der Klinik?
I. Tancevski: Deutlich besser als in den vorausgegangenen Pandemiewellen. Im Gegensatz zu früheren Wellen werden die SARS-CoV-2-positiven Patienten aktuell nicht mehr auf eigens bereitgestellten Intensivstationen behandelt, sondern können analog zu Influenzafällen (isoliert) auf den diversen internistischen Abteilungen therapiert werden. Wir alle hoffen, dass sich Omikron bzw. jegliche neue SARS-CoV-2-Variante weiterhin in Richtung eines Schnupfenvirus entwickeln wird, was für das Virus evolutionär von Vorteil wäre.
Gibt es neue Covid-19-Projekte, an denen Sie gerade arbeiten?
I. Tancevski: Momentan arbeiten wir mit einer Firma zusammen, die einen monoklonalen Anti-TLR4-Antikörper herstellt. Dieser Antikörper zeigte in einer Phase-II-Studie beiPatienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf eine 60%ige Reduktion der Mortalität, was sehr eindrucksvoll ist. Wir untersuchen einerseits, inwiefern dieser monoklonale Antikörper die Aktivierung von TLR4 auf Makrophagen durch SARS-CoV-2-Oberflächenproteine hemmt. Andererseits kann TLR4 in Makrophagen auch durch körpereigene Zellbestandteile aktiviert werden, die durch einen vorausgegangenen Lungenschaden freigesetzt wurden. Wir untersuchen daher auch, welche Bestandteile aus zerstörten Lungenzellen durch den genannten Antikörper ihre inflammatorische Wirkung auf Makrophagen verlieren würden.
Unser Forschungsteam versucht, diesen monoklonalen Anti-TLR4-Antikörper weiterzuentwickeln und Evidenz zu schaffen, dass erauch über Covid-19 und die Pandemie hinausgenerell bei ARDS wirken könnte. Diesen Ansatz halte ich für sehr vielversprechend.
Viel Erfolg mit diesem Projekt und vielen Dank für das Gespräch!
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