Hoffnungsträger oder Sorgenkinder? Januskinasehemmer und die Sicherheit
Autor:
OA Dr. Gregor Holak
Leiter Rheumaambulanz
5. Medizinische Abteilung
Klinik Ottakring
Wien
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Januskinasen nehmen eine Schlüsselposition in der zellulären Homöostase ein, insbesondere in der Entzündungsregulation. Januskinasehemmer (JAKi) sind oral zu verabreichende Medikamente mit hervorragenden Eigenschaften zur Behandlung verschiedener, entzündlich mediierter Krankheitsbilder, darunter solcher aus dem rheumatologischen und gastroenterologischen Formenkreis. Die Konsequenzen aus den Daten der ORAL-SURVEILLANCE-Studievon 2022 schränken der Einsatz der JAKi ein und werfen einen Schatten auf den zukünftigen Umgang mit dieser Substanzklasse.
Keypoints
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Im Jänner 2022 wurden die Ergebnisse der ORAL-SURVEILLANCE-Studie mit dem JAKi Tofacitinib im Vergleich zu den TNF-Inhibitoren Adalimumab und Etanercept publiziert.
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Primärer Endpunkt war das Neuauftreten maligner Erkrankungen sowie kardiovaskulärer Ereignisse.
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Aufgrund der Daten wurden von FDA sowie EMA Empfehlungen bzw. Warnungen für alle JAKi ausgesprochen, die mittlerweile von der europäischen Rheumagesellschaft (EULAR) umgesetzt wurden.
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Unklar bleibt, ob es sich bei den Studienergebnissen um eine Besonderheit der Substanz Tofacitinib und deren Wirkmechanismus handelt oder ob für alle anderen JAKi dieselben Schlüsse gezogen werden müssen.
Eine Substanzklasse mit viel Potenzial
Als Andrew F. Wilkes vom Krebsforschungszentrum in Melbourne im Jahr 1989 erstmals über die Identifizierung zweier neuartiger Tyrosinkinasen berichtete, waren er und sein Team sich der Konsequenzen ihrer Entdeckung vermutlich nicht bewusst. Aber schon wenige Jahre später wurde das Potenzial einer pharmakologischen Manipulation dieser Enzyme erkannt und die Entwicklung des ersten Januskinasehemmers (JAKi) begann bereits um die Jahrtausendwende.
Januskinasen sind Teil des JAK/STAT- („signal transducers and activators of transcription“)-Signalweges, der verschiedenste immunologische Aktivitäten beeinflussen kann.
Da vielen extrazellulär vorkommenden Botenstoffen die intrinsische Aktivität fehlt, um eine direkte Wirkung im Zellkern zu entfalten, bedienen sie sich verschiedener Rezeptorsysteme, die als Signaltransduktor fungieren. Januskinasen verstärken dabei die Signale von rund 30 Zytokinen. Rheumatologisch und gastroenterologisch relevant sind dabei insbesondere die Interleukine IL-6, IL-12 und IL-23, benutzt wird dieser Signalweg aber beispielsweise auch von Zytokinen der IL-2-Familie, Interferonen sowie diversen Wachstumsfaktoren wie Erythropoetin. In mehr als 20 Jahren konnten bereits rund ein Dutzend unterschiedlicher Wirkstoffe auf den Markt gebracht werden, die ein breites Einsatzgebiet im vor allem immunologischen und hämatologischen Spektrum abdecken. Im rheumatologischen Bereich sind aktuell 5 Substanzen am Markt, davon 4 in Europa. Im Bereich der Gastroenterologie besitzen aktuell 2 Substanzen eine Zulassung für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Eine Übersicht über ihre pharmakologischen Eigenschaften zeigt Tabelle 1.
Tab. 1: Pharmakologische Unterschiede der zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassenen Januskinase(JAK)-Inhibitoren
Von Anfang an lagen große Erwartungen auf dieser neuartigen Substanzgruppe, die im Wesentlichen als orale verabreichbare Alternative zu den strikt parenteral zu applizierenden monoklonalen Antikörpern („Biologika“) positioniert wurden.
Vergleichsstudien zeigen teils Vorteile zu TNF-Blockern
Für alle 4 zur Behandlung einer rheumatoiden Arthritis (RA) in Österreich verfügbaren JAKi gibt es direkte Vergleichsstudien zum derzeit gebräuchlichsten TNF-Blocker (Adalimumab). Erstaunlicherweise zeigten sich unter JAKi durchwegs numerisch oder sogar signifikant höhere klinische Ansprechraten als in den Vergleichsarmen mit Adalimumab, sie konnten also den „Goldstandard“ der RA-Therapie der vergangenen 20 Jahre herausfordern. Eine tatsächliche klinische Überlegenheit kann aus all diesen Studien nicht abgeleitet werden, es lässt sich aufgrund der Datenlage jedoch festhalten, dass die JAKi zumindest so effizient sind wie TNF-Inhibitoren. Potenzielle Vorteile gegenüber TNF-Inhibitoren bestehen beispielsweise in der rascheren Wirkung, wodurch sich ein potenzieller cortisonsparender Effekt erwarten lässt.
Nun weckt jede neue Substanzklasse neben Hoffnungen auch Skepsis, was Nebenwirkungen und – im Zulassungsprozess eventuell unentdeckt gebliebene– Folgeschäden betrifft.Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Zulassungsstudien der JAKi stets die Effektivität im zentralen Fokus hatten, was auch die relativ kurze Nachbeobachtung erklärt. Endgültige Aussagen zur Sicherheit sind daher für gewöhnlich erst nach Jahren im Routineeinsatz möglich. Bei der ersten für die rheumatoide Arthritis zugelassenen Substanz, Tofacitinib, fanden sich aber schon während der Phase-III-Studie mögliche Sicherheitssignale. Daher erging seitens der Behörden an die Herstellerfirma der Auftrag, nach Marktzulassung eine nachfolgende, reine Sicherheitsstudie durchzuführen.
Erhöhtes Risiko für bestimmte Patientengruppen nachgewiesen
Am 27.Jänner 2022 wurden dann die Ergebnisse der Studie ORAL SURVEILLANCE final publiziert, deren potenzielle Konsequenzenbereits zuvor in Fachkreisen heftig diskutiert worden waren. Diese randomisierte, multizentrische, offene Phase-IIIb/IV-Sicherheitsstudie verglich den JAKi Tofacitinib mit 2 TNF-Inhibitoren (Adalimumab, Etanercept) und hatte als primären Endpunkt eine Kombination aus dem Neuauftreten maligner Erkrankungen sowie verschiedener kardiovaskulärer Ereignisse („major adverse cardiovascular events“; MACE).
Abb.: Auch in die Therapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen haben die JAKi Einzug gehalten
Die Studienpopulation bestand ausschließlich aus Patienten über 50 Jahre mit einem oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren sowie einer unzureichend kontrollierten RA. Tofacitinib sollte die „Nichtunterlegenheit“ gegenüber den Komparatoren und bewährten Therapieprinzipien der TNF-Blockade in Bezug auf Sicherheit unter Beweis stellen, was unerwarteterweise nicht gelang. Betrachtet man die Resultate ein wenig detaillierter, so stellt man fest, dass die Ereignisrate unter Tofacitinib für kardiovaskuläre Events von Männern >65 Jahre, aktiven Rauchern sowie Patienten unter ASS getrieben wurde. Ein ähnliches Phänomen ergab sich aus der Analyse der neu aufgetretenen Malignome, deren Risiko unter JAKi ebenfalls mit männlichem Geschlecht, Alter >65Jahre und einer Raucheranamnese assoziiert war. In absolute Zahlen gegossen bedeutet es, dass man 567 Patienten > 1 Jahr mit Tofacitinib 5 mg BID und 319 Patienten > 1 Jahr mit Tofacitinib 10 mg BID behandeln muss, um im Vergleich zu einer TNF-Blocker-Therapie ein zusätzliches kardiovaskuläres Ereignis zu beobachten. Bezogen auf die Malignome müsste man 276 bzw. 275 Patienten >1 Jahr mit Tofacitinib 5 mg BID bzw. 10 mg BID behandeln, um im Vergleich zu einer TNF-Blocker-Therapie eine zusätzliche Tumorerkrankung zu sehen. Es ist unklar, wie gut das kardiovaskuläre Begleitrisiko im Vorfeld der Studie behandelt worden war oder wie viele Zigaretten täglich konsumiert wurden. Da eine schlecht eingestellte rheumatologische Grunderkrankung bekanntermaßen für sich ein deutlich erhöhtes Risiko sowohl für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen als auch Krebserkrankungen nach sich zieht, ist es auch wichtig zu erwähnen, dass mehr als die Hälfte der Patienten zu Beginn der Studie eine Begleitmedikation mit Steroiden benötigt hatte.
Es bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob es sich bei den Resultaten dieser Studie um eine Besonderheit der Substanz Tofacitinib handelt und diese über deren Wirkmechanismus zu klären sind oder ob für alle anderen JAKi die exakt gleichen Schlüsse gezogen werden müssen. Ebenso diskutiert wird ein potenziell positiver Einfluss von TNF-Blockern für z.B. das Auftreten kardiovaskulärer Spätschäden und ob das schlechte Abschneiden von Tofacitinib daher lediglich ein neutrales Verhalten widerspiegelt, jedoch keinen schädigenden Effekt per se darstellt. Ähnliche Signale abseits derer in der ORAL-SURVEILLANCE-Studie sind in den Langzeitbeobachtungen aller JAKi, auch bei Tofacitinib selbst, bisher so nicht bestätigt worden. Im Gegenteil, gerade bei den Knackpunkten Malignome und kardiovaskuläre Ereignisse scheinen die Substanzen nicht signifikant schlechter abzuschneiden als die Riege der Biologika, inklusive TNF-Blocker.
Ungeachtet dessen wurden sowohl seitens der zuständigen amerikanischen Behörde (FDA) als auch der EMA Empfehlungen und Warnungen für alle JAKi ausgeschickt, die mittlerweile von der europäischen Rheumagesellschaft (EULAR) umgesetzt wurden und die in Tabelle 2 im Detail aufgeführt sind.
Tab. 2: EULAR-Empfehlungen (modifiziert nach Smolen JS et al. 2023)
Umsetzung der Vorgaben im Alltag
In die tägliche Praxis umgelegt bedeutet es insbesondere, dass der Ersteinsatz eines JAKi im entsprechenden Risikokollektiv in der Reihung nach hinten wandert. Ob damit gemeint ist, dass sämtliche zur Verfügung stehenden Alternativen bereits ausprobiert sein müssen, bis man zu einem JAKi greifen darf, oder vielleicht nur ein Vertreter der jeweiligen Wirkstoffklassen (also beispielsweise nicht alle 5 verfügbaren TNF-Blocker), ist nicht klar definiert und obliegt der Expertise des Behandlers.
Aktuell schwieriger zu entscheiden ist die Frage, ob und wann eine bereits laufende Therapie mit einem JAKi zu wechseln ist (gemeint ist wiederum, wenn es sich um Betroffene mit den genannten Risikofaktoren handelt), wenn diese beispielsweise vor Publikation der ORAL-SURVEILLANCE- Studie begonnen wurde. Falls die Krankheitsaktivität im Moment ohnehin unzureichend kontrolliert ist, wird die Entscheidung zugunsten eines anderen Wirkmechanismus wohl eher leicht fallen. Ein gut laufendes Therapieregime jedoch zu verlassen, nur um den Wirkmodus zuungunsten eines JAKi zu switchen und dabei eine Verschlechterung der Krankheitskontrolle zu riskieren, wird von vielen Patienten naturgemäß schlecht angenommen. Hier sind Fingerspitzengefühl und eine gute Aufklärung gefragt – eine Entscheidung sollte stets im Konsens erfolgen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es für die Wirkstoffklasse des JAKi 2022 einen Dämpfer gegebenhat und der bis dahin breite, eher unreflektierte Einsatz so nicht mehr empfohlen werdenkann. Patienten jedoch, die nicht zum Risikokollektiv gehören, sollten auch zukünftig nicht von dieser Wirkstoffklasse ausgeschlossen werden, die in so vielen Indikationen ganz hervorragende immunologische Eigenschaften besitzt und nach wie vor eine wertvolle Ergänzung im inflammatorischen Therapiearsenal darstellt.
Literatur:
● Alten R et al.: Janus kinase inhibitors: State of the art in clinical use and future perspectives. Z Rheumatol 2020; 79(3): 241-54 ● Charles-Shoeman C et al.: Risk of major adverse cardiovascular events with tofacitinib versus tumour necrosis factor inhibitors in patients with rheumatoid arthritis with or without a history of atherosclerotic cardiovascular disease: a post hoc analysis from ORAL Surveillance. Ann Rheum Dis 2023; 82: 119-29 ● Kotyla PJ: Are Janus kinase inhibitors superior over classic biologic agents in RA patients? Biomed Res Int 2018; 2018: 7492904 ● Rubbert-Roth A: ORAL SURVEILLANCE: Was hat sich an der Risikobeurteilung von JAK-Inhibitoren geändert? Z Rheumatol 2022; 81: 780-1 ● Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2022 update. Ann Rheum Dis 2023; 82(1): 3-18 ● Wilkes AF: Two putative protein-tyrosine kinases identified by application of the polymerase chain reaction. Proc Natl Acad Sci USA 1989; 86(5): 1603-7 ● Winthrop KL et al.: Oral surveillance and JAK inhibitor safety: the theory of relativity. Nat Rev Rheumatol 2022; 18(5): 301-4 ● Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and cancer risk with Tofacitinib in rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2022; 386(4): 316-26
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