Hyperglykämie in der Schwangerschaft
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Diabetes mellitus in der Schwangerschaft ist für Mutter und Kind mit Risiken assoziiert.1 Welche Richtlinien für die Diagnose und Behandlung bei einem Gestationsdiabetes und bei einem vorbestehenden Diabetes mellitus in der Schwangerschaft gelten, erklärte Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Zürich, am FOMF Diabetes Update Refresher.
Keypoints
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Kein Screening auf Gestationsdiabetes (GDM)
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Bei allen Frauen soll in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche ein OGGT (75g) durchgeführt werden (Ausnahme: Nüchternblutzucker ≥5,1mmol/l oder <4,4mmol/l).
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BZ-Werte für Diagnose GDM: Nüchtern-BZ ≥5,1mmol/l, 1h-OGTT-Wert ≥10,0mmol/l, 2h-OGTT-Wert ≥8,5mmol/l
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Bei einem Nüchternblutzucker ≥5,1mmol/l in der Frühschwangerschaft liegt ein GDM vor.
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Blutzuckerzielwerte in der Schwangerschaft: Nüchtern-BZ <5,3mmol/l, 1h postprandial <8,0mmol/l, 2h postprandial <7,0mmol/l
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Lebensstilmassnahmen sind zentral für die Prävention und Behandlung des GDM.
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BMI und Blutzucker der Mutter sind unabhängige Prädiktoren für das Geburtsgewicht.
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Prävention und Behandlung des GDM senken das Risiko für perinatale Komplikationen und für Spätfolgen bei Mutter und Kind.
In der Schweiz ist von den 80000 Geburten pro Jahr circa jede sechste Geburt mit einer Diabetesform vergesellschaftet und belastet; sei dies mit einem vorbestehenden bekannten oder unerkannten Typ-2-Diabetes (T2D) oder einem Gestationsdiabetes. Typ-1-Diabetes (T1D) betrifft nur etwa 160 Geburten pro Jahr.
«Für einen vorbestehenden unerkannten Diabetes mellitus gelten die üblichen Diagnosekriterien», erklärte Lehmann. Konkret kann die Diagnose eines vorbestehenden Diabetes gestellt werden, wenn bei der ersten Schwangerschaftskontrolle einer der folgenden Grenzwerte erreicht oder überschritten ist: Nüchtern-Blutzucker (BZ) ≥7mmol/l, HbA1c ≥6,5%, Gelegenheits-BZ oder BZ 2h nach oralem Glukosetoleranztest (OGTT) ≥11,1mmol/l.2 «Für die Diagnose eines Gestationsdiabetes ist das HbA1c nicht geeignet, für die Diagnose eines vorbestehenden, bisher unerkannten Diabetes aber schon», so Lehmann.
Höheres Hypoglykämierisiko zu Beginn der Schwangerschaft
Im Verlauf der Schwangerschaft verändert sich der Insulinbedarf. Bei Frauen mit T1D sinkt er im ersten Trimenon um 15–20% und steigt danach bis zur 36. Schwangerschaftswoche (SSW) um 5% pro Woche. Der Insulinbedarf in der 36. SSW ist verglichen mit dem Bedarf vor der Schwangerschaft 50% höher und verglichen mit dem niedrigsten Wert im ersten Trimenon 70–100% höher.3
Diese bessere Insulinsensitivität zwischen der 7. SSW und 14. SSW geht mit mehr Hypoglykämien einher.4 «Darüber müssen die Patientinnen aufgeklärt werden», betonte der Referent. Frauen mit Kinderwunsch und T1D oder T2D müssen ausserdem wissen, dass das HbA1c präkonzeptionell <6,5% sein sollte.2 Ab einem HbA1c von 6,5% steigt nämlich das Risiko für kongenitale Anomalien. Dabei nimmt das Risiko mit steigendem HbA1c-Wert linear zu und beträgt bei einem HbA1c von 10% circa 10%.5 Im Vergleich dazu: Bei Schwangerschaften ohne Diabetes beträgt das Risiko für kongenitale Anomalien 2%.
Gestationsdiabetes: Definition und Screening
Definitionsgemäss entspricht der Gestationsdiabetes (GDM) einer Glukoseintoleranz, die erstmals während der Schwangerschaft entdeckt wird. «Diese Definition ist unabhängig von der Art der Therapie und davon, ob der Zustand nach der Entbindung persistiert», so Lehmann. Auch schliesst diese Definition die Möglichkeit nicht aus, dass schon zuvor eine Glukoseintoleranz oder ein Diabetes mellitus vorhanden waren.1
Weiter wird unterschieden zwischen vorbestehendem Diabetes (T1D, T2D oder andere Diabetesform) und Hyperglykämie in der Schwangerschaft. Letztere wird weiter unterteilt in vorbestehenden, aber bisher unbekannten Diabetes und in GDM. Beim GDM wiederum gibt es die frühe Form (vor der 24. SSW) und die klassische Form (24. bis 28. SSW).1
Ein OGTT für alle Schwangeren
«Für das GDM-Screening gibt es die klare Empfehlung, bei jeder Schwangeren zwischen der 24. und 28. SSW einen 75g-OGTT durchzuführen», erklärte Lehmann. Die Grenzwerte für das Vorliegen eines GDM liegen bei ≥5,1mmol/l für den Nüchtern-BZ, ≥10,0mmol/l für den 1h-OGTT-Wert und ≥8,5mmol/l für den 2h-OGTT-Wert.6
Ein GDM-Screening vor der 24. SSW ist nur bei Frauen mit einem erhöhten Risiko angezeigt. Zu den Risikofaktoren gehören Alter >35 Jahre, BMI >30kg/m2, Prädiabetes/GDM in der Vorgeschichte, polyzystisches Ovarsyndrom, Behandlung mit Steroiden oder Antipsychotika, Geburtsgewicht >4500g bei einer vorherigen Schwangerschaft, habituelle Aborte und Polyhydramnion. Ein OGTT vor der 24.SSW wird jedoch nicht empfohlen. In dieser Phase reicht ein Nüchtern-BZ ≥5,1mmol/l für die Diagnose eines GDM.7 Liegt der Wert darunter, wird auch in der Risikopopulation zwischen 24. und 28. SSW ein OGTT durchgeführt.7
Die Evidenz für die diagnostischen Grenzwerte des OGTT in der Schwangerschaft liefert u.a. die HAPO-Studie, eine grosse internationale multizentrische Studie mit 25000 Probandinnen aus vier Kontinenten.8 «Die Studie zeigte, dass das Makrosomie-Risiko mit Zunahme der Werte für alle Blutzuckerkategorien – Nüchternblutzucker, 1h- oder 2h-OGTT-Wert – stetig steigt», sagte Lehmann.
GDM: Risiko für Mutter und Kind
Ein unbehandelter GDM ist mit verschiedenen Risiken verbunden. So ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Präeklampsie und Eklampsie erhöht und 63% der betroffenen Frauen entwickeln nach 10 bis 15 Jahren einen manifesten T2D. Ein unbehandelter GDM erhöht aber auch das Risiko für eine Makrosomie und die damit assoziierten Komplikationen, wie Schulterdystokie, postpartale Hypoglykämie beim Neugeborenen und erhöhte Sectio-Rate, sowie für weitere neonatale Komplikationen (Abb. 1). Zudem ist bekannt, dass ein Nüchtern-BZ >5,8mmol/l in den letzten vier bis acht SSW mit einer erhöhten Häufigkeit für intrauterinen Fruchttod einhergeht.
Abb. 1: Neonatale Komplikationen bei Gestationsdiabetes (adaptiert nach Sweeting et al. 2022)1
Die gute Nachricht: Die Risiken können bei Erstmanifestation eines GDM allein durch Änderung des Lebensstils signifikant reduziert werden. Auch schützt eine frühzeitige Diabetesdiagnose und -therapie vor Spätfolgen bei Mutter und Kind. «Frauen mit einem GDM sind jedoch Risikopatientinnen. Sie müssen nach der Entbindung weiter engmaschig kontrolliert werden», so Lehmann.
Blutzuckereinstellung bis zur 20. SSW
Für die Schwangerschaft gelten spezielle Blutzuckerzielwerte. Da die Blutzuckermessgeräte für den Heimgebrauch ungenau sind (+/–15%), hat die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetes (SGED) gut merkbare Zielwerte definiert, die leicht abweichen von den internationalen Werten. Sie empfiehlt für Schwangere folgende Zielwerte: Nüchtern-BZ <5,3mmol/l, BZ 1h postprandial <8,0mmol/l und BZ 2h postprandial <7,0mmol/l.6
«Um den Blutzucker bei einem bekannten Diabetes in der Schwangerschaft einzustellen, hat man Zeit bis zur 20. SSW. Ab diesem Zeitpunkt reagiert der Fötus auf hyperglykäme Reize mit erhöhter Insulinproduktion», erklärte Lehmann. Studien zeigen, dass eine gute BZ-Einstellung das Risiko für perinatale Komplikationen bei Mutter und Kind signifikant verringert.9,10
Auch auf die Gewichtszunahme muss geachtet werden
«Neben einer guten Blutzuckerkontrolle ist auch eine normale Gewichtszunahme der Mutter in der Schwangerschaft zentral, um eine übermässige Gewichtszunahme beim Fötus und eine spätere Entwicklung eines Diabetes bei Mutter und Kind zu verhindern», betonte der Spezialist. Denn Adipositas ist neben GDM und einem vorbestehenden Diabetes einer der wichtigsten Risikofaktoren für Makrosomie.11 Zwischen dem BMI der Mutter und dem BMI des Kindes besteht eine direkte Beziehung: «Je schwerer die Mutter, desto schwerer das Kind.»12 BMI und BZ der Mutter sind unabhängige Prädiktoren für das Geburtsgewicht. Das Risiko für ein Geburtsgewicht über der 90. Perzentile beträgt bei Adipositas und normalem BZ 2,07, bei GDM und Normalgewicht 2,58 und bei GDM und Adipositas 5,35.13 «Es ist deshalb wichtig zu betonen, dass Frauen mit Übergewicht in der Schwangerschaft weniger zunehmen sollten als normalgewichtige Schwangere. Bei adipösen Frauen kann man sogar postulieren, dass sie während der Schwangerschaft überhaupt nicht oder maximal 4 bis 5kg zunehmen sollten», so Lehmann.
Behandlung des GDM: Lebensstilmassnahmenim Fokus
Prävention und Therapie des GDM basieren auf Ernährung, geringer Gewichtszunahme, körperlicher Aktivität und allenfalls Insulin. Die ersten drei Massnahmen reichen bei einem Grossteil der Schwangeren aus, ein Viertel braucht zusätzlich Insulin. Mittels körperlicher Aktivität können vorwiegend Frauen mit einem BMI >30kg/m2 das GDM-Risiko signifikant senken.14,15 Körperliche Aktivität ist aber auch für die Behandlung des GDM sehr effektiv und bewirkt insbesondere eine starke Reduktion des postprandialen BZ.16 «Bei der Ernährung sollte auf eine Kalorienreduktion geachtet werden, Kohlenhydrate sollten insgesamt weniger und nicht am Morgen, sondern eher zu Mittag und am Abend gegessen werden. Überdies ist es wichtig, eine Protein-Mangelernährung zu vermeiden», erläuterte Lehmann.
Ist zusätzlich zu den Lebensstilmassnahmen eine medikamentöse Behandlung nötig, um die BZ-Zielwerte zu erreichen, wird Insulin eingesetzt. Metformin und Sulfonylharnstoffe sind für die Behandlung des GDM nicht geeignet. Eine Indikation für den Einsatz von Insulin ist auch ein exzessives Wachstum des Fötus.
Bei Schwangeren mit T2D muss eine Behandlung mit Insulin begonnen werden, wenn die Zielwerte für BZ und Zeit im Zielbereich (Tab. 1) innert ein bis zwei Wochen nicht zu >85–90% erreicht werden.
Tab. 1: Ziele für Zeit im Zielbereich für Typ-1- (T1D) und Typ-2-Diabetes (T2D)
«Für die Behandlung in der Schwangerschaft sind alle gängigen Insuline wie Novo Rapid®, Humalog®, Insulatard HM®, Levemir®, Lantus®, Toujeo® und Tresiba® geeignet. Studien speziell bei Schwangeren gibt es zwar nur für Levemir® und Tresiba®, aber die Erfahrung zeigt, dass auch die anderen Insuline problemlos eingesetzt werden können», so der Experte. 40–50% des Insulinbedarfs sollen mit Basalinsulin gedeckt werden und 50–60% mit Bolus-Insulin in drei Dosen prandial. «Die benötigten Insulindosen sind bei Frauen mit T2D oder GDM beträchtlich. Im ersten Trimester sind es circa 0,7E/kgKG, im zweiten Trimester 0,8E/kgKG und im dritten Trimester 0,9E/kgKG.»
Peripartal wird bei Frauen mit GDM das Insulin gestoppt und der Blutzucker alle drei Stunden kontrolliert. Wird der Zielbereich von 5–10mmol/l überschritten, muss Insulin gegeben werden. Bei Frauen mit vorbestehendem Diabetes wird während der Geburt nur Basalinsulin gegeben (alternativ Insulinperfusor parallel mit Glukoseinfusion) und der Blutzucker alle zwei bis drei Stunden kontrolliert. Der Zielbereich liegt auch hier bei 5–10mmol/l. «Wichtig zu wissen ist, dass bei T1D der Insulinbedarf in den ersten 24 bis 48 Stunden postpartal um ein Drittel bis ein Viertel abnimmt», sagte Lehmann.
Bei Frauen mit GDM muss 6 Wochen postpartal ein OGTT durchgeführt werden, um eine Reklassifizierung vornehmen zu können. Das weitere Vorgehen ist abhängig davon, ob ein normaler BZ, eine gestörte Nüchternglukose, eine gestörte Glukoseintoleranz, ein T1D, T2D oder eine Diabetessonderform vorliegt.
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 9. bis 12. November 2023, Zürich
Literatur:
1 Sweeting A et al.: A clinical update on gestational diabetes mellitus. Endocr Rev 2022; 43: 763-93 2 American Diabetes Association: Standards of medical care in diabetes 2012. Diabetes Care 2012; 35(Suppl 1):S11-63 3 Jovanovic L et al.: Declining insulin requirement in the late first trimester of diabetic pregnancy. Diabetes Care 2001; 7: 1130-6 4 Nielsen LR et al.: Hypoglycemia in pregnant women with type 1 diabetes: predictors and role of metabolic control. Diabetes Care 2008; 31: 9-14 5 Bell R et al.: Peri-conception hyperglycaemia and nephropathy are associated with risk of congenital anomaly in women with pre-existing diabetes: a population-based cohort study. Diabetologia 2012. doi: 10.1007/s00125-012-2455-y 6 Lehmann R et al.: [New insights into diagnosis and management of gestational diabetes mellitus: recommendations of the Swiss Society for Endocrinology and Diabetes.] Ther Umsch 2009; 66: 695-706 7 Boyd EM et al.: International association of diabetes and pregnancy study groups recommendations on the diagnosis and classification of hyperglycemia in pregnancy. Diabetes Care 2010; 33: 676-82 8 HAPO Study cooperative Research Group; Boyd EM et al.: Hyperglycemia and adverse pregnancy outcomes. N Engl J Med 2008; 358: 1991-2002 9 Crowther CA et al.: Effect of treatment of gestational diabetes mellitus on pregnancy outcomes. N Engl J Med 2005; 352: 2477-86 10 Landon MB et al.: A multicenter, randomized trial of treatment for mild gestational diabetes. N Engl J Med 2009; 361: 1339-48 11 Spellacy WA et al.: Macrosomia—maternal characteristics and infant complications. Obstet Gynecol 1985; 66: 158-61 12 Green JR et al.: Influence of maternal body habitus and glucose tolerance on birth weight. Obstet Gynecol 1991; 78: 235-9 13 Catalano PM et al.: The hyperglycemia and adverse pregnancy outcome study: associations of GDM and obesity with pregnancy outcomes. Diabetes Care 2012; 35: 780-6 14 Dye TD et al.: Physical activity, obesity, and diabetes in pregnancy. Am J Epidemiol 1997; 146: 961-5 15 Tobias DK et al.: Physical activity before and during pregnancy and risk of gestational diabetes mellitus: a meta-analysis. Diabetes Care 2011; 34: 223-9 16 Jovanovic-Peterson L, Peterson CM: Is exercise safe or useful for gestational diabetic women? Diabetes 1991; 40 (Suppl 2): 179-81
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