
Update smarter medicine
Bericht: Regina Scharf, MPH
Redaktorin
Die internationale Kampagne startete in der Schweiz vor rund 12 Jahren mit der ersten Top-5-Liste. Wie ist der Stand heute, mit welchen Herausforderungen ist der eigens gegründete Verein «smarter medicine» konfrontiert und wie reagiert er darauf?
«Primum non nocere», der Grundsatz des hippokratischen Eides, ist in Zeiten von smarter medicine aktueller denn je. Die Kampagne, die 2012 in den USA zur Reduktion der Über- und Fehlbehandlung in der Medizin gestartet ist, hat sich zu einer globalen Bewegung gemausert. Der in der Schweiz gegründete Verein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» umfasst zurzeit 46 Partnerorganisationen, darunter Spitäler, medizinische und nichtmedizinische Fachgesellschaften, Vereine und Verbände. Das wichtigste Instrument von smarter medicine sind die Listen aus medizinischen und nichtmedizinischen Fachbereichen mit je fünf unnötigen Massnahmen (Top-5-Listen). Die Empfehlungen sind evidenzbasiert und existieren in zwei Versionen: für das Fachpersonal und für die Patienten. Aktuell existieren 29 Listen.
Am Frühjahreskongress der SGAIM gab Prof. Dr. med. Carole Elodie Aubert von der medizinischen Poliklinik des Universitätsspitals in Bern ein kurzes Update zur Kampagne smarter medicine in der Schweiz. Gemäss der Referentin stösst die Kampagne bei der Umsetzung auf verschiedene Herausforderungen. Dazu gehören etwa der Zeitmangel und die schwer zu ändernden Gewohnheiten aufseiten der Ärzte, der anhaltende Irrglaube der Patienten, ein «Mehr» an Medizin sei besser, und die teilweise widersprüchlichen Empfehlungen von Hausärzten und Spezialisten. Um eine bessere Umsetzung von smarter medicine zu erzielen, wurden deshalb verschiedene Begleitmassnahmen initiiert.
Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Patienten und des Gesundheitspersonals
Mit dem Ziel, die Öffentlichkeit auf den Missstand der Über- und Fehlversorgung in der Medizin hinzuweisen, wurde 2022 eine Öffentlichkeitskampagne mit dem Motto «Weniger ist manchmal mehr» durchgeführt. Zukünftig sollen zudem sogenannte Smarter-medicine-Botschafter für eine bessere Umsetzung der Empfehlungen beim Gesundheitspersonal sorgen. Die Ausbildung der Botschafterinnen und Botschafter im Rahmen des «smarter talents Switzerland program» ist für dieses Jahr geplant.
Unterstützung von Patienten und Ärzteschaft bei der Umsetzung der Empfehlungen
Als Unterstützung für das Arzt-Patienten-Gespräch und zur Förderung einer «shared decision» wurden für folgende Smarter-medicine-Empfehlungen Pamphlets erstellt: keine Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegsinfektionen, kein PSA-Test ohne Kenntnis von Risiken und Nutzen, kein Röntgenbild bei Rückenschmerzen in den ersten 6 Wochen. Ausserdem wurden Informationstools entwickelt, die das Bewusstsein von Patienten für smarter medicine erhöhen und das Gespräch mit dem Arzt vereinfachen sollen.
Einbezug anderer Gesundheitsberufe
Der Verein smarter medicine umfasst diverse Partnerorganisationen, die zum Teil eigene Listen herausgeben, wie z.B. die Top-5-Liste Physiotherapie. In Vorbereitung befinden sich Top-5-Empfehlungen zu Ergotherapie, Pharmazie und Zahnmedizin.
Aus-/Weiter- und Fortbildung
In der Romandie werden seit letztem Jahr regelmässige Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen durchgeführt, bei denen Fälle von Patienten diskutiert werden, die durch unnötige Diagnostiken oder Behandlungen zu Schaden gekommen sind. Bei erfolgreicher Durchführung soll das Pilotprojekt auf die gesamte Schweiz ausgedehnt werden. Weitere lokale Massnahmen, um die Umsetzung von smarter medicine zu verbessern sind: Bedside Teaching, Weiter- und Fortbildungen zum Thema, die Anbringung von Top-5-Empfehlungen wie z.B. den PADUA-Score auf Visitenwagen etc.
Forschung
Mit einem jährlichen Betrag von 40000 Franken fördert der Verein smarter medicine die Forschung zum Thema Über- und Fehlversorgung. Aktuelle Forschungsprojekte betreffen die ungeeignete Messung und Supplementierung von Vitamin D, die Verschreibung von Neuroleptika im Spital oder bei Spitalaustritt.
Internationale Aktivitäten
Choosing Wisely International veranstaltet einen jährlichen Round Table, der die Gelegenheit zum Austausch über den Erfolg oder Misserfolg von Massnahmen und die Suche nach neuen Lösungsansätzen bietet. Eine Folge des letzten Round Table war die Initiierung von Webinaren für Forschung, Politik und Lehre. Zusätzlich wurde ein Newsletter gestartet.
Quelle:
Frühjahrskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGAIM), 29. bis 31. Mai 2024, Basel
Literatur:
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