Mahlzeiteninsulin bei Typ-2-Diabetes
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Wenn bei Typ-2-Diabetes der Blutzucker mit oralen Antidiabetika und Basalinsulin nicht genügend gesenkt werden kann, wird die Therapie oft mit einem Misch- oder Mahlzeiteninsulin erweitert. Praxistipps für den Einsatz von schnell wirksamen Insulinen gab Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Leitender Arzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich, am FOMF Diabetes Update Refresher.
Primär stelle sich die Frage, welcher Blutzuckerwert für eine gute Glukosekontrolle wichtiger sei, der Nüchternblutzucker und der postprandiale Blutzucker, sagte Lehmann. «Dies hängt vom HbA1c ab: Bei einem HbA1c <7% ist der Nüchternblutzucker zu 64% entscheidend, der postprandiale Blutzucker ist aber noch viel wichtiger, er fällt mit 94% ins Gewicht.»1 Bei höheren HbA1c-Werten ist es umgekehrt, hier ist der Nüchternblutzucker der wichtigere Faktor.
Eine Insulintherapie wird meist mit einem Basalinsulin gestartet. Genügt dies nicht, wird die Therapie intensiviert, indem zusätzlich ein schnell wirksames Insulin oder ein Mischinsulin gegeben oder ein Basis-Bolus-Schema etabliert wird. «Grundsätzlich sollte man die Insulintherapie intensivieren, wenn mit einer Basalinsulindosis von 0,5E/kgKG das HbA1c nicht genügend gesenkt werden kann», so der Referent. Dies, weil die Wirkung hinsichtlich der HbA1c-Verbesserung mit zunehmender Basalinsulindosis abnimmt. Ab einer Dosis von >0,5E/kgKG ist praktisch keine weitere Verbesserung der glykämischen Kontrolle mehr zu beobachten.2 Zudem kommt es bei höheren Basalinsulindosen zu einer zusätzlichen Gewichtszunahme.2
Insulin vor dem Essen spritzen
Welche Strategie soll gewählt werden? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, sich die pharmakologischen Eigenschaften der Insulinanaloge anzuschauen. Die Wirkung der normalen schnell wirksamen Analoginsulinen wie Lispro (Humalog®), Aspart (Novo Rapid®) und Glulisin (Apidra®) beginnt 15 bis 20 Minuten nach der Injektion und dauert 3 bis 4 Stunden. Bei den ultraschnell wirksamen Präparaten wie Fast Aspart (Fiasp®) und Fast Humalog (Lyumjev®) tritt die Wirkung bereits nach 5 bis 10 Minuten ein und hält ebenfalls 3 bis 4 Stunden an. Zum Vergleich dazu: Bei Actrapid, das dem natürlichen Pankreasinsulin entspricht, tritt die Wirkung nach 30 Minuten ein und dauert subkutan 6 bis 8 Stunden und im Blut 5 Minuten.
«Die Wirkung eines ultraschnell wirksamen Insulins tritt im Schnitt 12 Minuten schneller ein als mit einem schnell wirksamen Präparat.3 Dadurch wird eine stärkere Reduktion des postprandialen Blutzuckers erreicht4», erläuterte Lehmann. «Und wenn das ultraschnell wirksame Insulin nicht mit dem Essen, sondern bereits vor dem Essen injiziert wird, kann ein Anstieg des Blutzucker sogar praktisch verhindert werden.»
Die Empfehlung, das Insulin direkt vor Beginn der Mahlzeit zu spritzen, ist gemäss Lehmann meistens falsch. Der optimale Injektionszeitpunkt für schnell wirksame Insuline sei 30 Minuten vor dem Essen und für die ultraschnell wirksamen 15 bis 20 Minuten vor dem Essen. Nur wenn der Blutzucker schon vor der Mahlzeit sehr niedrig ist, ist es sinnvoll, das Insulin mit Beginn der Mahlzeit zu injizieren.
Bei Typ-2-Diabetes muss zudem beachtet werden, dass hier die Insulinsensitivität niedrig und die Kohlenhydratsensitivität hoch ist. Um einen starken Anstieg des postprandialen Blutzuckers zu verhindern, ist es deshalb wichtig, das schnell wirksame Insulin vor der Mahlzeit zu spritzen und zusätzlich die Kohlenhydratzufuhr zu reduzieren. Der postprandiale Blutzuckeranstieg lässt sich auch etwas verzögern, wenn zuerst Salat und Gemüse, Fleisch oder Fisch und erst danach kohlenhydratreiche Nahrungsmittel gegessen werden.
Tellermodel hilft bei Edukation
Die Dosis des Mahlzeiteninsulins hängt auch bei Typ-2-Diabetes von der Menge der Kohlenhydrate in der Mahlzeit ab. «Anders als beim Typ-1-Diabetes muss bei Typ-2-Diabetes jedoch nicht die genaue Kohlenhydratmenge berechnet werden. Die Betroffenen müssen aber zwischen einer kohlenhydratreichen und einer kohlenhydratarmen Mahlzeit unterscheiden können», so Lehmann. Das dazu nötige Kohlenhydratwissen lässt sich im Alltag mit dem Tellermodell einfach vermitteln. «Fragen Sie die Patient:innen, auf welchem Teller es am meisten Brot, Reis, Kartoffeln, Pasta oder Süssspeisen hat, und dann wissen sie, welches die kohlenhydratreichste Mahlzeit ist», riet der Referent.
Auch anhand des Blutzuckerprofils mit Messungen vor und eine Stunde nach dem Essen resp. mit einer kontinuierlichen Blutzuckermessung kann ermittelt werden, wie hoch der Blutzucker bei welcher Mahlzeit ansteigt.
Mischinsulin, koformuliertes Insulin oder Basis-Bolus?
Im Wesentlichen kann die Therapie auf zwei Arten ausgebaut werden (Abb. 1).5,6 Die eine Strategie besteht darin, ausgehend von Basalinsulin mit ein, zwei oder drei Injektionen eines Mahlzeiteninsulins allmählich ein Basis-Bolus-Schema aufzubauen. Für die Allgemeinpraxis und für Personen mit Typ-2-Diabetes ist dieses Schema jedoch oft zu komplex und kompliziert. «Das bessere Vorgehen bei Typ-2-Diabetes ist eine Therapieintensivierung mit einem Mischinsulin oder mit einem koformulierten Insulin», sagte Lehmann (Abb. 1).
Abb. 1: Intensivierung ausgehend von Basalinsulin (adaptiert nach ADA, 2017, und Mohan et al. 2017)5, 6
In der Schweiz ist mit Ryzodec® ein koformuliertes Insulin zugelassen. Es enthält einen Teil schnell wirksames Aspart (Asp) und zwei Teile ultralang wirksames Degludec (IDeg). «Für die meisten Personen mit Typ-2-Diabetes sind 15E IDeg/Asp zur Hauptmahlzeit eine gute Initialdosis. Das sind 10E des lang wirksamen Insulins und 5E des kurz wirksamen», so der Experte.
Koformuliertes Insulin vereinfacht Therapie und verbessert Adhärenz
Koformuliertes Insulin stellt im Vergleich zu Mischinsulinen auch insofern eine Vereinfachung der Therapie dar, als es nicht resuspendiert werden muss.6 «Das macht in der Praxis einen grossen Unterschied. Die allermeisten Patient:innen resuspendieren den Pen mit dem Mischinsulin nämlich nicht genügend – dafür müsste der Pen 15- bis 20-mal langsam auf den Kopf gestellt werden. Und es gibt auch immer wieder Patient:innen, die den Pen vor der Applikation gar nicht mischen und so einmal eine sehr hohe Konzentration und einmal nur Lösungsmittel applizieren», erklärte Lehmann. Ein weiterer Vorteil des koformulierten Insulins ist, dass es im Gegensatz zu den konventionellen Mischinsulinen mit NPH-Anteil das physiologische Insulinprofil imitiert und deshalb mit einem geringeren Hypoglykämierisiko behaftet ist.7–9 «All dies hat einen positiven Einfluss auf die Adhärenz», so der Diabetologe.
Die Wirksamkeit von koformuliertem Insulin und von konventionellen Mischinsulinen wurde in verschiedenen Studien verglichen. So zeigen die Daten beispielsweise, dass IDeg/Asp das HbA1c vergleichbar gut senkt wie das biphasische Insulin Aspart 30.10 Dies bei einer signifikanten Reduktion der Hypoglykämien um 32% am Tag und gar um 73% in der Nacht. Zudem führte IDeg/Asp zu einer besseren Kontrolle des Nüchternblutzuckers.10
In einem direkten Vergleich von IDeg/Asp 2x/d mit einem Basis-Bolus-Schema mit IDeg 1x/d und Asp 3x/d waren die Reduktion des HbA1c und die Kontrolle des Nüchternblutzuckers in beiden Armen vergleichbar.11 Auch in dieser Studie traten im IDeg/Asp-Arm weniger Hypoglykämien auf: tagsüber 10–14% und nachts 39% weniger als mit dem Basis-Bolus-Schema.11 «Das ist ein entscheidender Vorteil für das koformulierte Insulin: gleich gute Wirksamkeit wie mit dem Rolls-Royce der Insulinbehandlung, dem Basis-Bolus-Schema, aber viel weniger v.a. nächtliche Hypoglykämien, und dies mit zwei statt vier Injektionen», sagte Lehmann.
Wegen der genannten Vorteile empfiehlt er deshalb, bei Typ-2-Diabetes für die Intensivierung der Therapie das koformulierte Insulin dem Basis-Bolus-System und den konventionellen Mischinsulinen vorzuziehen.
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 3. bis 5. November 2022, Zürich
Literatur:
1 Woerle HJ et al.: Impact of fasting and postprandial glycemia on overall glycemic control in type 2 diabetes: Importance of postprandial glycemia to achieve target HbA1c levels. Diabetes Res Clin Pract 2007; 77: 280-5 2 Umpierrez GE et al.: When basal insulin is not enough: A dose-response relationship between insulin glargine 100 units/mL and glycaemic control. Diabetes Obes Metab 2019; 21: 1305-10 3 Heise T et al.: Pharmacological properties of faster-acting insulin aspart vs insulin aspart in patients with type 1 diabetes receiving continuous subcutaneous insulin infusion: A randomized, double-blind, crossover trial. Diabetes Obes Metab 2017; 19: 208-15 4 Bode BW et al.: Improved postprandial glycemic control with faster-acting insulin aspart in patients with type 1 diabetes using continuous subcutaneous insulin infusion. Diabetes Technol Ther 2017; 19: 25-33 5 American Diabetes Association: 8. Pharmacologic approaches to glycemic treatment. Diabetes Care 2017; 40 (Suppl 1): S64-74 6 Mohan V et al.: Consensus on initiation and intensification of premix insulin in type 2 diabetes management. J Assoc Physicians India 2017; 65: 59-73 7 Atkin S et al.: Insulin degludec and insulin aspart: novel insulins for the management of diabetes mellitus. Ther Adv Chronic Dis 2015; 6: 375-88 8 Kruszynska YT et al: Basal and 24-h C-peptide and insulin secretion rate in normal man. Diabetologia 1987; 30: 16-21 9 Philis-Tsimikas A: Initiating basal insulin therapy in type 2 diabetes: practical steps to optimize glycemic control. Am J Med 2013; 126 (9 Suppl 1): 21-7 10 Fulcher GR et al.: Comparison of insulin degludec/insulin aspart and biphasic insulin aspart 30 in uncontrolled, insulin-treated type 2 diabetes: a phase 3a, randomized, treat-to-target trial. Diabetes Care 2014; 37: 2084-90 11 Philis-Tsimikas A et al: Similar glycaemic control with less nocturnal hypoglycaemia in a 38-week trial comparing the IDegAsp co-formulation with insulin glargine U100 and insulin aspart in basal insulin-treated subjects with type 2 diabetes mellitus. Diabetes Res Clin Pract 2019; 147: 157-65
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