Genetische Erkrankungen und Diabetes mellitus
Autorin:
PD Dr. med. Gerlies Treiber
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinik für Innere Medizin, Graz
E-Mail: gerlies.treiber@medunigraz.at
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Diabetes mellitus umfasst eine sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen mit dem gemeinsamen Nenner Hyperglykämie. Neben Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 sowie dem Gestationsdiabetes gibt es eine Reihe von anderen selteneren Diabetesformen mit genetischem Hintergrund (Abb. 1). Neben den bekannteren monogenetischen Diabetesformen wie dem MODY(«maturity onset diabetes of the young»)-Diabetes wird in diesem Artikel auf Diabetes im Rahmen von Mitochondriopathien, cystischer Fibrose und Hämochromatose eingegangen.
Keypoints
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Diabetes mellitus erscheint in unterschiedlichen Formen und Typen, deren Unterscheidung für Therapie und Prognose relevant ist.
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Manifestiert sich Diabetes aufgrund von genetischen Ursachen bzw. im Rahmen von genetischen Erkrankungen sind oft Multisystemerkrankungen die Folge
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Diabetesschulung für MIDD und cystische Fibrose unterscheidet sich von jener für Typ-1- oder Typ-2-Diabetes.
Abb. 1: Seltene Diabetesformen und genetischer Hintergrund
MODY-Diabetes
Diese monogenetische Diabetesform betrifft ca. 2–5% aller Diabetesfälle. Sie ist charakterisiert durch einen autosomal-dominanten Erbgang und die 4 häufigsten Subtypen sind HNF1A-, HNF4A-, GCK- und HNF1B-MODY (früher als MODY Typ 3, 1, 2, 5 bezeichnet). In der Abklärung auf einen MODY-Diabetes helfen: Alter bei Diabetesdiagnose, BMI, Familienanamnese sowie HbA1c-Verlauf, C-Peptid-Werte, Art der Diabetestherapie, Fehlen von Typ-1-Diabetes-Autoantikörpern sowie der Einsatz des MODY Probability Calculators (https://www.diabetesgenes.org). Die korrekte Diagnose dieser MODY-Formen ist für die personalisierte Therapie und Prognose dieser Patienten von Relevanz:
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GCK-MODY: Ernährung und milder Verlauf, Besonderheit in der Schwangerschaft
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HNF1A-, HNF4A-MODY: niedrig dosierte Sulfonylharnstoffe, progressiver Verlauf
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HNF1B-MODY: Insulintherapie, progressiver Verlauf, zusätzlich exokrine Pankreasinsuffizienz, Organfehlbildungen
Mitochondriopathien und Diabetes
Mitochondriale Erkrankungen sind Störungen im Bereich mitochondrial lokalisierter Stoffwechselwege und das klinische Spektrum reicht von schweren Multiorganaffektionen im frühen Kindesalter bis zu milden monosymptomatischen Verläufen im Erwachsenenalter. Bei Erwachsenen ist die «MELAS-Mutation» m.3243A>G-Punktmutation des MT-TL1-Gens der mitochondrialen (mt) DNA bei 0,5 bis 2,9% aller Diabetesfälle am häufigsten nachweisbar. Dabei zeigt sich ein breites phänotypisches Spektrum: Patienten mit Schwerhörigkeit und Diabetes im Erwachsenenalter, MIDD («maternally inherited diabetes and deafness»), MELAS («mitochondrial encephalomyopathy, lactic acidosis and stroke-like episodes») sowie oligosymptomatische Patienten (z.B. Kardiomyopathie oder Diabetes) und asymptomatische Träger. Folgende Besonderheiten der mtDNA-Mutationen liegen vor:
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Je nach Gewebetyp enthalten die Zellen eine variable Anzahl von Mitochondrien mit jeweils mehreren Kopien des mitochondrialen Genoms.
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Liegen in einer Zelle Wildtyp und mutierte mtDNA gemeinsam vor, wird dies als Heteroplasmie bezeichnet, wobei der Heteroplasmiegrad den prozentualen Anteil mutierter mtDNA beschreibt.
Überschreitet der Anteil von mutierter mtDNA einen gewissen Prozentsatz (Schwellenwert), kommt es zu einem kritischen Abfall der Energieproduktion der Zelle und zum Auftreten von Symptomen.
Durch die Störung auf Ebene der mitochondrialen Atmungskette kann es zu verminderter Insulinsekretion durch Dysfunktion der Betazellen, zu herabgesetzter Insulinempfindlichkeit der Muskulatur und/oder durch vermehrte Laktatgeneration zu einer Steigerung der Glukoneogenese kommen.
Der mitochondriale Diabetes ist assoziiert mit der m.3243A>G-Mutation und manifestiert sich im Mittel im 38. Lebensjahr (11–68 Jahre) mit hoher Penetranz. Meist zeigt sich ein schleichender Beginn, jedoch kann es in 20% der Fälle zur akuten Manifestation kommen mit einem 8%igen Risiko für eine diabetische Ketoazidose. Eine sensorineurale Schwerhörigkeit (cochlear) liegt bei 75% der m.3243A>G-Träger mit Diabetes vor, dabei sind Männer früher und schwerer betroffen.
Die Bestimmung der Heteroplasmie im Harnsediment stellt die Diagnosemethode der Wahl dar. Die Identifikation von seltenen mtDNA-Mutationen gelingt über eine gezielte Sequenzierung bestimmter mtDNA-Gene in Abhängigkeit vom klinischen Phänotyp oder über die Untersuchung des gesamten mitochondrialen Genoms. Allgemeine Zusatzuntersuchungen nach Diagnosestellung einer mitochondrialen Diabeteserkrankung:
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Kardiologische Untersuchungen mit 24-Stunden-EKG, Herzultraschall (Kardiomyopathie?, Reizleitungsstörungen?), häufige Herzschrittmacher-Indikation!
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Ophthalmologischer Status mit Fundoskopie (Pigmentdegeneration der Retina?, Optikusatrophie?, Bulbusmotilitätsstörungen?)
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Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung (Innenohrschwerhörigkeit?) mit Videofluoroskopie bei Dysphagie (ösophageale Motilitätsstörung?)
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Weitere endokrinologische Untersuchungen (Hypothyreose? Hypoparathyreoidismus?)
Bislang steht keine kurative Behandlung zur Verfügung. Die Diabetesbehandlung sollte individualisiert erfolgen, dabei kommt es oft rasch zum Sekundärversagen und eine Einstellung auf Insulin wird notwendig.
Cystische Fibrose
Mit einer Inzidenz von 1:2500 ist die cystische Fibrose (CF) – auch Mukoviszidose genannt – eine häufige Stoffwechselerkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang. Die Diagnose wird im Rahmen des Neugeborenen-Screenings gestellt. Am langen Arm des Chromosoms 7 kommt es zu Mutationen, wobei durch den Defekt am CFTR («cystic fibrosis transmembrane conductance regulator»)-Gen der Transport von Chloridionen an der Zellmembran verringert wird. In allen Organen mit exokrinen Drüsen kommt es zu Störungen durch den defekten Chloridtransport. Am stärksten betroffen ist die Lunge. Die häufigste Todesursache ist die pulmonale Erkrankung mit einer respiratorischen Insuffizienz auf dem Boden der rezidivierenden Infekte. Neben der pulmonalen Manifestation ist der Gastrointestinaltrakt am häufigsten betroffen.
Aufgrund der Malabsorption v.a. im Rahmen der Pankreasinsuffizienz kann im Kindesalter eine Gedeihstörung und im Erwachsenenalter eine ausgeprägte Dystrophie auftreten. Mit zunehmender Lebenserwartung tritt zusätzlich ein Diabetes mellitus («cystic fibrosis-related diabetes» [CFRD]) auf (zu 2% im Kindesalter, zu 19% bei Jugendlichen und bei über 30-Jährigen zu mehr als 50%). Mit zunehmender exokriner Pankreasinsuffizienz kommt es zur Reduktion der Insulinsekretion und zum Anstieg der Blutzuckerwerte. Durch rezidivierende respiratorische Infekte und Cortisongaben kommt es zusätzlich zum Anstieg der Insulinresistenz.
Die Diabetestherapie der Wahl bei Patienten mit CFTR ist die frühzeitige Insulintherapie, deren anabole Effekte sich positiv auf den Ernährungszustand sowie die Lungenfunktion auswirken. Die Insulintherapie ist für die Patienten ein zusätzlicher Therapieaufwand und eine zusätzliche Therapiebelastung; sie unterscheidet sich von den Insulintherapien bei Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Die veränderte Nahrungsaufnahme bei vorliegender exokriner Pankreasinsuffizienz sowie die oft notwendige hochkalorische Ernährung sind im Timing des Mahlzeitenbolus in der Diabetesschulung zu berücksichtigen.
Hämochromatose
Die Hämochromatose ist eine hereditäre Erkrankung, die zu Eisenablagerungen in bestimmten Organen führt, wobei die häufigste Ursache die autosomal-rezessiv vererbliche Hämochromatose Typ I (Häufigkeit 1:1000 in Europa) ist. Dabei führt die homozygote C282Y-Mutation im HFE-Gen zur gesteigerten intestinalen Eisenresorption des Dünndarms. Die Ablagerungen lösen vielfältige Organerkrankungen aus. Häufig ist vor allem die Entwicklung einer Leberzirrhose und eines Diabetes mellitus (vorliegend bei 50% der symptomatischen Patienten). Die bronzefarbene Hautpigmentierung in Kombination mit dem Diabetes mellitus wird auch als «Bronzediabetes» bezeichnet.
Die Pathophysiologie des Diabetes mellitus im Rahmen dieser Erkrankung ist noch nicht eindeutig, da es einerseits zur Zunahme der Insulinresistenz, andererseits aber auch durch die Eiseneinlagerung in die Betazellen zu Insulinsekretionsdefekten kommt.
Weitere Leitsymptome sind EKG-Veränderungen durch die Kardiomyopathie, Arthralgien bei symmetrischem Befall der Metakarpophalangealgelenke II und III, Libidoverlust und andere endokrinologische Störungen (Hypophyse, Schilddrüse, Gonaden).
Erhöhtes Serumferritin (>300μg/l), erhöhte Transferrinsättigung (>60%) und Transaminasenerhöhung im Labor weisen auf eine Hämochromatose hin.
Die Diagnose kann durch molekulargenetische Diagnostik oder eine Leberbiopsie bzw. nicht invasiv mittels MRT von Leber oder Herz gesichert werden.
Therapeutisch besteht vor allem die Möglichkeit wiederholter Aderlässe, um die Eisenkonzentration im Körper zu senken. Zudem kann diätetisch und medikamentös (Chelatbildner wie Deferoxamin) Einfluss auf den Eisenhaushalt des Körpers genommen werden. Dabei sind die frühzeitige Diagnose und der Therapiebeginn vor Beginn einer Leberzirrhose für die Prognose relevant.
Literatur:
• Adams PC: Hemochromatosis: ancient to the future. Clinical Liver Disease 2020; 16(Suppl 1): 83-90 • American Diabetes Association: Diagnosis and classification of diabetes mellitus. Diabetes Care 2014; 37: S81-90 • Barton JC, Acton RT: Diabetes in HFE hemochromatosis. J Diab Res 2017; 9826930 • Hattersley AT, Patel KA: Precision diabetes: learning from monogenic diabetes. Diabetologia 2017; 60: 769-77 • Kelly A, Moran A: Update on cystic fibrosis-related diabetes. J Cyst Fibros 2013; 12: 318-31 • Moheet A, Moran A: CF-related diabetes: containing the metabolic miscreant of cystic fibrosis. Pediatric Pulmonology 2017; 70: S37-S47 • Simcox JA, McClain DA: Iron and diabetes risk. Cell Metab 2013; 17: 329-41 • Yeung RO et al.: Not quite type 1 or type 2, what now? Review of monogenetic, mitochondrial, and syndromic diabetes. Rev Endocr Metab Disord 2018; 19: 35-52
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