Schwere blasenbildende Hautreaktionen
Autoren:
Dr. med. Rüdiger Panzer
Prof. Dr. med. Steffen Emmert
Pavel Grünwald
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie
Zentrum für seltene Hauterkrankungen
Universitätsmedizin Rostock
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Erst 1993 wurden das Erythema exsudativum multiforme (EEM), das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) in einem internationalen Konsens allgemeingültig definiert.1 Während SJS und TEN aufgrund morphologischer, prognostischer und ätiopathogenetischer Gemeinsamkeiten weiterhin als ein Kontinuum verstanden werden können, stellt das EEM (mit oder ohne Schleimhautbeteiligung) entgegen der zuvor teilweise vertretenen Ansicht eine eigenständige, davon abzugrenzende Erkrankung dar.2
Keypoints
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Das Erythema exsudativum multiforme (EEM) einerseits und das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS)/toxische epidermale Nekrolyse (TEN) andererseits stellen zwei unterschiedliche Erkrankungen dar.
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Das EEM wird fast ausnahmslos durch Infekte (meist Herpes simplex oder Mycoplasma pneumoniae) ausgelöst.
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SJS/TEN ist – zumindest bei Erwachsenen – ganz überwiegend eine schwere Arzneimittelreaktion.
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Bei der Therapie von SJS/TEN muss neben einer schnellen Immunsuppression der erhöhten Infektionsgefahr durch die epidermale Ablösung Rechnung getragen werden.
Diagnostik und Ätiologie
Eine klinische Zuordnung der Entitäten bieten die Morphe der Einzelläsionen und das Verteilungsmuster des Exanthems (Tab. 1). Besonders am Krankheitsbeginn kann die Differenzierung zwischen SJS (Stevens-Johnson-Syndrom)/TEN (toxische epidermale Nekrolyse) und einem makulopapulösen Exanthem schwierig sein. Eine Epidermolyse kann klinisch durch das direkte Nikolski-Phänomen nachgewiesen werden, bei dem auf scheinbar kohärenter Haut durch tangentialen Fingerdruck leicht eine Hautablösung provoziert werden kann.2 Im Falle einer Hautablösung von weniger als 10% der Körperoberfläche (KOF) liegt ein SJS, bei 10 bis 30% der KOF ein SJS/TEN-Overlap, bei mehr als 30% eine TEN vor. Typische, scharf begrenzte Kokarden, die mindestens aus drei Zonen (zum Beispiel zwei konzentrische Ringe um eine zentrale epidermale Läsion) bestehen, weisen auf ein Erythema exsudativum multiforme (EEM) hin.1
Tab. 1: Konsensusklassifikationen schwerer blasenbildender Hautreaktionen. Abk.: EEMM, Erythema exsudativum multiforme majus; SJS, Stevens-Johnson-Syndrom; TEN, toxische epidermale Nekrolye; KOF, Körperoberfläche. Modifiziert nach Bastuji-Garin S et al.1
Bei Verdacht auf SJS/TEN sollten Biopsien histologisch und ggf. auch immunfluoreszenzoptisch beurteilt werden. Die subepidermale oder suprabasale Blasenbildung bei SJS/TEN kann an einem Kryostatschnitt schnell und sicher von der subkornealen des «staphylococcal scalded skin syndrome» (SSSS) unterschieden werden.2
Die Ätiologie der beiden Erkrankungen EEM und SJS/TEN unterscheidet sich bei Erwachsenen grundsätzlich: Während beim EEM fast immer eine Infektion (v.a. Herpes-simplex-Virus oder Mycoplasma pneumoniae) ursächlich ist, sind es beim SJS/TEN meist Arzneimittel. Allopurinol, Carbamazepin, Lamotrigin, antibakterielle Sulfonamide, Sulfasalazin, Phenobarbital, Phenytoin, Nevirapin sowie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) vom Oxicam-Typ (Meloxicam, Piroxicam) weisen bei prädisponierten Individuen ein hohes Risiko für die Auslösung von SJS/TEN auf. Ein moderates Risiko geht von Cephalosporinen, Gyrasehemmern, Makroliden, Tetrazyklinen und NSAR vom Phenylessigsäure-Typ (z.B. Diclofenac) aus. Für Betablocker, ACE(Angiotensin-converting-Enzym)-Hemmer, Kalziumantagonisten, Insulin, Sulfonamid-Diuretika und -Antidiabetika sowie die NSAR vom Propionsäure-Typ (z.B. Ibuprofen) konnte kein erhöhtes Risiko für die Auslösung von SJS/TEN festgestellt werden. Dabei sind nur solche Medikamente als ursächlich in Betracht zu ziehen, die seit mindestens 4 bis maximal 28 Tagen zum ersten Mal kontinuierlich eingenommen wurden.3
Vor allem bei Kindern und Jugendlichen können allerdings in bis zu 50% der Fälle auch virale Infekte SJS/TEN auslösen.4 SJS/TEN sind neben anderen schweren Arzneimittelreaktionen mit einigen Polymorphismen der humanen Leukozyten-Antigene (HLA) assoziiert. Besonders der Haplotyp HLA-B*15:02 muss bei vielen südostasiatischen Ethnien als Biomarker für Carbamazepin-assoziierte SJS/TEN herangezogen werden.5
Die Prognoseeinschätzung bei einer SJS/TEN-Erkrankung sollte anhand des sog. «score of toxic epidermal necrolysis» (SCORTEN) innerhalb der ersten fünf Erkrankungstage erfolgen (Tab. 2).6
Tab. 2: SCORTEN anhand unabhängiger Prognosefaktoren und Einschätzung des Letalitätsrisikos. Abk.: SCORTEN, «score of toxic epidermal necrolysis»; KOF, Körperoberfläche. Modifiziert nach Bastuji-Garin S et al.6
Therapiemöglichkeiten
Das EEM bedarf in der Regel lediglich einer symptomatischen Behandlung. Im Falle einer Augenschleimhautbeteiligung sollte jedoch frühzeitig eine augenärztliche Mitbehandlung zur Symblepharonprophylaxe erfolgen.2 Eine ggf. identifizierte ursächliche Infektion sollte spezifisch behandelt werden. Nach Ausbruch des EEM führt Aciclovir bei zugrunde liegender Herpesinfektion jedoch nicht zu einem rascheren Abklingen des Exanthems und kann somit nur als Prophylaxe für rezidivierende Herpes-assoziierte EEM-Erkrankungen empfohlen werden.7
Abb. 1: Haut- und Schleimhautbefund bei Stevens-Johnson-Syndrom/toxischer epidermaler Nekrolyse
Bei den schwerer verlaufenden SJS und TEN steht einer raschen Immunsuppression ein erhöhtes Infektionsrisiko bei grossflächiger Hautablösung gegenüber. Ein positiver Effekt auf Progression und Letalität scheint am ehesten von Ciclosporin (3mg/kg Körpergewicht pro Tag über 10 Tage) auszugehen.8 Auch kurzfristig gegebene systemische Glukokortikoide (beispielsweise Prednisolon 1–2mg/kg Körpergewicht pro Tag) wirken sich quoad vitam positiv aus.9 Eine Infektionsprophylaxe mit adäquater Wund- und Barrierepflege ist dabei stets Voraussetzung. Intravenöse Immunglobuline reduzieren nach aktuellen Metaanalysen wahrscheinlich die Letalität nicht ausreichend.10
In Deutschland kann Hilfe bei der Diagnostik und Therapie dieser Krankheiten vom Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen (dZh) an der Universitätsklinik für Dermatologie Freiburg eingeholt werden.
Literatur:
1 Bastuji-Garin S et al.: Clinical classification of cases of toxic epidermal necrolysis, Stevens-Johnson syndrome, and erythema multiforme. Arch Dermatol 1993; 129(1): 92-6 2 Grünwald P et al.: Erythema multiforme, Stevens-Johnson syndrome/toxic epidermal necrolysis - diagnosis and treatment. J Dtsch Dermatol Ges 2020; 18(6): 547-53 3 Mockenhaupt M et al.: Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis: assessment of medication risks with emphasis on recently marketed drugs. The EuroSCAR-study. J Invest Dermatol 2008; 128(1): 35-44 4 Krüger D et al.: Stevens-Johnson-Syndrom/toxisch epidermale Nekrolyse im Kindes- und Jugendalter: Häufigkeit, Ausprägung und Auslöser. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 64-79 5 Yip VL et al.: HLA genotype and carbamazepine-induced cutaneous adverse drug reactions: a systematic review. Clin Pharmacol Ther 2012; 92(6): 757-65 6 Bastuji-Garin S et al.: SCORTEN: a severity-of-illness score for toxic epidermal necrolysis. J Invest Dermatol 2000; 115(2): 149-153 7 Schofield JK et al.: Recurrent erythema multiforme. Clinical features and treatment in a large series of patients. Br J Dermatol 1993; 128(5): 542-5 8 González-Herrada C et al.: Cyclosporine use in epidermal necrolysis Is associated with an important mortality reduction: evidence from three different approaches. J Invest Dermatol 2017; 137(10): 2092-100 9 Zimmermann S et al.: Systemic immunomodulating therapies for Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis: a systematic review and meta-analysis. JAMA Dermatol 2017; 153(6): 514-22 10 Schneck J et al.: Effects of treatments on the mortality of Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis: a retrospective study on patients included in the prospective EuroSCAR Study. J Am Acad Dermatol 2008; 58(1): 33-40
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