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Muskeldystrophie Duchenne

Vielversprechende Therapien

Die Früherkennung und zeitnahe Therapieinitiierung sind der Schlüssel für eine Verlangsamung des Fortschreitens der Muskeldystrophie Duchenne. Neue Therapieansätze wie dissoziative Steroide, Histon-Deacetylase(HDAC)-Hemmer und Micro-Dystrophin-Varianten werden die Therapielandschaft langfristig verbessern. Auch nationale und internationale Kollaborationen, unter anderem zum Aufbau eines Patientenregisters, können hierzu beitragen.

Ein Therapiefeld im Wandel

Muskeldystrophien sind eine genetisch heterogene Gruppe von degenerativen Muskelkrankheiten, die durch einen progressiven Muskelschwund und Muskelschwäche gekennzeichnet sind.1 Univ.-Prof. Dr.Günther Bernert aus Wien erläuterte, dass die Muskeldystrophie Duchenne (DMD) die häufigste und schwerste Form dieser Erkrankung darstellt.1 Sie wird X-chromosomal rezessiv vererbt und betrifft 1:3500–5000 Jungen.2 Die Ursache der Dystrophie sind Deletionen und seltener auch Mutationen im Dystrophin-Gen.3 Dystrophin verbindet das Zytoskelett mit der Membran und der extrazellulären Matrix und sorgt so für die mechanische Stabilität während der Muskelkontraktion.4 Das Fehlen von Dystrophin erhöht die Empfindlichkeit der Muskelfasern gegenüber Schäden durch Kontraktionen und führt schließlich zur Degeneration und zum Abbau von Muskelfasern, was zur Schwäche von Skelettmuskeln und dem Herzen führt.5

Pathogenese und Signifikanz einer frühzeitigen Diagnose

Mit fortschreitender DMD werden Muskelfasern durch fibrotisches Gewebe und Fett ersetzt, was zu einer progressiven und unwiderruflichen Verringerung der physischen Funktionsfähigkeit führt. Dieser Prozess ist bereits im Alter von 5–6 Jahren stark ausgeprägt.6 Ab einem Alter von 10 Jahren kommt es zum Verlust des freien Laufens und im Teenageralter sind die meisten Patienten rollstuhlpflichtig. Zudem sind in diesem Stadium die Arme nur noch eingeschränkt beweglich und es tritt die Notwendigkeit einer Atemunterstützung auf.6 Mit etwa 20 Jahren erfolgt der Funktionsverlust der Oberkörpermuskulatur, begleitet von kardialen und respiratorischen Komplikationen. Das mittlere Sterbealter liegt zwischen 20 und 30 Jahren.6

Da es bisher kein Screening für DMD gibt, müssen Erkrankte frühzeitig erkannt werden, da die frühestmögliche Identifikation prognostisch entscheidend ist.6,7 Neben den spezifisch muskelbedingten Symptomen müssen auch unspezifische Symptome beachtet werden. So sollte beim Auftreten unspezifischer Entwicklungsverzögerungen ein Creatin-Kinase(CK)-Screening erfolgen, da CK-Werte bei DMD obligat erhöht sind.8 Niedergelassene Pädiater:innen und Allgemeinmediziner:innen können so einen entscheidenden Beitrag zur frühzeitigen Identifikation leisten.

Wirkungsvolle Off-Label-Therapien mit Steroiden

Ziel der DMD-Therapie sind die Verzögerung der Krankheitsprogression und der Erhalt der Lebensqualität.9 Der therapeutische Goldstandard sind Steroide, die für den bestmöglichen Nutzen zwischen dem 4. und 5. Lebensjahr begonnen werden sollten.9 Sie verbessern im Allgemeinen die Muskelkraft, verlängern das freie Gehen um etwa zwei Jahre und haben einen positiven Effekt auf die Herz- und Lungenfunktion.9–11 Steroide haben jedoch auch weitreichende Nebenwirkungen.9–11

Eine vergleichende Studie zur Wirkungsweise von Deflazacort und Prednisolon bei 196 DMD-Patienten konnte zeigen, dass sich die Vor- und Nachteile beider Präparate ausgleichen.12

Demnach sollte bei Patienten mit Fokus auf Skelettgesundheit Deflazacort vermieden werden; die Prednisolon-Therapie hingegen verstärkt die Gewichtszunahme und Wachstumsretardierung. Die Studie konnte zudem zeigen, dass eine kontinuierliche Steroidtherapie einem On/Off-Schema überlegen ist.12 Es bleibt anzumerken, dass beide Steroide nicht für DMD indiziert sind, jedoch erhalten laut einer Studie 78% der 6- bis 18-Jährigen Steroide.13

Vielversprechende Daten zum dissoziativen Steroid Vamorolon

Im Dezember 2023 kam das dissoziative Steroid Vamorolon auf den Markt. Die zugrunde liegende VISION-DMD-Studie wurde mit 46 DMD-Patienten zwischen 4 und 7 Jahren durchgeführt.14,15 Sie umfasste zwei Vamorolon-Arme (2mg und 6mg/kg/Tag), einen Placebo-Arm und einen Prednison-Arm. Es konnten keine signifikanten Unterschiede in der Wirkung von Prednison und dem 6-mg-Vamorolon-Arm ermittelt werden. Auch die 2-mg-Vamorolon-Kohorte zeigte signifikante Verbesserungen gegenüber dem Placebo-Arm.14,15 Somit scheint es keinen Schwellenwert für die Wirkung von Vamorolon zu geben.

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Infektionen der oberen Atemwege, Übelkeit, cushingoides Aussehen, Husten, Pyrexie und Diarrhö.15 Die steroidtypischen Nebenwirkungen blieben auf dem Niveau von Prednisolon, gerade Verhaltensauffälligkeiten waren aber reduziert. Auch Veränderungen der Knochenumbaumarker waren signifikant reduziert.14,15 Somit bleibt unter Vamorolon die entzündungshemmende Wirkung von Steroiden erhalten, bei Reduktion der Sicherheitsbedenken, was eine Überlegenheit im Langzeitgebrauch vermuten lässt.

Erste Behandlungserfolge mit Histon-Deacetylase-Hemmern

Einen innovativen Therapieansatz stellen die Histon-Deacetylase(HDAC)-Hemmer dar. Sie setzen an der pathologischen Überaktivität von HDAC an, die zu Muskelschäden beziehungsweise zum Umbau der Muskulatur in Fett- und Bindegewebe führen.16 Bisherige Studien konnten eine verminderte Fibrose, eine verbesserte Muskelregeneration und eine klinisch signifikante Krankheitsverlangsamung zeigen.16

Die randomisierte, doppelblinde Phase-III-Studie EPIDYS untersuchte die Wirkung von Givinostat gegenüber Placebo bei 179 Patienten über einen Behandlungszeitraum von 18 Monaten.17 Es konnten Verbesserungen in der Muskelmasse und eine Verlangsamung der Fetteinlagerung von 30% ermittelt werden, mit einer positiven Auswirkung auf den Krankheitsverlauf.17 Die Behandlung mit Givinostat erfolgte im Hintergrund einer Steroidtherapie, was im März 2024 zu einer Zulassung in den USA von Givinostat in Kombination mit einem Steroid zur oralen Behandlung von DMD-Patienten ≥6 Jahre führte.18 Die europäische Zulassung wird für Mitte 2025 erwartet.

Signifikante Verbesserungen durch experimentelle Dystrophin-Varianten

Eine weitere alternative Behandlungsmethode ist die Genaddition, jedoch ist Dystrophin mit mehr als 2,2 Millionen Basenpaaren das längste Gen des Menschen und konnte bisher nicht in Zellen eingebracht werden.19 Ein Zufall lieferte einen entscheidenden Impuls: Ein 61-jähriger Patient hatte trotz einer Muskeldystrophie seine Gehfähigkeit erhalten.20 Eine Analyse zeigte, dass zwar 46% der Dystrophinsequenz des Patienten deletiert waren (Exons 17–48 und 5106bp der codierenden Sequenz), das resultierende Protein aber noch einen Teil seiner Funktion erfüllen konnte.20

Zurzeit werden drei verschiedene experimentelle Dystrophinvarianten mit Deletionen erforscht.21 Bisher mangelt es aber noch an einem guten Überblick über Effektgröße und Effektdauer. Die Therapien haben zum Teil erhebliche mutationsabhängige Nebenwirkungen (kardiale Probleme, immunmediierte Myositis), was einige Patientengruppen bereits ausschließt.21

Die bisher vielversprechendsten Daten kommen aus der Phase-II-Studie SRP-9001-102 zur Wirksamkeit von Delandistrogene Moxeparvovec. Die bisherigen 1-Jahres-Daten zeigten bei der Mehrzahl von Funktionstests eine signifikante Verbesserung.22 Aufgrund dieser Daten erfolgte rezent eine Erweiterung der Zulassung in den USA für ambulante und nichtambulante DMD-Patienten ≥4 Jahre mit einer bestätigten Mutation in Dystrophin.23 Eine EU-Zulassung wird für Mitte 2025 erwartet.

Das Aufkommen dieser neuen und vielversprechenden Therapieoptionen bringt das Therapiefeld weiter voran. Die Anstrengung liegt nun auch in der Integration dieser Therapien in einen international abgestimmten und durch Daten abgesicherten Therapiepfad. Ein erster Schritt wäre der Aufbau eines abgestimmten DMD-Patientenregisters.

Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Günther Bernert ,,Therapien bei Muskeldystrophie Duchenne“ auf der Tagung „UpDate Muskelforschung 2024“, 14.–15. Juni 2024, Wien

1 Emery AE: Lancet 2002; 359(9307): 687-95 2 2 Ellis JA et al.: Neuromuscul Disord 2013; 23(8): 682-9 3 Hoffman EP et al.: Cell 1987; 51(6): 919-28. Hoffman EP et al.: Cell 1987; 51(6): 919-28 4 Pytel P, Anthony DC: Peripheral nerves and skeletal muscles. In: Kumar V et al.: Robbins and Cotran Pathologic basis of disease. 9. Aufl. Philadelphia: Elsevier Saunders, 2015. S. 1227-50 5 Petrof BJ et al.: PNAS 1993; 90(8): 3710-4 6 Kinnett K et al.: PLoS Curr 2015; 7 7 Annexstad EJ et al.: Tidsskr Nor Laegeforen 2014; 134(14): 1361-4 8 van Ruiten HJ et al.: Arch Dis Child 2014; 99(12): 1074-7 9 Birnkrant DJ et al.: Lancet Neurol 2018; 17(3): 251-67 10 McDonald CM et al.: J Neuromuscul Dis 2023; 10(1): 67-79 11 McDonald CM et al.: Lancet 2018; 391(10119): 451-61 12 Guglieri M et al.: JAMA 2022; 327(15): 1456-68 13 Hiebeler M et al.: Sci Rep 2023; 13(1): 179 14 Guglieri M et al.: JAMA Neurol 2022; 79(10): 1005-14 15 Dang UJ et al.: Neurology 2024; 102(5): e208112 16 Yoon S et al.: Int J Mol Sci 2019;20(6): 1329 17 Vandenborne K et al.: Neuromuscular Disorders 2023; 33: S79-80 18 FDA Fachinformation Duvyzat, Stand März 2024 19 Wang D et al.: Nat Rev Drug Discov 2019; 18(5): 358-78 20 England SB et al.: Nature 1990; 343(6254): 180-2 21 Duan D et al.: Mol Ther 2018; 26(10): 2337-56 22 Mendell JR et al.: Front Cell Dev Biol 2023; 11: 1167762 23 FDA Fachinformation Elevidys, Stand Juni 2024

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