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Behandlung der Post-Prostatektomie-Inkontinenz (PPI)

Die passende Operationsmethode wählen

<p class="article-intro">Die Belastungsinkontinenz des Mannes ist die am meisten gefürchtete Komplikation der radikalen Prostatektomie. Bei nicht ausreichender Besserung unter konservativer Therapie wird eine operative Therapie empfohlen. Die Auswahl der operativen Methode sollte in erster Linie nach den Kontraindikationen erfolgen und Patientenwünsche berücksichtigen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Es gilt: nicht &bdquo;eines f&uuml;r alle&ldquo;.</li> <li>Jeder Patient ist anders.</li> <li>Ziel bei der Wahl der operativen Methode: bestes Verh&auml;ltnis von Kontinenzrate und Komplikationen.</li> <li>Verst&auml;ndnis der Pathophysiologie und differenzierte Diagnostik sind Schl&uuml;ssel zur erfolgreichen Behandlung.</li> </ul> </div> <h2>Einleitung</h2> <p>Harninkontinenz wird meist als Problem der Frau wahrgenommen, aber auch eine relevante Anzahl von M&auml;nnern ist betroffen. Typischerweise ist die Harninkontinenz beim Mann &ndash; wie bei der Frau &ndash; mit einer deutlichen Einschr&auml;nkung der Lebensqualit&auml;t verbunden. Die Belastungsinkontinenz des Mannes ist zumeist iatrogen bedingt, wobei die radikale Prostatektomie die h&auml;ufigste Ursache darstellt. Insgesamt werden in der Literatur persistierende Inkontinenzraten von 10 bis 20 % beschrieben, wobei in High-Volume- Zentren Raten &lt;5 % erzielt werden. Zus&auml;tzlich k&ouml;nnen neben der Belastungsinkontinenz in bis zu 70 % der F&auml;lle zus&auml;tzlich Symptome einer &uuml;beraktiven Blase mit erh&ouml;hter Miktionsfrequenz, imperativem Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz sowie Nykturie auftreten. Diese sind allerdings typischerweise innerhalb des ersten Jahres nach radikaler Prostatektomie spontan r&uuml;ckl&auml;ufig.<br /> Die postoperative Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie (PPI) basiert oftmals auf einer Sch&auml;digung der autonomen Innervation der glattmuskul&auml;ren Sphinkteranteile. Im Gegensatz dazu ist die quergestreifte Sphinktermuskulatur oftmals v&ouml;llig unbesch&auml;digt. Daher berichten betroffene M&auml;nner h&auml;ufig, dass es bei kurzfristiger Belastung wie Husten oder Niesen zu keinem Urinverlust komme und sie auch v&ouml;llig problemlos den Harnstrahl unterbrechen k&ouml;nnten. Typischerweise tritt ein Urinverlust h&auml;ufig erst bei l&auml;ngerer k&ouml;rperlicher Belastung wie Laufen, Gartenarbeit oder Sport auf, bei der es zur Erm&uuml;dung der quergestreiften Sphinkteranteile kommt. Dar&uuml;ber hinaus berichten viele Patienten von einer Verschlechterung der Kontinenz am Nachmittag.<br /> Im Gegensatz dazu ist die Ursache einer postoperativen Harninkontinenz nach beispielsweise TURP, Prostatalaserung, Adenomenukleation und nach Anastomosenresektionen meist ein direkter Sphinkterschaden.<br /> Auch wenn die postoperativ persistierende Belastungsinkontinenz h&auml;ufig zu einer deutlich eingeschr&auml;nkten Lebensqualit&auml;t und hohem Leidensdruck f&uuml;hrt, erhalten doch zahlreiche Betroffene keine Behandlung. Vermutlich liegt dies auch daran, dass das Bewusstsein f&uuml;r die zur Verf&uuml;gung stehenden operativen Therapiem&ouml;glichkeiten unter den behandelnden &Auml;rzten noch nicht ausreichend verbreitet ist.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Diagnostik der PPI wird in eine Basisdiagnostik und eine erweiterte Diagnostik unterteilt (Abb. 1). In der Basisdiagnostik sollte eine gezielte Anamnese erfolgen und es sollten spezielle Fragen zur Inkontinenz gekl&auml;rt werden. Hierbei sollten unter anderem folgende Punkte ber&uuml;cksichtigt werden:</p> <ul> <li>inkontinenzausl&ouml;sende Operation</li> <li>andere Voroperation im kleinen Becken</li> <li>Komorbidit&auml;ten mit m&ouml;glichen neurogenen oder anatomischen Ver&auml;nderungen (z.B. Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen, Wirbels&auml;ulenoperationen)</li> <li>Radiatio und Einfluss der Radiatio auf Kontinenz und Drangbeschwerden</li> <li>Miktionsfrequenz untertags und Nykturie</li> <li>Drangbeschwerden inkl. Dranginkontinenz</li> <li>Inkontinenz ausl&ouml;sende Situationen (z.B. husten, niesen, aufstehen, heben, bergab gehen/Stiegen hinuntersteigen, laufen in der Ebene, im Liegen, bei Erm&uuml;dung, Sport, bei k&ouml;rperlicher Arbeit)</li> <li>Inkontinenzsymptomatik im Tagesverlauf (z.B. unver&auml;ndert &uuml;ber den Tag oder morgens gering und dann Zunahme der Inkontinenz im Tagesverlauf)</li> <li>Harnstrahlunterbrechung m&ouml;glich</li> <li>Vorlagenverbrauch untertags und nachts</li> <li>vorausgegangene Inkontinenzoperationen</li> <li>Miktionsprobleme/Kontinenzstatus vor Prostataoperation</li> </ul> <p>Dar&uuml;ber hinaus sollte insbesondere vor einer operativen Therapie immer das Ausma&szlig; des Therapiewunsches und des Leidensdrucks des Patienten gekl&auml;rt werden, da beides einen wesentlichen Einfluss auf die Wahl der operativen Methode haben kann.<br /> Vor einer operativen Therapie wird die erweiterte Diagnostik empfohlen. Hierbei sollten eine Urethrozystoskopie und ggf. auch eine Urodynamik erfolgen. Im Rahmen der Urethrozystoskopie sollte Folgendes evaluiert werden:</p> <ul> <li>Urethra: Strikturen und Elastizit&auml;tsverlust (starre, atrophe, wei&szlig;liche Urethra)</li> <li>Beurteilung der Anastomose: Anastomosenstriktur</li> <li>Beurteilung der Blase: Inflammation, Trabekulierung, Tumor, Steine, Blasenkapazit&auml;t</li> <li>Beurteilung der Sphinkterfunktion: F&auml;higkeit zum aktiven Sphinkterschluss, Sphinkterdefekt und sogenannter &bdquo;Repositionierungstest&ldquo; zur Beurteilung der funktionellen Harnr&ouml;hrenl&auml;nge</li> </ul> <p>Vor geplanter Implantation eines artifiziellen Sphinkters empfiehlt sich eine kognitive und manuelle Basisdiagnostik (Kognition: z.B. Uhrentest, bei dem der Patient das Zifferblatt einer Uhr zeichnen und eine vorgegebene Zeigereinstellung eintragen soll; manuelle F&auml;higkeiten und Kognition: z.B. Kugelschreibertest, bei dem man den Kugelschreiber vom Patienten auseinander- und wieder zusammenschrauben l&auml;sst).<br /> Insgesamt dient die Diagnostik bei der persistierenden m&auml;nnlichen Belastungsinkontinenz weniger der Aufdeckung der spezifischen Pathophysiologie als vielmehr der Identifikation von Kontraindikationen f&uuml;r die operative Therapie. Die Auswahl der Methode sollte in erster Linie anhand der Kontraindikationen erfolgen (Tab. 1). Zwischen den einzelnen Methoden gibt es allerdings breite &Uuml;berschneidungen. Hier sollte daher nach der Expertise des Operateurs und der Patientenpr&auml;ferenz entschieden werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1701_Weblinks_s22_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1501" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1701_Weblinks_s22_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="615" /></p> <h2>Konservative Therapie</h2> <p>Empfohlene First-Line-Therapie ist die konservative Therapie. Hierbei spielt vor allem die Physiotherapie, optimalerweise durch geschulte Beckenbodentherapeuten, eine zentrale Rolle.<br /> Wenn der Patient nicht oder nur schwer in der Lage ist, den Beckenboden selbstst&auml;ndig zu kontrahieren, kann dieser auch passiv mittels Elektrostimulation stimuliert werden. Die Elektrostimulation sollte aber mit einem aktiven Beckenbodentraining kombiniert werden.<br /> Dar&uuml;ber hinaus wird eine Verhaltenstherapie (Miktion nach der Uhr, Reduktion der Trinkmenge, Vermeiden von blasenreizenden Substanzen) als unterst&uuml;tzende Ma&szlig;nahme bei der initialen Behandlung der PPI empfohlen.<br /> Bei postoperativen Drangbeschwerden wird in den aktuellen Leitlinien eine anticholinerge Therapie empfohlen. Da Drangbeschwerden h&auml;ufig nach einem Jahr regrediert sind, sollten regelm&auml;&szlig;ige Auslassversuche erfolgen.<br /> Der Serotoninwiederaufnahmehemmer Duloxetin hat f&uuml;r die Behandlung der m&auml;nnlichen Belastungsinkontinenz keine Zulassung. Dennoch unterscheidet sich das Wirkprofil nicht von dem bei der Frau. In mehreren Studien konnte auch bei M&auml;nnern die Wirksamkeit nachgewiesen werden, wobei eine signifikante Reduktion der Inkontinenz bei bis zu 50 % der Patienten eingetreten war. Falls es im Rahmen eines &bdquo;off-label use&ldquo; eingesetzt wird, sollte es einschleichend dosiert werden, damit, &auml;hnlich wie bei der Frau, Nebenwirkungen reduziert werden k&ouml;nnen.</p> <h2>Operative Therapie</h2> <p>Bei entsprechendem Therapiewunsch sollte eine operative Therapie immer dann empfohlen werden, wenn die Belastungsinkontinenz trotz ad&auml;quater und suffizienter konservativer Therapie mindestens sechs Monate postoperativ persistiert und eine stabile Kontinenzsituation eingetreten ist.<br /> Die Erkenntnisse zur Pathophysiologie der PPI des Mannes, insbesondere nach radikaler Prostatektomie, haben in den letzten Jahren ma&szlig;geblich zur Entwicklung neuerer operativer Methoden beigetragen. Mittlerweile kommen daher nicht mehr nur der seit Jahrzehnten etablierte artifizielle Sphinkter, sondern auch verschiedene funktionelle und adjustierbare Schlingensysteme zum Einsatz. <br /><br /><strong>Artifizieller Sphinkter</strong><br /> Der artifizielle Sphinkter AMS 800 (Boston Scientific, zuvor American Medical Systems, USA) gilt nach wie vor als operative Standardtherapie der persistierenden PPI. Die Erfolgsrate (0&ndash;1 Vorlage) liegt durchschnittlich bei 80 % und die Kontinenzrate (keine Vorlagen) bei knapp 45 % , allerdings muss hierbei beachtet werden, dass viele der so behandelten Patienten pr&auml;operativ an einer starken bis kompletten Inkontinenz litten. Typische Komplikationen sind mechanischer Art (durchschnittlich 6,2 % ), Harnr&ouml;hrenatrophie (durchschnittlich 8 % ) und Infektion bzw. urethrale Arrosionen (durchschnittlich 8,5 % ). Urethrale Arrosionen und Infektionen erfordern typischerweise eine Entfernung des Implantats. Insgesamt liegt die Revisionsrate bei etwa 30 % . Bei bestrahlten Patienten scheinen die Kontinenzraten etwas niedriger und die Komplikationsraten (besonders Infektionen sowie Harnr&ouml;hrenarrosionen) h&ouml;her zu sein. Insgesamt ist die Patientenzufriedenheit aber hoch, sie korreliert mit der Kontinenzrate und nicht mit der Anzahl der Revisionen.<br /> Ein Doppel-Cuff-System sollte nicht standardm&auml;&szlig;ig in der Prim&auml;rsituation verwendet werden, da dieses mit einem h&ouml;heren Risiko f&uuml;r Komplikationen und Rezidiveingriffen verbunden ist, ohne die Kontinenzrate zu erh&ouml;hen.<br /> F&uuml;r die erfolgreiche Bedienung des k&uuml;nstlichen Schlie&szlig;muskels m&uuml;ssen eine ausreichende manuelle Geschicklichkeit und mentale F&auml;higkeiten des Patienten vorhanden sein (siehe Diagnostik). Das Alter allein sollte aber in keinem Fall eine Kontraindikation f&uuml;r die Implantation darstellen. <br /><br /><strong>Funktionelle Schlingensysteme (retrourethrale transobturatorische AdVance-XP-Schlinge)</strong><br /> Die Wirkung der transobturatorischen AdVance-XP-Schlinge (Boston Scientific, zuvor American Medical Systems, USA) ist bisher nicht abschlie&szlig;end gekl&auml;rt und scheint multifaktoriell zu sein. Unter anderem scheinen folgende Faktoren eine Rolle zu spielen: Korrektur einer postoperativen urethralen Hypermobilit&auml;t, Verl&auml;ngerung der funktionellen Harnr&ouml;hre, ven&ouml;ser Sealing-Effekt. AdVance XP besteht aus Polypropylen und wird retrourethral im Bereich der membran&ouml;sen Harnr&ouml;hre direkt auf den Bulbus implantiert. Voraussetzung f&uuml;r eine erfolgreiche Implantation ist eine ad&auml;quate Selektion der Patienten inklusive zystoskopischer Evaluation mit Nachweis einer ausreichenden Mobilit&auml;t der hinteren Harnr&ouml;hre und einer guten Residualfunktion des Sphinkters im sogenannten Repositionierungstest. In diversen Studien konnten Kontinenzraten (keine Vorlagen) von bis zu 70 % erzielt werden. In zwei aktuellen multizentrischen Untersuchungen konnte au&szlig;erdem gezeigt werden, dass die Ergebnisse auch drei Jahre postoperativ stabil bleiben und keine Langzeitkomplikationen auftreten.<br /> Zu beachten ist, dass es bei einer intraoperativen &Uuml;berkorrektur zu einer persistierenden Restharnbildung kommen kann. Davon abgesehen sind Komplikationen selten und schwerwiegende Komplikationen (z.B. Infektionen und persistierende Schmerzen) sind eine absolute Seltenheit. Bei Patienten mit zus&auml;tzlicher Radiotherapie zeigt AdVance XP allerdings deutlich reduzierte Erfolgsraten und sollte nur sehr restriktiv zum Einsatz kommen. <br /><br /><strong>Adjustierbare Schlingensysteme</strong><br /> In Europa sind drei verschiedene adjustierbare Schlingensysteme erh&auml;ltlich:</p> <ul> <li>Argus classic und Argus T (Promedon, Argentinien)</li> <li>ATOMS (A.M.I., &Ouml;sterreich)</li> <li>Remeex (Neomedic, Spanien)</li> </ul> <p>Das Wirkprinzip der adjustierbaren Schlingensysteme basiert auf einer permanenten Erh&ouml;hung des urethralen Widerstands zur Unterst&uuml;tzung der Basiskontinenz. Allen diesen Systemen ist gemein, dass sie im Bereich der bulb&auml;ren Urethra auf dem Musculus bulbospongiosus platziert werden und postoperativ adjustiert werden k&ouml;nnen. Sie werden entweder retropubisch (Argus classic und Remeex) oder transobturatorisch (Argus T und ATOMS) implantiert. Die Invasivit&auml;t der Adjustierung unterscheidet sich dabei von System zu System.<br /> Die Kontinenzraten aller adjustierbaren Schlingensysteme scheinen vergleichbar zu sein und liegen bei etwa 65 % . In Studien zu Argus und ATOMS konnte au&szlig;erdem gezeigt werden, dass die Kontinenzergebnisse von bestrahlten und nicht bestrahlten Patienten &auml;hnlich sind. Allerdings existieren keine vergleichenden Studien, die die Systeme untereinander oder mit anderen Therapieverfahren vergleichen. Vorteile dieser Systeme sind der relativ einfache operative Zugang und die M&ouml;glichkeit, auch noch nach Jahren bei wiederauftretender Inkontinenz jederzeit eine Adjustierung vorzunehmen. Typische Komplikationen dieser Systeme sind Infektionen, ggf. mit nachfolgender Explantation, sowie postoperative Schmerzen (persistierend bei bis zu 5 % ).<br /> Im Vergleich zur AdVance-XP-Schlinge k&ouml;nnen mit adjustierbaren Schlingen auch bei Patienten mit n&auml;chtlichem Urinverlust, bei Zustand nach Radiatio, mit Sphinkterdefekt und funktioneller Harnr&ouml;hrenl&auml;nge</p> <h2>Fazit</h2> <ul> <li>Prim&auml;re Therapie der Post-Prostatektomie- Inkontinenz (PPI) ist die konservative Therapie mit Beckenbodentraining.</li> <li>Die Diagnostik sollte der pr&auml;operativen Patientenselektion und der Identifikation von Kontraindikationen f&uuml;r einzelne OP-Techniken dienen.</li> <li>Bei den heute bestehenden vielf&auml;ltigen therapeutischen M&ouml;glichkeiten sollte jeder Mann mit persistierender postoperativer Belastungsinkontinenz &uuml;ber die operativen Therapiem&ouml;glichkeiten aufgekl&auml;rt und in einer spezialisierten Sprechstunde bei Therapiewunsch vorgestellt werden.</li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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