
Update EACS-Guidelines
Bericht:
Mag. Birgit Leichsenring
Medizinjournalistin
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Im schottischen Glasgow fand im November 2024 bereits zum 31. Mal die Conference on HIV Drug Therapy, kurz HIV Glasgow, statt. Eines der Highlights der Konferenz war die Vorstellung der aktuellen EACS-Guidelines, die Updates auf unterschiedlichsten Gebieten bringen. Aber auch die anderen Inhalte des Programms verdeutlichten die Diversität der Themen, mit denen Mediziner:innen und Patient:innen im HIV-Bereich konfrontiert sind.
Wie gewohnt bot sich beim HIV Glasgow den 2000 Teilnehmenden aus Medizin und Wissenschaft eine besondere Stimmung. Einer der Hauptgründe dabei ist, dass es kein Parallelprogramm gibt. Dadurch eignet sich diese Konferenz besonders gut zum Vernetzen und Austauschen. Davon abgesehen erhalten auch einzelne Themen Aufmerksamkeit, die ggf. ausserhalb des Spektrums klassischer Fragen zur antiretroviralen Therapie liegen, wie die folgende kleine Auswahl aufzeigt.
EACS-Guidelines: Update europäischer Therapierichtlinien
Auf europäischer Ebene können sich Mediziner:innen für die Langzeitbehandlung von Menschen mit HIV an den Therapieleitlinien der EACS (European AIDS Clinical Society) orientieren. Sie werden von renommierten HIV-Expert:innen jährlich nach neuster Datenlage aktualisiert und nationale Leitlinien nehmen meist Bezug darauf. Die im November 2024 vorgestellten Adaptierungen beinhalteten erneut unterschiedlichste Änderungen.1
Intervall der Viruslast-Bestimmung ausgeweitet
Um den nachhaltigen Erfolg einer HIV-Therapie sicherzustellen, sind regelmässige Statuskontrollen in der Betreuung unumgänglich. Parameter wie Viruslast und CD4-Zellzahl sind essenziell. Bei Patient:innen unter stabiler Therapie und ohne weitere Risikofaktoren wurden die empfohlenen Intervalle für die Messung der Viruslast sowie die Bestimmung der CD4-Zellzahl erweitert. Statt eines Zeitraums von 3 bis 6 Monaten ermöglichen die aktuellen Richtlinien mit einem Intervall von 3 bis 12 Monaten mehr Flexibilität.1
Breiter Einsatz von Statinen
Aus diversen Gründen besteht bei Menschen mit HIV ein höheres Risiko für kardiovaskuläre (CV) Erkrankungen. Insbesondere mit steigender Lebenserwartung der gesamten Kohorte gewinnt das Thema zunehmend an Bedeutung. Die Phase-III-Studie REPRIEVE hatte etwa 7800 Menschen mit HIV aus 12 Ländern eingeschlossen, die ein niedriges bis mittleres Risiko für ASCVD («atherosclerotic cardiovascular disease») aufwiesen.2 Verglichen wurden Pitavastatin (4mg QD) und Placebo, als primärer Endpunkt war das Auftreten eines schwerwiegenden kardialen Ereignisses («major adverse cardiac event»; MACE) definiert. Nach etwa 5 Jahren wurde die Studie abgebrochen, da sich unter Pitavastatin eine 35%ige Reduktion des Risikos für ein schweres CV Ereignis gezeigt hatte.2
US-amerikanische Therapieempfehlungen für Menschen mit HIV hatten auf Basis dieser Daten einen breiteren Einsatz von Statinen im Frühjahr 2024 aufgenommen, nun folgten die EACS-Guidelines.1 Auch fürMenschen mit HIV und geringem CV Risiko sollte ab einem Alter von 40 Jahren die Einnahme eines Statins diskutiert werden.
NAFDL und NASH umbenannt
Die von Hepatolog:innen erarbeitete und Ende 2023 publizierte Änderung in der Nomenklatur von Fettlebererkrankungen fand nun Einzug in die EACS-Guidelines. Hintergrund der Änderungen ist das Vermeiden von negativen Wertungen und Stigmatisierungen durch die Begriffe «non-alcohol» und «fatty». Als übergeordneter Begriff wird steatotische Lebererkrankung («steatotic liver disease»; SLD) eingesetzt. Die «non-alcoholic fatty liver disease» (NAFLD) wurde umbenannt in «metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease» (MASLD). Analog dazu wird die «non-alcoholic steato-hepatitis» (NASH) neu als «metabolic dysfunction-associated steato-hepatitis» bezeichnet (MASH).
Vergleichbare Änderungen im Sprachgebrauch gibt es auch in der HIV-Medizin: So wird etwa die Bezeichnung «HIV-positiv» nicht mehr verwendet, sondern von Menschen mit HIV gesprochen und der Begriff «late presenter» wurde durch «late presentation» ersetzt.1
PEP-Indikation aktualisiert
Die HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP) kann bei rechtzeitigem Einsatz nach Exposition die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion deutlich senken. Da das Transmissionsrisiko grundsätzlich proportional zur Virusmenge steigt, nehmen die PEP-Leitlinien Bezug auf die Viruslast der Indexperson.
Bislang wurde in den EACS-Guidelines jeder Blutkontakt mit Schleimhaut (über 15 Minuten) oder mit geschädigter Haut als PEP-Indikation gewertet. Nun wurde diese Indikation nach Viruslast differenziert. Ein substanzielles Übertragungsrisiko und damit auch eine PEP-Indikation im Fall dieser Art des Blutkontakts sind nur noch bei virämischen Indexpersonen gegeben.1
PrEP mit doppelter Dosis starten
Die HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) und damit die Einnahme von HIV-Medikamenten als Schutz vor einer HIV-Infektion haben sich als hocheffektive Präventionsmassnahme bewiesen. Für die orale PrEP werden zwei verschiedene Einnahmeschemata eingesetzt: einerseits eine täglich einzunehmende PrEP und andererseits eine anlassbezogene PrEP in Form von zwei PrEP-Tabletten vor und jeweils eine Tablette an den beiden Tagen nach einem Sexualkontakt. Die Datenlage variiert dabei deutlich in Art und Umfang der Studien wie auch in Bezug auf involvierte Bevölkerungsgruppen. Basierend auf pharmakodynamischen Studien empfehlen die aktualisierten EACS-Leitlinien, bei beiden PrEP-Schemata mit einer doppelten Dosis zu starten, um die Zeit, bis ein protektiver Wirkstoffspiegel erreicht ist, zu verkürzen.1
«Long-acting» Cabotegravir als PrEP-Option
Zusätzlich zur oralen PrEP (Kombinationspräparat TDF/FTC bzw. ggf. TAF/FTC) wurde Ende 2023 von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA die «long-acting» Substanz Cabotegravir als PrEP zugelassen. Es handelt sich um einen Integrase-Inhibitor, der nach Einstellungsphase alle zwei Monate als Injektion i.m. appliziert wird. Studien hatten die Effektivität bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), bei trans* Frauen sowie bei cis* Frauen gezeigt. Bislang sahen die EACS-Guidelines Cabotegravir ausschliesslich für Personen mit Kontraindikation für TDF/FTC vor. Die aktualisierte Version formuliert nun offener, dass «long-acting» Cabotegravir als Alternative in Betracht gezogen werden kann, sofern diese PrEP verfügbar sei.1
Chemsex neu aufgenommen
In die EACS-Guidelines neu aufgenommen wurde ein Kapitel zu Chemsex. Damit erkennt die EACS das Thema Chemsex klar als potenzielles Gesundheitsrisiko und Bestandteil einer umfassenden Betreuung von Patient:innen mit HIV an. Der Begriff Chemsex beschreibt im Regelfall den Konsum von Metamphetamin, Mephedron und/oder GHB/GBL beim Sex zwischen Männern. Studien zufolge liegt die Prävalenz von Chemsex in der Gruppe MSM in Europa bei 16%. Die EACS bietet eine übersichtliche Orientierung, bei welchen Personen mit HIV ein anamnestisches Screening auf Chemsex stattfinden sollte. Ein kurzer Fragebogen gibt Ärzt:innen konkrete Anhaltspunkte für weitere Schritte, etwa die Überweisung an eine Suchthilfeeinrichtung.1
Europaweite Umfrage unter «healthcare professionals» zu Diskriminierung
Eine HIV-Infektion ist für viele Patient:innen nach wie vor mit Diskriminierung und Stigmatisierung verbunden, wie Umfragen unter Menschen mit HIV, aber auch in der Gesamtbevölkerung belegen. An einer solchen Umfrage des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) von 2023 nahmen knapp 3300 Menschen mit HIV aus 54 Ländern teil. Sie zeigte, dass 31% Gesundheitsangebote aus Sorge vor Andersbehandlung vermieden. 33% gaben an, bereits eine Schlechterbehandlung im Gesundheitssystem erfahren zu haben, bei 23% wurde aufgrund des HIV-Status eine Behandlung verweigert oder verzögert.
Eine nun in Glasgow präsentierte aktuelle Studie der ECDC zeigte das Thema von einer anderen Seite auf: Befragt wurden Mitarbeiter:innen des Gesundheitssystems. 18430 Personen beantworteten einen Fragebogen, der von der ECDC in Kooperation mit der EACS erarbeitet worden war.3 52% waren im Alter zwischen 25 und 44 Jahren, 44% waren Ärzt:innen, 22% Pflegefachpersonen, 58% arbeiteten im Spitalbereich und 18% in Abteilungen für Infektiologie oder mit HIV-Spezialisierung.
Mehr als die Hälfte der Befragten berichteten von Sorgen im Umgang mit Menschen mit HIV, z.B. bei Blutabnahmen (57%) oder im Wundmanagement (53%). 26% verwenden in der Pflege in Zusammenhang mit HIV zwei Paar Handschuhe und 8% vermeiden den Körperkontakt zu den Patient:innen gänzlich.3
Interessant war auch die Frage nach beobachteter Andersbehandlung von Menschen mit HIV im eigenen Arbeitsumfeld. So beobachteten 18% eine schlechtere Behandlungsqualität, 19% ein ungefragtes Offenlegen des HIV-Status und 30% diskriminierende Bemerkungen gegenüber den Patient:innen im Laufe des vergangenen Jahres (Abb. 1).3
Abb. 1: Ein signifikanter Anteil der «healthcare professionals» (HCP) (18–30%) beobachtete diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen mit HIV am Arbeitsplatz (modifiziert nach ECDC 2024)3
Diese Daten kann man in zweierlei Hinsicht kommentieren: einerseits, dass berichtete Diskriminierung im Gesundheitssystem nicht einer eventuellen Verzerrung der Wahrnehmung von Patien:innen entspringt. Und andererseits, dass viele Mitarbeiter:innen dem Thema aufmerksam gegenüberstehen und Ungleichbehandlung registrieren.
Quelle:
Conference on HIV Drug Therapy, 10. bis 13. November 2024, Glasgow
Literatur:
1 EACS Guidelines Version 12.1, November 2024: https://eacs.sanfordguide.com/; zuletzt aufgerufen am 10.2.2025 2 Grinspoon SK et al.: Pitavastatin to prevent cardiovascular disease in HIV Infection. N Engl J Med 2023; 389: 687-99 3 ECDC: HIV stigma in the healthcare setting. Monitoring implementation of the Dublin Declaration on partnership to fight HIV/AIDS in Europe and Central Asia. 2024: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/hiv-stigma-healthcare-setting-monitoring-implementation-dublin-declaration ; zuletzt aufgerufen am 10.2.2025
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