Harnleiterschienung: Indikation, Management und Nachsorge bei Urolithiasis
Autoren:
Dr. Julian Veser
Dr. Jérôme Sebastian Weiss
Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: julian.veser@meduniwien.ac.at
Harnleiterschienen sind das tägliche Brot der Urologie. Sowohl in den urologischen Ambulanzen als auch in den Ordinationen vergeht kein Tag ohne Einlage einer Harnleiterschiene oder ihre Entfernung. Die Hauptfunktion einer Harnleiterschiene, einen korrekten Harnabfluss der Niere bei Obstruktion mit Hydronephrose (mit oder ohne begleitende Infektkonstellation oder akute Nierenfunktionsstörung) zu gewährleisten, ist bekannt. Dennoch sollte auch bei diesem urologischen Standardeingriff die Indikation bei entsprechend hoher Komplikationslast hinterfragt und alternative Therapiemöglichkeiten erwogen werden.
Keypoints
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Ureterstents bleiben ein essenzielles Tool in der Urologie.
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Mit steigender Liegedauer der Ureterstents nimmt auch die Anzahl an Komplikationen zu. Lange OP-Wartezeiten bei erfolgtem Pre-Stenting sind damit ein Risikofaktor.
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Indikationen zur Stentanlage sollten hinterfragt werden, es gilt, auch alternative Therapien (z.B. primäre URS oder Emergency-ESWL) abzuwägen.
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Abteilungsinterne und persönliche Dogmen sollten abgeschafft werden: Jeder Patient benötigt individuelle prä- oder postoperative Lösungen je nach Konkrementlast und verwendetem Instrumentarium.
Harnleiterschienen: Komplikationen, Komplikationen, Komplikationen…
Der urologische Klassiker im Nachtdienst: Ein Patient stellt sich mit subjektiv nicht aushaltbaren Beschwerden im Sinne von ausgeprägter Drangsymptomatik und ausgeprägter Dysurie mit intermittierend auftretenden Flankenschmerzen nach angelegter Harnleiterschiene vor. Was wahrscheinlich jeden Urologen schon die ein oder andere Nachtruhe verdorben hat, ist eine übliche Komplikation, welche unsere Patienten im Alltag massiv einschränkt. Die hieraus resultierende reduzierte Lebensqualität bedeutet oftmals persönliche wie auch berufliche Einschränkungen. Resultierend existieren mittlerweile Patientenfragebögen zur Symptomeinschätzung bei schienenassoziierten Beschwerden.1 Diese mittlerweile in mehreren Sprachen vorliegenden USSQ (Ureteral Stent Symptom Questionnaires) dienen der Validierung und Evaluierung der „health-related quality of life“.
Die Ergebnisse dieser Fragebögen zeigen, dass unsere Patient:innen unter der Harnleiterschienung leiden. Ramachandra et al. zeigten, dass fast 80% der befragten Patient:innen über LUTS-Symptome berichten. Ein Großteil des Patient:innenkollektivs leidet hierbei unter schienenassoziierten Schmerzen (ca. 80%), wobei auch über sexuelle Dysfunktion (ca. 32%) berichtet wird. Immerhin knapp 2/3 der Befragten berichten über eine verminderte Arbeitsleistung und eine damit einhergehende berufliche Einschränkung.2
Polat et al. untersuchten und quantifizierten hierbei die berufliche Arbeitsperformance von Patient:innen mit einer medianen DJ-Verweildauer von ca. drei Wochen nach initialem Krankenhausaufenthalt mit Harnleiterschienung. Hieraus resultierten ein Plus von 17,4% an beruflichen Fehltagen sowie eine Arbeitsperformance von minus 20% im Falle der beruflichen Anwesenheit als Ausdruck der angezogenen Handbremse am Arbeitsplatz.3 Der hieraus resultierende relevante soziookönomische Aspekt durch wiederholte ärztliche Konsultationen bei Schienenbeschwerden unddie einhergehende Arbeitsunfähigkeit wegen beruflicher Ausfälle überwiegt die Kosten der initialen Hospitalisierung inklusive des Materialeinsatzes und der schließlichen Stententfernung bei Weitem.4
Die Gesamtsituation mit ihren Komplikationsraten verschlimmert sich weiter, wenn man die Wartezeiten für eine definitive operative Steinsanierung nach erfolgtem Pre-Stenting im Laufe der letzten Jahre veranschaulicht. Während die Wartezeit im Universitätsklinikum Wien bei etablierter Harnleiterschiene 2018 noch durchschnittlich 20 Tage betrug, warteten Patient:innen im vergangenen Jahr 2023 durchschnittlich 94 Tage auf einen ausständigen OP-Termin.5 Diese nahezu Verfünffachung der Wartezeit fördert oben genannte Komplikationen nurmehr und stellt einen wirtschaftlich relevanten Kostenpunkt für unser Gesundheitssystem dar.
Die mit der prolongierten Wartezeit verbundenen Infektionsraten stellen einen weiteren Risikofaktor für geschiente Patient:innen dar. Sowohl fieberhafte Harnwegsinfekte als auch schienenassoziierte Schmerzen nehmen mit zunehmender Wartezeit signifikant zu. Hieraus resultieren zudem zusätzlich notwendige Eingriffe bei z.B. dislozierten oder okkludierten Harnleiterschienen.5 Weiters nimmt auch die Rate an Uroseptitiden mit entsprechend erhöhter Mortalität bei liegendem Stent mit prolongierten Wartezeiten zu, wodurch weitere Krankenhausaufenthalte notwendig werden (Abb. 1).6
Mit steigender Wartedauer und je nach Steinkomposition sind im Warteintervall weitere Komplikationen wie Stentinkrustationen erwartbar. Diese können eine geplante Steinsanierung verkomplizieren und zu weiteren Wartezeiten sowie – je nach Ausmaß – zu massiven Harnleiterschäden führen.7
Abb. 1: Die verweildauer von Ureterstents ist ein Risikofaktor für Sepsis nach Ureteroskopie (modifiziert nach: Nevo A et al.: 2017)6
Auch histopathologisch führen Harnleiterschienen zu morphologischen Veränderungen, ähnlich wie bei einer konkrementbedingten Obstruktion. Insbesondere die induzierte Dysfunktion der glatten Muskelzellen, eine – wenn auch gewünschte – Dilatation, die ureterale Fibrose und schließlich resultierende Nierenschäden sind hierbei zu nennen.8 Auch Wochen nach der Stententfernung unterliegen die ureteralen Gewebsstrukturen in Feinschichtuntersuchungen entsprechenden Veränderungen. Dies kann insbesondere bei Rezidivsteinbildnern mit wiederholten Stenteinlagen eine Fibrosierung mit potenziell längerfristigen Folgeschäden begünstigen.9 Ob diese histopathologischen Veränderungen vollständig reversibel sind, ist bislang nicht erforscht.
Indikationen zur Harnleiterschienung bei Urolithiasis? Ein Faktencheck
Den ganzen Komplikationen zum Trotz sind Harnleiterschienen aus der Urologie nicht wegzudenken. Strikte Indikationen sind und bleiben die obstruktive Pyelonephritis, das postrenale Nierenversagen und die therapierefraktäre Nierenkolik. Weitere relative Indikationen laden jedoch zum Überdenken und Diskutieren der Notwendigkeit oder des Zeitpunkts einer Harnleiterschienung ein.
Faktencheck: Pre-Stenting vor elektiver Steinsanierung
Eine Metaanalyse erbrachte den Nachweis, dass ein Pre-Stenting in diesem Szenario lediglich einen positiven Effekt bei der initialen „Successrate“ hat. Dabei geht es vor allem darum, ob der Operateur das Konkrement erreichen kann und damit die Steinfreiheitsrate beeinflusst wird. Keinen Einfluss hat das Pre-Stenting dabei auf die OP-Zeit oder die Komplikationsrate. Ein vorab etablierter Stent kann also einen Einfluss auf die Steinfreiheitsrate haben, wenn der Zugang zum Konkrement durch den erweiterten Ureter vereinfacht wird.10 Hierbei ist jedoch die optimale Liegedauer der Schienen nicht abgebildet. Aktuelle Studien empfehlen hierbei eine optimale Liegedauer zwischen min. 14 und max. 35 Tagen. Bei kürzeren Liegedauern kann der Ureter gegebenenfalls noch nicht ausreichend genug dilatiert sein, während nach 35 Tagen die Komplikationsraten deutlich ansteigen.11 Bei hierzulande entsprechend langen OP-Wartezeiten sollte man das Pre-Stenting daher vorab gut abwägen. Abhilfe können hier die rasanten Neuentwicklungen der Endourologie mit zunehmender Miniaturisierung des Instrumentariums bieten, welche eine Passage bis zum Konkrement auch ohne Pre-Stenting erleichtern. Weitere Implementationen wie „vacuum“ oder „directin-scopesuction“ mit der Möglichkeit eines vollständigen Dustings bei verbesserter Sicht und Sicherheit sowie optimierter Steinfreiheitsraten sind in den Metaanalysen bislang nicht ausreichend wiedergegeben und werden unsere zukünftige Indikationsstellung zum Pre-Stenting verändern.
Faktencheck: Post-OP-Harnableitung (fURS)
Die Frage, ob eine postoperative Harnleiterschienung nach unkompliziert verlaufener Ureterorenoskopie notwendig ist, wird in aktuellen Studien heiß diskutiert. Hierbei ist es nicht nur relevant, zu hinterfragen, wann ein Stenting erfolgen sollte, sondern auch was für eine Harnleiterschiene eingelegt werden soll und wie lange diese dann im Ureter verbleiben muss. Die Art und die Dauer der prä- und postoperativen Harnableitung wurden beispielsweise in den sogenannten FaST-Studien (FaST: Fast Track Stent Study) einer deutschen Studiengruppe analysiert. Die FaST-1-Studie verglich hierbei die Einlage einer DJ-Schiene für 3–5 Tage mit einer passageren Mono-J-Anlage für 6h postoperativ nach sekundärer URS (also nach erfolgtem Pre-Stenting und komplikationsloser URS). Eine signifikant bessere QoL zeigte sich hierbei in der Mono-J-Gruppe mit einer überschaubaren Reinterventionsrate von 8%, wenngleich diese im Gruppenvergleich leicht erhöht war.
Die FaST-2-Studie verglich die Einlage einer Mono-J-Schiene für 6h postoperativ nach komplikationsloser sekundärer URS mit dem Auslassen eines postoperativen Stentings. Hierbei zeigten sich nahezu gleichwertige QoL-Scores, wobei es eine deutlich höhere Reinterventionsrate in der „non-stented“ Gruppe gab (1,6% vs. 13,3%). Hieraus kann man schließen, dass die passagere Mono-J-Anlage eine effektivere Maßnahme ist, um Patient:innen vor einem weiteren Eingriff bei postoperativen Koliken oder anderen Komplikationen zu schützen.
Weiters verglich die FaST-3-Studie die Einlage eines DJ für 3–5 Tage postoperativ mit einer passageren Mono-J-Anlage über 6h postoperativ nach primärer URS ohne Pre-Stenting. Diese Studie wurde bei hohen Reinterventionsraten in der MJ-Gruppe vorzeitig beendet (35,5% vs. 16,7%), sodass die Einlage einer postoperativen Harnableitung sicherlich in einigen Patient:innenfällen in Betracht gezogen werden sollte.12
Wenn wir nun eine Harnleiterschienung vermeiden wollen, benötigt es eine verbesserte Patient:innenstratifizierung. Die derzeit in Michigan/USA laufende SOUL-Studie (Stent Omission for patients after uncomplicated Ureteroscopy/Lithotripsy) beschäftigt sich hierbei mit einer genaueren Stratifizierung der Patient:innen mit definierten Kriterien für eine unkomplizierte URS, um die Indikationsstellung zur postoperativen Ureterschienung zu vereinfachen. Erste Ergebnisse dieser Studie sind für 2025 bei >1500 eingeschlossenen Patient:innen zu erwarten.13
Harnleiterschienung: Tipps & Tricks für zufriedene Steinbildner:innen
Die Genese von schienenassoziierten Beschwerden ist multifaktoriell. Von Reflux, Inkrustation und Infektion bis hin zu physischer Irritation durch den verwendeten Stent sind die Ursachen individuell und mannigfaltig. Das jeweilige Problem unserer Patient:innen im Vorfeld zu identifizieren und dementsprechend eine passgenaue Art der Harnableitung mit der „richtigen“ Schiene zu wählen, ist im Hinblick auf die potenziell verwendbaren Schienenarten eine Herausforderung. Drei einfache Tipps bieten die Möglichkeit, die Patient:innenzufriedenheit zu optimieren:
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Die Wahl der korrekten Schienenlänge ist relevant für die Verträglichkeit der Schiene. Eine kürzere Harnleiterschiene, welche in der Röntgendarstellung nicht die Blasenmitte überschreitet und so näher am Ostium endet, irritiert die Harnblase deutlich weniger als eine Schiene, die aufgrund ihrer Länge mehr mechanische Reizung an der Harnblasenwand erzeugt (Abb. 2).14
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Nicht jeder Patient benötigt zwingend eine operative Steinsanierung – weder in der akuten Kolik noch in der elektiven Therapie der Nephrolithiasis. Die Emergency-ESWL bietet in Studien in der Akutphase, also spätestens 24–48 Stunden nach Symptombeginn, eine Steinfreiheitsrate von bis zu 44% und vermag eine Schmerzlinderung in 58% der Fälle zu erreichen.15 Während die OP-Wartezeiten wie eingangs erwähnt zu einer erhöhten Komplikationsrate führen, könnte die ESWL somit sowohl im elektiven als auch im akuten Setting die Anzahl potenziell wartender Patient:innen reduzieren und damit im Gesamtkollektiv zu einer Komplikationsreduktion durch verkürzte Wartezeiten führen.
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Eine adäquate Patient:innenaufklärung vor der Harnableitung ist essenziell, um auf eventuelle Beschwerden z.B. durch Reflux, Mobilisationsbeschwerden und Fremdkörpergefühl, begleitende Makrohämaturie und Urge hinzuweisen und die Patient:innen auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Dies unterstützt und hilft beim Verständnis für medizinisch erfolgte Maßnahmen, beugt deren Sorgen vor und erspart die ein oder andere ärztliche Konsultation.
Abb. 2: Eine kürzere Harnleiterschiene, welche in der Röntgendarstellung nicht die Blasenmitte überschreitet und somit näher am Ostium endet, irritiert die Harnblase deutlich weniger als eine Schiene, die aufgrund Ihrer Länge mehr mechanische Reizung an der Harnblasenwand erzeugt (nach Taguchi M et al, 2017)14
Literatur:
1 Joshi HB et al.: Ureteral stent symptom questionnaire: development and validation of a multidimensional quality of life measure. J Urol 2003; 169(3): 1060-4 2 Ramachandra M et al.: Strategies to improve patient outcomes and QOL: current complications of the design and placements of ureteric stents. Res Rep Urol 2020; 12: 303-14 3 Polat ME et al.: The effect of ureteral double J stent insertion on work performance in patients undergoing endoscopic stone treatment. Cent European J Urol 2024; 77(1): 117-21 4 Staubli SE et al.: Economic aspects of morbidity caused by ureteral stents. Urol Int 2016; 97(1): 91-7 5 Yurdakul O et al.: Impact of personnel scarcity on urolithiasis treatment: acomparative study of the pre- and post-pandemic eras. 2023; 10.21203/rs.3.rs-3839554/v1 6 Nevo A et al.: Ureteric stent dwelling time: a risk factor for post-ureteroscopy sepsis. BJU Int 2017; 120(1): 117-22 7 Ray RP et al.: Long-term complications of JJ stent and its management: a 5 years review. Urol Ann 2015; 7(1): 41-5 8 Scotland KB et al.: Indwelling stents cause obstruction and induce ureteral injury and fibrosis in a porcine model. BJU Int 2023; 131(3): 367-75 9 Reicherz A et al.: Indwelling stents cause severe inflammation and fibrosis of the ureter via urothelial-mesenchymal transition. Sci Rep 2023; 13(1): 5492 10 Chang X et al.: Prestenting versus nonprestenting on the outcomes of flexible ureteroscopy for large upper urinary stones: asystematic review and meta-analysis. Urol Int 2021; 105(7-8): 560-7 11 Yildiz AK et al.: Optimal dwelling time for ureteral stents placed for passive dilation after impassable ureteroscopy. Urol Int 2023; 107(8): 772-7 12 Reicherz A et al.: A randomized prospective study: assessment of transient ureteral stenting by mono-J insertion after primary URS and stone extraction (FaST 3). Urolithiasis 2021; 49(6): 599-606 13 https://musicurology.com/programs/rocks/clinical-trial/soul/ 14 Taguchi M et al.: A ureteral stent crossing the bladder midline leads to worse urinary symptoms. Cent European J Urol 2017; 70(4): 412-7 15 Kurkar A et al.: Predictors of successful emergency shock wave lithotripsy for acute renal colic. Urolithiasis 2022; 50(4): 481-5
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