Kinder, Covid und Zukunft
Bericht:
Mag. Christine Lindengrün
Der 50. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) fand nach 3 Jahren erstmals wieder als Präsenzveranstaltung statt. Zugleich konnte man die Geschehnisse in Berlin auch online verfolgen. Einen kleinen Einblick in die vielfältigen Themen, die beim Kongress diskutiert wurden, gaben Experten bei einer Vorab-Pressekonferenz.
Thema Frühversorgung: Konzepte wurden evaluiert
Ein thematischer Schwerpunkt beim diesjährigen Kongress der DGRh war die Frühversorgung. „Sie ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Erkrankung“, betonte Kongresspräsident Prof. Dr. Andreas Krause. „Wir müssen dafür sorgen, dass die großen Fortschritte, die im Bereich der Therapie rheumatischer Erkrankungen gemacht wurden, auch rechtzeitig beim Patienten ankommen.“
Vier verschiedene Konzepte der Frühversorgung wurden in Deutschland in den letzten Jahren erprobt und evaluiert.1 „Alle Modelle funktionieren“, sagt Krause. „Die Zeit vom ersten Symptom bis zum Behandlungsbeginn beim Rheumatologen kann auf wenige Wochen reduziert werden.“ Zu verdanken sei dies den gemeinsamen Merkmalen der verschiedenen Konzepte. Zunächst ist die gezielte Zuweisung zu passenden Versorgungsformen wesentlich. Krause: „Eine strukturierte Vorselektion der Patienten ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Weitere Maßnahmen für eine Verkürzung der Wartezeiten sind: intensive Zusammenarbeit mit Zuweisern, Erfassung von Symptomen schon vor der Terminvergabe bzw. Screening-Sprechstunden mit strukturierter Erfassung der Symptomatik und rascher Einleitung der weiteren Versorgung.
Ebenfalls bewährt hat sich der Einsatz von speziell ausgebildeten rheumatologischen Fachassistent*innen. Diese können die behandelnden Fachärzt*innen deutlich entlasten und somit Zeit- und Personalressourcen für die weitere Betreuung von Patienten schaffen.
Eine zusätzliche Arbeitserleichterung stellen digitale Hilfsmittel dar, mit denen Symptome erfasst und ausgewertet werden können.
Thema Zukunft: Rheuma 2025
Um die Versorgung von Rheumapatienten in Zukunft sicherzustellen, sei es notwendig, Maßnahmen in der Öffentlichkeitsarbeit und auf gesundheitspolitischer Ebene zu ergreifen, sagt Krause. Das „Bündnis für Rheumatologie“ (bestehend aus der DGRh, dem Berufsverband Deutscher Rheumatologen, dem Verband Rheumatologischer Akutkliniken und der Rheumatologischen Fortbildungsakademie) hat zu diesem Zweck die Kampagne „rheuma2025“ initiiert, die von einer Kommission der DGRh geleitet wird und sich folgenden Zielen widmen will:
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in der Öffentlichkeit die Awareness für rheumatische Erkrankungen zu steigern,
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in Fachkreisen das Wissen über rheumatische Erkrankungen zu schärfen,
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bei Studierenden das Interesse für das Fachgebiet zu wecken,
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die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik über die für die Entwicklung der rheumatologischen Versorgung in Deutschland notwendigen Schritte zu informieren.
Mit medialen Instrumenten (Print, digital, audiovisuell und in den sozialen Medien), aber auch vor Ort sollen diese Ziele verfolgt werden.
Thema Kinder: Empfehlungen zeigen Wirkung
„Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Rheuma ist leider oft unzureichend“, bedauert Prof. Dr. med. Dirk Föll, Münster. „Nur etwa die Hälfte der Betroffenen erreicht eine Remission.“ Unbehandelt können Erkrankungen wie die polyartikuläre juvenile idiopathische Arthritis (pJIA) schwere Bewegungseinschränkungen oder im schlimmsten Fall auch eine Gelenkzerstörung nach sich ziehen. Frühzeitige Diagnose und optimale Therapie sind daher besonders wichtig. Dies gestaltet sich jedoch leider häufig schwierig: In Deutschland gibt es zwar etwa 100 kinderrheumatologische Einrichtungen, doch die Behandlung folgt oft keinen einheitlichen Standards. Therapieleitlinien und Empfehlungen werden in der klinischen Praxis mitunter nicht umgesetzt.
Online-Pressekonferenz zum 50. Kongress der DGRh in Berlin (v. li. n. re.: Prof. Dirk Föll, Prof. Andreas Krause, Prof. Torsten Witte, Prof. Christof Specker)
Deswegen hat die PRO-KIND-Kommission der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) Protokolle für die Behandlung von jungen Patienten mit Arthritis entwickelt, um die internationalen Standards der Diagnostik und Therapie in der Praxis zu etablieren. „Einige Verbesserungen wurden dadurch schon erreicht“, sagt Föll. Er präsentierte eine laufende Beobachtungsstudie, die prüft, ob diese Empfehlungen für Kinder im Klinikalltag angewendet werden und wie erfolgreich sie sind.2 Erste Ergebnisse zeigen: Die Protokolle wurden mehrheitlich (71%) angewendet und ihre Einhaltung kann den Erkrankungsverlauf positiv beeinflussen. Im Detail: Bei den pJIA-Patienten, die nach dem vorgeschlagenen „Treat to target“-Prinzip (DMARDs und Glukokortikoidinjektionen) behandelt wurden, zeigte sich bei 77% eine deutliche Minderung der Krankheitsaktivität nach 3 Monaten.
Die Studienautoren haben vor, die Therapieprotokolle auf Grundlage der ausgewerteten Ergebnisse weiter zu verbessern.
Thema Immunsystem:Studie belegt Genveränderungen
Durch Genanalysen werden immer mehr Krankheiten entdeckt, die auf angeborenen Störungen der Immunabwehr beruhen. Betroffene leiden oft seit der frühen Kindheit unter wiederkehrenden Infekten, die nur durch wiederholte Antibiotikagabe in Schach gehalten werden können. Das Paradoxon: Gerade diese Menschen sind besonders häufig auch von Autoimmunkrankheiten wie Rheuma betroffen. Über Ursachen dieses Zusammenhangs konnte lange nur spekuliert werden, jetzt wurden dahinterstehende Genveränderungen aufgedeckt, wie Prof. Dr. Torsten Witte, Hannover, berichtet. Er hat gemeinsam mit anderen Forschenden den Zusammenhang zwischen Immundefekten und Autoimmunerkrankungen im Rahmen einer Studie genauer untersucht.3 Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die Verbindung von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Immundefekten überwiegend genetisch bedingt ist. Genetische Untersuchungen bei neu diagnostizierten Rheumapatienten könnten somit frühzeitig über mögliche Genveränderungen aufklären und hätten therapeutische Konsequenzen im Sinne einer individualisierten Rheumatherapie, meint Witte.
Thema Covid: Was haben wir gelernt?
Die Covid-19-Pandemie hat bei Rheumapatienten und ihren behandelnden Ärzten viele Fragen aufgeworfen, was Risiken, Medikation und Impfungen betrifft. Die DGRh hat schon im März 2020 mit der Gründung einer Ad-hoc-Kommission zu Covid-19 reagiert: Innerhalb weniger Wochen wurde ein Online-Register zur Erfassung von Coronainfektionen und deren Verlauf bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen aufgesetzt. Prof. Dr. Christof Specker, Essen, fasste zusammen, was bisher aus den Auswertungen des Registers und der Analyse wissenschaftlicher Publikationen hervorging:
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Eine Rheumaerkrankung alleine birgt kein eindeutiges Risiko für eine Covid-19-Infektion oder einen schweren Verlauf. Andere Risikofaktoren, wie Alter, Übergewicht und kardiovaskuläre Erkrankungen, spielen aber auch bei Rheumapatienten eine Rolle.
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Bestimmte Rheumamedikamente können (zum Teil dosisabhängig) das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöhen. „Dennoch ist es nicht ratsam, aus Angst vor Covid-19 die antirheumatische Medikation zu reduzieren oder gar abzusetzen“, betont Specker. „Denn eine erhöhte Krankheitsaktivität stellt einen relevanten Risikofaktor für Covid-19 dar.“
Welchen Einfluss die Covid-19-Impfung auf eine rheumatische Erkrankung hat, dazu gibt es nun ebenfalls schon Daten aus großen Kohorten, die Specker so zusammenfasst: „Bei rund 80% der Rheumapatienten hat die Covid-Impfung überhaupt keinen Einfluss auf die Grunderkrankung. Etwa 10% melden eine vorübergehende Verschlechterung und 10% berichten sogar eine Verbesserung.“
Rheumapatienten müssen also keine Angst vor der Corona-Impfung haben, so Specker. Zwar kann die Impfantwort durch Rheumamedikamente abgeschwächt sein (die Antikörper-Titer steigen zeitverzögert an und fallen früher ab), aber der Benefit der Impfung sollte trotzdem genutzt werden. Eine Ausnahme bilden Patienten mit Immundefekten: „Hier sind spezielle immunologische Kenntnisse erforderlich, um festzulegen, ob und wann eine Impfung Sinn macht“, sagt Specker.
Quelle:
Pressekonferenz zum 50. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 23. August 2022, online
Literatur:
1 Benesova K et al.: Regionale Frühversorgung weiterentwickeln – viele Wege führen nach Rom. Z Rheumatol 2022; 81: 445-62 2 Eulert S et al.: A standardized assessment of treatment and outcome of newly diagnosed patients with JIA within the PROKIND – Pathways für polyarticular JIA. Ann Rheum Dis 2022; 81(suppl 1): 315 3 Sogkas G et al. : High frequency of variants in genes associated with primary immunodeficiencies in patients with rheumatic diseases with secondary hypogammaglobulinaemia. Ann Rheum Dis 2021; 80: 392-9
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