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Diabetes und Schwangerschaft
Jatros
Autor:
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Yvonne Winhofer, PhD
Univ.-Klinik für Innere Medizin III<br> Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: yvonne.winhofer@meduniwien.ac.at
30
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06.07.2017
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<p class="article-intro">Egal ob Hausärztin, Gynäkologin oder Internist: Bei der Erstvorstellung einer schwangeren Frau sollte ihr Risiko für Diabetes erfasst werden; nur so können wir eine Hyperglykämie in der Schwangerschaft rechtzeitig erkennen und therapieren.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der Gestationsdiabetes bedeutet für junge Frauen ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Komplikationen. Er stellt einen Risikofaktor dar, aber auch eine Chance für rechtzeitige Präventionsmaßnahmen.</li> <li>Etwa die Hälfte der Frauen mit GDM entwickelt einen manifesten Diabetes in den ersten 5–10 Jahren nach der Schwangerschaft; aber auch jene mit normaler Glukosetoleranz verlieren ihr erhöhtes kardiometabolisches Risiko nicht.</li> <li>Die Zahl der Frauen mit manifestem Diabetes in der Schwangerschaft nimmt zu, was v.a. auf eine Zunahme von Adipositas und Insulinresistenz bei Frauen im gebärfähigen Alter zurückzuführen ist.</li> <li>Eine Schwangerschaft bei manifestem Diabetes (Typ-1- oder Typ-2-Diabetes) soll geplant eintreten, da nur so das Risiko für eine diabetische Embryopathie durch eine Hyperglykämie in der Frühschwangerschaft deutlich reduziert werden kann.</li> </ul> </div> <p>Die Hyperglykämie in der Schwangerschaft ist mit einer deutlich erhöhten fetomaternalen Morbidität assoziiert. So haben Mütter mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft inkl. Präeklampsie und Neugeborene leiden vor allem an den Folgen des fetalen Hyperinsulinismus, wie fetaler Makrosomie oder neonataler Hypoglykämie. Besteht die Hyperglykämie bereits im ersten Trimester, gibt es zudem das Risiko einer diabetischen Embryopathie mit kongenitalen Fehlbildungen. Darüber hinaus haben sowohl Mutter als auch Kind langfristig ein erhöhtes Risiko für Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen, was im Folgenden unter dem Begriff „kardiometabolisches Risiko“ zusammengefasst wird.<br /> Man unterscheidet verschiedene Formen der Hyperglykämie in der Schwangerschaft: die „Gravidität bei vorbestehendem Diabetes“ von der „Hyperglykämie bzw. Glukoseintoleranz, die erstmals in der Schwangerschaft festgestellt wird“.<sup>1–3</sup> War Letzteres lange Zeit die Definition des „klassischen“ Gestationsdiabetes, zählt man nun auch jene Frauen dazu, bei denen im Rahmen der Schwangerschaft ein manifester Diabetes festgestellt wird. Gerade die Anzahl an Frauen mit manifestem Diabetes in der Schwangerschaft steigt, was vor allem auf die zunehmende Prävalenz von Adipositas und Typ-2-Diabetes bei jungen Frauen im gebärfähigen Alter zurückzuführen ist.</p> <p>Dies spiegelt sich auch in den neuen ÖDG-Leitlinien sowie in internationalen Empfehlungen wider:<br /> Bei der Erstvorstellung einer Schwangeren soll ihr Diabetesrisiko erhoben werden, besser gesagt: Es geht darum, Frauen mit hohem Risiko (Tab. 1) zu identifizieren und sie auf das Vorliegen eines Diabetes zu testen. Zum Risikokollektiv zählen vor allem Frauen mit Adipositas, höherem Alter sowie einer positiven Diabetesanamnese, sei es ein St.p. Gestationsdiabetes, ein Hinweis auf eine gestörte Glukosetoleranz vor der Schwangerschaft oder auch eine positive Familienanamnese für Typ-2-Diabetes.<br /> Die Testung sollte mittels eines einfachen Tests, der in jeder Ordination durchgeführt werden kann, erfolgen – Nüchternoder Spontanglukose, HbA<sub>1c</sub>, evtl. ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT).<br /> Sollte es keinen Hinweis auf das Vorliegen eines Diabetes geben, soll eine Testung mittels OGTT bei klinischem Verdacht auf einen Gestationsdiabetes (fetale Makrosomie im Ultraschall, Glukosurie oder diabetestypische Symptome) und auf jeden Fall bei allen Frauen zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche – wie im Mutter- Kind-Pass vorgesehen – stattfinden.<br /> Die Diagnose Gestationsdiabetes besteht, wenn einer der drei Grenzwerte erreicht bzw. überschritten wird: nüchtern 92mg/dl, 1 Stunde postprandial 180mg/dl, 2 Stunden postprandial 153mg/dl. Liegen Nüchtern- und 2-Stunden-Wert im diabetischen Bereich, also nüchtern ≥126mg/dl und 2 Stunden postprandial ≥200mg/dl, soll die Diagnose eines (manifesten) Diabetes in der Schwangerschaft gestellt werden. Die Unterscheidung ist wichtig, da wesentliche Punkte beachtet werden müssen, was weiter unten erklärt wird.<br /> Die Diagnose und die Differenzierung der Hyperglykämie in der Schwangerschaft sind in Tabelle 2 dargestellt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s18_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="919" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s19_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="761" /></p> <h2>Gestationsdiabetes – Pathophysiologie, Diagnose und Langzeitrisiko</h2> <p>Ab der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt jede schwangere Frau eine physiologische Insulinresistenz, die normalerweise durch eine Steigerung der Insulinsekretion auf das 2- bis 4-Fache kompensiert wird, sodass schwangere Frauen eher niedrigere Blutzuckerwerte als außerhalb der Schwangerschaft aufweisen. Gelingt diese Steigerung nicht, kommt es zur Hyperglykämie. Gründe hierfür können sein: ein (angeborener) Insulinsekretionsdefekt, der durch den erhöhten Bedarf in der Schwangerschaft demaskiert wird, oder eine bereits vor der Schwangerschaft bestehende Insulinresistenz (meist als Folge einer Adipositas), die durch die physiologische Insulinresistenz potenziert wird.<br /> Eine rezente Arbeit hat gezeigt, dass bei etwa der Hälfte der Frauen eine gestörte Insulinsensitivität im Vordergrund steht, während ca. 30 % vorwiegend einen Insulinsekretionsdefekt aufweisen. Vor allem jene mit verminderter Insulinsensitivität zeigten ein erhöhtes Risiko für hyperglykämiebedingte Schwangerschaftskomplikationen; zudem wiesen sie einen erhöhten BMI und höhere Nüchternglukosewerte auf.<sup>4</sup> In einer anderen Untersuchung hat man gesehen, dass, je früher in der Schwangerschaft die Diagnose einer Hyperglykämie gestellt wird, die Wahrscheinlichkeit für eine fetale Makrosomie umso höher ist.<sup>5</sup><br /> Diese Untersuchungen weisen darauf hin, dass Übergewicht und eine bereits zu Beginn der Schwangerschaft bestehende Insulinresistenz (also vor Eintritt der physiologischen Insulinresistenz ab der 2. Schwangerschaftshälfte) mit einem schlechteren fetalen Outcome, insbesondere einem deutlich erhöhten Makrosomierisiko, assoziiert sind.<br /> Frauen mit der Neudiagnose eines GDM wird empfohlen, viermal täglich ihren Blutzucker zu messen (nüchtern sowie 1 Stunde nach jeder Hauptmahlzeit), eine ausgewogene Diät einzuhalten und körperlichen Aktivitäten nachzugehen; Empfehlungen dazu erhalten die Frauen meist im Rahmen der Diagnosestellung in der Spezialambulanz oder Ordination. Ziel ist ein Nüchternblutzucker <95mg/dl und ein 1-Stundenpostprandialer Wert <140mg/dl. Können diese Zielwerte mittels Diät und Bewegung nicht erreicht werden, besteht die Indikation zur Insulintherapie.<br /> Alternativ oder begleitend kann an eine Therapie mit Metformin gedacht werden. Sowohl nationale als auch internationale Empfehlungen unterscheiden sich jedoch wesentlich voneinander. Die Zurückhaltung mancher Gesellschaften rührt vor allem daher, dass Metformin plazentagängig ist und beim Fetus nicht unterschätzbare Konzentrationen nachgewiesen werden können. Zudem beziehen sich die Langzeiterfahrungen bei Kindern, die während der Schwangerschaft Metformin ausgesetzt gewesen sind, auf lediglich 2 Jahre.<br /> Hierzu sei erwähnt, dass ein Benefit durch Metformin vor allem bei Frauen mit vorwiegender Insulinresistenz, also vor allem bei übergewichtigen Frauen, zu erwarten ist. So empfiehlt auch die Österreichische Diabetes Gesellschaft, an den Einsatz von Metformin bei übergewichtigen Frauen zu denken. Geht man davon aus, dass bei normalgewichtigen Frauen der Insulinsekretionsdefekt pathophysiologisch im Vordergrund steht, wäre Metformin nicht Mittel der Wahl.</p> <h2>GDM – die Diagnose verschwindet nicht mit der Geburt</h2> <p>Nach der Geburt erreichen über 90 % der Frauen mit Gestationsdiabetes eine normale Glukosetoleranz, von denen jedoch etwa die Hälfte einen manifesten Typ-2-Diabetes innerhalb der ersten 5–10 Jahre nach der Schwangerschaft entwickelt. Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung eines T2DM innerhalb dieser vulnerablen Phase zählen Übergewicht, Alter, Insulintherapie während der Schwangerschaft und erhöhte Nüchternglukosewerte in der Schwangerschaft. Wie wir an unserem eigenen Kollektiv zeigen konnten, stellt eine erneute GDM-Schwangerschaft innerhalb dieser vulnerablen Phase keinen Risikofaktor für die Entwicklung eines manifesten Diabetes dar.<sup>6</sup><br /> Frauen nach Gestationsdiabetes sind ein Kollektiv mit Hochrisiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen. Wir haben uns die Frage gestellt, ob dieses Risiko mit der Zeit verschwindet, und Frauen mit St.p. GDM mit normaler Glukosetoleranz (NGT) 5 Jahre nach einer Index-Schwangerschaft mit Frauen ohne GDM-Anamnese verglichen. Trotz NGT 5 Jahre postpartum wiesen Frauen mit St.p. GDM eine verminderte Insulinsensitivität und erhöhte Glukosekonzentrationen während des OGTT aus. Zudem zeigten sie verminderte Plasmakonzentrationen von Adiponektin, erhöhte Konzentrationen an ultrasensitivem CRP und einen erhöhten Bauchumfang im Vergleich zu Frauen ohne GDM-Anamnese. Somit haben diese Frauen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil.<sup>7</sup> Dies wurde auch in einer anderen Studie nachgewiesen, in der gezeigt wurde, dass mikrovaskuläre Komplikationen erst bei Frauen mit manifestem DM auftreten, das kardiovaskuläre Risiko jedoch bereits bei St.p. GDM erhöht ist.<sup>8</sup><br /> Aus der aktuellen Datenlage kann man also schließen, dass Frauen mit GDMAnamnese ein Kollektiv mit Hochrisiko für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen sind und dies als Chance für die Einleitung von Präventionsmaßnahmen gesehen werden sollte.</p> <h2>Gravidität bei vorbestehendem Diabetes</h2> <p>Eine Schwangerschaft bei vorbestehendem Diabetes unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von einer bei „klassischem“ Gestationsdiabetes. Dazu zählen das Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Embryopathie durch eine Hyperglykämie im ersten Trimenon, diabetische Spätkomplikationen der Mutter, die sich während der Schwangerschaft aggravieren können sowie die Notwendigkeit der umgehenden und auch nach der Geburt fortzusetzenden glykämischen Kontrolle.<br /> Die Hyperglykämie in der Frühschwangerschaft ist assoziiert mit dem Risiko für kongenitale Fehlbildungen. Es ist bekannt, dass das Risiko für diese linear um 30 % pro 1 % HbA<sub>1c</sub>-Anstieg über 6,3 % ansteigt.<sup>9</sup> Eine gute Stoffwechselkontrolle vor der Schwangerschaft stellt somit eine wichtige Voraussetzung dar, die geplant werden kann (HbA<sub>1c</sub>-Ziel <6,5 % ). Zu Beginn der Schwangerschaft wird die strikte metabolische Kontrolle durch das erhöhte Hypoglykämierisiko erschwert, das durch den verminderten Insulinbedarf zwischen der 8. und 16. SSW am höchsten ist. Zwar sind keine negativen Auswirkungen einer Hypoglykämie auf den Fetus bekannt, doch stellen sie ein Risiko für die mütterliche Gesundheit dar. An den Einsatz moderner Tools wie Insulinanaloga, kontinuierlicher Glukosemessung und einer Insulinpumpe sollte gerade bei Frauen mit hohem Hypoglykämierisiko gedacht werden.<br /> Zudem sollten die Abklärung und die Behandlung diabetischer Spätkomplikationen, insbesondere der diabetischen Nephro- und Retinopathie, in die Schwangerschaftsplanung integriert werden. Vor allem Frauen mit diabetischer Nephropathie haben das höchste Risiko für einen schlechten Schwangerschaftsverlauf und Komplikationen.<br /> Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Diabetes in der Schwangerschaft nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Komplikation darstellt, die rechtzeitig erkannt werden sollte. Eine Risikoevaluierung am Beginn der Schwangerschaft ist deshalb essenziell und sollte bei der Erstvorstellung erfolgen.<br /> Der Gestationsdiabetes bedeutet für junge Frauen ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Komplikationen. Er gilt als Risikofaktor, zugleich aber auch als Chance, um rechtzeitig Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Diese Frauen profitieren ganz wesentlich von einem lebenslangen Follow-up, und zwar insofern, als ein manifester Diabetes rechtzeitig erkannt und behandelt werden kann. Eine Schwangerschaft bei manifestem Diabetes stellt keine Kontraindikation dar, sollte aber geplant werden, um vor allem die Folgen der Hyperglykämie in der Frühschwangerschaft und die Progression etwaiger Spätkomplikationen zu verhindern.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kautzky-Willer A et al: Gestationsdiabetes (GDM). Wien Klin Wochenschr 2016; 128(Suppl 2): S103-12 <strong>2</strong> Kautzky- Willer A et al; AG Diabetes und Schwangerschaft der ÖDG: [Clinical practice recommendations for diabetes in pregnancy]. Wien Klin Wochenschr 2016; 128(Suppl 2): S113-8 <strong>3</strong> American Diabetes Association: 13. management of diabetes in pregnancy. Diabetes Care 2017; 40: S114-S9 <strong>4</strong> Powe CE et al: Heterogeneous contribution of insulin sensitivity and secretion defects to gestational diabetes mellitus. Diabetes Care 2016; 39: 1052-5 <strong>5</strong> Sweeting AN et al: Gestational diabetes mellitus in early pregnancy: evidence for poor pregnancy outcomes despite treatment. Diabetes Care 2016; 39: 75-81 <strong>6</strong> Winhofer Y et al: The impact of recurrent gestational diabetes on maternal metabolic and cardiovascular risk factors. Eur J Clin Invest 2013; 43: 190-7 <strong>7</strong> Winhofer Y et al: Hidden metabolic disturbances in women with normal glucose tolerance five years after gestational diabetes. Int J Endocrinol 2015; 2015: 342938 <strong>8</strong> Retnakaran R et al: Role of type 2 diabetes in determining retinal, renal, and cardiovascular outcomes in women with previous gestational diabetes mellitus. Diabetes Care 2017; 40: 101-8 <strong>9</strong> Bell R et al: Peri-conception hyperglycaemia and nephropathy are associated with risk of congenital anomaly in women with pre-existing diabetes: a population-based cohort study. Diabetologia 2012; 55(4): 936-47</p>
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