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Mit Ohrenschmalz zum Kapazunder
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">In Sonntagsreden von Gesundheitspolitikern wird dem Hausarzt Aufwertung in Aussicht gestellt. Die Wirklichkeit schaut anders aus. Es bleibt bei Lippenbekenntnissen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die zunehmende Geringschätzung des heimischen Allgemeinmediziners lässt für gesundheitspolitische Laien oft den fälschlichen Eindruck entstehen, dieser Typus an niedergelassenem Arzt sei primär fürs Krankschreiben, fürs Formularwesen der Sozialversicherungen und für die Verordnung von Drogensubstitutionsmitteln da. Leider spiegelt sich diese Zweitrangigkeit auch in der Medienwelt wider. Selbst bei Thematisierung banalster Gesundheitsstörungen werden Statements von Universitätsprofessoren eingeholt. Um die Überlegenheit so eines Kapazunders unter Beweis zu stellen, erfolgen der Griff nach hochtrabenden Fachausdrücken und die Erwähnung von Therapiemöglichkeiten, die eine Stange Geld kosten, welches von den Kassen nicht zurückerstattet wird. Zum Schluss erfolgt noch die Bekanntgabe der Kontaktdaten zur Privatordination des Spezialisten.</p> <h2>Ausblendung des Hausarztes</h2> <p>Beispielhaft wird die Gesundheitsbeilage einer auflagenstarken Zeitung herausgenommen. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass die „Kronen Zeitung” im Rahmen ihrer Tagesberichterstattung und veröffentlichter Leserbriefe der Aufwertung des Hausarztes positiv gegenübersteht. Der Gesundheitsteil der Samstag-Krone vom 23. Juli 2016 hingegen ist ein Beispiel für permanentes Hochjubeln des Spezialistentums. Wer bei Rückkehr nach einem langjährigen Auslandsaufenthalt die in der Mitte besagter Zeitung eingelegten 20 Seiten genau studiert, der muss den Eindruck bekommen, Österreichs Allgemeinmediziner seien in seiner Abwesenheit abgeschafft worden. Fairnesshalber kommt zur Erwähnung, dass die diversen Beiträge, medizinisch betrachtet, ein hohes Niveau aufweisen. Fachkollegen vieler Sparten kommen zu Wort. Der Begriff „Hausarzt“ oder „Allgemeinmediziner“ hingegen fällt auf 20 Seiten kein einziges Mal. Selbst eine ganz kurz gehaltene Empfehlung, am Beginn jeder Erkrankung zuerst den Vertrauensarzt zu kontaktieren, fehlt. Womöglich dürfte es den Verantwortlichen der Druckschrift gar nicht auffallen, dass sie einer Verherrlichung des Spezialistentums Vorschub leisten. Bei jedem Wehwehchen wird empfohlen, den entsprechenden Facharzt aufzusuchen. So darf es nicht wundern, dass der medizinische Laie den Eindruck bekommt, nur der Spezialist könne ihm helfen. Es bleibt nur ein großes Fragezeichen: Welcher Facharzt soll angesteuert werden? Diese Frage zu beantworten, gestaltet sich in manchen Fällen selbst für Ärzte gar nicht so leicht. Der Laie hingegen geht fast immer in die Irre. Besonders dann, wenn er unter einer larvierten Depression oder an chronischem Alkoholmissbrauch leidet. So rennen zum Beispiel Patienten monatelang einem Orthopäden die Tür ein, obwohl ein Psychiater für sie zuständig wäre.</p> <h2>Allgemeinmediziner in der Überzahl</h2> <p>Zeitungsberichte wie die in der Krone sollten einen Beitrag dazu liefern, dass die Leser im Falle einer Erkrankung nicht vorrangig Spitalsambulanzen, sondern ihren Hausarzt aufsuchen. Unter den niedergelassenen Ärzten sind die Allgemeinmediziner in der Mehrheit. Von den rund 7.000 Kassenärzten werden knapp 3.900 Hausarztpraxen betrieben. Bei den rund 10.000 Wahlärzten Österreichs ist der Überhang der Allgemeinmediziner mit 7.000 noch ausgeprägter.</p> <h2>Selbstbedienung statt Steuerung</h2> <p>Dem Österreicher ist Patientensteuerung ein Fremdwort. Die politischen Verantwortungsträger haben bewusst darauf verzichtet, um beim Wähler nicht in Ungnade zu fallen. So bestimmt auch der blutigste Laie selbst, welcher Arzt zum Beispiel eine Rötung im Genitalbereich zu beurteilen hat. Extrem lange Wartezeiten für einen Termin bei einem Kassen-Facharzt sind die Folge. Geht es nach der besagten Gesundheitskrone auf Seite 18, dann muss die Erstbegutachtung der oben erwähnten Rötung durch eine Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten erfolgen. Launige Nebenbemerkung: Dermatologen sind in der Krone fast durchgehend weiblichen Geschlechts und haben keine Kassen. Zwei Seiten der besagten Beilage vom 23. Juli widmen sich Genitaloperationen, welche die Lust der Frauen steigern sollen. Schon 16-Jährige, so der Bericht, wollen unter das Messer. Die Demut vor medizinischen Eingriffen dürfte komplett verloren gegangen sein. Die befragte Schönheitschirurgin beruhigt die Leser. Eine nur 17 Jahre alte Patientin hätte sie schon einmal abgewiesen. Absolute Randthemen wie Unterspritzung des G-Punktes und Entfernung der Klitoris-Vorhaut kommen zur Sprache. Am Schluss des Beitrages erklärt die Spezialistin wörtlich: „Wer einen Eingriff vornehmen lassen möchte, sollte unbedingt Informationen von einem Facharzt einholen!“ Da lobe ich mir einen engagierten Hausarzt, der den Mut zur Wahrheit hat und damit eine teure Facharztkonsultation und eine überflüssige Operation verhindert: „Frau Gruber, im Vertrauen, eine Vergrößerung der äußeren Schamlippen kann Ihre Ehe nicht retten!“ Damit kann auch der gesundheitspolitische Neueinsteiger erkennen, dass in den Warteräumen der Fachkollegen ein hoher Prozentsatz an Patienten sitzt, der gar keiner fachärztlichen Begutachtung und Behandlung bedarf. Ähnlich wie auch in unseren Spitalsambulanzen schmälern Patienten mit Banalerkrankungen und Befindlichkeitsstörungen die freien Kapazitäten der Kassen-Fachärzte, die für das dringliche Einschieben ernstlich Erkrankter notwendig wären.</p> <h2>Ohrspülen als Domäne des Facharztes?</h2> <p>Wer unter vermehrter Produktion von Ohrenschmalz leidet, so die Empfehlung von zwei Krone-Autorinnen, sollte die Ohren regelmäßig von einem HNO-Arzt professionell reinigen lassen. Sowohl Frau Dr. Andrea Dungl als auch Frau Mag. pharm. Claudia Dungl dürfte aber bekannt sein, dass jeder Allgemeinmediziner schon in seiner Ausbildung lernen muss, Zerumen zu entfernen. Auch ein Ohrenschmalzpfropf ist für den praktischen Arzt kein unlösbares Problem. Dass das Ohrenspülen in anderen hochzivilisierten Ländern auch von Krankenschwestern oder Frisören gemeistert wird, sei nur nebenbei erwähnt. Wer meint, dass nur die beiden Genannten Ohrschmalzpatienten primär zum Facharzt schicken, täuscht sich. Auch Karin Podolak, Chefin der Krone-Gesundheitsredaktion, empfiehlt zwei Seiten vorher ebenfalls die HNO-ärztliche Behandlung. Überproduktion von Ohrenschmalz scheint in besagter Ausgabe bestimmendes Thema zu sein. Podolak erklärt das so: „Wenn beim Schwimmen oder Tauchen Wasser in die Ohren gelangt, quillt der Pfropfen auf und verlegt den Gehörgang.“ Ihre Empfehlung: „durch den HNO-Arzt entfernen lassen“. Spätestens jetzt bemerken sensibilisierte Leser der „Kronen Zeitung“, dass seit dem letzten Duschgang das Hörvermögen vermindert scheint. Es folgt ein rascher Griff zum Handy, um einen Termin beim HNO-Arzt zu bekommen. Leser anderer Blätter vermissen womöglich eine derartige Aufklärung über Ohrenschmalz, wissen dafür aber aus Erfahrung, dass bei plötzlicher Hörverschlechterung nach dem Waschen der Haare ein Aufsuchen des Hausarztes schnelle Abhilfe schaffen kann.</p> <h2>Thema Popo-Vergrößerung</h2> <p>Eine andere Krone-„Gesund“-Ausgabe, die vom 30. Juli, widmet sich auf den Seiten 2 und 3 den Popos der Frauen. Da muss die Fachmeinung eines plastischen Chirurgen her. Redakteurin Mag. Monika Kotasek-Rissel befragt einen Wiener Spezialisten für „Popo-Korrekturen“. Für den Einstieg ins Thema hält das voluminöse Hinterteil der US-amerikanischen TV-Schauspielerin Kim Kardashian her, Foto inklusive. Der befragte Arzt vermutet, dass die Hollywood-Schönheit ein „Brazilian butt lift“ durchführen hat lassen. Selbst gut geschulte Mediziner verstehen bei diesem Begriff nur Bahnhof, doch der Fachmann hilft dem Leser aus der Patsche: „Bei diesem Eingriff wird sowohl ein Implantat eingesetzt als auch Eigenfett injiziert.“ So werden von ihm die diversen Methoden dargestellt, den Allerwertesten „aufzupeppen“. „Betroffene Frauen“, so der Spezialist, „dürfen sich dann über mehr Volumen freuen.“ Über die unfreiwillige Methode, wie leider viel zu viele Österreicherinnen ihr Gesäß auffetten, wird kein Wort verloren. Auch gehäufter Verzehr von Schweinsbraten mit Knödel kann den Popo vergrößern.</p> <h2>Psoriasisbehandlung in der Privatpraxis</h2> <p>Auf den Seiten 4 und 5 der besagten Ausgabe kommt es zur Thematisierung der überaktiven Blase. Eine Gynäkologin aus Dornbirn klärt die Leser auf. Dann gehören zwei Seiten dem Hauptverband der Sozialversicherungen, zwei weitere einer Yoga-Lehrerin. Schließlich wird es aber in guter Krone-Manier Zeit, wieder eine Dermatologin zu Wort kommen zu lassen. Eine Universitätsprofessorin referiert über die Schuppenflechte. Ein „Google-Blick“ genügt und schon weiß der unter Psoriasis leidende Krone-Leser, dass die Frau Professor in einer Wiener Innenstadt-Privatpraxis anzutreffen ist. In einem Kasten gleich neben der Hautärztin begründet eine Fachärztin für physikalische Medizin, warum wir zur Stärkung der Immunabwehr regelmäßig 100 % ig naturreines PMA-Zeolith schlucken sollen. Selbstverständlich kommt auch der Produktname zur Erwähnung. Auf den nächsten Seiten erklärt der bekannte Hepatologe Univ.-Prof. DDr. Peter Ferenci die leberschützende Wirkung der Mariendistel.</p> <h2>Bruststraffung in Grazer Privatklinik</h2> <p>Dann folgen Beiträge eines Wiener Internisten und eines Kinderfacharztes. In der abschließenden Rubrik „Sprechstunde“ beantworten Fachkollegen die Fragen der Leser. Der Wissbegierige lernt so in der 16-seitigen Beilage noch einen zweiten plastischen Chirurgen kennen. Beim Thema „Bruststraffung“ gibt der Universitätsprofessor gleich bekannt, in welcher Grazer Privatklinik er anzutreffen ist. Ganz zum Schluss der Gesundheitsbeilage referiert eine weitere Dermatologin über Haarausfall unter der sehr seltenen Autoimmunkrankheit Lichen planopilaris. Auch in der „Gesund“-Ausgabe vom 30. Juli sind Begriffe wie „Allgemeinmediziner“ und/oder „Hausarzt“ nicht zu finden. Vielleicht fällt es dem Herausgeber gar nicht auf. Vielleicht ist alles nur Zufall. Aber die genannten Krone-Gesundheitsbeilagen schicken unbewusst folgende Botschaft aus: „Am besten gleich zum Spezialisten in die Privatordination!“</p></p>
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