Tumoren der Nebenniere von harmlos bis extrem bösartig
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Mesut Remzi, F. E. B. U.
Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Wien,
Vorsitzender des Arbeitskreis für Laparoskopie und roboterassistierte Chirurgie der ÖGU
E-Mail: mesut.remzi@meduniwien.ac.at
Das Interview führte
Reno Barth
An der Nebenniere kann sich eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Tumoren entwickeln. Meist werden sie zufällig mittels Bildgebung entdeckt und werden dann Inzidentalome genannt. Sehr oft handelt es sich dabei um harmlose Adenome – jedoch nicht immer, weshalb eine strukturierte Abklärung erforderlich ist. Entscheidend ist es, suspekte Läsionen zu erkennen und dann adäquat chirurgisch zu entfernen.
Inzidentalome sind Tumoren der Nebenniere, die durch bildgebende Untersuchungen zufällig entdeckt werden. In rund 80% der Fälle sind sie endokrin inaktiv. Dennoch sind sie nicht zwingend insignifikant. Die Wahrscheinlichkeit der Malignität hängt von der Größe ab. Tumoren mit einer Größe von mehr als 6cm sind zu 25% bösartig, kleine Läsionen von weniger als 1cm hingegen nur zu rund 2%. Die Prävalenz dieser Tumoren nimmt mit dem Alter stark zu und dürfte bei den über 80-Jährigen jenseits von 10% liegen. Hat man es mit einem endokrin inaktiven Adenom zu tun, sind keine weiteren Kontrollen erforderlich. Doch es gibt auch hochmaligne Tumoren der Nebenniere, bei denen eine sofortige chirurgische Therapie indiziert ist. Damit ist sorgfältige Diagnostik immer geboten. Dabei steht neben der endokrinen Abklärung die Bildgebung an erster Stelle. In der vor wenigen Jahren publizierten ersten europäischen Leitlinie zum Management von Nebennierentumoren wurde das diagnostische Prozedere in Form eines Algorithmus definiert.1
Läsionen von weniger als 4cm Größe, die in der nativen Computertomografie (CT) mit weniger als zehn Hounsfield- Einheiten auffallen, sind mit Sicherheit Adenome und wenn endokrin inaktiv harmlos. Die rezenten Leitlinien für Inzidenzalome fordern eine Abklärung und Entscheidung bei der Erstvorstellkung (www.ensat.org).2 Liegt die Sache nicht so einfach, ist eine aufwendigere bildgebende Diagnostik mit Kontrast-CT (Abb. 1 und 2), Magnetresonanztomografie (MRT) oder funktioneller Bildgebung (je nach Konstellation FDG-PET, DOPA-PET, oder Somatostatin-Analoga wie DOTONOC, DOTATATE, DOTATOC) angezeigt. Bei suspekten Befunden soll dann operiert werden. Bei nicht eindeutigen Befunden und nicht sofort operationswürdigen Läsionen kann dann entweder sofort operiert oder der 5Tumor in einem Abstand von 6–12 Monaten abermals kontrolliert werden. Wächst der Tumor, kann das ein weiterer Hinweis für die Notwendigkeit einer chirurgischen Entfernung sein. Die Biopsie spielt eine untergeordnete Rolle und kommt allenfalls dann zum Einsatz, wenn beispielsweise die Frage zu klären ist, ob es sich beim Nebennierentumor um die Metastase eines anderen Malignoms handelt. Vor einer Biopsie muss jedenfalls ein Phäochromozytom (Abb. 1) ausgeschlossen werden, da das Anstechen dieses hormonproduzierenden Tumors zu einer lebensbedrohlichen Blutdruckkrise führen kann. Die Phäochromozytome stellen im Gegensatz zu den Adenomen immer eine Indikation zur Operation dar, da sie nicht nur Metanephrine produzieren, sondern auch potenziell bösartig sein können.
Abb. 1: Koronare Ansicht einer venösen Phase einer Abdomen-CT mit Nachweis eines Phäochromozytoms rechts (Pfeil). Nebenbefundlich Niereninfarkt mittleres Drittel rechts | Abb. 2: Axiale Ansicht einer CT eines ausgedehnten, teils nekrotischen Nebennierenkarzinoms mit Infiltration der V. cava inferior und V. renalis links (Pfeil) |
Grundsätzlich sind alle Tumoren der Nebenniere, die nicht eindeutig als Adenome identifiziert werden, suspekt und bedürfen der weiteren Abklärung bzw. chirurgischen Therapie. Diese erfolgt zumeist an spezialisierten Zentren wie zum Beispiel an der Wiener Universitätsklinik für Urologie.
Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Mesut Remzi, geschäftsführender Oberarzt der Wiener Universitätsklinik, gewährt im folgenden Interview Einblick in die Vorgangsweise.
Welche Bedeutung haben Tumoren der Nebennieren im Alltag einer urologischen Klinik?
M. Remzi: Das ist schwierig zu beantworten, weil manche Zentren das gar nicht angreifen, andere sporadisch an der Nebenniere operieren und sich wieder andere als Referenzzentren für diese Erkrankungen und ihre Therapie positionieren. Wie oft man diese Tumoren sieht, hängt also von der Expertise ab, die man auf diesem Gebiet hat. Diese Expertise ist bei allen Tumoren der Nebenniere wichtig, denn man muss auch die zufällig entdeckten Inzidentalome korrekt und den Leitlinien entsprechend abklären. Diese Abklärungen erfolgen meist bei Endokrinologen. Nach korrekter Erstdiagnostik kann man dem Patienten entweder sagen, dass die Sache erledigt ist und er sich keine Sorgen zu machen braucht, oder man muss eben gezielt weiter abklären bzw. operieren. Außerdem hat man es oft mit seltenen Tumoren zu tun, die zu den „rare diseases“ gezählt werden. Sie können gutartig oder bösartig sein. Potenziell bösartig sind die Phäochromozytome und die Paragangliome, wobei Letztere sehr oft im Retroperitoneum lokalisiert sind. Somit haben wir Urologen eine selektionierte Wahrnehmung, die schwankt: von diese Erkrankung existiert nicht, bis zu allen Aspekten dieser Erkrankung.
Welche Patienten kommen zu Ihnen und mit welchen Tumoren sind Sie konfrontiert?
M. Remzi: Das sind zum einen Patienen mit zufällig entdeckten Tumoren, bei denen eine chirurgische Resektion und Abklärung auf Malignität indiziert ist, sowie Patienten mit bekannten hormonproduzierenden Tumoren, die entfernt werden müssen. Zumeist werden die in der Bildgebung schon als suspekt eingestuften Tumoren zur weiteren Abklärung geschickt. Wichtig zu wissen ist, dass es das adrenokortikale Karzinom gibt, ein sehr bösartiger Tumor, der radikal operiert werden muss, was die Entfernung der Niere und Teilresektionen von Leber, Darm und Pankreas beinhalten kann. Gelingt es nicht, einen tumorfreien Resektionsrand zu erreichen, ist die Prognose extrem schlecht, dann war die Operation meist vergebens. Alles in allem haben wir es also mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Tumoren zu tun.
Wie gehen Sie also in der Praxis vor, wenn Ihnen ein Patient mit einem Tumor zugewiesen wird?
M. Remzi: Wenn uns ein Patient zugewiesen wird, dann kann man schon einmal davon ausgehen, dass sein Tumor Eigenschaften aufweist, die eine chirurgische Therapie nahelegen. Wir stellen dann zunächst fest, ob es sich um ein Phäochromozytom handelt – sofern dies nicht bereits von der Endokrinologie abgeklärt wurde. Dies erfolgt durch Hormonnachweis aus dem 24-Stunden-Harn oder aus dem Plasma, wobei es wichtig ist, die Metanephrine zu bestimmen und nicht das Noradrenalin oder Adrenalin. Sind die Metanephrine erhöht und passt es zur Bildgebung, dann handelt es sich um ein Phäochromozytom und es wird operiert (Abb. 1). Dabei entscheidet die Größe des Tumors, ob eine laparoskopische Vorgehensweise gewählt wird oder eine offene. Neben diesen Tumoren muss auch immer an ein adrenokortikales Karzinom gedacht werden und, wie oben schon erwähnt, die Operation exakt geplant werden. Es muss eine komplette Entfernung gelingen.
Und ob es histologisch bösartig war, stellt dann der Pathologe fest …
M. Remzi: Dass ein Phäochromozytom maligne ist, lässt sich definitiv nur erkennen, wenn es bereits Metastasen gesetzt hat. Da die Tumoren aber in jedem Fall entfernt werden müssen, werden sie im Anschluss vom Pathologen aufgearbeitet. Dabei ist es allerdings nicht möglich, die Malignität definitiv zu diagnostizieren oder auszuschließen. Vielmehr wird anhand von Scores auf Basis von morphologischen, histologischen und genetischen Markern das Risiko ermittelt und anhand dieser Risikobewertung dann die Nachsorge festgelegt. Daher spielt die Erfahrung des Pathologen eine außerordentliche Rolle. Bei uns z.B. gibt es einen dezidierten Pathologen, der alle diese Tumoren beurteilt und einstuft.
Wie erfolgt diese Nachsorge?
M. Remzi: Bei PPGL (Phäochromozytomen und Paragangliomen) mittels der Me-tanephrine im Harn oder Plasma als Tu-mormarker und mittels Bildgebung, wobei es sich um funktionelle Bildgebung mit PET handeln kann. Bei anderen Tumoren vor allem mittels funktioneller Bildgebung.
Warum ist es wichtig, dass die Diagnostik und die Therapie an einem spezialisierten Zentrum erfolgen?
M. Remzi: Tumoren der Nebenniere sind eine seltene Erkrankung, die einer hochspezialisierten Betreuung bedarf. Die korrekte Diagnostik führt oft zur korrekten Therapie. Die therapeutische Strategie ist entscheidend und sollte beim ersten Mal schon richtig gemacht werden. Läuft man einmal hinterher, wird es oft schwierig für alle. Es handelt sich so gut wie immer auch um eine interdisziplinäre Aufgabe, die die Zusammenarbeit mehrerer Fachrichtungen erforderlich macht.
Quelle:
Central European Urology Meeting 2022 (CEM22), 1.–2.April 2022, Wien
Literatur:
1 Fassnacht M et al.: Management of adrenal incidentalomas: European Society of Endocrinology Clinical Practice Guideline in collaboration with the European Network for the Study of Adrenal Tumors. Eur J Endocrinol 2016; 175(2): G1-G34 2 www.ensat.org
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