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Das sagt ein Ethikexperte zur neuen Sterbehilfedebatte

Eine neue Sudizikapsel macht derzeit Schlagzeilen. Ethikexperte Markus Zimmermann von der Universität Fribourg erklärt, was dahintersteckt.

Eine Suizidkapsel eines australischen Unternehmens schlug in der Schweiz hohe Wellen – warum?
Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei Gründe. Wann auch immer es nur das kleinste Ereignis rund um diese Suizidkapsel gegeben hat, wurde darüber sogleich medial berichtet. Das Thema kam auch zu einem geeigneten Zeitpunkt, um das Sommerloch zu füllen. Andererseits wollte die Firma, die die Suizidkapsel entwickelte, mit der Erfindung bewusst in die Schweiz kommen. Dafür wurde sogar der englischsprachige Verein «The Last Resort» gegründet, obwohl es in der Schweiz bereits genügend Organisationen wie «Exit Deutsche Schweiz» gibt, die sich mit der Suizidhilfe befassen. Obgleich ich dem assistierten Suizid skeptisch gegenüberstehe, würde ich bescheinigen, dass Organisationen wie «Exit Deutsche Schweiz» ihre Arbeit seriös und überlegt durchführen. Die Inszenierung der Suizidkapsel vor dem Matterhorn hingegen war für mich von Anfang an merkwürdig. Das Sterben eines Menschen wird durch die Suizidkapsel und das dazugehörige Marketing banalisiert.

Trotz einer unseriösen Vorgehensweise sollte man das Vorhaben, die Suizidkapsel in die Schweiz zu bringen, aber nicht unterschätzen?
Nein. Die Debatte könnte dazu führen, dass der Gesetzgebungsprozess in der Schweiz beschleunigt wird. Im Moment haben wir eine äusserst liberale Regelung. Jede gesetzliche Regelung wäre vermutlich weniger liberal. Aus Sicht der Sterbehilfe-Organisationen wäre das kaum zu begrüssen.

Also sollte es Ihrer Meinung nach keine neuen Gesetze in diesem Bereich geben?
Doch, meines Erachtens schon, auch wenn das bislang und seit etwa zwanzig Jahren erfolglos versucht wurde. Das Wichtigste aus ethischer Sicht ist meines Erachtens, dass die Organisationen staatlich beaufsichtigt werden, ihre Arbeit also von aussen kontrolliert wird. Derzeit liegen Kontrolle und Überprüfung der Kriterien weitgehend bei den Organisationen selbst. Und das bei einer Inzidenz von etwa 1500 Fällen von assistiertem Suizid pro Jahr. Das halte ich für nicht verantwortbar. Dadurch entsteht auch eine grosse Rechtsungleichheit, denn die Organisationen entscheiden, welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit ein assistierter Suizid durchgeführt wird. Eine interessante Erfahrung der vergangenen Jahre besteht darin, dass Bemühungen zugunsten einer beziehungsweise gegen eine gesetzliche Neuregelung des assistierten Suizids nicht den Parteilinien entlang verliefen. Positionen waren vielmehr persönlich geprägt.

Was würden Sie sich als Ethiker nun von den fortlaufenden Diskussionen wünschen?
Die Debatten zum Thema assistierter Suizid verlaufen weitgehend funktionalistisch und pragmatisch. Es gibt zwar eine starke Diskussion, über empirische Studien wissen wir auch viel über Positionen, die vertreten werden. Was aber fehlt, ist ein Tiefgang. Ich wünschte mir, dass das Existenzielle, das Menschliche, die Frage nach dem Leiden eine grössere Bedeutung in den Auseinandersetzungen bekämen. Seit Jahren wird beispielsweise diskutiert, ob auch gesunde Menschen Suizidhilfe in Anspruch nehmen dürfen. Dabei wird deutlich, dass das Argument der Selbstbestimmung nur ein Element der Diskussion sein kann. Daneben geht es um die Erfahrung unerträglichen Leidens, um die Frage nach der Motivation, warum ein anderer beim Suizid überhaupt helfen sollte. Die Debatten verlaufen viel zu individualistisch. Ein weiteres Thema, das ausser Acht gelassen wird, ist die Bewertung von Alter. Ab einem gewissen Alter brauche es keine Begründung mehr, um einen assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, so wird behauptet. Das finde ich hochproblematisch, denn es widerspiegelt eine extrem negative Sicht des hohen Alters. Ich vermisse hier den Tiefgang und ein existenzielles Ringen, wenn es darum geht, dass ein Mensch sich das Leben nimmt. (Das Interview führte Katrin Grabner.)

© Stemutz

Tit.-Prof. Dr. theol. Markus Zimmermann
Titularprofessor am Departement für Moraltheologie und Ethik, Universität Fribourg
Präsident der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin

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