Ernährung und körperliche Aktivität bei Typ-2-Diabetes
Autor:innen:
Dr. med. Marine Monney
Dr. med. Christophe Kosinski
Service d’endocrinologie, diabétologie, nutrition
et éducation thérapeutique du patient
Hôpitaux Universitaires de Genève
E-Mail: marine.monney@hug.ch
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Obwohl T2D eine komplexe und schwer zu bewältigende Erkrankung ist, können eine Ernährungsumstellung und mehr körperliche Aktivität die Blutzuckereinstellung erheblich verbessern und das Risiko schwerwiegender Komplikationen verringern. Diese Massnahmen werden als Erstbehandlung bei T2D empfohlen und sollten nicht durch pharmakologische Ansätze ersetzt werden. Darüber hinaus kann die frühzeitige Umsetzung solcher Massnahmen den Ausbruch der Erkrankung bei Risikopersonen verhindern und somit sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene von Nutzen sein.
Keypoints
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Eine ausgewogene Ernährung in Bezug auf Makronährstoffe (komplexe Kohlenhydrate, Proteine, ungesättigte Fette, erhöhte Ballaststoffzufuhr) ist wichtig für Diabetespatienten.
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Es empfiehlt sich, eine Kombination aus aeroben und muskelkräftigenden Aktivitäten in den Tagesablauf zu inte-grieren.
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Diese Massnahmen solltenals Erstintervention bei allen Patienten mit T2D gefördert werden.
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Vorteile sowohl für das Management von Diabetes und seinen Komplikationen als auch für die Lebensqualität und die Gesundheitskosten sind dadurch zu erwarten.
Typ-2-Diabetes (T2D) ist eine Stoffwechselerkrankung, die durch Insulinresistenz und später schliesslich einen relativen Mangel dieses Hormons gekennzeichnet ist, was zu erhöhten Blutglukosespiegeln führt. Typ-1-Diabetes (T1D) wird hingegen durch eine autoimmune Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse verursacht, die zum Insulinmangel führt, ohne dass eine Insulinresistenz vorliegt. Im Gegensatz zu T1D ist T2D im Allgemeinen mit modifizierbaren Risikofaktoren wie Adipositas, Bewegungsmangel und falscher Ernährung verbunden.
Laut BAG leiden 5% der Schweizer Bevölkerung an Diabetes, wobei die Prävalenz bei Personen ab 65 Jahren auf 12% ansteigt.1 Weltweit wird die Prävalenz auf 10,5% der erwachsenen Bevölkerung geschätzt, und die Mehrzahl davon leidet an T2D (ca. 90%).2 Diese Erkrankung stellt aufgrund ihrer steigenden Prävalenz – die bis 2045 mit >12% der Bevölkerung prognostiziert wird2 – und der damit verbundenen Komplikationen wie Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen, Sehstörungen, Neuropathien und Amputationen eine enorme Herausforderung für die öffentlichen Gesundheitssysteme weltweit dar.
Globale Auswirkungen und wirtschaftliche Kosten
T2D betrifft nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern stellt auch eine grosse wirtschaftliche Belastung für die Gesellschaft dar. Die mit der Erkrankung verbundenen Kosten umfassen nicht nur die unmittelbare medizinische Behandlung, sondern auch Produktivitätsverluste aufgrund von diabetesbedingten Komplikationen und Behinderungen. Die weltweiten Gesundheitsausgaben aufgrund von Diabetes sind in den letzten Jahren erheblich von 232 Milliarden USD im Jahr 2007 auf 966 Milliarden USD im Jahr 2021 für Erwachsene im Alter zwischen 20 und 79 Jahren gestiegen.2
Das Ausmass dieser Zahlen unterstreicht die Dringlichkeit, wirksame Strategien zur Vorbeugung und Behandlung von T2D zu entwickeln, insbesondere durch die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil, und zwar bereits in jungen Jahren. Die Schulung und Unterstützung des Diabetesselbstmanagements, der Ernährungsansatz und regelmässige körperliche Aktivität sind nach wie vor die Grundpfeiler der Behandlung von T2D.3,4 Mit diesen Massnahmen können nicht nur die Langzeitkomplikationen, sondern auch die Entwicklung der Erkrankung bei Risikopatienten verhindert werden.
Ernährungsempfehlungen für T2D
Grundprinzipien der Ernährung bei T2D
Die Ernährung spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung von T2D. Das Hauptziel besteht darin, durch eine ausgewogene Ernährung den Blutzucker (BZ)im Zielbereich zu halten. Dies hat zusätzliche positive sekundäre Auswirkungen auf Gewicht, Blutdruck, Lipidprofil und die Komplikationen der Erkrankung, insbesondere kardiovaskuläre (CV) Komplikationen. Eine ausgewogene Ernährung kann durch den Verzehr von 2 bis 3 Mahlzeiten sowie 0 bis 3 Snacks pro Tag erreicht werden. Eine derartige Ernährungsstruktur ermöglicht eine Verteilung der Kohlenhydrate (KH) über den Tag (KH-Fraktionierung) mit dem Ziel, Hypoglykämien zu reduzieren oder sogar zu vermeiden, BZ-Spitzen zu begrenzen und Heisshungerattacken vorzubeugen. Die Schlüsselprinzipien beruhen auf der Auswahl der Kohlenhydrate, der Portionsgrösse der Ballaststoffe, der Einbeziehung einer Proteinquelle in jede Mahlzeit und der Auswahl einer Quelle für gesunde (ungesättigte) Fette.5–8 Die Empfehlungen und die zu erwartenden Vorteile für den BZ-Spiegel sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tab. 1: Ernährungsempfehlungen und glykämische Vorteile für Diabetespatienten5–8
Evidenz zur Wirksamkeit verschiedener Ernährungsweisen
Mehrere Studien haben die Wirksamkeit eines Ernährungsmanagements bei der Behandlung von Diabetes hervorgehoben, insbesondere mit günstigen Auswirkungen auf das HbA1c im Sinne einer Senkung um 0,3–2%.9 Auch verschiedene Ernährungsweisen haben sich bei der Behandlung von T2D und seinen Komplikationen als wirksam erwiesen. Die Mittelmeerdiät ist reich an Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Samen, Hülsenfrüchten und Schalenfrüchten, enthält Olivenöl als Hauptfettquelle und geringe bis mässige Mengen an Fisch, Eiern und Geflügel sowie wenig rotes Fleisch und Zucker (zugesetzt, gesüsste Getränke, raffinierte KH). Studien bei Diabetespatienten zeigen, dass eine mediterrane Ernährung mit niedrigeren HbA1c-Werten und einer Verringerung der Risikofaktoren und der CV Erkrankungen einhergeht.10,11 Auch die ursprünglich zur Bekämpfung von Bluthochdruck entwickelte DASH-Diät («dietary approaches to stop hypertension»), die reich an Obst und Gemüse ist und wenig gesättigte Fettsäuren und Zucker beinhaltet, hat sich als wirksam erwiesen, was die Inzidenz von CV Erkrankungen (Herzinfarkte, Schlaganfälle), das Auftreten von T2D oder die Kontrolle von Gewicht, Blutdruck, Lipidprofil und HbA1c bei Diabetikern betrifft.12 KH-arme Ernährungsweisen (auch als Low-Carb-Diäten bezeichnet), insbesondere solche, bei denen die KH auf weniger als 26% der Gesamtenergiezufuhr beschränkt sind, haben zu einer Senkung des HbA1c nach 3 und 6 Monaten geführt, allerdings ohne dass dieser Effekt nach 12 oder 24 Monaten anhielt.13 In einigen Studien wurde unter KH-armen Diäten im Vergleich zu Kontrolldiäten nach 6Monaten eine Remission des T2D (definiert als HbA1c <6,5%) erreicht. Es wurden Vorteile in Bezug auf Gewichtsabnahme, Triglyzeride und Insulinempfindlichkeit nach 6 Monaten beobachtet, die nach 12 Monaten jedoch weniger ausgeprägt waren.14 Auf spezifischere oder restriktivere Diäten, wie z.B. ketogene Diät, intermittierendes Fasten, Paläodiät usw., die uneinheitliche und zeitlich begrenzte Ergebnisse zeigen, soll hier nicht näher eingegangen werden.
Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bei T2D
Bedeutung von körperlicher Betätigung
Körperliche Aktivität ist für die Behandlung von T2D von grundlegender Bedeutung. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Gewichtskontrolle, der Senkung des BZ-Spiegels und der Verbesserung der Insulinempfindlichkeit. Sportliche Betätigung senkt ausserdem das Risiko für CV Komplikationen, die mit Diabetes einhergehen.
Empfohlene Arten von Aktivitäten
Menschen mit T2D sollten versuchen, eine Kombination aus aeroben und muskelkräftigenden Aktivitäten in ihren Tagesablauf zu integrieren. Gemäss den Leitlinien der American Diabetes Association sollten Erwachsene mit T2D mindestens 150min moderate bis kräftige körperliche Aktivität pro Woche anstreben, verteilt auf mindestens drei Tage, mit weniger als zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne Bewegung.6 Zudem wird empfohlen, zwei- bis dreimal pro Woche Beweglichkeits- und Gleichgewichtsübungen einzubauen, um insbesondere bei älteren Erwachsenen die Gelenkfunktion zu verbessern und Stürzen vorzubeugen. In Tabelle 2 sind die Empfehlungen zusammengefasst und Beispiele für körperliche Aktivitäten und deren zu erwartenden Nutzen für Diabetespatienten aufgeführt.
Tab. 2: Empfohlene körperliche Aktivitäten und positive Effekte auf den Blutzucker bei Diabetespatienten6, 15
Spezifische Vorteile von körperlicher Betätigung bei T2D
Regelmässige körperliche Betätigung führt zu einer deutlichen Verbesserung des T2D-Managements durch Reduktion des BZ-Spiegels, der CV Risikofaktoren sowie der Komplikationen und trägt zudem zur Gewichtsabnahme und zum Wohlbefinden bei.
Studien bei Diabetespatienten haben eine Verbesserung der Insulinempfindlichkeit über eine effizientere Verwertung von Glukose durch Muskeln und Leber dank regelmässiger körperlicher Aktivität gezeigt. Diese Effekte halten nach dem Training über insulinunabhängige und -abhängige Mechanismen, die mit der Wiederauffüllung des Muskelglykogenspeichers in Zusammenhang stehen, über 2 bzw. nach längerer körperlicher Aktivität bis zu 48h an.15 Sportliche Aktivität trägt dazu bei, ein gesundes Körpergewicht zu halten, was für die Diabetesbehandlung entscheidend ist, und sie senkt das CV Risiko durch Verbesserung der Blutdruckeinstellung und des Lipidprofils sowie Verringerung des Bauchumfangs (subkutanes und viszerales Bauchfett), des BZ-Spiegels und des HbA1c.15 Studien zeigen, dass regelmässiger Sport die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden verbessern und depressive Symptome bei Menschen mit T2D reduzieren kann.6
Zu betonen ist, dass diese Empfehlungen für körperliche Aktivität den Bewegungsmangel im Alltag, der in unserer Gesellschaft in jedem Alter ein grosses Problem darstellt, bekämpfen sollen.
Prävention von T2D
Eine frühzeitige Umstellung des Lebensstils, wie z.B. eine ausgewogene Ernährung und regelmässige körperliche Aktivität, trägt auch dazu bei, der Entwicklung eines T2D bei Risikopersonen vorzubeugen.16 Präventionsprogramme wie das Nationale Diabetespräventionsprogramm in den USA haben gezeigt, dass solche Interventionen das Risiko für einen T2D bei Personen mit Prädiabetes um bis zu 58% senken können.17 Eine frühzeitige Intervention kann zudem die langfristigen Folgen abmildern und gleichzeitig das Gewicht reduzieren und die CV Risikofaktoren minimieren.
Ein präventiver Ansatz ist nicht nur für die Gesundheit jedes Einzelnen von Vorteil, sondern zahlt sich auch für die öffentliche Gesundheit aus, da die mit langfristigen Therapien und den Diabeteskomplikationen verbundenen Kosten reduziert werden.
Schlussfolgerungen
T2D ist eine chronische Erkrankung, die sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene erhebliche Herausforderungen mit sich bringt. Das effektive Management der Erkrankung hängt stark von der Einhaltung entsprechender Ernährungsempfehlungen und regelmässiger körperlicher Aktivität ab, die nicht durch pharmakologische Ansätze ersetzt werden dürfen. Diese Strategien sind nicht nur für die Beherrschung der bestehenden Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität bereits diagnostizierter Personen von wesentlicher Bedeutung, sondern spielen auch für die Prävention eine entscheidende Rolle.
Eine ausgewogene Ernährung in Bezug auf Makronährstoffe, die wenig einfache KH und gesättigte Fettsäuren beinhaltet, kann dazu beitragen, den BZ-Spiegel wirksam zu regulieren und Diabeteskomplikationen vorzubeugen. Es wird empfohlen, regelmässig eine Kombination aus aeroben und muskelkräftigenden Aktivitäten zu praktizieren. Regelmässige Bewegung ist unerlässlich, um die Insulinempfindlichkeit zu verbessern, ein gesundes Körpergewicht zu halten und das Risiko für CV Erkrankungen zu senken.
Es ist wichtig, dass auch weiterhin noch wirksamere Präventions- und Behandlungsstrategien für T2D erforscht werden. Die Integration von Gesundheitstechnologien wie Lifestyle-Tracking-Apps und Echtzeitüberwachungsgeräten könnte die Einhaltung von vorgeschriebenen Diäten und Bewegungsroutinen steigern. Darüber hinaus könnten vertiefte Studien über die genetischen und umweltbedingten Auswirkungen auf Diabetes individuellere und effektivere Ansätze zur Prävention und zum Management der Krankheit ermöglichen.
Literatur:
1Bundesamt für Statistik: Diabetes. www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/krankheiten/diabetes.html 2 Magliano DJ et al.: Global picture. In: International Diabetes Federation: IDF Diabetes Atlas. 10th ed. International Diabetes Federation 2021 3 Gastaldi G et al.: Empfehlungen der SGED-SSED für die Behandlung von Diabetes Typ 2 (2023). https://www.sgedssed.ch 4 ElSayed NA et al.: Diabetes Care 2023; 46(Suppl 1): S158-90 5 Aubrey M et al.: Alimentation et diabete. www.diabetevaud.ch/wp-content/uploads/2023/10/P-S2.1-Alimentation-et-diabete_2023.pdf 6 American Diabetes Association Professional Practice Committee: Diabetes Care 2024; 47(Suppl 1): S77-110 7Evert AB et al.: Diabetes Care 2013; 36: 3821-42 8 Schweizerische Gesellschaft für Ernährung: Merkblatt und Diabetes mellitus Typ 2. www.sge-ssn.ch/media/ct_protected_attachments/6b1d892b3b1c0e80e934e7c7548840/Merkblatt_Ernaehrung_und_Diabetes_mellitus_Typ_2.pdf 9 Franz MJ et al.: J Acad Nutr Diet 2017; 117: 1659-79 10 Becerra-Tomás N et al.: Crit Rev Food Sci Nutr 2020; 60: 1207-27 11 Esposito K et al.: BMJ Open 2015; 5: 008222 12 Chiavaroli L et al.: Nutrients 2019; 11: 338 13 Sainsbury E et al.: Diabetes Res Clin Pract 2018; 139: 239-52 14 Goldenberg JZ et al.: BMJ 2021; 372: 4743 15 Colberg SR et al.: Diabetes Care 2016; 39: 2065 16 Balk EM et al.: Ann Intern Med 2015; 163: 437-51 17 Knowler WC et al.: N Engl J Med 2002; 346: 393-403
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