Perinealsonographie des männlichen Beckenbodens nach radikaler Prostatektomie
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Orietta Dalpiaz
Urologie, LKH Hochsteiermark, Leoben
Dr. Andreas Sammer
Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie, Graz
Barbara Gödl-Purrer, MSc
Institut Physiotherapie,
FH Joanneum Graz
Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. Orietta Dalpiaz
LKH Hochsteiermark, Leoben
E-Mail: orietta.dalpiaz@medunigraz.at
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Die steigende Zahl von radikalen Prostatektomien (RP) führt trotz verbesserter operativer Techniken zur zunehmenden Inzidenz von postoperativer Inkontinenz. Die genauen Einflussfaktoren der Belastungsinkontinenz nach RP sind noch heute nicht geklärt. Dabei stellt sich die Herausforderung, die prä- und postoperative Anatomie und Funktion des männlichen Beckenbodens zu verstehen.
Keypoints
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Die Perinealsonographie nimmt bei der Diagnostik der männlichen Belastungsinkontinenz und bei chronischen Beckenschmerzen an Bedeutung zu.
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Die Mobilität des Blasenhalses und der Urethra und die willkürliche Aktivität der Beckenbodenmuskulatur können durch den perinealen US dargestellt werden.
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In der Physiotherapie ist der perineale Ultraschall eine valide Methode für die Funktionsuntersuchung des männlichen Beckenbodens und ist sowohl zur Kontrolle der Funktionsfähigkeit des Beckenbodens als auch als Biofeedbackmethode für den Übe- und Trainingsprozess gut einsetzbar.
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Eine exakte Beurteilung der Beckenbodenkontraktilität und Schließmuskelfunktion nach nicht erfolgreicher funktioneller Therapie kann zu einer genaueren und schnelleren Operationsindikation führen.
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Weitere klinische Studien sind erforderlich, damit sich die Perinealsonographie in der Routine etabliert.
Abb. 1: Lage des Schallkopfs für die Perinealsonographie und Darstellung der anatomischen Strukturen farblich markiert: Symphyse (rot), Blasenhals und Urethra (gelb), Corpus spongiosum/Bulbus (rosa), Corpus cavernosum (blau), anorektale Winkel (grün)
Bei der Frau ist der perineale Ultraschall (US) eine standardisierte diagnostische Methode und stellt eine Routineuntersuchung in der Diagnostik der Blasenentleerungsstörung, Inkontinenz und Beckenbodendysfunktionen dar. Diese Methodik gewinnt auch bei der Diagnostik der männlichen Belastungsinkontinenz und bei chronischen Beckenschmerzen an Bedeutung.
In den letzten Jahren wurden verschiedene Studien über die Anwendung und Reproduzierbarkeit der Perinealsonographie beim Mann publiziert.1–6 In dieser Arbeit beschreiben wir die Methodik und die möglichen Einsätze des perinealen Ultraschalls beim Mann in der Abklärung und Behandlung der Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie.
Methodik
Abb. 2: Sagittale Darstellung der Strukturen von ventral nach dorsal: Symphyse (rot), Blasenhals und Urethra (gelb), Corpus spongiosum/Bulbus (rosa), anorektale Winkel (grün)
Der perineale US wird mit abdominellem Sektor-Schallkopf von 3,5–8MHz durchgeführt. Der Patient liegt in Rückenlage und die Beine sollten so platziert werden, dass die Fersen so nahe wie möglich an das Gesäß gebracht werden, um die Spannung am Beckenboden möglichst gering zu halten. Die Sonde wird in der Mittsagittalebene auf den Damm aufgesetzt (Abb. 1).
Es ist zu beachten, dass die Ultraschallsonde nur mit geringem Anpressdruck auf das Perineum gehalten wird. Das Schallbild sollte ventral die Symphyse und die Urethra, zentral den Blasenhals und die Blase und dorsal den Analkanal mit anorektalem Winkel, den Analsphinkter und den posterioren Aspekt des M. levator ani einschließen (Abb. 2). Um die Bildqualität und die Darstellbarkeit zu optimieren, sollte die Harnblase gefüllt sein.
Statische Untersuchung
Abb. 3: Darstellung und Länge der membranösen Harnröhre in der Sagittalebene (blau)
Bilder werden in der sagittalen und koronaren Ebene aufgenommen. Die Symphyse stellt sich als Fix- bzw. Referenzpunkt dar.4 Da sie die einzige unbewegliche Struktur ist, gilt sie als wichtiger Bezugspunkt für die dynamische Beurteilung. Im ventralen Kompartiment können Blasenboden und Blasenhals, Urethra mit Bulbus penis, im dorsalen Kompartiment der anorektale Winkel mit Analsphinkter dargestellt werden (Abb. 2). Die membranöse Harnröhre ist gut sichtbar und deren Länge kann in dieser Einstellung gemessen werden (Abb. 3). Auch paraurethrale Narben, die als hyperechogen scheinen, können erkannt werden.
Dynamischer Ultraschall
Blasenhalsmobilität
Die Mobilität des Blasenhalses kann mit dem perinealen US auch beim Mann genau dargestellt werden. Zur Quantifizierung der Mobilität der Harnröhre in der Diagnostik der weiblichen Inkontinenz wird ein Koordinatensystem verwendet, um eine Standardisierung der gemessenen Parameter zu haben.2, 4 Beim Mann ist die Mobilität der Harnröhre durch die gleichzeitige Darstellung der Symphyse als Fixpunkt möglich, jedoch sind ein Koordinatensystem oder Referenzparameter noch nicht als Standard etabliert.
Funnelling
Abb. 4: Morphologie des Blasenhalses mit Trichterbildung (gelb) nach radikaler Prostatektomie
Die Trichterbildung des Blasenhalses bzw. der proximalen Urethra, auch als „funneling“ definiert, reflektiert einen funktionellen Zustand der Urethra, welcher durch verschiedene Veränderungen des Kontinenzkontrollsystems bedingt ist und häufig mit Harnverlust assoziiert ist (Abb. 4). Es ist häufig in der statischen Untersuchung zu beobachten, aber noch deutlicher in der dynamischen Untersuchung durch „streaming echoes“ auch durch Farbdoppler nachzuweisen.
Beckenbodenaktivität
Abb. 5 A): Statische Darstellung des Blasenhalses und der proximalen Urethra nach radikaler Prostatektomie (gelb), Corpus spongiosum/Bulbus (rosa) und des anorektalen Winkels (grün)
Die Mobilität des Blasenhalses und der Urethra und deren Interaktionen mit dem Beckenboden können dynamisch durch den perinealen US genau dargestellt werden. Durch standardisierte Instruktionen kann die willkürliche Aktivität der Beckenbodenmuskulatur gut untersucht werden (Abb. 5A). Der M. sphinkter urethrae externus (SUS), der M. puborectalis (PR), der M. bulbospongiosus (BS) und der M. ischiocavernosus (IC) können unter standardisierten Instruktionen, wie beispielsweise „Urin halten, Winde oder Stuhl verhalten, letzte Tropfen Harn ausdrücken“ aktiviert und gut identifiziert werden. Die Beweglichkeit des anorektalen Winkels und die Aktivität des PR werden auch beurteilt.
Abb. 5 B): Dynamische Beobachtung der selektiven Aktivierung des M. puborectalis (PR), M. sphinkter urethrae ext. (SUS), M. bulbocavernosus (BS) und M. ischiocavernosus (IC) unter standardisierter Instruktion „Urin halten“. Durch Aktivierung des PR werden Urethra und Blasenhals ventrokranial verlagert. Bei der Kontraktion des BS zeigt sich auch eine nach ventral gerichtete Aktivität und der Bulbus erscheint dünner und elongiert. Die Anspannung des IC zeigt eine Gegenwirkung nach dorsal in Höhe der membranösen Urethra. Diese unterstützt die Schließung der Harnröhre durch den SUS
Die Aktivierung des PR zeigt eine Bewegung nach ventral, dadurch werden Urethra und Blasenhals ventrokranial verlagert. Bei der Kontraktion des BS zeigt sich auch eine nach ventral gerichtete Aktivität und der Bulbus erscheint dünner und elongiert. Die Anspannung des IC zeigt eine Gegenwirkung nach dorsal in Höhe der membranösen Urethra (Abb. 5B). Dadurch zeigt sich, dass die proximale Harnröhre und der Blasenhals durch unterschiedlich koordinierte Muskelaktivitäten stabilisiert und verschlossen werden.
Faktoren wie beispielsweise Blasenfüllung oder Patientenposition können eine Auswirkung auf die Mobilität der Urethra haben. Dies wurde auch schon von anderen Autoren beschrieben und ist in der Interpretation der Messungen zu berücksichtigen.1, 2
Therapeutische Einsätze
Die detaillierte dynamische Bildgebung des männlichen Beckenbodens stellt sich als nicht invasive Maßnahme in der Diagnostik der männlichen Belastungsinkontinenz und in der Indikationsstellung für das weitere konservative bzw. chirurgische Vorgehen dar. Eine exakte Beurteilung der Beckenbodenkontraktilität und der Schließmuskelfunktion nach nicht erfolgreicher funktioneller Therapie kann zu einer genaueren und schnelleren Operationsindikation führen. Insbesondere durch die dynamische Beurteilung der Sphinkteraktivität und der Harnröhrenmobilität können die Patienten über die unterschiedlichen operativen Optionen (fixe oder adjustierbare Schlingen bzw. artifizieller Sphinkter) besser beraten werden.
Wichtig ist der perineale Ultraschall auch in der Ergebnisbeurteilung nach Einlage einer transobturatorischen Schlinge. Wie bei der Frau ist auch beim Mann die Lage implantierter Schlingen gut darstellbar. Zusätzlich kann auch die Kompression der Schlingensysteme auf die Harnröhre beurteilt werden. Die Lage der Schlinge, die Kompression und die umgebende Fibrosierung stellen sich als prädiktive Faktoren für den operativen Erfolg dar.
Physiotherapeutische Bedeutung
Bei der Behandlung der Harninkontinenz nach Prostatektomie wird das Beckenbodentraining empfohlen. Es führt zu einer schnelleren Wiedererlangung der Kontinenz nach Prostatektomie und damit zu einer Verbesserung der Lebensqualität bei Männern nach Prostatakarzinom.7
Das physiotherapeutische Management im Rahmen des Beckenbodentrainings beim Mann beinhaltet die Aspekte Funktionsuntersuchung, selektive Rekrutierungsschulung, selektives Üben mit dem Ziel der Kräftigung und/oder der Entspannungsfähigkeit, Üben in synergistischen Kettenaktivitäten (Atmung, Sprechen, Husten etc.) und Üben von reaktiven Beckenbodenaktivitäten bei in Bezug auf den Harnverlust kritischen Alltagsaktivitäten und bei häufig wiederkehrenden körperlichen Belastungen. Dabei steht am Beginn jeder Behandlung die selektive Funktionsschulung. Erst wenn Männer die korrekte Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur erlernt haben und sicher selbstständig kontrollieren können, können sie trainieren und im Alltag üben.
Für die Funktionsuntersuchung des männlichen Beckenbodens ist der perineale Ultraschall eine valide Methode.6, 8 Physiotherapeutisch wird dieser vor allem für die Darstellung der selektiven Rekrutierungsfähigkeit der Beckenbodenmuskulatur eingesetzt (Abb. 5).9, 10 Dabei gibt es zunehmend gute Hinweise aus der Forschung, dass für die Harnkontinenz beim Mann die koordinierte Aktivierung der Muskelgruppen des ventralen Kompartiments, des BS, IC und SUS bedeutsamer sind als die Kräftigung des PR bzw. der Levator-ani-Muskulatur.11
Bei Anwendung des perinealen Ultraschalls kann dem Patienten das Muster der Rekrutierung durch das Ultraschallbild als Feedback dargestellt werden. So lernt der Patient unter visueller Kontrolle die selektive Aktivierung und er kann die Sicherheit für die richtige Ansteuerung dieser Muskelgruppen aufbauen. Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten können über das US-Bild auch Abweichungen vom normalen Rekrutierungsmuster erkennen und entsprechend die Instruktionen anpassen bzw. selektiv fazilitierende therapeutische Interventionen setzen (manuelle Techniken, Elektrostimulation). Zudem kann über das US-Bild die Beckenbodenaktivität in Bezug auf Kraft, Ausdauer und Entspannungsfähigkeit indirekt beurteilt werden. Somit kann das Trainings- und Übungsprogramm gezielt für die Parameter Kraft und Hypertrophie, Kraft-Ausdauer, Schnellkraft, Reaktivkraft und Koordination geplant und im Behandlungsverlauf über Retests objektiv überprüft werden. Somit ist der Einsatz des perinealen Ultraschalls sowohl zur Kontrolle der Funktionsfähigkeit des Beckenbodens als auch als Biofeedbackmethode für den Übe- und Trainingsprozess gut einsetzbar.
Zusammenfassung
Die perineale Sonographie gewinnt in der Diagnostik des männlichen Beckenbodens zunehmend an Bedeutung. Durch statische und dynamische Beurteilung können der Aufbau und die Funktion der unterschiedlichen männlichen Beckenstrukturen und Muskelfunktionen dargestellt werden. Aufgrund fehlender Strahlenbelastung, des hohen diagnostischen Werts und der sehr guten Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit sollte die perineale Sonographie ein Routinebestandteil in der Abklärung der Inkontinenz auch beim Mann sein.
Im physiotherapeutischen Management ist die Verwendung des perinealen Ultraschalls eine effektive Feedbackmethode und führt zu einer sicheren und schnellen Umsetzungsmöglichkeit des selektiven Funktionstrainings. Zudem können geschulte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten auch erlernen, strukturelle Pathomechanismen, die einem konservativen Therapieerfolg entgegenstehen, im Ultraschallbild zu erkennen, und so frühzeitig mögliche Therapieversager einer interprofessionellen Diskussion und weiteren Behandlungsplanung zuführen.
Literatur:
1 Kirschner-Hermanns R et al.: Two- and three-/four dimensional perineal ultrasonography in men with urinary incontinence after radical prostatectomy. BJU Int 2012; 109(1): 46-51 2 Stafford RE et al.: Novel insight into the dynamics of male pelvic floor contractions through transperineal ultrasound imaging. J Urol 2012; 188(4): 1224-1230 3 Kirschner-Hermanns R et al.: Bildgebende Diagnostik des männlichen Beckenbodens. Urologe A 2013; 52(4): 527-32 4 Stafford RE et al.: A new method to quantify male pelvic floor displacement from 2D transperineal ultrasound images. Urology 2013; 81(3): 685-689 5 Roll SC et al.: Reliability of superficial male pelvic floor structural measurements using linear-array transperineal sonography. Ultrasound Med Biol 2015; 41(2): 610-7 6 Stafford RE et al.: Validity of estimation of pelvic floor muscle activity from transperineal ultrasound imaging in men. PLoS One 2015; 10(12): e0144342 7 Strączyńska A et al.: The impact of pelvic floor muscle training on urinary incontinence in men after radical prostatectomy - a systematic review. Clin Interv Aging 2019; 14: 1997-2005 8 Hodges PW et al.: Reconsideration of pelvic floor muscle training to prevent and treat incontinence after radical prostatectomy. Urol Oncol 2020; 38(5): 354-71 9 Stafford RE et al.: Pattern of activation of pelvic floor muscles in men differs with verbal instructions. Neurourol Urodyn 2016, 35(4): 457-63 10 Hall LM et al.: Do features of randomized controlled trials of pelvic floor muscle training for postprostatectomy urinary incontinence differentiate successful from unsuccessful patient outcomes? A systematic review with a series of meta-analyses. Neurourol Urodyn 2020; 39: 533-54 11 Hodges P et al.: Efficacy of a personalized pelvic floor muscle training program on urinary incontinence after radical prostatectomy (MaTchUP): protocol for a randomised controlled trial. BMJ Open 2019; 9(5): e028288
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