«Grosser Entscheidungsspielraum»
Unsere Gesprächspartnerin:
Prof. Dr. med. Britta George
Klinik für Nephrologie, Universitätsspital Zürich
Das Interview führte Dr. med. Felicitas Witte
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Im Januar 2024 ist die neue Leitlinie zur Behandlung der Lupusnephritis von KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) herausgekommen. Prof. Britta George erklärt, wann man die neu hinzugekommenen Präparate Belimumab und Voclosporin einsetzt.
Warum war die Überarbeitung der Guidelines wichtig?
B. George: Seit der letzten Version von 2021 wurden Belimumab, ein Inhibitor des B-Zell-aktivierenden Faktors (BAFF), und der Calcineurininhibitor Voclosporin von der FDA, EMA und Swissmedic zusätzlich zum Standard of Care (SOC) zur Therapie der Lupusnephritis zugelassen. Die jetzt aktualisierte Leitlinie ordnet den Stellenwert der beiden neuen Medikamente für die Praxis ein und ist somit von grosser Bedeutung.
Was ist der SOC bei Lupusnephritis?
B. George: Der SOC bei Lupusnephritis Klasse III/IV mit oder ohne Klasse V besteht in einer Induktionstherapie mit entweder niedrigdosiertem Cyclophosphamid oder mit Mycophenolsäure-Analoga („mycophenole acid analoga“, MPAA). Zusätzlich bekommen die Patienten Steroide, gegebenenfalls initial auch als intravenöse Hochdosistherapie mit schrittweiser Reduktion. Alle Patienten sollten zudem Hydroxychloroquin und einen ACE-Hemmer oder AT1-Blocker erhalten.
Was ist nun neu in der aktualisierten Leitlinie von KDIGO?
B. George: Belimumab und Voclosporin sind als additive Möglichkeiten zum SOC aufgeführt. Belimumab kann nun zusammen mit MPAA oder niedrigdosiertem Cyclophosphamid und Steroiden zur Induktionstherapie eingesetzt werden. Voclosporin kann zusammen mit MPAA bei Patienten mit einer GFR > 45ml/min/1,73m2 verordnet werden. Alternativ bleibt eine Induktionstherapie mit MPAA und Steroiden oder Cyclophosphamid und Steroiden ohne die Hinzunahme der neuen Substanzen weiterhin leitliniengerecht.
Wann sollte man Belimumab oder Voclosporin einsetzen?
B. George: Aufgrund der bekannten positiven Effekte von Calcineurininhibitoren auf Podozytenstruktur und -funktion könnte Voclosporin bei einer eher guten Nierenfunktion mit einer GFR >45ml/min/1,73m2 und einer starken Proteinurie als Anzeichen für einen Podozytenschaden bevorzugt werden. Eine Triple-Therapie mit Belimumab könnte bevorzugt verordnet werden, wenn ein hohes Schubrisiko und eine fortgeschrittene Nierenfunktionseinschränkung mit hohem Risiko für einen schnellen Progress vorliegen, da eine Post-hoc-Analyse der BLISS-LN-Studie2 gezeigt hat, dass Patienten unter einer Triple-Therapie mit Belimumab weniger Schübe und einen langsameren Nierenfunktionsverlust hatten als Patienten mit SOC, auch solche mit einer nichtnephrotischen Proteinurie.
Warum braucht man die Triple-Therapien und für wen reicht eine duale Induktionstherapie?
B. George: Die aktive proliferative Lupusnephritis (Klasse III/IV) ist eine aggressive Erkrankung, die zügig und suffizient therapiert werden muss. Auf eine Triple-Therapie sprechen mehr Patienten an als auf SOC alleine.2–5 Ob aber alle Patienten eine zusätzliche Therapie mit Voclosporin oder Belimumab benötigen, ist noch unklar. Bislang gibt es hierfür keine validierten Kriterien. Dadurch, dass in den Leitlinien parallel weiterhin der SOC empfohlen ist, bleibt dem behandelnden Arzt ein grosser Entscheidungsspielraum, ob er eines der beiden neuen Medikamente additiv einsetzt. Die Entscheidung sollte unabhängig von ökonomischen Überlegungen getroffen werden. Chronizitäts- oder Aktivitätszeichen in der Biopsie können bei der Entscheidung helfen. Eine Erweiterung der Therapie könnte auch denjenigen Patienten helfen, die aufgrund von Nebenwirkungen die empfohlene MPAA-Dosis nicht erreichen.
Die häufigsten akuten Komplikationen sind Infekte, insbesondere Pneumonien. Bei Patienten, bei denen mit einer höheren Rate für infektiöse Komplikationen zu rechnen ist, muss deshalb sehr gut abgewogen werden, ob eine Triple-Therapie von Vorteil ist.
Welche neuen Präparate, die zurzeit in klinischen Studien getestet werden, halten Sie für vielversprechend?
B. George: Durch ein besseres Verständnis der Pathomechanismen der Lupusnephritis haben sich viele denkbare neue Therapieansätze ergeben, die zum Teil schon in klinischen Studien getestet werden, unter anderem Anifrolumab, ein Typ-I-IFN-Rezeptorantagonist,6,7 Obinutuzumab, ein humanisierter Typ-II-Anti-CD20-Antikörper,8 und Secukinumab, ein Anti-IL17A-Antikörper.9
Literatur:
1 KDIGO 2024 Clinical practice guideline for the management of lupus nephritis. Kidney Int 2024; 105 (1S): S1-69 2 Furie R et al.: N Engl J Med 2020; 383: 1117-28 3 Furie R et al.: Clin J Am Soc Nephrol 2022; 17: 1620-30 4 Rovin BH et al.: Lancet 2021; 397: 2070-80 5 Rovin BH et al.: Kidney Int 2019; 95: 219-31 6 Clinicaltrials.gov, NCT05138133 7 Clinicaltrials.go, NCT02547922 8 Clinicaltrials.gov, NCT04221477 9 Clinicaltrials.gov, NCT04181762
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