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Kommentar: Stellenwert der digitalen rektalen Untersuchung (DRU) im Wandel

Früherkennung Prostatakarzinom: fortschrittliche Diagnostik in Aussicht

Seit 1971 wurde die digitale rektale Untersuchung (DRU) als Standardinstrument für die Früherkennung von Prostatakrebs angesehen. Jedoch haben aktuelle Studien die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit dieses Verfahrens infrage gestellt.

Angehende Jungmedizinerinnen und -mediziner erlernen nach wie vor die Durchführung einer digitalen rektalen Untersuchung als Standardmethode für die Früherkennung von Prostatakrebs. Jedoch haben aktuelle Studien die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit dieses Verfahrens infrage gestellt. Zukünftig könnten PSA-basierte Screeningmethoden in Kombination mit fortschrittlichen bildgebenden Verfahren wie der multiparametrischen Magnetresonanztomografie (mpMRT), der PI-RADS(Prostate Imaging Reporting and Data System Guidelines)-Klassifizierung und der Fusionsbiopsie die DRU ablösen.

Hohe Rate falschpositiver Befunde

Die PROBASE-Studie hat deutlich gemacht, dass die DRU alleine keine angemessene Sensitivität und Spezifität für die Früherkennung von Prostatakrebs bei Männern ab 45 Jahren aufweist. Insbesondere führt sie zu einer hohen Rate falschpositiver Befunde, die unnötige und belastende Biopsien nach sich ziehen. Die Ergänzung durch den PSA-Test hat sich als entscheidend erwiesen, da sie die Entdeckungsrate von Prostatakrebs erhöht und die Anzahl unnötiger Biopsien reduziert.

In der PROBASE-Studie wurden 6537 Männer im Alter von 45 Jahren einer DRU unterzogen. In dieser prospektiven Analyse von 57 Männern mit verdächtigem DRU wurden drei Prostatakarzinome entdeckt. Die Entdeckungsrate durch DRU betrug 0,05% (3 von 6537) im Vergleich zu einer vierfach höheren Rate durch PSA-Screening (48 von 23301, dies entspricht 0,21%). Die wahrpositive Entdeckungsrate durch die DRU im Vergleich zum PSA-Screening betrug 0,22 (95% Konfidenzintervall [CI] = 0,07–0,72) und die falsch-positive Entdeckungsrate durch DRU 2,2 (95% CI = 1,50–3,17). Von den im PSA-Screening entdeckten PCa-Fällen wiesen 86% eine unverdächtige DRU auf (die Sensitivität gegenüber PSA betrug 14%), wobei die Mehrzahl dieser Tumoren (86%) in den potenziell zugänglichen Zonen der Prostata lag, die durch die DRU ertastbar gewesen wären.1

Krebsdetektionsrate DRU versus PSA

Kürzlich hat das Comprehensive Cancer Center Vienna der Medizinischen Universität Wien und des AKH Wien die Effektivität gängiger Prostatakrebs-Früherkennungsmethoden eingehend untersucht. Diese jüngste Studie aggregierte und analysierte Daten aus acht verschiedenen Studien mit insgesamt 85738 Teilnehmenden. Die erzielten Resultate deuten darauf hin, dass die DRU allein oder in Kombination mit dem PSA keine signifikant höhere Sensitivität zur Früherkennung von Prostatakrebs im Vergleich zum isolierten PSA-Test aufweisen könnte. Speziell ergab sich, dass die DRU alleine eine niedrigere Krebsdetektionsrate (CDR) im Vergleich zum PSA-Test zeigte.2

Screeningbereitschaft erhöhen

Die Angst vor der DRU kann ein wesentlicher Faktor dafür sein, dass Männer nicht über Prostatakrebs sprechen. Und diese Abschreckung kann bei Männern mit einem höheren Risiko einer späten Diagnose noch größer sein – Männer mit afrikanischer Herkunft berichten über ein deutlich größeres kulturelles Stigma im Zusammenhang mit der rektalen Untersuchung, haben aber ein doppelt so hohes Risiko, an Prostatakrebs zu sterben. Prostate Cancer UK befragte mehr als 2000 Männer, von denen 60% Bedenken hinsichtlich einer rektalen Untersuchung hatten. Von diesen Männern würden 37% wegen der rektalen Untersuchung nicht mit ihrem Hausarzt über Prostataprobleme sprechen.3

Daher sollten wir mit Nachdruck ein risikoadaptiertes, flächendeckendes PSA-Screening fordern, das im Falle verdächtiger Befunde die Möglichkeit einer MRT-Untersuchung einschließt.

Also: DRU oder nicht DRU?

Die sinnvollste Frage, die man sich stellen sollte, ist: „Würde es Ihre klinische Entscheidungsfindung ändern?“

Wenn bei einem Mann im Rahmen einer Prostatakarzinom-Früherkennung ein erhöhter PSA-Wert festgestellt wird, könnte in der Folge eine DRU durchgeführt werden, jedoch kann diese die MRT-Untersuchung nicht ersetzen. Die MRT-Untersuchung zeigt viel genauer an, ob es wahrscheinlich gutartige Ursachen für den erhöhten PSA-Wert gibt, und der Patient kann gegebenenfalls ohne Biopsie entlassen werden.

Wenn dagegen der PSA-Wert normal ist, aber ein klinischer Verdacht auf ein Prostatakarzinom besteht – aufgrund von Risikofaktoren wie ethnischer Herkunft, Familiengeschichte oder aufgrund von Symptomen, die auf eine fortgeschrittene Erkrankung hindeuten, wie etwa Schmerzen im unteren Rückenbereich –, dann könnte eine DRU-Untersuchung einen Verdacht auf eine bösartige Erkrankung aufdecken, der eine Überweisung für MRT erforderlich machen könnte.

Bei vielen Prostatakrebsfällen im Frühstadium treten keine Miktionssymptome auf.4 Wenn ein Patient Symptome im unteren Harntrakt zeigt, kann eine digitale rektale Untersuchung wertvolle Hinweise auf gutartige Prostataerkrankungen liefern, wie z.B. eine gutartige Prostatavergrößerung (BPE oder BPH) oder eine Prostatitis. Daher bleibt die DRU ein wesentlicher Bestandteil in der umfassenden Beurteilung und Behandlung von Prostataerkrankungen.

Darüber hinaus gibt es einige Männer mit neuroendokrinem Prostatakrebs, die kein PSA produzieren. Diese seltene Form des Prostatakarzinoms tritt mit einer Rate von 1% auf, was einer Inzidenz von 35 Fällen pro 10000 Männern pro Jahr entspricht. In solchen Fällen kann durch eine digitale rektale Untersuchung Prostatakrebs entdeckt werden, der durch den PSA-Test allein nicht nachgewiesen werden könnte.5

Die aktuelle Evidenzlage besagt, dass die digitale rektale Untersuchung nicht in Früherkennungsprogrammen für Prostatakrebs berücksichtigt werden sollte. Es ist darauf hinzuweisen, dass in Österreich derzeit kein Früherkennungsprogramm für Prostatakrebs existiert. Solange es kein wirksames nationales Früherkennungsprogramm für Prostatakrebs gibt, muss die Entscheidung über die Notwendigkeit einer DRU im Individualfall von Fachleuten, insbesondere von Urologinnen und Urologen, getroffen werden.

1 Krilaviciute A, et al.: Digital rectal examination is not a useful screening test for prostate cancer. Eur Urol Oncol. 2023; 6(6): 566-73 2 Matsukawa A et al.: Comparing the performance of digital rectal examination and prostate-specific antigen as a screening test for prostate cancer: a systematic review and meta-analysis. Eur Urol Oncol 2024; doi: 10.1016/j.euo.2023.12.005 3 Kirby M et al.: (Prostate Cancer UK Clinical Advisory Group). Is the digital rectal exam any good as a prostate cancer screening test? Br J Gen Pract 2024; 74(740): 137-9 4 Donnelly DW, et. al- Quality of life among symptomatic compared to PSA-detected prostate cancer survivors - results from a UK wide patient-reported outcomes study. BMC Cancer 2019; 19(1): 947 5 Jones D et al.: The diagnostic test accuracy of rectal examination for prostate cancer diagnosis in symptomatic patients: a systematic review. BMC Fam Pract 2018; 19(1): 79

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