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Krebs als Zufallsbefund

Inzidentelles Prostatakarzinom

Die unerwartete Diagnose eines Prostatakarzinoms nach einer transurethralen Resektion oder Enukleation der Prostata erfordert aufgrund fehlender klarer Leitlinienempfehlungen eine individuelle Herangehensweise in Therapieplanung und Betreuung. Die begrenzte Evidenzlage stellt eine zusätzliche Herausforderung dar.

Keypoints

  • Ein iPCa wird bei ca. 8% aller transurethralen Resektionen/Enukleationen diagnostiziert, daas entspricht jedoch nur 1,5% aller Prostatakarzinompatienten.

  • Die aktive Überwachung steht bei der Therapie im Vordergrund, da es sich meistens um Low-Grade-Tumoren mit ausgezeichneter Prognose handelt.

  • Die beschränkte Evidenz macht eine individuelle Herangehensweise notwendig.

Der Begriff inzidentelles Prostatakarzinom (iPCa) beschreibt die zufällige histopathologische Diagnose eines Prostatakarzinoms nach einer transurethralen Enukleation oder Resektion der Prostata. Dies kommt bei ungefähr 8% aller durchgeführten transurethralen Prostataresektionen oder Enukleationen vor.1 Obwohl diese Zahl auf den ersten Blick hoch erscheint, entspricht sie nur etwa 1,5% aller lokalisierten Prostatakarzinomdiagnosen.2

Trotz der hohen Verfügbarkeit desPSA(Prostata-spezifisches-Antigen)-Wertssowie der stetigen Zunahme der durchgeführten Prostatauntersuchungen mittels multiparametrischer Magnetresonanztomografie (mpMRT) und somit einer mutmaßlich verbesserten Detektionsrate des Prostatakarzinoms zeigte sich sowohl in US-amerikanischen als auch europäischen Daten ein leichter Anstieg der Inzidenz des iPCa in den letzten zwei Jahrzehnten (Abb. 1).2,3 Als Erklärung für diese Beobachtung wird die niedrige Sensitivität der mpMRT-Prostata-Untersuchung bezüglich Low-Grade-Tumoren angenommen, welche die Mehrheit der iPCa ausmachen.4

Abb. 1: Jährlicher prozentualer Anstieg (EAPC) an Patienten mit inzidentellem Prostatakarzinom im Verhältnis zu allen Patienten mit neu diagnostiziertem nichtmetastasiertem Prostatakrebs innerhalb der SEER(„surveillance, epidemiology and end results“)-Datenbank von 2004 bis 2015 (nach Scheipner L et al. 2023)2

Im klinischen Alltag wird häufig bei Patienten mit initial erhöhtem PSA-Wert sowie negativem MRT-Befund auf eine präoperative Prostatabiopsie verzichtet, auch um eine weitere Therapieverzögerung zu vermeiden.5 Gerade in solchen Fällen besteht eine erhöhte Chance, ein Prostatakarzinom in der folgenden histologischen Aufarbeitung des resezierten Gewebes zu diagnostizieren.

Einteilung und Biologie

iPCa unterscheiden sich nicht nur durch die Art der Diagnose, sondern auch durch ihre Biologie. Das iPCa entstammt in den meisten Fällen der Transitionalzone und ist mit weniger aggressiven Merkmalen assoziiert.5 Eine Analyse von US-amerikanischen populationsbasierten Daten zeigte, dass etwa die Hälfte aller davon betroffenen Patienten initial keine erhöhten PSA-Werte aufwies.2 Abhängig davon, ob im Resektionsgewebe weniger oder mehr als 5% Tumor festgestellt werden, erfolgt eine klinische Stadieneinteilung in T1a oder T1b. Die Mehrheit (64%) aller iPCa entsprichtLow-Risk-Tumoren (Gleason Score 6) und ist mit einer sehr guten Prognose assoziiert.2 Dennoch kommt es gelegentlich auch zur unerwarteten Detektion von aggressiveren Tumoren. Jedes vierteim Rahmen einer transurethralen Prostataresektion oder Enukleation entdeckte iPCa (25%) weist einen Gleason Score 7 auf, und etwa jeder zehnte betroffene Patient (11%) leidet an einem High-Risk-Tumor mit einem Gleason Score ≥8.2

Management trotz eingeschränkter Evidenz

Die weiterführenden Therapieentscheidungen bei Diagnose eines iPCa sind in der Praxis oftmals keine leichten. Zusätzlich erschwerend ist die Tatsache, dass auch die gängigen Leitlinien der urologischen Fachgesellschaften kaum Informationen bezüglich einer optimalen Therapie anbieten. Diese Lücke wurde speziell in Bezug auf die europäischen Leitlinien in einem Editorial von Capitanio et al. in European Urology Oncology kritisiert, mit dem Hintergrund, dass Unterschiede in der Diagnosemethode sowie der Tumorbiologie eine individuelle Behandlungsstrategie erforderten.4 Hinzu kommt laut den Autoren, dass sämtliche Risikostratifizierungen sowie gängige Nomogramme auf Daten von Biopsie-detektierten Prostatakarzinomen basierten und somit nicht gültig für iPCa seien.4 Nicolas Mottet, welcher zur Zeit der Veröffentlichung Vorstand der europäischen Prostatakarzinom-Leitlinienkommission war, konterte daraufhin, dass die Unterschiede zwischen inzidentellen und Biopsie-detektierten Prostatakarzinomen nicht signifikant genug seien, dassmanvon den allgemeinen Empfehlungen der Leitlinien abzuweichen müssen.6 Darüber hinaus verweisen die Autoren auf die begrenzte Datenlage, welche generalisierbare, evidenzbasierte Empfehlungen für das Management des iPCa erschwerten. Somit gibt es für das Management von iPCa-Patienten keine allgemein gültigen Empfehlungen, weshalb eine individuelle, fallbasierte Herangehensweise notwendig ist.

Aktive Überwachung im Vordergrund

Trotz der allgemein eingeschränkten Studienlage steht aktuell die aktive Überwachung als bevorzugte Therapieoption bei Patienten mit iPCa im Vordergrund. Die Mehrheit aller iPCa entsprichtLow-Risk-Tumoren, bei denen eine aktive Überwachung, unabhängig von der Diagnoseart, laut europäischer Leitlinie die empfohlene Therapie darstellt.7 Teilergebnisse der deutschen HAROW-Studie zeigten, dass deutsche Urolog:innen die aktive Überwachung als Therapie des iPCa favorisieren. Im Vergleich zu Biopsie-detektierten Prostatakarzinompatienten werden auch immer häufiger Intermediate-Risk-Patienten in aktiver Überwachung geführt. Zusätzlich zeigten die Ergebnisse der Studie, dass Patienten mit iPCa länger in aktiven Überwachungsprotokollen verbleiben und seltener eine aktive Therapie erhalten als Patienten,bei deneneine Prostatabiopsie durchgeführt wurde.8 Dennoch ist es auch bei Patienten mit iPCa wichtig, angemessene Einschlusskriterien zu beachten und regelmäßige Kontroll-biopsien durchzuführen.

Aktive Therapieoptionen

Bei etwa jedem dritten Patienten mit einem iPCa zeigen sich erhöhte Risikofaktoren (höherer Gleason Score, erhöhter postoperativer PSA-Wert), wodurch eine aktive Therapie in Form einer radikalen Prostatektomie oder einer Bestrahlung notwendig wird.2 Fällt die Entscheidung für eine radikale Prostatektomie, sollten Patienten darüber aufgeklärt werden, dass eine vorangegangene transurethrale Resektion oder Enukleation der Prostata sich negativ auf die Operationsergebnise auswirken kann. Daten einer rezent erschienenen Metaanalyse zeigten, dass eine vorangegangene Prostataoperation bei einer robotischassistierten radikalen Prostatektomie unter anderem mit längerer OP-Dauer, höheren Komplikationsraten, deutlich höheren Blasenhalsrekonstruktionsraten sowie höheren Inkontinenz- und Impotenzraten assoziiert war.9

Leider gibt es bislang nur wenige Daten bezüglich der Ergebnisse einer Strahlentherapie bei iPCa. Verfügbare Studien deuten darauf hin, dass auch bei der Strahlentherapie eine vorhergegangene transurethrale Resektion oder Enukleation der Prostata mit gering erhöhten Inkontinenz- und Strikturraten verbunden ist.10

Unabhängig von der gewählten Therapieoption weisen Patienten mit einem iPCa sehr gute Überlebensraten auf.2 Dennoch ist es wichtig, die Unterschiede in Diagnose, Tumorbiologie sowie den einzelnen Behandlungsstrategien zu berücksichtigen, um eine optimale Versorgung dieser Patienten zu gewährleisten. Eine individualisierte Herangehensweise, basierend auf einer sorgfältigen Abwägung der Risikofaktoren mit den jeweiligen Therapieoptionen, ist entscheidend für eine zufriedenstellende Behandlung.

1 Cheng BKC et al.: Incidence, predictive factors and oncological outcomes of incidental prostate cancer after endoscopic enucleation of the prostate: a systematic review and meta-analysis. World J Urol 2022; 40: 87-101 2 Scheipner L et al.: Characteristics of incidental prostate cancer in the United States. Prostate Cancer Prostatic Dis 2023; 1-6 3 Capogrosso P et al.: Temporal trend in incidental prostate cancer detection at surgery for benign prostatic hyperplasia. Urology 2018; 122: 152-7 4 Capitanio U et al.: Incidental prostate cancer (cT1a–cT1b) is a relevant clinical and research entity and should be fully discussed in the international prostate cancer guidelines. Eur Urol Oncol 2021; 5: 256-8 5 Sato S et al.: Transition zone prostate cancer is associated with better clinical outcomes than peripheral zone cancer. BJUI Compass 2020; 2(3): 169-77 6 Mottet N et al.: Incidental prostate cancer: areal need for expansion in guidelines? Eur Urol Oncol 2022; 5(2): 256-8 7 Mottet N et al.: EAU-EANM-ESTRO-ESUR-SIOG Guidelines on Prostate Cancer-2020 Update. Part 1: Screening, diagnosis, and local treatment with curative intent. Eur Urol 2021; 79(2): 243-62 8 Herden J et al.: Active surveillance in localized prostate cancer: comparison of incidental tumours (T1a/b) and tumours diagnosed by core needle biopsy (T1c/T2a): results from the HAROW study. BJU Int 2016; 118: 258-63 9 Gu L et al.: Does previous transurethral resection of the prostate negatively influence subsequent robotic-assisted radical prostatectomy in men diagnosed with prostate cancer? A systematic review and meta-analysis. J Robot Surg 2023; 17(4): 1299-307 10 Ishiyama H et al.: Is there an increase in genitourinary toxicity in patients treated with transurethral resection of the prostate and radiotherapy? A systematic review. Am J Clin Oncol 2014; 37(3): 297-304

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