© Getty Images/iStockphoto

Diabetes und Stress

<p class="article-intro">Stress hat einen bislang zu wenig beachteten Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel und ist damit auch ein Faktor in der Entstehung und im Verlauf sowohl von Diabetes Typ 2 als auch von Diabetes Typ 1.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Was ist Stress?</h2> <p>Die Antworten auf diese Frage fallen oft sehr unterschiedlich aus. Das liegt daran, dass wir den Begriff &bdquo;Stress&ldquo; missverst&auml;ndlich verwenden. Wir bezeichnen damit einerseits das, was uns Stress macht, also die Stressoren (der Autobus, der uns davonf&auml;hrt; der Chef, der m&ouml;chte, dass alles sofort fertig ist, etc.), andererseits das, was in der Folge in unserem Organismus abl&auml;uft, also die Stressreaktion. Tats&auml;chlich ist die Stressreaktion eine evolutionsbiologisch sinnvolle Reaktion, welche bei allen Lebewesen angelegt ist und dem &Uuml;berleben dient, indem sie den gesamten Organismus f&uuml;r Kampf oder Flucht programmiert. <br /><br /><strong>Grundprinzipien der Stressreaktion</strong> <br />Die Stressreaktion unterliegt grunds&auml;tzlich drei Prinzipien:</p> <ol> <li>Hauptsache &uuml;berleben, Sch&auml;digungen werden in Kauf genommen</li> <li>Kurzer Kampf, kurze Flucht, dann ausruhen</li> <li>Die Stressreaktion ist grunds&auml;tzlich f&uuml;r Bewegung gedacht.</li> </ol> <p>Ad 1: Wenn ich um mein Leben k&auml;mpfe oder fl&uuml;chte, ist es egal, ob ich mir dabei wehtue oder mein Blutdruck zu sehr steigt, es geht ums &Uuml;berleben, alle anderen &Uuml;berlegungen sind nicht angebracht. Das passt im gesamten Tierreich. Beim Menschen geht es im heutigen Alltag nur sehr selten ums &Uuml;berleben. Im Gegensatz zu diesen akuten Stresssituationen haben heute viele Menschen chronischen Stress, der sich sch&auml;digend auf den Organismus auswirken kann.<br /> Ad 2: Dazu kommt, dass die Stressreaktion f&uuml;r eine kurze Zeitspanne programmiert ist und danach eine Erholungsphase n&ouml;tig ist, um die hochgefahrenen Systeme wieder herunterzufahren. Auch hier folgt der Mensch in den heutigen Rahmenbedingungen nicht dem evolution&auml;r sinnvollen Programm, denn wir haben lang dauernde Stressreaktionen und machen keine Pausen zur Erholung, wodurch der Erregungspegel hoch bleibt.<br /> Ad 3: Besonders essenziell ist die Programmierung der Stressreaktion f&uuml;r Bewegung (Kampf und Flucht sind immer mit Bewegung verbunden, Ausnahme: Totstellreflex). Auch diese Programmierung wird von uns oft &bdquo;ignoriert&ldquo;, indem wir lang dauernden Stress haben k&ouml;nnen, ohne uns zu bewegen.</p> <h2>Stressoren</h2> <p>Viele Menschen haben eine zu begrenzte Vorstellung, was Stressoren sind. Eine Zusammenstellung h&auml;ufiger Stressoren findet sich in Tabelle 1.<br /><br /> <strong>Negative Konnotation</strong><br /> Manchen Menschen ist z.B. nicht bewusst, dass Angst einer der st&auml;rksten Stressoren ist. Wenig bekannt ist auch, dass jede negative Konnotation (jeder negative Gedanke, jede negative Bewertung, jede negative Emotion) eine Stressreaktion ausl&ouml;st. Dies ist an sich evolutionsbiologisch sinnvoll, denn alles, was negativ ist, erfordert Handlungsbedarf (Flucht, Kampf). Mentaler Stress ist nicht nur auf die Gegenwart beschr&auml;nkt, sondern entsteht auch durch Erinnerungen (an fr&uuml;here negative Situationen) oder Antizipation (typisches Beispiel: Pr&uuml;fungsstress).<br /><br /> <strong>Grundz&uuml;ge der Stressreaktion</strong> <br />Wird eine &auml;u&szlig;ere oder innere Wahrnehmung negativ bewertet (z.B. situative &Uuml;berforderung, Schmerz, Fieber), wird in den Mandelkernen die Stressreaktion gestartet. Von hier aus wird zuerst das sympathikoadrenerge System mit der Produktion von Noradrenalin und Adrenalin im Locus coeruleus und im Nebennierenmark aktiviert (schnelle Stressachse). In der Folge wird die Hypothalamus-Hypophysen- Nebennieren-Achse mit den Hormonen CRH, POMC, ACTH und Cortisol in Gang gesetzt (langsamere Stressachse, die auch langsamer abklingt). &Uuml;ber beide Achsen kommt es zu komplexen Anpassungsreaktionen im Gesamtorganismus, welche bei l&auml;ngerem Bestehen zu Sch&auml;digungen f&uuml;hren k&ouml;nnen.<sup>1</sup><br /> Ob wir die Stressreaktion als Eustress (positiver Stress) oder Disstress (negativer Stress) erleben, ist abh&auml;ngig von ihrer Intensit&auml;t. Ein gewisses Erregungsniveau ist f&uuml;r Vigilanz, Konzentration, Kreativit&auml;t und Leistungsf&auml;higkeit notwendig (Eustress).<br /> Die Abh&auml;ngigkeit von Eustress und Disstress vom Stress-Level<sup>2</sup> ist in der Yerkes- Dodson-Kurve (Abb. 1) dargestellt. Diese ist individuell allerdings sehr unterschiedlich: Manche Menschen haben eine flachere Kurve mit breitem Plateau (sie sind leistungsf&auml;hig, haben viel Eustress), andere haben schmale, spitze Kurven (bei ihnen ist das optimale Leistungsniveau bald &uuml;berschritten, sie neigen zu mehr Disstress.) Die unterschiedliche Stressanf&auml;lligkeit ist besonders abh&auml;ngig von fr&uuml;hen Beziehungserfahrungen, die sichere Bindung in den ersten Lebensjahren ist der wichtigste Faktor f&uuml;r eine gute Stressresistenz.<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1802_Weblinks_s32_tab1.jpg" alt="" width="686" height="641" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1802_Weblinks_s32_abb1.jpg" alt="" width="1455" height="946" /></p> <h2>Stresshormone und Stoffwechsel</h2> <p>Eine Reihe von Stresshormonen spielt eine wichtige Rolle im Stoffwechsel. Die wichtigsten sind: <br /><br /><strong>Adrenalin und Noradrenalin:</strong></p> <ul> <li>erh&ouml;hen im Zuge der Sympathikusaktivierung Blutzucker und Blutfette</li> </ul> <p><strong>&szlig;-adrenerge Effekte bewirken im Einzelnen:</strong></p> <ul> <li>Steigerung der Glykogenolyse in Leber und Muskel</li> <li>Stimulation der Glukagonfreisetzung, dies f&uuml;hrt ebenfalls zu Glykogenolyse, Lipolyse und Glukoneogenese in der Leber</li> <li>Steigerung der Lipolyse</li> <li>Zunahme der Glukoseaufnahme im Muskelgewebe</li> <li>Hemmung des insulinvermittelten Glukoseverbrauchs</li> </ul> <p><strong>Glukokortikoide:</strong></p> <ul> <li>Der durch Kortikoide induzierte Steroiddiabetes ist schon lange bekannt.</li> </ul> <p><strong>Cortisol f&uuml;hrt zu:</strong></p> <ul> <li>Stimulation der Glukoneogenese in der Leber</li> <li>Hemmung des insulinvermittelten Glukoseverbrauchs</li> <li>Steigerung der Lipolyse</li> </ul> <p>F&uuml;r Kampf oder Flucht wird Energie in Form von Glukose und Blutfetten bereitgestellt. Allerdings erh&ouml;hen Katecholamine und Cortisol die Insulinresistenz (Hemmung des insulinvermittelten Glukoseverbrauchs). Dies erscheint auf den ersten Blick nicht sinnvoll. Tats&auml;chlich wird aber bei akuter Belastung der Glukosetransport in den Muskel verbessert, indem der Glukosetransporter (GLUT4) unter Umgehung des Insulinsignals in der Zellmembran bereitgestellt wird. Der genaue Mechanismus f&uuml;r die akute, insulinunabh&auml;ngige Anpassung ist nicht v&ouml;llig gekl&auml;rt. Einfl&uuml;sse von Kalzium und NO werden vermutet. Dieser Mechanismus kommt nat&uuml;rlich nicht zum Tragen, wenn wir uns im Stress nicht bewegen und die Muskelzellen keinen Energiebedarf haben. Die Steigerung der Stresshormon-induzierten Insulinresistenz bleibt jedoch bestehen, die chronische Stressreaktion hat dadurch einen f&ouml;rdernden Einfluss auf die Entwicklung des metabolischen Syndroms. Andererseits erkl&auml;rt die insulinunabh&auml;ngige Glukoseaufnahme in den Muskel, warum Sport die wichtigste therapeutische Ma&szlig;nahme bei Diabetes ist.<br /><br /> <strong>Lipolyse:</strong><br /> Durch Adrenalin, Noradrenalin, Glukagon, Cortisol, und ACTH wird Fett aus den Adipozyten mobilisiert, dadurch steigt das LDL-Cholesterin, es kommt zu einer Steigerung der Entz&uuml;ndungsreaktion und zu Gef&auml;&szlig;sch&auml;den.<br /><br /> <strong>Hyperglyk&auml;mie und Entz&uuml;ndung:</strong><br /> Die stressinduzierte Hyperglyk&auml;mie, die Insulinresistenz und die erh&ouml;hten freien Fetts&auml;uren f&ouml;rdern die entz&uuml;ndliche Aktivit&auml;t (&bdquo;silent inflammation&ldquo;), diese verst&auml;rkt wiederum die Insulinresistenz, womit ein Circulus vitiosus entsteht.<br /><br /> <strong>Stress und Adipositas:</strong><br /> Die Hyperglyk&auml;mie f&uuml;hrt zu vermehrter Insulinaussch&uuml;ttung, dies f&ouml;rdert die Insulinmast. W&auml;hrend der akuten Stressreaktion (Sympathikus?, Parasympathikus?) ist der Appetit vermindert, in der darauf folgenden Cortisolphase kommt es zu Hei&szlig;hunger, Cortisol f&uuml;hrt zur Zunahme des Bauchfettes (s. M. Cushing). Das Kortikoid-abh&auml;ngige Gen LMO3 und das Enzym 11(Beta)HSD1 f&ouml;rdern die Bildung von Fettzellen und sind verantwortlich f&uuml;r die Umverteilung des Fettgewebes in Richtung Bauchfett.<sup>3</sup> Die Vermehrung des Bauchfetts f&ouml;rdert wiederum die entz&uuml;ndliche Aktivit&auml;t (Adipozyten bilden selbst IL-6 und TNF-a), es entsteht ein weiterer Circulus vitiosus, welcher die Insulinresistenz verst&auml;rkt. Bekannt ist, dass viszerales Fettgewebe und Insulinresistenz das Risiko f&uuml;r Pr&auml;diabetes und Diabetes erh&ouml;hen.<sup>4</sup><br /> An sich ist w&auml;hrend der akuten Stressreaktion der Appetit vermindert (s.o.), allerdings haben viele Menschen soziokulturell bedingt gelernt, auch appetitlos zu essen (Stressessen, Frustessen, Trostessen, Belohnungsessen etc.). Eine in der Schweiz durchgef&uuml;hrte Studie<sup>5</sup> zeigte, dass die Selbstkontrolle unter Stress abnimmt. Probanden (die behaupteten, gerne gesund zu essen) wurden gestresst, dann wurden ihnen unter MR-Kontrolle Fotos von Speisen vorgelegt. Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe w&auml;hlten die Gestressten vermehrt die ungesunden (= kalorienreicheren) Speisen. Gleichzeitig zeigten sich im MR ver&auml;nderte Muster im Striatum und den Amygdalae (zust&auml;ndig f&uuml;r Selbstkontrolle).</p> <h2>Stress und Diabetes Typ 2</h2> <p>Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Typ-2-Diabetes und Stress sowohl in der Entstehung als auch im Verlauf. Es k&ouml;nnen hier nur wenige exemplarisch vorgestellt werden:<br /> Eine gro&szlig;e Augsburger Studie<sup>6</sup> mit &uuml;ber 5300 Teilnehmern und einer Laufzeit von 13 Jahren zeigte, dass Menschen, die am Arbeitsplatz st&auml;ndig &uuml;berfordert wurden, gleichzeitig aber keine Kontrolle &uuml;ber ihre T&auml;tigkeiten hatten, zu 45 Prozent h&auml;ufiger an einem Typ-2-Diabetes erkrankten als Personen mit geringer Belastung.<br /> Eine Metaanalyse von Studien mit Diabetikern mit Angstst&ouml;rungen<sup>7</sup> ergab, dass Angst hochsignifikant (p=0,003) mit Hyperglyk&auml;mie assoziiert war.<br /> Eine Studie verglich neu diagnostizierte Typ-2-Diabetiker mit Personen mit normaler Glukosetoleranz, wobei Erstere signifikant mehr &uuml;ber chronischen Stress berichteten als Letztere.<sup>8</sup> Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass chronischer Stress signifikant mit Glukoseintoleranz, Insulinresistenz und Diabetes assoziiert war.<br /> Erw&auml;hnt werden muss, dass nicht alle Studien einen Zusammenhang zwischen Stress und Hyperglyk&auml;mie bzw. Diabetes finden. Dies d&uuml;rfte daran liegen, dass die Stressreaktion sich individuell sehr unterschiedlich auf verschiedene Teilbereiche des Organismus auswirkt (z.B. gibt es viele Menschen, die trotz Stress einen niedrigen Blutdruck haben).</p> <h2>Stress und Diabetes Typ 1</h2> <p>Die ABIS-Studie<sup>9, 10</sup> untersuchte &uuml;ber 17 000 Familien zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes und ein Jahr danach Autoantik&ouml;rper beim Kind. Bei 4400 Familien mit erh&ouml;hter Stressbelastung rund um die Geburt fanden sich 1 Jahr danach erh&ouml;hte &szlig;-Zell-Antik&ouml;rper beim Kind. Bei fast 6000 Familien mit schwerer psychischer Belastung der Mutter in den ersten 2,5 Jahren fanden sich ebenfalls erh&ouml;hte &szlig;-Zell-Antik&ouml;rper beim Kind. Die Ergebnisse waren unabh&auml;ngig vom famili&auml;ren Risiko f&uuml;r Typ-1-Diabetes.<br /> Die DiPiS-Studie<sup>11</sup> untersuchte fast 32 000 M&uuml;tter und ihre Neugeborenen und ergab, dass psychische Belastungen der Mutter w&auml;hrend der Schwangerschaft mit h&ouml;heren Konzentrationen von Auto-AK gegen Insulin im Nabelschnurblut korrelieren.<br /> Eine Metaanalyse<sup>12</sup> zum Thema zeigte in 9 von 10 Studien eine Korrelation zwischen fr&uuml;hem elterlichem Stress und einem erh&ouml;hten Risiko des Kindes f&uuml;r Typ- 1-Diabetes, sowohl f&uuml;r die Induktion als auch die Progression.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Schubert C (Hrsg.): Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie. 2. Aufl., Schattauer 2015 <strong>2</strong> Yerkes RM, Dodson JD: The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology 1908; 18: 459-82 <strong>3</strong> Lindroos J: Human but not mouse adipogenesis is critically dependent on LMO3. Cell Metab 2013; 18(1): 62-74 <strong>4</strong> Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Kardiologie &ndash; Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK): Inflammation und metabolisches Syndrom &ndash; die Rolle des Fettgewebes. Pressemitteilung 4/2006 <strong>5</strong> Maier SU et al.: Acute stress impairs self-control in goal-directed choice by altering multiple functional connections within the brain&rsquo;s decision. Neuron 2015; 87(3): 621-31 <strong>6</strong> Huth C et al.: Job strain as a risk factor for the onset of type 2 diabetes mellitus: findings from the MONICA/KORA Augsburg cohort study. Psychosom Med 2014; 76(7): 562-8 <strong>7</strong> Anderson RJ et al.: Anxiety and poor glycemic control: a metaanalytic review of the literature. Int J Psychiatry Med 2002; 32(3): 235-47 <strong>8</strong> Siddiqui A et al.: Endocrine stress responses and risk of type 2 diabetes mellitus. Stress 2015; 18(5): 498-506 <strong>9</strong> Sepa A et al.: Psychological stress may induce diabetes-related autoimmunity in infancy. Diabetes Care 2005; 28: 290-5 <strong>10</strong> Sepa A et al.: Mothers&rsquo; experiences of serious life events increase the risk of diabetes- related autoimmunity in their children. Diabetes Care 2005; 28: 2394-9 <strong>11</strong> Lernmark B et al.: Cord blood islet autoantibodies are related to stress in the mother during pregnancy. Ann N Y Acad Sci 2006; 1079: 345-9 <strong>12</strong> Sepa A, Ludvigson J: Psychological stress and the risk of diabetes-related autoimmunity: a review article. Neuroimmunomodulation 2006; 13: 301-8</p> </div> </p>
Back to top