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Rheuma, Schmerz und Diabetes
Jatros
30
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12.07.2018
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<p class="article-intro">Der Wachauer Rheumatag stand auch heuer wieder im Zeichen des interdisziplinären Austausches. Unter anderem wurden Erkenntnisse aus Biologika-Registern und wichtige Hinweise zum Einsatz von Schmerzmedikamenten vermittelt.</p>
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<p class="article-content"><p>Dr. Raimund Lunzer aus Graz berichtete von Registerdaten zu Infektionen und Malignomen unter immunmodulierender Therapie. Sowohl in der österreichischen Datenbank BioReg als auch in anderen europäischen Registern sind die Raten an Malignomen auf dem Niveau der Allgemeinbevölkerung. Auch das Risiko für Sekundärneoplasien erhöht sich laut diesen Daten nicht.<br /> Lymphome sind bei Rheumapatienten zwar häufiger dokumentiert, es besteht hierbei aber kein Unterschied zwischen Patienten, die Biologika erhalten, und solchen, die anders behandelt werden. „Es zeigt sich sogar ein Trend, dass unter Biologika seltener Lymphome auftreten als unter den konventionellen Therapiemethoden“, so Lunzer. Auch das erhöhte Risiko für venöse Thromboembolien und Infektionen bei Rheumapatienten scheint mehr auf der Grunderkrankung bzw. auf den Komorbiditäten zu beruhen, als eine direkte Nebenwirkung der Therapie zu sein.<br /> Im Vergleich zwischen den Therapieformen treten auch Infektionen unter Biologika tendenziell seltener auf als unter anderen Therapien bzw. verlaufen sie weniger schwer. Die höchste Infektionsgefahr besteht nach schwerwiegenden Ereignissen, wie Herzinfarkt oder Lungenentzündung. „In den ersten 30 Tagen nach einem solchen Ereignis sollte man daher besonders auf Infektionen achten“, sagte Lunzer.<br /> Die Divertikulitis unter Tocilizumab ist laut Lunzer „extrem selten“, dennoch bleibt es bei der Empfehlung, bei Patienten mit Divertikeln Tocilizumab nicht als erste Wahl einzusetzen. Sehr gering sei insgesamt auch das Risiko für Neutropenien, die Patienten müssen selbstverständlich trotzdem diesbezüglich überwacht werden. „Wir bewegen uns in Bezug auf das Risiko für Nebenwirkungen bei circa 3–6 pro 1000 Patienten“, so Lunzer. TNF-Hemmer zeigen insgesamt über alle Indikationsbereiche „beeindruckend wenig Nebenwirkungen“, sodass man diese Medikamentengruppe „den Patienten nicht vorenthalten“ dürfe. Auf Kortison könne man aber noch nicht gänzlich verzichten; in jedem Fall sollte es in den ersten 6 Monaten als Komedikation gegeben werden.</p> <h2>Umgang mit Schmerzmedikamenten</h2> <p>Schmerzspezialistin Dr. Waltraud Stromer von der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin im LK Horn berichtete aus der Praxis der modernen Schmerztherapie. Die Therapieentscheidung richtet sich in erster Linie nach der Schmerzart: Nozizeptive Schmerzen werden in erster Linie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Cyclooxygenase-II-Hemmern (Coxibe) oder Nichtopioidanalgetika (NOA) wie Metamizol oder Paracetamol behandelt. Der neuropathische Schmerz dagegen spricht auf spezifische Antikonvulsiva und Antidepressiva an. Bei starken Schmerzen kommen bei beiden Schmerzarten und je nach Schmerzintensität schwache oder starke Opioide zum Einsatz.<br /> Dem unumstrittenen Nutzen von Schmerzmedikamenten stehen die Risiken und Nebenwirkungen gegenüber. So sind NSAR für fast jede dritte Spitalseinweisung wegen Medikamentennebenwirkungen (gastrointestinal, renal und kardiovaskulär) verantwortlich. Jeder fünfte Patient, der mehr als 2 Monate NSAR einnimmt, entwickelt ein endoskopisch nachweisbares Ulkus und einer von 1220 verstirbt.<br /> Stromer betonte weiters, bei der Gabe von PPI, welche gastroduodenal wirksam sind, sei zu beachten, dass sie in Kombination mit NSAR Schäden im Dünn- sowie Dickdarm nicht verhindern können: „Kapselstudien an jungen gesunden Probanden zeigten, dass 55 bis 75 Prozent unter PPI und NSAR einen Mukosaschaden im Dünndarm entwickeln.“ Gründe dafür scheinen eine Veränderung der Darmflora und eine Permeabilitätssteigerung im enterohepatischen Kreislauf zu sein. Stromer zog daraus die Konsequenz, NSAR nicht unkritisch einzusetzen, die geringste effektive Dosis für die kürzestmögliche Zeit zu wählen, Therapiepausen zu machen und auf die intramuskuläre Gabe zu verzichten, denn diese potenziere das Risiko. Coxibe haben im Gegensatz zu NSAR ein deutlich geringeres gastrointestinales Nebenwirkungspotenzial. Die renalen, vor allem aber die kardiovaskulären Kontraindikationen müssen vor jeder Verordnung jedoch beachtet werden.<br /> Die Alternative zu NSAR sind NOA wie Metamizol und Paracetamol. Paracetamol steigert bei längerer Gabe und höheren Dosierungen aufgrund der peripheren Cyclooxygenase-I- und -II-Hemmung das Risiko für renale und gastrointestinale Komplikationen. Durch die 83 % ige COX- 2-Hemmung bei einer Gabe von 1g erhöht Paracetamol zudem das kardiovaskuläre Risiko. Leberschädigungen treten bei Überdosierung auf. Dazu kann es leicht kommen bei mangelernährten Patienten aufgrund reduzierter Glutathion-Speicher, Alkoholabusus und gleichzeitiger Gabe von CYP450-induzierenden Arzneimitteln wie Barbituraten und Antikonvulsiva. „Metamizol ist gekennzeichnet durch ein geringes Interaktions- und Nebenwirkungspotenzial und durch eine deutlich bessere analgetische Wirksamkeit als Paracetamol“, erklärte Stromer. „Da nachweislich die antiaggregatorische Wirksamkeit von ThromboASS durch Metamizol herabgesetzt wird, ist eine Zeitspanne von mindestens 60 Minuten bis zur Metamizol- Gabe einzuhalten.“<br /> Das schwach wirksame Opioid Tramadol beziehungsweise die stark wirksamen Opioide müssen je nach vorliegender Schmerzart ausgewählt werden. Wichtig ist eine langsame Dosissteigerung unter Berücksichtigung von Wirkung und möglichen Nebenwirkungen.<br /> Neben der Schmerzart sind bei der Auswahl der richtigen Medikation die Schmerzintensität, mögliche Begleiterkrankungen, eine etwaige bestehende Polymedikation zur Vermeidung nebenwirkungsreicher Interaktionen und auch die individuellen Bedürfnisse des Patienten zu berücksichtigen, fasste Stromer zusammen. Einfache und übersichtliche Dosierungsschemen verbessern die Compliance. Die medikamentöse Schmerztherapie soll Teil eines ganzheitlichen Therapie- und Betreuungsplans sein. Polymedikation sollte identifiziert und nach Möglichkeit reduziert, Erfolge und Nebenwirkungen kontrolliert werden. Insbesondere bei geriatrischen Patienten empfiehlt Stromer, vor der Verordnung von Medikamenten einen Blick in die PIM-Liste (PIM = potenziell inadäquate Medikation) zu werfen, um eine inadäquate Medikamentenkombination mit resultierenden Nebenwirkungen zu vermeiden.</p> <h2>Rheuma und Diabetes</h2> <p>Prof. Dr. Peter Fasching, Wien, referierte über Zusammenhänge zwischen Rheuma und Stoffwechselerkrankungen. Die Datenlage dazu sei zwar „mäßig“, dennoch gebe es gute Hinweise, dass Rheumapatienten überdurchschnittlich oft eine Hyperglykämie entwickeln. Umgekehrt findet man bei Diabetikern häufig Rheumaantikörper. Insbesondere bei Diabetes mellitus Typ 1 besteht ein starker Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen, was auf die zugrunde liegende Autoimmunsituation zurückgeführt wird. Aber auch Diabetes mellitus Typ 2 tritt bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) häufiger auf. Als ursächlich für diesen Zusammenhang wird die chronische Inflammation vermutet. „Die permanente Entzündung, die auch bei gut behandelten RA-Patienten im Hintergrund oft bestehen bleibt, ist eine Ursache für Insulinresistenz“, so Fasching. Systemische Steroide könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Zielgerichtete Rheumatherapien hingegen scheinen die Stoffwechsellage zu verbessern.<br /> „Konkrete Richtlinien für die Behandlung von Diabetikern mit rheumatischen Erkrankungen gibt es nicht“, sagte Fasching. Umgekehrt werde auch Diabetes als Komorbidität in den Leitlinien der rheumatologischen Gesellschaften kaum thematisiert. Insgesamt wird in den diversen Leitlinien auf den Zusammenhang zwischen Rheuma, Stoffwechsel und kardiovaskulärem Risiko nur sehr allgemein hingewiesen. Für die Praxis bleibt also nur die Empfehlung, systemische Steroide wo möglich zu vermeiden und bei RA- und Diabetespatienten gesteigerte Aufmerksamkeit auf das erhöhte Atheroskleroserisiko zu richten.</p> <h2>Medikamentöse Therapie: Was ist neu?</h2> <p>Wie immer zum Abschluss des Wachauer Rheumatages gab Priv.-Doz. Dr. Burkhard Leeb, Hollabrunn, einen Überblick über sämtliche zugelassenen Medikamente für rheumatisch- entzündliche Erkrankungen und einen Ausblick auf die nahe Zukunft. Im vergangenen Jahr neu dazugekommen sind für die RA die JAK-Inhibitoren Baricitinib und Tofacitinib und der IL-6-Rezeptor-Antikörper Sarilumab. Tofacitinib wurde mittlerweile auch für die Behandlung der Psoriasisarthritis (PsA) zugelassen. Ebenso haben Abatacept und Ixekizumab eine Zulassungserweiterung für PsA erhalten. Weitere JAK-Inhibitoren und Biologika befinden sich laut Leeb in Entwicklung sowie auch viele Biosimilars. Insgesamt sind derzeit über 80 Präparate in der Pipeline.<br /> Gute Nachrichten gibt es auch für Patienten mit Riesenzellarteriitis. Der IL- 6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab sei „eine echte Alternative für kortisonrefraktäre Fälle“, so Leeb, und biete außerdem die Möglichkeit, Prednisolon zu reduzieren.<br /> Daten aus dem österreichischen Register BioReg zeigen die gute Verträglichkeit von Biologika: „Wenn Therapiewechsel erfolgen, dann hauptsächlich wegen ungenügender Wirkung, aber kaum wegen Nebenwirkungen“, berichtete Leeb. Ebenfalls aus BioReg abzuleiten ist der Behandlungstrend zur Reduktion von Kortison und Methotrexat bei günstigem Therapieverlauf, während Biologika meist weiterhin gegeben werden, um den therapeutischen Erfolg zu erhalten.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 16. Wachauer Rheumatag, 14. April 2018, Spitz a. d. Donau
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