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Trichoskopie in der nicht invasiven Diagnostik von Haar- und Kopfhauterkrankungen
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Verena Ahlgrimm-Siess
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg<br> E-Mail: v.ahlgrimm-siess@salk.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Die Trichoskopie (auflichtmikroskopische Untersuchung von Haaren und Kopfhaut) wird immer öfter in der dermatologischen Routinediagnostik von Haar- und Kopfhauterkrankungen eingesetzt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Untersuchung einfach durchführbar ist und ohne besondere Hilfsmittel auskommt. Richtungsweisende diagnostische Befunde können mit geringem Zeitaufwand erhoben werden. Die Methode ist nicht invasiv und schmerzlos, weshalb sie von den Patienten gut akzeptiert wird.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Trichoskopie erlaubt eine rasche, schmerzlose Diagnostik bei Haar- und Kopfhauterkrankungen.</li> <li>Neben den häufigen Haarausfallserkrankungen können auch Erkrankungen der Kopfhaut, Infestationen und (genetische) Haarschaftveränderungen diagnostiziert werden.</li> <li>Die erhobenen Befunde sollten immer in Zusammenschau mit Patientengeschichte, klinischem Befund und Haarzugtest beurteilt werden.</li> </ul> </div> <p>Die klinische Diagnose von Haar- und Kopfhauterkrankungen kann besonders in frühen Stadien und bei gleichzeitigem Vorliegen verschiedener Haarerkrankungen eine große Herausforderung darstellen. Die Trichoskopie ermöglicht in Ergänzung zu Anamnese, klinischer Untersuchung und Haarzugtest eine weiterführende Untersuchung von Haarschäften, Haarfollikelöffnungen und interfollikulärer Kopfhaut.<br /> Für die trichoskopische Untersuchung ist in der Regel ein einfaches Handdermatoskop ausreichend (10 -fache Vergrößerung).<sup>1</sup> Die Videodermatoskopie ermöglicht durch stärkere Vergrößerung (bis 140 x) eine bessere Beurteilung von Blutgefäßen und Haarschaftveränderungen und kann daher besonders bei entzündlichen Kopfhauterkrankungen oder Vorliegen von (genetischen) Haarschaftanomalien hilfreich sein. Der große Vorteil der Videodermatoskopie liegt aber vor allem in der Möglichkeit zur Dokumentation und Verlaufskontrolle von Haarerkrankungen unter Therapie. Zudem werden von einigen Herstellern Softwareprogramme zur Haaranalyse angeboten. Diese erlauben neben der Erstellung eines digitalen Trichogramms (Beurteilung der Anagen/ Telogen-Ratio) unter anderem auch die Messung von Haardichte, Haardicke und der Vellus-/Terminalhaar-Ratio unter Therapie.</p> <h2>Anwendungsgebiete</h2> <p>Am häufigsten kommt die Trichoskopie in der Diagnostik von Haarausfallserkrankungen zum Einsatz.<sup>2</sup> Die gemeinsame Beurteilung von Haarwuchsmuster, Haarschaft- und Kopfhautveränderungen erlaubt in Zusammenschau mit Anamnese, klinischem Befund und Haarzugtest in der Mehrzahl der Fälle eine nicht invasive Diagnose von klinisch ähnlichen Haarausfallserkrankungen. Die Trichoskopie hat aus diesem Grund das schmerzhafte und aufwendige Trichogramm in der Haardiagnostik nahezu vollständig verdrängt.<sup>3</sup> In Einzelfällen, wie etwa beim „loose anagen hair syndrome“ und seltenen genetischen Haarschafterkrankungen, kann jedoch eine lichtmikroskopische Untersuchung der Haare sinnvoll sein.<br /> Die Trichoskopie ist auch bei der Diagnose von Erkrankungen der Kopfhaut ohne Haarbeteiligung hilfreich, zum Beispiel bei der Abgrenzung einer Kopfhautpsoriasis von einer seborrhoischen Dermatitis aufgrund der unterschiedlichen Gefäßmorphologie. Daneben können Kopflausinfestationen rasch und einfach nachgewiesen werden. Zuletzt ermöglicht die Trichoskopie die Darstellung der meisten erworbenen und genetischen Haarschaftveränderungen, wie zum Beispiel der Trichorrhexis nodosa beim Netherton-Syndrom.</p> <h2>Untersuchungsablauf</h2> <p>Während der Untersuchung sollten alle Kopfhautareale beurteilt werden, die Temporalregion ist wegen der im Vergleich zur restlichen Kopfhaut bereits primär vorliegenden geringeren Haardichte zur Beurteilung diffuser Haarausfallserkrankungen nicht geeignet.<sup>4</sup> Liegt ein fokaler Haarverlust vor, sollte sowohl das Zentrum des alopezischen Herdes als auch der Randbereich untersucht werden. Wegen des üblicherweise zentrifugalen Voranschreitens fokaler Haarausfallserkrankungen können im aktiven Randbereich zumeist richtungsweisende Veränderungen gefunden werden, auch wenn sich im zentralen, haarlosen Bereich ein unspezifischer Befund findet. Im Falle der zumeist fokal auftretenden vernarbenden Alopezien kann eine zentral vorliegende Fibrosierung mit konsekutivem Verlust von Follikelöffnungen aber ebenfalls einen wichtigen Hinweis auf die Krankheitsgenese geben.<br /> Bei der auflichtmikroskopischen Untersuchung empfiehlt es sich, zunächst polarisiertes Licht zu verwenden und auf ein Immersionsmedium zu verzichten, da helle und nicht pigmentierte Haare ebenso wie Schuppen durch Verwendung von Immersionsmedien transluzent werden. Sie kommen dann nicht oder unzureichend zur Darstellung, wodurch wichtige Befunde übersehen werden können. Für die Untersuchung der Kopfhaut ist die Verwendung eines Immersionsmediums jedoch von Vorteil, zum Beispiel zur besseren Darstellung der Gefäßmorphologie bei erythematosquamösen Erkrankungen der Kopfhaut.<br /> Liegt ein trichoskopischer Normalbefund vor, finden sich gleichmäßig verteilte Haarfollikelöffnungen, aus denen üblicherweise 2–3 Terminalhaare ragen (follikuläre Einheit).<sup>5</sup> Die Haarschaftdicke ist im Bereich der gesamten Kopfhaut in der Mehrzahl der Haare konstant (> 80 %) und das Verhältnis von Terminal- und Vellushaaren beträgt etwa 8:1. Die Kopfhaut erscheint glatt und blassrosa, wobei sich einzelne Gefäße als feine, Haarnadel-förmige Strukturen (Kapillaren der dermalen Papillen) und arborisierende Linien größeren Durchmessers (subpapillärer Gefäßplexus) darstellen. Ein honigwabenartiges Muster im Bereich der Kopfhaut (ähnlich dem Pigmentnetzwerk melanozytärer Nävi) liegt bei dunklen Hauttypen als Normalbefund vor und kann bei hellen Hauttypen ein Hinweis auf eine chronische Sonnenexposition sein.</p> <h2>Fallbeispiele aus der Routine</h2> <p>Der Nutzen der Trichoskopie in der Routinediagnostik soll im Folgenden anhand von zwei Fallbeispielen mit anschließender Diskussion veranschaulicht werden.</p> <p>Eine 44-jährige Patientin wird wegen starken Haarausfalls, der seit einem Jahr besteht, in unserer Ambulanz vorstellig, da sie befürchtet, bald kahl zu sein (Abb. 1A– C). Es bestehen keine Grunderkrankungen, weshalb die Patientin keiner Dauermedikation bedarf, und alle laborchemisch erhobenen Befunde sind unauffällig. Klinisch ist keine Haarlichtung zu erkennen, obwohl die Patientin glaubhaft versichert, dass das Haarvolumen abgenommen habe (Abb. 1A). Auflichtmikroskopisch zeigt sich in allen Kopfhautarealen ein unauffälliger Befund (Abb. 1B), der Haarzugtest ist jedoch positiv (Abb. 1C).<br /> <em>Diagnose:</em> Idiopathisches chronisches Telogeneffluvium</p> <p>Eine 59-jährige Patientin berichtet über starken Haarausfall seit 4 Wochen (Abb. 1D–F). Sie habe vor 3 Monaten an einer schweren Gastritis gelitten und nehme wegen ihres erhöhten Blutdrucks seit Jahren ein Antihypertensivum. Die Laboruntersuchungen sind bis auf gering erhöhte Leberfermente unauffällig. Klinisch zeigt sich eine am Oberhaupt betonte Haarlichtung (Abb. 1D). In der Trichoskopie finden sich in diesem Bereich eine deutliche Varianz der Haarschaftdicke und ein Überwiegen von Follikelöffnungen, aus denen nur ein Terminalhaar austritt (Abb. 1E), während okzipital ein Normalbefund vorliegt. Der Haarzugtest ist in allen Kopfhautarealen positiv, am deutlichsten im Bereich des Oberhauptes (Abb. 1F).<br /> <em>Diagnose:</em> Akutes Telogeneffluvium bei vorbestehender androgenetischer Alopezie</p> <p>Beide Patientinnen berichten über einen diffusen Haarausfall, der am häufigsten beim Telogeneffluvium, seltener bei der diffusen Alopezia areata und in aktiven Phasen einer androgenetischen Alopezie zu finden ist.<br /> Bei der klinischen Untersuchung der ersten Patientin fehlt eine objektivierbare Haarlichtung, obwohl der Haarzugtest positiv ist. In Verbindung mit der angegebenen Dauer des verstärkten Haarverlustes sprechen diese Befunde bei Fehlen von Laborveränderungen und einer negativen Medikamentenanamnese für das Vorliegen eines idiopathischen chronischen Telogeneffluviums. Diese Annahme kann durch den Nachweis eines Normalbefundes in der Trichoskopie bestätigt werden; fehlende Haarschaftveränderungen und unauffällige follikuläre Einheiten schließen eine (zusätzlich) bestehende Alopezia areata diffusa oder androgenetische Alopezie aus. Die Patientin kann also beruhigt werden, ein Kahlwerden ist auch ohne weitere Therapie nicht zu erwarten. Lediglich eine leichte Ausdünnung im Schläfenbereich kann im Verlauf häufiger auftreten.<br /> Bei der zweiten Patientin zeigt die klinische Untersuchung eine am Oberhaupt betonte Haarlichtung. Dieses Haarausfallsmuster lässt primär an eine androgenetische Alopezie (weiblicher Typ) denken, bei der in aktiven Phasen kurzzeitig ein vermehrter Haarverlust auftreten kann. Neben der androgenetischen Alopezie kann auch die Alopezia areata diffusa eine stärkere Ausprägung in Androgen-abhängigen Arealen zeigen. Schließlich kommt, auch wegen der anamnestischen Angaben, ein (zusätzliches) Telogeneffluvium infrage.<br /> Beim Haarzugtest lassen sich in allen Kopfhautarealen vermehrt Telogenhaare ausziehen, dies spricht am ehesten für das Vorliegen eines Telogeneffluviums oder einer diffusen Alopezia areata; bei der androgenetischen Alopezie ist während aktiver Phasen nur in den Androgen-abhängigen Arealen ein positiver Haarzugtest zu erwarten.<br /> In der auflichtmikroskopischen Untersuchung finden sich als Korrelat der klinischen Haarlichtung am Oberhaupt Zeichen der progressiven Miniaturisierung von Haarfollikeln unter dem Einfluss von Dihydrotestosteron.<sup>6</sup> Der Haarbefund im Bereich nicht Androgen-abhängiger Areale (Okziput) ist bei der Patientin unauffällig.<br /> Das Vorliegen eines positiven Haarzugtests auch in nicht Androgen-abhängigen Arealen spricht gemeinsam mit der Anamnese und den für eine androgenetische Alopezie typischen Haarveränderungen am Oberhaupt für das Vorliegen eines akuten Telogeneffluviums bei vorbestehender androgenetischer Alopezie. Der Patientin wird die Einleitung einer Therapie mit topischem Minoxidil empfohlen, die auch nach Abklingen des verstärkten Haarausfalls fortgeführt werden sollte.<br /> Die Trichoskopie zeigt also bei beiden Patientinnen charakteristische Befunde, die in Zusammenschau mit Anamnese, Klinik und Haarzugtest eine eindeutige Diagnose und entsprechende Beratung bzw. Therapieempfehlung erlauben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Derma_1902_Weblinks_jatros_derma_1902_s25_abb1.jpg" alt="" width="650" height="613" /></p> <h2>Fazit für die Praxis</h2> <p>Die Trichoskopie erweist sich als einfach durchführbare diagnostische Methode bei Haar- und Kopfhauterkrankungen und ist daher für die Routinediagnostik geeignet. Die erhobenen Befunde sollten immer in Zusammenschau mit Patientengeschichte, klinischem Befund und Haarzugtest beurteilt werden. Eine weiterführende bioptische oder laborchemische Untersuchung kann zusätzlich erforderlich sein.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Karadağ Köse Ö et al.: Clinical evaluation of alopecias using a handheld dermatoscope. J Am Acad Dermatol 2012; 67(2): 206-14 <strong>2</strong> Inui S: Trichoscopy for common hair loss diseases: Algorithmic method for diagnosis. J Dermatol 2011; 38(1): 71-5 <strong>3</strong> Galliker NA, Trüeb RM: Value of trichoscopy versus trichogram for diagnosis of female androgenetic alopecia. Int J Trichology 2012; 4(1): 19-22 <strong>4</strong> Mubki T et al.: Evaluation and diagnosis of the hair loss patient: part I. History and clinical examination. J Am Acad Dermatol 2014; 71(3): 415.e1-15 <strong>5</strong> Rakowska A: Trichoscopy (hair and scalp videodermoscopy) in the healthy female. Method standardization and norms for measurable parameters. J Dermatol Case Rep 2009; 3(1): 14-9 <strong>6</strong> Rakowska A et al.: Dermoscopy in female androgenic alopecia: method standardization and diagnostic criteria. Int J Trichology 2009; 1(2): 123-30</p>
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</p>
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