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Antidiabetische Therapie im fortgeschrittenen Lebensalter

Die Problematik der Polypharmazie

<p class="article-intro">Die Prävalenz des Diabetes mellitus steigt mit zunehmendem Lebensalter an, rund 60 % aller Diabetiker sind über 65 Jahre alt.<sup>1</sup> Die altersassoziierte Multimorbidität führt häufig zu einer gleichzeitigen Einnahme mehrerer Medikamente, was ein erhöhtes Risiko für Arzneimittelinteraktionen mit sich bringt.<sup>2, 3</sup> Als Polypharmazie wird von der WHO die gleichzeitige Einnahme von mehr als 5 rezeptfreien, rezeptpflichtigen oder traditionellen Arzneimitteln definiert.<sup>4</sup> Anhand von Daten des National Health and Nutrition Examination Survey konnte eine Zunahme der Polypharmazie von 8,2 % im Jahr 1999 auf 15 % im Jahr 2011 beobachtet werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Therapie des Diabetes mellitus sollte bei geriatrischen Patienten die Lebensqualit&auml;t und den Erhalt der funktionellen Unabh&auml;ngigkeit zum vorrangigen Ziel haben.</li> <li>Eine hohe Anzahl an weiteren Diagnosen (Multimorbidit&auml;t) resultiert h&auml;ufig in der Verordnung einer hohen Anzahl unterschiedlicher Medikamente.</li> <li>Die regelm&auml;&szlig;ige kritische &Uuml;berpr&uuml;fung und Anpassung der Medikation an die individuellen Bed&uuml;rfnisse des &auml;lteren Patienten haben einen hohen Stellenwert, um das Risiko f&uuml;r Arzneimittelnebenwirkungen und -interaktionen zu verringern.</li> </ul> </div> <h2>Medikamente an das Lebensalter anpassen</h2> <p>&Auml;ltere Menschen weisen aufgrund altersassoziierter Ver&auml;nderungen eine erh&ouml;hte Vulnerabilit&auml;t f&uuml;r Arzneimittelnebenwirkungen und -interaktionen auf.<sup>5</sup> Dazu z&auml;hlen vor allem Einschr&auml;nkungen in der renalen und hepatischen Metabolisierung und Elimination von Medikamenten. Zus&auml;tzlich k&ouml;nnen altersassoziierte Beeintr&auml;chtigungen von Gegenregulationsmechanismen das Nebenwirkungsrisiko erh&ouml;hen, wie orthostatische Probleme bei antihypertensiver Therapie oder eine verz&ouml;gerte oder beeintr&auml;chtigte Hypoglyk&auml;miewahrnehmung bei antidiabetischer Therapie. F&uuml;r eine Reihe von Medikamenten ergibt sich deshalb die Notwendigkeit, die Dosierung an das Lebensalter, das K&ouml;rpergewicht und die Nierenfunktion anzupassen. Auch in der medikament&ouml;sen Therapie des Typ-2-Diabetes m&uuml;ssen altersspezifische Ver&auml;nderungen und Risiken besondere Ber&uuml;cksichtigung finden.</p> <h2>Diabetesmedikamente im Hinblick auf &auml;ltere Menschen</h2> <p><strong>Metformin</strong><br /> Metformin gilt entsprechend nationalen und internationalen Leitlinienempfehlungen als medikament&ouml;se Basistherapie in der Behandlung des Typ-2-Diabetes. Metformin unterliegt keiner Plasmaproteinbindung und wird praktisch unver&auml;ndert renal ausgeschieden.<sup>6, 7</sup> Die Nierenfunktion stellt ein wichtiges Kriterium hinsichtlich einer Kontraindikation f&uuml;r Metformin bzw. der Notwendigkeit einer Dosisanpassung dar. In &Ouml;sterreich ist laut Zulassungstext eine Verabreichung von Metformin bei einer eGFR zwischen 45 und 59ml/min bei Fehlen von weiteren Risikofaktoren f&uuml;r eine Laktatazidose in einer Dosierung von maximal 2x500mg m&ouml;glich. Die Nierenfunktion muss dabei zumindest im Abstand von 3 bis 6 Monaten kontrolliert werden. Bei einer eGFR unter 45ml/min besteht eine absolute Kontraindikation f&uuml;r Metformin. In Bezug auf das Interaktionspotenzial von Metformin wird eine Beeinflussung der renalen Clearance durch Cimetidin beschrieben.<sup>6</sup> Zu beachten ist auch eine m&ouml;gliche Akkumulation von Metformin bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die die Nierenfunktion verschlechtern k&ouml;nnten, wie nichtsteroidale Antirheumatika, Cyclosporin, Aminoglykoside und Kontrastmittel.<sup>7 </sup></p> <p><strong>Acarbose</strong> <br />Acarbose kann die Bioverf&uuml;gbarkeit von Metformin in einem geringen Ausma&szlig; beeintr&auml;chtigen. Pioglitazon Pioglitazon wird zu 99 % an Plasmaproteine gebunden und unterliegt einer komplexen Metabolisierung &uuml;ber den Cytochromabbauweg (CYP2C8 und CYP3A4).<sup>7</sup> Aufgrund dieses gemeinsamen Metabolisierungsweges &uuml;ber das Cytochrom P450 erh&ouml;hen Gemfibrozil und Trimethoprim die Pioglitazonspiegel.</p> <p><strong>Sulfonylharnstoff und Repaglinid</strong> <br />Ein hohes Interaktionspotenzial weisen Sulfonylharnstoffderivate und Repaglinid auf. Diese Pharmaka werden zu &uuml;ber 90 % an Plasmaprotein gebunden und &uuml;ber den Cytochromabbauweg metabolisiert. Inhibitoren von CYP2C9, wie Fibrate, Allopurinol, Erythromycin, Antimykotika, Cimetidin, f&uuml;hren zu einer Wirkverst&auml;rkung und damit zu einem erh&ouml;hten Hypoglyk&auml;mierisiko. Klinische Fallberichte beschreiben vor allem das erh&ouml;hte Hypoglyk&auml;mierisiko bei Kombination von Sulfonylharnstoffderivaten mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol.<sup>8</sup> Auch die Kombination von Repaglinid mit Gemfibrozil kann durch Interaktion &uuml;ber den CYP2C8-Metabolisierungswert zur Wirkverst&auml;rkung f&uuml;hren.<sup>9 </sup></p> <p><strong>DPP-4-Inhibitoren</strong> <br />DPP-4-Inhibitoren zeigen, mit Ausnahme von Saxagliptin, ein geringes Interaktionspotenzial. Saxagliptin ist ein Substrat von CYP3A4, das Risiko einer Wirkverst&auml;rkung ist bei CYP3A4-Inhibitoren (Antimykotika) gegeben, eine Wirkabschw&auml;chung ist durch CYP3A4-Induktoren (Rifampicin, Phenytoin, Johanniskraut) m&ouml;glich.<sup>10 </sup></p> <p><strong>GLP-1-Analoga</strong> <br />Bei Therapie mit GLP-1-Analoga ist die verz&ouml;gerte Magenentleerung im Hinblick auf die Resorption weiterer Medikamente (z.B. Digoxin, Lisinopril, Antibiotika) zu ber&uuml;cksichtigen und ein entsprechendes Dosierungsintervall einzuhalten.<sup>11 </sup></p> <p><strong>SGLT-2-Inhibitoren</strong> <br />F&uuml;r SGLT-2-Inhibitoren wurden keine relevanten Arzneimittelinteraktionen beschrieben.<sup>12</sup> Bei &auml;lteren Patienten ist der milde diuretische und blutdrucksenkende Effekt dieser Medikamentenklasse zu beachten, eine Anpassung der Begleitmedikation kann deshalb erforderlich sein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_jatros_dia_1901_s20_tab1_lechleitner.jpg" alt="" width="850" height="444" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Tamayo T et al.: The prevalence and incidence of diabetes in Germany. Deutsches &Auml;rzteblatt International 2016; 113: 177-82 <strong>2</strong> Costantino S et al.: Ageing, metabolism and cardiovascular disease. J Physiol 2016; 594: 2061-73 <strong>3</strong> Atella V et al.: Trends in age-related disease burden and healthcare utilization. Aging Cell 2018. (Epub ahead of print) <strong>4</strong> Kadam UT et al.: Conceptualizing multiple drug use in patients with comorbidity and multimorbidity: proposal for standard definitions beyond the term polypharmacy. J Clin Epidemiol 2019; 106: 98-107 <strong>5</strong> Tommelein E et al.: Potentially inappropriate prescribing in communitydwelling older people across Europe: a systematic literature review. Eur J Clin Pharmacol 2015; 71: 1415-27 <strong>6</strong> Stage TB et al.: A comprehensive review of drug-drug interactions with metformin. Clin Pharmacokinet 2015; 54: 811-24 <strong>7</strong> Tornio A et al.: Drug interactions with oral antidiabetics agents: pharmacokinetic mechanisms and clinical implications. Trends in Pharmacological Sciences 2012; 33: 312-22 <strong>8</strong> Rossio R et al.: Persistent and severe hypoglycemia associated withtrimethoprim-sulfamethoxazole in a frail diabetic man in polypharmacy: a case report and literature review. Int J Clin Pharmacol Ther 2018; 56: 86-9 <strong>9</strong> Dujic TD et al.: Interaction between variants in the CYP2C9 and POR genes and the risk of sulfonylurea-induced hypoglycaemia: A GoDARTS Study. Diabetes Obes Metab 2018; 20: 211-4 <strong>10</strong> Scheen AJ.: Dipeptidylpeptidase- 4 inhibitors (gliptins). Clin Pharmacokinet 2010, 49: 573-88 <strong>11</strong> Hurren KM, Pinelli NR.: Drug-drug interactions with glucagon-like peptide-I receptor agonists. The Annals of Pharmacotherapy 2012, 46: 710-7 <strong>12</strong> Scheen AJ.: Drug-drug interactions with sodium-glucose cotransporters type 2 (SGLT2) inhibitors, new oral glucose-lowering agents for the management of type 2 diabetes mellitus. Clin Phamacokinet 2014; 53: 295-30 <strong>13</strong> Davies MJ et al.: Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2018. Published online 05 October 2018</p> </div> </p>
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