© Gorodenkoff - stock.adobe.com

Debatte zur Roboterchirurgie in Österreich

Roboterchirurgie: Zentralisierung vs. flächendeckende Versorgung

In der Roboterchirurgie gibt es die kontinuierliche Debatte, ob roboterassistierte Operationen an wenigen Zentren konzentriert oder flächendeckend in mehreren Krankenhäusern angeboten werden sollen. Gegenwärtig geht die Entwicklung in Österreich stark in Richtung flächendeckende Versorgung.

Keypoints

  • Die flächendeckende Versorgung mit robotischen Systemen ist bzw. wird auch in Österreich zunehmend Realität.

  • Mindestfallzahlen werden in der Urologie ein Thema sein.

  • Erfassung und Aufarbeitung der Outcomes werden zukünftig verpflichtend.

  • Robotik hat das Potenzial, die chirurgische Ausbildung zu verbessern.

Seit der ersten roboterassistierten radikalen Prostatektomie (RARP) 1999 in Frankfurt hat die Roboterchirurgie einen unvergleichlichen Erfolgslauf hingelegt. Die Entwicklung in der DACH-Region erfolgte zwar etwas verhaltener als im amerikanischen Raum, aber vor allem auch in Österreich setzte in den letzten Jahren eine deutliche Dynamik ein. Derzeit sind in Österreich 30 Robotiksysteme installiert, wobei die Anschaffung weiterer Systeme bereits in Planung ist. Das führte zu einem starken Anstieg der jährlichen roboterchirurgischen Eingriffe in Österreich, wobei der Anteil in Österreich im Jahr 2022 bei den radikalen Prostatektomien bei 57% lagund bei Nierentumoroperationen bei 23%.1

Aspekte für Zentralisierung

Der Hauptgrund für Bestrebungen, robotische Eingriffe zentralisieren zu wollen, sind die daraus resultierenden höheren Fallzahlen in den Abteilungen. Vor 20 Jahren wurde erstmals eine Korrelation zwischen Fallzahlvolumen und perioperativem Outcome hergestellt.2 Die einleuchtende Devise dazu lautet: „Practice makes perfect“ – also alleine durch das häufige Operieren wird die Chirurgin oder der Chirurg besser. Daten zur Korrelation von Fallzahlen und Outcome in der Urologie gibt es vor allem bei der RARP.

In einem systematischen Reviewvon 2021 des EAU-Leitlinienkomitees für Prostatakarzinom wurde beleuchtet, welchen Einfluss Fallzahlen der einzelnen Chirurg:innen und der Institutionen, in der sie arbeiten, auf die Qualität der RARP bei lokalisiertem Prostatakarzinom haben, wobei onkologische und nichtonkologische Outcomeparameter analysiert wurden.3 Insgesamt wurden 60 wissenschaftliche Arbeiten eingeschlossen, publiziert zwischen 1990 und 2020. Insgesamt waren höhere Chirurg:innen- und Abteilungsfallzahlen mit geringeren postoperativen Komplikationen, geringeren positiven Schnitträndern und einer geringeren Rate an notwendigen adjuvanten oder Salvagetherapien vergesellschaftet. Die Studien wurden sehr gewissenhaft ausgewählt. Dennoch wurde darauf hingewiesen, dass das Risiko von Bias nicht ausgeschlossen werden kann, da die eingeschlossenen Studien allesamt retrospektive Beobachtungsstudien waren.

Eine große Arbeit der Mayo Clinic aus den USA von 2017 analysierte 140671 Patient:innen, die zwischen 2009 und 2011 in 2472 Kliniken mit einer RARP versorgt wurden.4 Die Daten dazu stammten aus dem NIS (Nationwide Inpatient Sample), der größten öffentlich zugänglichen amerikanischen Datensammlung von stationären Patient:innen, die in etwa 97% der amerikanischen Patient:innen abbildet. Dabei zeigte sich, dass das Viertel der Abteilungen mit den wenigsten RARP/Jahr (0–12) im Vergleich zum Viertel der Abteilungen mit den meisten RARP/Jahr (67–820) ein erhöhtes Risiko für intra- und postoperative Komplikationen, für die Gabe von Bluttransfusionen und für einen verlängerten stationären Aufenthalt aufwiesen. Zudem waren die Gesamtkosten pro Fall höher. Interessant war auch, dass sich bis zur Zahl von 100 RARP/Jahr eine deutliche Verbesserung der untersuchten Parameter nachweisen ließ. Ab 100 war der Vorteil jedoch nur marginal. 54% aller Kliniken lagen jedoch unter dieser Zahl.

Fallzahlenabbildung in Leitlinie

Da Fallzahlen eine gewichtige Rolle spielen, fanden diese auch Eingang in die Leitlinien. In der S3-Leitlinieder Deutschen Krebsgesellschaft, Krebshilfe und AWMF wurde im Konsens eine Untergrenze von 50 Prostatektomien in einer Einrichtung pro Jahr sowie 25 Prostatektomien pro Operateur pro Jahr zusammen mit entsprechendem Ausbildungsprogramm erarbeitet.5

Diskutiert wird jedoch auch zunehmend, ob Fallzahlen auch wirklich der korrekte Surrogatparameter für hohe Qualitätsind.6 Intensives Training und Vorbereitung, eine präzise chirurgische Technik, die Aufarbeitung der eigenen Ergebnisse und eine konstante Weiterentwicklung und Kollaboration mit anderen Zentren scheinen ebenso bedeutend zu sein. Dass hohe Zahlen alleine kein Garant für ein gutes Outcome sind, zeigte auch die schwedische LAPPRO-Studie, eine prospektive, kontrollierte Studie.7 Sie verglich offene versus robotische RARP in 14 Zentren in Schweden (7 Zentren mit offener RARP, 7 Zentren mit roboterassistierter RARP) mit insgesamt 68 Operateur:innen. Dabei wurden 4003 Männer zwischen 2008 und 2011 eingeschlossen. In einer Zweitanalyse wurde der Einfluss der Operateur:innen auf das operative Ergebnis analysiert. Die untersuchten Parameter waren erektile Dysfunktion, Inkontinenz und biochemisches Rezidiv nach jeweils 24 Monaten. Wenn nur die erfahrenen Operateur:innen mit über 250 durchgeführten RARP analysiert wurden, dann zeigten sich trotz Case-Mix-Adjustierungen erstaunlich große signifikante Unterschiede im Outcome. Einen chirurgischen Fehler hundertmal zu wiederholen, scheint auch durch weitere hundert Fälle keine Verbesserung des Outcomes zu bewirken.

Aspekt Versorgungsressourcen & Nachwuchs

Aufgabe und Selbstverständnis der Fachgesellschaft ist neben der Verbreitung wissenschaftlich gesicherter Kenntnisse auch die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitglieder und die Vertretung standespolitischer Interessen. Wir stehen jedenfalls vor großen Herausforderungen in unserem Fach. Die demografische Entwicklung und das Älterwerden der Babyboomergeneration führte schon bisher zu einer starken Auslastung der urologischen Abteilungen. Seit Jahren ist das urologische Fach das am stärksten wachsende chirurgische Fach. So hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland für die Urologie den größten Zuwachs im Versorgungsbedarf berechnet.8

Letztes Jahr wurden wiederum Zahlen am Deutschen Urologenkongress in Hamburg präsentiert, wo ein weiterer Zuwachs von 35% für die Urologie in den nächsten 15 Jahren prognostiziert wurde.9 Dieser erhöhte Versorgungsbedarf trifft mit einer Ressourcenknappheit zusammen, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie evident wurde und offensichtlich nicht nur ein kurz-, sondern eher ein mittel- bis langfristiges Problem darstellt. Das wirft die Frage auf, ob es überhaupt genügend Kapazitäten an zentralen Abteilungen gibt, um weitere Patient:innen im größeren Stil aufnehmen zu können.

Klar ist auch, dass wir, um den kommenden steigenden Bedarf an urologischer Versorgung gewährleisten zu können, ausreichend Nachwuchs ausbilden müssen. Es wird im allgemeinen gesellschaftlichen Wandel auch herausfordernder, engagierte und motivierte Ärzt:innen für das Fach der Urologie zu begeistern. Da können technische Innovationen wie die Roboterchirurgie Zugpferd und Motivation für junge Ärzt:innen sein. Auch die chirurgische Ausbildung an sich hat sich durch die Roboterchirurgie verändert. Das traditionelle chirurgische Lernkonzept, in welchem Trainierende unter der Aufsicht Ausbildender die Eingriffe schrittweise erlernt haben, war und ist sehr zeitintensiv und der Erfolg nicht immer der gleiche. Durch Simulation und Training in der Robotik können die technischen Fertigkeiten schon vor der OP entscheidend verbessert werden.10 Dies verkürzt nachgewiesenermaßen die chirurgische Lernkurve und die Operationsdauer. Zudem korreliert gute Performance am Simulator mit guter Performance im Operationssaal.

Die EAU hat zudem bereits im Jahr 2016 ein modulares Trainingsprogramm für die robotische RARP konzipiert, das die Lernkurve verkürzen und Outcome und Performance verbessern soll.11

Aspekt der Forschung, Entwicklung und Innovation

Nicht zuletzt sollte ebenso erwähnt werden, dass Forschung und Entwicklung in universitären Zentren naturgemäß effektiver zu gestalten sind, aber dass Innovationen und Weiterentwicklung keineswegs nur in universitären Einrichtungen stattfinden. Insbesondere bei der Implementierung und Weiterentwicklung der minimalinvasiven Chirurgie waren und sind nichtuniversitäre Einrichtungen vielfach sogar federführend.12 Die Pluralität der Behandlung und die extrauniversitäre Forschung waren immer auch ein Motor des medizinischen Fortschrittes, bei dem sich universitäre und extrauniversitäre Kliniken ergänzten.

Fazit

Letztendlich erfordert die Debatte über Zentralisierung versus flächendeckende Versorgung bei robotischen Operationen in Österreich eine sorgfältige Abwägung der Argumente. Es ist unumstritten, dass sich bei komplexen Operationen die Eingriffszahl und das Klinikvolumen günstig auf die Ergebnisqualität auswirken. Für exakte Schwellenwerte gibt es aber nach wie vor keine gute Evidenz. Die mutmaßlichen Auswirkungen der Zentralisierung von roboterchirurgischen Eingriffen auf die Kliniklandschaft und die Versorgungsrealität wären vermutlich nicht unerheblich und in diesem Kontext sind viele Fragen noch ungeklärt. In der Diskussion muss sich die Fachgesellschaft primär an der wissenschaftlichen Evidenz orientieren, in ihren Empfehlungen aber auch die Versorgungsrealität einbeziehen.

1 BMSGKP – Diagnosen und Leistungsdokumentation der österreichischen KA 2018–2022, GÖG 2 Birkmeyer JD et al.: Hospital volume and surgical mortality in the United States. N Engl J Med 2002; 346(15): 1128-37 3 Van den Broeck T et al.: A systematic review of the impact of surgeon and hospital caseload volume on oncological and nononcological outcomes after radical prostatectomy for nonmetastatic prostate cancer. Eur Urol 2021; 80(5): 531-45 4 Gershman B et al.: Redefining and contextualizing the hospital volume-outcome relationship for robot-assisted radical prostatectomy: Implications for centralization of care. J Urol 2017; 198(1): 92-9 5 Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF: S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Leitlinienreport, Version 6.1. https://register.awmf.org/assets/guidelines/043-022OLm_S3_Prostatakarzinom_2021-08.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 6 Shah TT, Cathcart P: Surgical volume is important for radical prostatectomy, but now we need to move beyond volume as a proxy for quality. Eur Urol 2021; 80(5): 546-8 7 Nyberg M et al.: Surgeon heterogeneity significantly affects functional and oncological outcomes after radical prostatectomy in the Swedish LAPPRO trial. BJU Int 2021; 127(3): 361-8 8 Stephan-Odenthal M: Einfluss des demografischen Wandels auf die Urologie. Urologe 2019; 58(1): 54-8 9 Fisch M, Schüttfort V: Gemeinsam Zukunft gestalten. Urologie 2022; 61(9): 923-4 10 Almarzouq A et al.: Are basic robotic surgical skills transferable from the simulator to the operating room? A randomized, prospective, educational study. Can Urol Assoc J 2020; 14(12): 416-22 11 Mottrie A et al.: The European Association of Urology robotic training curriculum: An update. Eur Urol Focus 2016; 2(1): 105-8 12 Lang H et al.: Mindestmengenregelungen in der Chirurgie aus Sicht der Fachgesellschaft (DGCH): Spagat zwischen Wissenschaft, Politik, Versorgungsrealität und einer Reihe weiterer Aspekte. Chirurg 2022; 93(4): 342-8

Back to top