Journal Club
Der aktuelle Journal Club wurde für Sie von der Universitätsklinik für Urologie der Medizinischen Universität Innsbruck gestaltet. Im Journal Club werden neu publizierte Studien besprochen, die wesentlichen Einfluss auf die tägliche Arbeit haben oder diese künftig ändern können.
Kinderurologie
Primär obstruktiver Megaureter: endoskopische Dilatation & Inzision
Diese rezente Reviewarbeit des Panel of the Paediatric Urology Guidelineder European Association of Urology (EAU) befasst sich mit minimalinvasiven Therapieformen (endoskopische Dilatation und/oder Inzision) des primär obstruktiven Megaureters. Therapieindikation besteht im Falle von Nierenfunktionsverlust, zunehmender Obstruktion und bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Der Goldstandard ist hier die Therapie mittels Harnleiterneuimplantation. Minimalinvasive Optionen können als therapeutische Alternative herangezogen werden. In den Review wurden Studien mit eingeschlossen, die mindestens 20 pädiatrische Patienten und eine mittlere Beobachtungszeit von zumindest 12 Monaten aufwiesen. Wesentliche Endpunkte waren die Stabilisierung der Nierenfunktion und die fehlende Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs. Auch Ergebnisse in Hinblick auf Harnwegsinfektionen und Flankenschmerzen wurden berücksichtigt.
Es wurden insgesamt 338 Patienten aus acht verschiedenen Studienpublikationen in den Review mit eingeschlossen. Die Erfolgsraten der minimalinvasiven endoskopischen Therapieformen lag dabei je nach Studie zwischen 35% und 97%, die sowohl für Säuglinge als auch für ältere Kinder gelten. Die mit eingeschlossene nichtrandomisierte Vergleichsstudie lieferte sogar Erfolgsraten von 85% für die endoskopische Therapie. Die Anlage einer Harnleiterschiene für 7 Tage wurde im überwiegenden Teil der Studien durchgeführt, brachte jedoch keine Verbesserung der Ergebnisse bei zeitgleich deutlich erhöhter Komorbidität.
Die Schlussfolgerung der Autoren aus den Daten ist, dass die minimalinvasive endoskopische Therapie des primär obstruktiven Megaureters eine mögliche, aber schwächere Therapiealternative verglichen mit der Harnleiterneuimplantation darstellt. Die Notwendigkeit einer Harnleiterneuimplantation im Verlauf lag bei 13%.
Fazit
Trotz der hohen Spontanremissionsraten von 85% kann bei Verlust der Nierenfunktion oder Symptomatik eine Therapie des primär obstruktiven Megaureters notwendig sein. Die systematische Reviewarbeit zeigt, dass die Harnleiterneuimplantation mit Erfolgsraten von bis zu 92% der Goldstandard der chirurgischen Therapie bleibt. Dennoch können auch mit minimalinvasiven Verfahren passable Erfolgsraten erreicht werden. Sie stellen insbesondere bei anatomisch schwierigen Verhältnissen oder sehr jungen Patienten unter 6 Monaten eine Alternative dar, bei denen mit vergleichsweise hohen Komplikationsraten der Harnleiterneuimplantation zu rechnen ist.
Autor:
Dr. Yannic Kunz
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
yannic.kunz@tirol-kliniken.at
Quelle:
Skott M et al.: Endoscopic dilatation/incision of primary obstructive megaureter. A systematic review. On behalf of the EAU paediatric urology guidelines panel. J Pediatr Urol 2024; 20(1): 47-56
Hochgradiger vesikoureteraler Reflux: antibiotische Prophylaxe bei Kleinkindern
Eine randomisiert-kontrollierte (RCT) Studie aus dem New England Journal of Medicine befasst sich mit der Effektivität der kontinuierlichen antibiotischen Prophylaxe bei Kindern mit hochgradigem vesikoureteralem Reflux (VUR; Grad III–V). Er ist eine häufige Ursache kindlicher Harnwegsinfektionen und kann zu Langzeitschäden des Nierenparenchyms mit entsprechender Narbenbildung führen. Um dieses Risiko zu minimieren, wird häufig eine kontinuierliche antibiotische Prophylaxe (CAP) eingesetzt. Vorausgegangene Studien, insbesondere die RIVUR-Studie, legten ihren Fokus hierbei vor allem auf Kinder mit geringgradigem VUR. Trotz eines positiven Effektes auf das Auftreten von Harnwegsinfektionen konnte eine Reduktion der Narbenbildung bisher nicht gezeigt werden.
Mit der neu angelegten PREDICT(Prophylaxis and Renal Damage in Congenital Abnormalities of the Kidney and Urinary Tract)-Studie sollte nun geklärt werden, ob die CAP das Auftreten der Harnwegsinfektionen verhindern kann und Nierenschäden verringert. Insgesamt wurden 292 Kleinkinder (davon 75% männlich und 80% mit VUR von Grad IV–V) aus 39 europäischen Zentren 1:1 randomisiert. 146 Kleinkinder erhielten eine CAP nach lokalem Risikoprofil, während die zweite Gruppe keine CAP erhielt. Eine Evaluation erfolgte nach 0/4/8/12/18/24 Monaten. In der CAP-Gruppe wurde eine erstmalige Harnwegsinfektion bei 21,2% berichtet. Im Vergleich erlitten 35,6% der unbehandelten Kinder eine erstmalige Harnwegsinfektion. Die „numberneededtotreat“ (NNT), um mit einer CAP eine Harnwegsinfektion zu vermeiden, lag bei 7 Kindern über den Untersuchungszeitraum. Langzeitschädigung der Nieren und Hospitalisierungsrate waren in beiden Gruppen vergleichbar, ebenso die Nebenwirkungsrate. Allerdings zeigten Kleinkinder unter CAP häufiger atypischbedingte Harnwegsinfektionserreger (nicht-E.-coli) sowie eine höhere Rate an resistenten Bakterien.
Fazit
Die CAP in Kleinkindern mit hochgradigem VUR kann effektiv Harnwegsinfektionen verhindern, ohne die Kinder einer höheren Belastung durch Nebenwirkungen auszusetzen. Allerdings konnten selbst bei hochgradigem Reflux keine zusätzlichen Nierenschäden durch CAP abgewendet werden und nicht verlässlich verhindert werden. Der geringe, aber signifikante Vorteil in der CAP-Gruppe wird durch das höhere Risiko der Resistenzbildung und Keimselektion geschmälert. Erfreulich ist jedoch, dass etwa 60% der unbehandelten Kleinkinder mit hochgradigem VUR in den ersten zwei Lebensjahren keine Harnwegsinfektionen erleiden. Der Einsatz der CAP sollte demnach von Fall zu Fall abgewogen werden, um geeignete Patienten zu selektieren.
Autor:
Dr. Yannic Kunz
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
yannic.kunz@tirol-kliniken.at
Quelle:
Morello W et al.;PREDICT study group: Antibiotic prophylaxis in infants with grade III, IV, or V vesicoureteral reflux. N Engl J Med 2023; 389(11): 987-97
Andrologie
Verbessern Varikozelenoperationen das Spermiogramm infertiler Männer?
Die groß angelegte Metaanalyse des Global Andrology Forum befasste sich mit dem positiven Einfluss der Varikozelenoperation infertiler Männer auf die Samenparameter im Spermiogramm. Darin ist die bisher größte Kohorte infertiler Männer mit klinisch signifikanter Varicocele testis enthalten. Die Varicocele testis ist eine häufig reversible Ursache der männlichen Infertilität. Während die Prävalenz in der männlichen Normalbevölkerung bei etwa 15% liegt, kann die Varikozele hingegen bei 35% aller primär infertilen Männer festgestellt werden. Noch häufiger ist die Varikozele bei Männern, die unter sekundärer Infertilität leiden. Hier werden Prävalenzen bis 80% angegeben. Von 1632 Abstracts konnten 351 Originalarbeiten in die Analyse eingeschlossen werden. Eingeschlossen wurden sämtliche Studien, die die Samenparameter unfruchtbarer Männer vor und nach Varikozelenoperation begutachteten, Studien mit inhomogenen Daten exkludiert. Alle wesentlichen Parameter des Spermiogramms (Samenvolumen, Spermienkonzentration, Spermienanzahl, progressive Motilität und Morphologie) zeigten eine signifikante Verbesserung nach Varikozelenoperation. Interessanterweise kristallisierte sich ein negativer Einfluss der Operation auf die Vitalität der Spermien heraus. Die Hintergründe bleiben für die Autoren unklar.
Fazit
Die klinisch signifikante Varicocele testis bleibt eine wesentliche Ursache anderweitig nicht erklärbarer männlicher Infertilität. Wie bereits frühere Metaanalysen zeigten, bestätigt nun auch die bisher größte Metaanalyse die Effektivität der Varikozelenoperation, wesentliche Spermienparameter signifikant zu verbessern, wie Konzentration, Motilität und Morphologie nach chirurgischer Intervention. In Anbetracht der vergleichsweise hohen Inzidenz der Varikozele sollte bei infertilen Männern eine Doppler-Sonografie zur Detektion der Varikozele nicht ausgelassen werden. Bei korrekter Indikation stellt die Operation der Varikozele einen wesentlichen Pfeiler der chirurgisch-andrologischen Infertilitätstherapie dar. Die Ergebnisse der Metaanalyse und die Empfehlung der Autoren zur großzügigen Indikation zur operativen Sanierung sind hierbei im Einklang mit den relevanten internationalen Leitlinien.
Autor:
Dr. Yannic Kunz
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
yannic.kunz@tirol-kliniken.at
Quelle:
Cannarella Ret al.; Global Andrology Forum. Does varicocele repair improve conventional semen parameters? Ameta-analytic study of before-after data. World J Mens Health 2024; 42(1): 92-132
Thermische Verhütung: Social-Media-Trend für mehr Verhütungsgerechtigkeit?
In den letzten Monaten berichteten Medien und soziale Netzwerke verstärkt über die thermische männliche Kontrazeption (TMC), insbesondere über den Hodenring und Thermoslips. Der Ring wird über Penis und Skrotum angebracht, um die Hoden in den Leistenkanal zu positionieren und deren Temperatur um +2C zu erhöhen, was zu einem künstlichen Kryptorchismus führt. Dabei soll eine Effektivität von 99,5% nach 3 Monaten Tragezeit eintreten. Diese wird definiert als eine Spermienkonzentration von <1Million/ml in zwei aufeinanderfolgenden Spermiogrammen im Abstand von drei Wochen. Als Alternative zum Hodenring gibt es spezielle Thermoslips („contraceptive underwear“), die die Hoden in die Nähe des äußeren Leistenrings bringen, um so eine Temperaturerhöhung zu erreichen. In Studien wurde die TMC bei insgesamt 51 Paaren über 536 Zyklen untersucht, wobei es zu keinen Schwangerschaften gekommen ist.
Eine aktuelle Studie von Joubert et al., veröffentlicht im Jahr 2022, beleuchtet zudem die Motivation, Erfahrungen und Zufriedenheit von Männern, die die thermische männliche Kontrazeption in Form von Thermoslips anwenden. Für die Studie wurde eine anonyme Umfrage durchgeführt, an der 63 Befragte teilnahmen, was einer Teilnahmequote von 94% entspricht. Die Hauptmotive für die Wahl der TMC waren die hormonfreie Kontrazeption (94%) und die als natürlich empfundene Methode (78%). 31 Teilnehmende gaben an, dass die Verhütung bisher durch die Partnerin erfolgte und der Wunsch, die Verhütung in der Partnerschaft zu teilen, bestand. Während der Verhütungsanwendung (Spermienzahl <1 Million/ml) beschrieben die Teilnehmenden eine signifikant verbesserte sexuelle Zufriedenheit. Zudem berichteten 59% von einem gesteigerten Selbstwertgefühl, während 55% Ängste äußerten, dass die Methode möglicherweise eine tägliche Verhütung nicht zuverlässig sicherstelle. Trotz dieser Bedenken wurde eine hohe Gesamtzufriedenheit festgestellt und 100% der Teilnehmenden würden die Methode weiterempfehlen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen der TMC in größeren Studien untersucht werden müssen. Langzeitstudien mit größeren Stichproben fehlen noch, um die Methode mit anderen Verhütungsmitteln zu vergleichen und mögliche Nebenwirkungen zu identifizieren. Ob der künstliche Kryptorchismus das Hodenkarzinomrisiko auch postpubertär erhöht, ist derzeit unklar. Aufgrund der begrenzten Studienlage sollte interessierten Patienten daher momentan von der Anwendung abgeraten werden.
Autorin:
Dr. Tatjana Heisinger-Heidler
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
tatjana.heisinger@tirol-kliniken.at
Quelle:
Joubert S et al.: Thermal male contraception: a study of users' motivation, experience, and satisfaction. Andrology 2022; 10(8): 1500-10
Erhöht antioxidative Therapie dieSchwangerschaftsrate?
Oxidativer Stress (OS) im Ejakulat ist als potenzieller mitwirkender Faktor bei Infertilität anerkannt. In einer Metaanalyse wurde die Auswirkung der antioxidativen Therapie (AOX) bei infertilen Patienten auf spontane Schwangerschaften und wesentliche Spermiogrammparameter beurteilt. Insgesamt wurden 45 RCT-Studien mit 4332 Patienten bewertet.
OS entsteht aus Radikalen, die durch äußere Faktoren vermehrt werden können, wie etwa Rauchen oder Alkohol. Auch Varikozelen erhöhen den OS, wodurch die Sanierung von Varikozelen erfolgen sollte. Postoperativ kann eine AOX das Spermiogramm weiter verbessern. Ziel der AOX ist, ein Gleichgewicht zwischen Radikalen und Antioxidanzien herzustellen.
In der Metaanalyse wurde die AOX als Supplement mit einem oder mehreren Inhaltsstoffen definiert, welche rezeptfrei erhältlich sind und einen nachgewiesenen antioxidativen Effekt haben (Karotine, VitaminC, VitaminE, Carnitine, Selen, Zink, u.a.), jedoch legten sich die Autoren hier nicht auf ein Präparat, eine Dosierung oder eine Dauer der Therapie fest.
Das Ergebnis der Metaanalyse zeigte, dass die Schwangerschaftsrate unter der AOX fast verdoppelt werden konnte. Die Motilität und die Konzentration konnten um 56% bzw. 55% erhöht werden. Die Autoren schlussfolgerten, dass die vorliegende Analyse den Grad der Evidenz für eine Empfehlung der Anwendung von AOX bei männlicher Infertilität zur Steigerung der Rate an spontanen Schwangerschaften und Verbesserung der konventionellen Spermienparameter erhöht. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die Auswirkungen von AOX auf die Lebendgeburtenrate, die Fehlgeburtenrate und die SDF zu untersuchen.
Fazit
In den aktuellen Leitlinien wird der generelle Einsatz von AOX aufgrund der Heterogenität der Datennicht empfohlen. Trotzdem ist die AOX bei Infertilität weit verbreitet, obwohl es derzeit wenig Evidenz gibt und keine entsprechende Leitlinie bzgl. Präparat oder Dauer der Therapie. Eine Lösung wäre die Therapie idiopathischer Infertilität mittels AOX bei erhöhten Gesamtwerten im Spermiogramm. So könnten jene Patienten herausgefiltert werden, die von einer Therapie wahrscheinlich am meisten profitieren. Klar ist, dassweitere Studien folgen müssen, um genaue Präparate, Dosierungen und die Dauer der Therapie zu definieren.
Autorin:
Dr. Claudia Mair
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
claudia.mair@tirol-kliniken.at
Quelle:
Agarwal A et al.:Impact of antioxidant therapy on natural pregnancy outcomes and semen parameters in infertile men: asystematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. World J Mens Health 2023; 41(1): 14-48
Infektiologie
Gepotidacin, ein neues orales Antibiotikum zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfektionen
Harnwegsinfektionen sind weltweit die häufigsten bakteriellen Infekte und werden oft empirisch mit Antibiotika behandelt.Zunehmende Antibiotikaresistenzen erschweren jedoch die Therapie, was die Notwendigkeit neuer, wirksamer Medikamente gegen häufige Uropathogene unterstreicht. Die vielversprechenden Phase-III-Studien-Ergebnisse des neuen Gyrasehemmers Gepotidacin bieten Hoffnung auf eine neue orale Therapie für unkomplizierte Harnwegsinfektionen.Das entwickelte Triazaacenaphthylen-Antibiotikum wirkt bakterizid, indem es zwei Typ-II-Topoisomeraseenzyme (DNA-Gyrase und TopoisomeraseIV) hemmt und damit die DNA-Replikation der Bakterien blockiert. Es wirkt gegen das häufigste Uropathogen Escherichia coli (einschließlich resistenter Stämme) sowie u.a. gegen Klebsiella pneumoniae, Enterococcus faecalis oder Staphylococcus saprophyticus.
In den zwei doppeltverblindeten „Double-dummy“-Phase-III-RCT-Nichtunterlegenheitsstudien EAGLE-2 und EAGLE-3 wurden rund 3100 Teilnehmende aus 219 Zentren in 15 Ländern eingeschlossen. Sie erhielten Gepotidacin 1500mg oder Nitrofurantoin 100mg zweimal täglich für 5 Tage. Der primäre Endpunkt war der therapeutische Erfolg nach 10–13 Tagen („test-of-cure visit“), definiert als vollständige Symptomauflösung und Reduzierung der relevanten Uropathogene auf <103 KBE/ml ohne weitere antimikrobielle Behandlung.Diese Definition entsprach den neuesten und strengeren Empfehlungen der FDA (Federal Drug Administration) und der EMA (European Medicines Agency). Teilnehmende mit fehlenden Daten wurden nicht ausgeschlossen, sondern als therapeutischer Misserfolg gewertet. Die Studien wurden nach einer Interimsanalyse vorzeitig beendet, da Gepotidacin in beiden Studien Nitrofurantoin nicht unterlegen und in EAGLE-3 mit einem therapeutischen Erfolg von 58,5% gegenüber 43,6% überlegen war.Die häufigste Nebenwirkung der Gepotidacin-Gruppe war Diarrhö (bei 14% in EAGLE-2, bei 18% in EAGLE-3) in meist milder oder moderater Ausprägung.
Einschränkungen der Studien sind hinsichtlich Repräsentativität der Population gemäß den Empfehlungen der FDA und der EMA, der Validität des Bewertungssystems für Symptome und der geringen Anzahl historisch unterrepräsentierter Gruppen auszusprechen.
Fazit
Insgesamt zeigen die Studien, dass Gepotidacin ein effektives und sicheres orales Antibiotikum für unkomplizierte Harnwegsinfektionen ist, insbesondere bei bestehenden Resistenzen oder Unverträglichkeiten gegenüber Erstlinientherapien. Eine baldige Zulassung wird aufgrund der positiven Studienergebnisse erwartet.
Autorin:
Dr. Tatjana Heisinger-Heidler
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
tatjana.heisinger@tirol-kliniken.at
Quelle:
Wagenlehner F et al.: Oral gepotidacin versus nitrofurantoin in patients with uncomplicated urinary tract infection (EAGLE-2 and EAGLE-3): two randomised, controlled, double-blind, double-dummy, phase 3, non-inferiority trials. Lancet2024; 403(10428): 741-55
Prostatakarzinom
Verlängertes Überleben unter Enzalutamid bei biochemisch rezidivierendem Prostatakarzinom
In die EMBARK-Studie wurden Patienten mit biochemisch rezidivierendem Prostatakarzinom eingeschlossen, die ein hohes Risiko für das Fortschreiten der Erkrankung hatten. Die PSA-Verdopplungszeit dieser Patienten lag bei 9 Monaten oder weniger. Die Studienteilnehmer wurden randomisiert und erhielten entweder Enzalutamid 160mg täglich plus Leuprorelin alle 12 Wochen (Kombinationsgruppe), Placebo plus Leuprorelin (Leuprorelin-Gruppe) oder eine Monotherapie mit Enzalutamid. Der primäre Endpunkt dieser Studie war das metastasenfreie Überleben (MFS).
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60,7 Monaten zeigte die Kombination aus Enzalutamid und Leuprorelin eine signifikante Verlängerung des metastasenfreien Überlebens im Vergleich zu Leuprorelin allein. Die MFS-Rate nach fünf Jahren betrug 87,3% in der Kombinationsgruppe, 71,4% in der Leuprorelin-Gruppe und 80,0% in der Monotherapiegruppe (Abb. 1). Das Risiko für Metastasen oder Tod war in der Kombinationsgruppe um 58% (HR: 0,42; 95%CI: 0,30–0,61) und in der Monotherapiegruppe um 37% (HR: 0,63; 95%CI: 0,46–0,87) geringer als in der Leuprorelin-Gruppe. Die Lebensqualität blieb in allen Gruppen weitgehend gleich, ohne wesentliche Unterschiede bei den berichteten Nebenwirkungen.
Abb. 1: EMBARK-Studie: metastasenfreies5-Jahres-Überleben (MFS)
Fazit
Die EMBARK-Studie zeigte, dass Enzalutamid, sowohl in Kombination mit Leuprorelin als auch als Monotherapie, das MFS bei Patienten mit hohem Risiko für ein biochemisches Rezidiv signifikant verlängerte. Die Behandlung war sicher und gut verträglich, ohne dass neue Sicherheitsbedenken auftraten. Diese Ergebnisse unterstützen die Anwendung von Enzalutamid als effektive Therapieoption für Patienten mit hohem Risiko für Krankheitsprogression nach initialer Prostatakrebsbehandlung.
Autorin:
Dr. Giulia Giannini
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
giulia.giannini@tirol-kliniken.at
Quelle:
Freedland SJ et al.: Improved outcomes with enzalutamide in biochemically recurrent prostate cancer. N Engl J Med 2023; 389(16): 1453-65
Liquid Biopsy als diagnostisches Tool für klinisch signifikante Prostatakarzinome
Das Prostatakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung und die dritthäufigste Krebstodesursache weltweit bei Männern. Im frühen Stadium bleibt die Erkrankung häufig asymptomatisch, weshalb Männern in Österreich ab 45 Jahren ein PSA-Screening empfohlen wird. Zur Diagnosesicherung ist eine Prostatastanzbiopsie erforderlich. Die relativ geringe Spezifität des PSA-Screenings führt dabei zu unnötigen Biopsien mit Blutungs- und Infektionsrisiko und zur Detektion von Low-Grade-Tumoren (GG 1) mit der Gefahr der Übertherapie.
Robinson et al. untersuchten in ihrem Review die Performance verschiedener vom NCCN (National Comprehensive Cancer Network) empfohlener Biomarker in Bezug auf Spezifität, Sensitivität, positiven Prädiktivwert (PPV), negativen Prädiktivwert und klinische Parameter (Anzahl vermiedener Biopsien, nicht detektierte Karzinome mit GG ≥2). Dabei griffen sie auf Literatur aus dem Zeitraum 2015–2023 zu sechs Biomarkerassays im Blut oder Urin zurück (PHI, 4Kscore, MPS, SelectMDx, IsoPSA und EPI) zurück. In den untersuchten Studien wurden alle Biomarker sekundär nach auffälliger PSA-Messung angewendet, wobei sich alle Patienten unabhängig vom Ergebnis des Biomarkertests einer Biopsie unterzogen.
Die Untersuchung von Blut- und Urinbiomarkern zur Detektion von klinisch signifikanten Prostatakarzinomen zeigte vielversprechende Ergebnisse. Die verschiedenen Biomarker erreichten dabei eine Spezifität von 15–50% bei einer Sensitivität von 90–95% für Karzinome GG ≥2. Klinisch betrachtet könnte durch sekundäre Biomarkertests bei auffälligem PSA rund ein Drittel aller unnötigen Biopsien vermieden werden.
Fazit
Die Forschung zu urin- und blutbasierten Biomarkern zeigt, dass nichtinvasive Verfahren bei gleichbleibender Sensitivität in Bezug auf klinisch signifikante Prostatakarzinome die Zahl unnötiger Biopsien signifikant senken können. Die Kombination dieser Assays untereinander oder mit weiterführender bildgebender Diagnostik, insbesondere mit der multiparametrischen Magnetresonanztomografie (mpMRT), könnte den diagnostischen Algorithmus in Zukunft noch weiter verbessern.
Autor:
Dr. Felix Melchior
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
felix.melchior@tirol-kliniken.at
Quelle:
Robinson HS et al.: Evaluation of blood and urine based biomarkers for detection of clinically-significant prostate cancer. Prostate Cancer Prostatic Dis 2024; doi: 10.1038/s41391-024-00840-0
CONTACT-02-Studie: ein Paradigmenwechsel in der Behandlung von mCRPC
Der ASCO-GU-Kongress 2024 lenkte die Aufmerksamkeit vermehrt auf die CONTACT-02-Studie. Es handelt sich dabei um eine Phase-III-Studie, die die Wirksamkeit von Cabozantinib plus Atezolizumab im Vergleich zur Zweitlinie neuartige Hormontherapie (NHT) bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) untersuchte. Die Studie adressiert den dringenden Bedarf an effektiven Therapien für die Patientengruppe mit eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten, besonders für Patienten mit viszeralen Metastasen. Die COMET-1-Studie untersuchte bereits die Auswirkungen der Therapie mit Cabozantinib bei mCRPC-Patienten. Hier konnten Vorteile bei Lebermetastasen beobachtet werden.
In der CONTACT-02-Studie wurden 507 Patienten randomisiert, die entweder die Kombination aus Cabozantinib und Atezolizumab oder eine Therapie mit Abirateron/Prednison oder Enzalutamid erhielten. Primäre Endpunkte waren das progressionsfreie (PFS) und das Gesamtüberleben.
Die Analyse zeigte eine 35%ige Risikoreduktion durch die Kombination Cabozantinib-Atezolizumab in der Progression der Erkrankung oder für Tod im Vergleich zur Kontrollgruppe (HR:0,65). Bemerkenswert sind eine 57%ige Reduktion des Progressions- oder Sterberisikos (HR:0,43) und eine dreifache Verlängerung des mittleren PFS von zwei auf sechs Monate bei Patienten mit Lebermetastasen (Abb. 2). Ebenso erlebten Patienten mit einer vorherigen Docetaxel-Therapie eine doppelte Verlängerung des PFS mit einer 43%igen Risikoreduktion der Erkrankungsprogression.
Abb. 2: Progressionsfreies Überleben als einer der primären Endpunkte der CONTACT-02-Studie (nach Agarwal A et al. 2024)
Fazit
Insbesondere bei Patienten mit Lebermetastasen, die typischerweise eine aggressivere Krankheitsbiologie aufweisen, zeigte die Cabozantinib-Atezolizumab-Kombination durchgängig signifikante Vorteile. Die Gesamtüberlebensdaten, obwohl noch unreif bei 49%, zeigten ebenfalls einen Trend zugunsten der Cabozantinib-Atezolizumab-Kombination (HR:0,79).
Trotz der Vorteile, die eine Chemotherapie bringt, zeigen "real-world"- Ergebnisse, dass viele mCRPC-Patienten auf Grund der damit verbundenen Toxizität keine Chemotherapie erhalten. Zudem fehlen vergleichbare Daten aus randomisierten Studien, die die Ergebnisse einer Chemotherapie im Vergleich zu einer NHT nach dem Versagen der ersten NHT bewerten. Frühere Studien zeigen ebenfalls, dass eine Zweitlinien-NHT die häufigste Behandlungssequenz ist, da sie im Vergleich zu einer Chemotherapie, von Patienten bevorzugt wird. Die CONTACT-02-Studie stellt daher eine praktikable Alternative dar und bietet eine Kombinationstherapie, die nicht nur wirksam, sondern auch gut verträglich ist. Die Studiendaten stellen einen bedeutenden Fortschritt in der Behandlung von mCRPC dar, insbesondere für Patienten mit Hochrisikofaktoren wie Lebermetastasen. Die Kombination aus Cabozantinib und Atezolizumab hat das Potenzial, eine kritische Lücke in der aktuellen Behandlungslage zu schließen und eine neue Option für Patienten zu bieten, die unter einer vorherigen neuartigen hormonellen Therapie fortgeschritten sind.
Autorin:
Dr. Nastasiia Artamonova
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
nastasiia.artamonova@tirol-kliniken.at
Quelle:
Agarwal N et al.: CONTACT-02: phase 3 study of cabozantinib (C) plus atezolizumab (A) vs second novel hormonal therapy (NHT) in patients (pts) with metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC). Future Oncol 2022; 18(10): 1185-98
Urothelkarzinom
Intravesikale Therapie mittels Gemcitabin/Docetaxel bei nicht muskelinvasivem Intermediate-Risk-NMIBC
Ian McElree präsentierte eine retrospektive, monozentrische Studie, die die Wirksamkeit und Sicherheit einer sequenziellen intravesikalen Therapie mit Gemcitabin und Docetaxel bei Patienten mit nicht muskelinvasivem Blasenkarzinom (NMIBC) mit intermediärem Risiko untersuchte. Die adjuvante intravesikale Therapie bei Intermediate-Risk-Blasenkarzinomen reduziert das Progressionsrisiko sowie das Rezidivrisiko und stellt den Goldstandard der Therapie dar. Während die intravesikale Gemcitabin/Docetaxel-Therapie bei High-Risk-NMIBC-Patienten effektiv und gut tolerierbar zu sein scheint, fehlen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit bei Patienten mit Intermediate-Risk-NMIBC.
Die Studie umfasste 77 Patienten mit einem medianen Follow-up von 26 Monaten. Eingeschlossen wurden sowohl therapienaive als auch therapierefraktäre Patienten (43% mit vorheriger intravesikaler Therapie [BCG, Mitomycin-Monotherapie, Docetaxel-Monotherapie] und 57% therapienaive Patienten). Teilnehmende erhielten über einen Zeitraum von 6 Wochen intravesikale Instillationen mittels 1g Gemcitabin und 37,5mg Docetaxel als Induktionszyklus mit anschließenden monatlichen Erhaltungszyklen für zwei Jahre. Die Therapie wurde bis zum Auftreten eines Rezidivs fortgeführt. Der primäre Endpunkt war das rezidivfreie Überleben (RFS), definiert als die Zeit vom Beginn der intravesikalen Therapie bis zum Nachweis eines Krankheitsrezidivs.
In der Gesamtkohorte lag das rezidivfreie 2-Jahres-Überleben bei 71%. Die therapienaiven Patienten hatten im Vergleichzur Kohorte der vortherapierten Patienten ein längeres rezidivfreies Überleben (p=0,04). Bei drei Patienten wurden im Rahmen der uroonkologischen Nachsorgeuntersuchungen High-Grade-Rezidive detektiert.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei 38% der Teilnehmenden auf (vorrangig Grad-1–2-Nebenwirkungen; eine >Grad-3-Nebenwirkung trat auf). Zu den häufigsten Symptomen zählten Harndrang (10%), Blasentenesmen (9%) und Harnwegsinfektionen (5%).
Fazit
Die sequenzielle Therapie mit Gemcitabin und Docetaxel stellt eine effektive und sichere Behandlungsoption für Patienten mit Intermediate-Risk-NMIBC dar – sowohl für therapienaive als auch für vortherapierte Patienten. Diese gut verträgliche Behandlung könnte eine Alternative zu den aktuellen Standardtherapien darstellen. Weitere prospektive Studien sind hierfür notwendig.
Autorin:
Dr. Antonia Partl
Universitätsklinik für Urologie und Andrologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail:
antonia.partl@tirol-kliniken.at
Quelle:
McElree IM et al.: Sequential intravesical gemcitabine and docetaxel for treatment-naïve and previously treated intermediate-risk nonmuscle invasive bladder cancer. Urol Oncol 2023; 41(12): 485.e1-7
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