<p class="article-intro">Noch vor knapp 50 Jahren war keine Therapie zur Behandlung des Cushing-Syndroms bekannt. Patienten mit Cushing-Syndrom verstarben im Durchschnitt nach 4,6 Jahren.<sup>1, 2</sup> Heute haben Patienten mit einem aktiven Cushing-Syndrom noch immer eine 2- bis 5-fach erhöhte Mortalität gegenüber der Normalpopulation. Das Wiederherstellen einer Eucortisolämie führt zu einer klinischen und biochemischen Verbesserung des kardiovaskulären Risikoprofils sowie der Lebensqualität. Kürzlich hat die Endocrine Society neue Guidelines<sup>3</sup> für die Therapie und die Nachsorge des Cushing-Syndroms und dessen Komorbiditäten herausgegeben, die im Folgenden vorgestellt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Behandlung des Cushing-Syndroms mit diversen Therapien durch ein interdisziplinäres Team</li> <li>Hohe Rezidivgefahr und erhöhte Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Komplikationen</li> <li>Lebenslange Nachsorge mit Behandlung der Komorbiditäten notwendig</li> </ul> </div> <p>Beim Cushing-Syndrom entstehen durch eine Cortisolüberproduktion charakteristische morphologische Veränderungen, wie Vollmondgesicht, Stiernacken, stammbetonte Adipositas und Atrophie der Haut. Zudem können psychiatrische Erkrankungen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Hypokaliämie, Infektionen, Dyslipidämie, Osteoporose und Dekonditionierung auftreten. Man unterscheidet den ACTH-abhängigen, zentralen oder ektopen/paraneoplastischen Hypercortisolismus vom ACTH-unabhängigen, adrenalen Hypercortisolismus.<br /> Patienten mit einem aktiven Cushing- Syndrom haben noch immer eine 2- bis 5-fach erhöhte Mortalität gegenüber der Normalpopulation. Kardiovaskuläre Erkrankungen, tiefe Venenthrombosen und Infektionen sind die Haupttodesursachen bei Cushing-Syndrom. Das Wiederherstellen einer Eucortisolämie führt zu einer klinischen und biochemischen Verbesserung im Hinblick auf Übergewicht, arterielle Hypertonie, Insulinresistenz, Glukosetoleranz, Dyslipidämie, Knochendichte, psychiatrische Störungen und Lebensqualität.<br /><br /> <strong>Diagnose</strong><br /> Die diagnostischen Tests zielen darauf ab, eine übermässige Cortisolproduktion zu identifizieren. Empfohlene Tests sind die nächtliche Speichelcortisolmessung, die Messung des freien Cortisols im 24-Stunden-Urin oder der Dexamethason- Suppressionstest.<br /> Unter physiologischen Bedingungen ist die Serumcortisolkonzentration gegen Mitternacht am niedrigsten. Die Konzentration des Cortisols im Speichel korreliert mit der Serumcortisolkonzentration, weswegen die Speichelcortisolmessung eine nicht invasive Methode zur Identifikation eines Hypercortisolismus darstellt. Für diesen Test muss der Speichel nachts zwischen 22:00 und 24:00 Uhr gesammelt werden. Zur exakten Diagnosestellung empfiehlt sich eine dreimalige Testung in drei aufeinanderfolgenden Nächten. Sensitivität und Spezifität dieses Testes betragen ca. 95 % .<sup>4</sup> Allerdings kommen auch falsch positive Resultate vor, insbesondere bei schlechter Zahnhygiene und wenn die Entnahme nicht nüchtern erfolgt. Die Messung des freien Cortisols im 24-Stunden- Urin ist eine hochsensitive Testmethode, die Messung ist aber relativ aufwendig und die Sensitivität und Spezifität können je nach Patientencompliance variieren.<sup>5</sup> Der Test mit der höchsten Spezifität ist der Dexamethason-Hemmtest. Bei diesem Test wird 1mg Dexamethason als Tablette zwischen 23:00 und 24:00 Uhr gegeben und am Folgemorgen zwischen 8:00 und 9:00 Uhr der Serumcortisolspiegel im Blut bestimmt. Vorsicht ist bei der Interpretation des Testergebnisses von stark übergewichtigen Patienten und von solchen, die an einer Depression oder an einem Alkoholentzugssyndrom leiden, geboten (Pseudo- Cushing).<sup>6</sup> Generell wird die Durchführung von mehreren Screeningtests zur Etablierung der Diagnose eines Hyperkortizismus empfohlen. Wenn sich ein Cushing- Syndrom bestätigt, sollten weitere Tests zur Lokalisation der Cortisolüberproduktion erfolgen, wie z.B. eine ACTH-Messung, ein MRT der Hypophyse und das IPSS («inferior petrosal sinus sampling»).<br /><br /> <strong>Therapie</strong><br /> Die optimale Behandlung richtet sich nach der Pathologie (Abb. 1). Für das Cushing- Syndrom im Rahmen eines Tumors im Bereich der Nebenniere ist die chirurgische Adrenalektomie die Therapie der Wahl. Vor der Resektion sollte medikamentös die Cortisolüberproduktion normalisiert werden. Bei der primären bilateralen makronodulären Nebennierenrindenhyperplasie betrifft die Erkrankung beide Nebennieren, obwohl sie sich initial asymmetrisch präsentieren kann. Eine bilaterale Adrenalektomie über einen laparoskopischen Zugang ist hier die chirurgische Therapie der Wahl.<br /> Für den Morbus Cushing besteht die Therapie der Wahl in der transsphenoidalen Resektion durch einen erfahrenen Hypophysenchirurgen im spezialisierten Zentrum. Hierbei werden initiale Remissionsraten von 65–90 % erreicht. Die Rezidivrate liegt bei 15–50 % , wobei diese insbesondere bei Patienten mit früh postoperativ auftretender Nebenniereninsuffizienz signifikant niedriger ausfällt.<sup>8</sup> Da >90 % dieser Tumoren Mikroadenome (9 Bleibt der Tumor okkult, droht eine inkomplette Resektion oder, bedingt durch intrahypophyseale Exploration, eine Hypophysenvorderlappen-/-hinterlappenstörung. Durch moderne Hilfsmittel, wie das Operationsmikroskop, das Endoskop, das intraoperative MRI und die Neuronavigation, hat sich in der Hypophysenchirurgie der transsphenoidale Zugang gegenüber transkraniellen Verfahren durchsetzen können und besticht durch geringe Morbidität und äusserst niedrige Mortalität (<0,5 % ). Zu den typischen Komplikationen der Operation gehören Behinderung der Nasenatmung, Hyposmie, Hypopituitarismus, Diabetes insipidus, SIADH und Liquorfisteln. Schwerwiegendere Komplikationen, wie z.B. eine Verletzung der A. carotis interna oder der Strukturen der Sehbahn, sind dank moderner Hilfsmittel extrem selten geworden.<sup>10</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s22_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="1391" /><br /><br /> <strong>Postoperative Episode und Rezidivrisiko</strong><br /> Beim Cushing-Syndrom kommt es in bis zu 30 % zu Rezidiven, und dies zum Teil erst nach vielen Jahren. Deswegen sollte nach erfolgreicher initialer Therapie nicht von Heilung, sondern lediglich von Remission gesprochen werden. Der beste Test zur Abschätzung einer initial erfolgreichen Operation ist der postoperative morgendliche Cortisolwert. Ist dieser vollständig supprimiert, ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Operation gross.<br /> Nach einer erfolgreichen Operation wird eine Glukokortikoidsubstitution benötigt, bis sich die Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse vollständig erholt hat. Dies kann nach der Resektion eines ACTH- produzierenden Tumors 6–12 Monate dauern. Die Patienten müssen bei persistierender Nebenniereninsuffizienz bezüglich einer Stressprophylaxe geschult werden und diese anwenden können. Bis die körpereigene Cortisolproduktion wieder richtig funktioniert, besteht die Glukokortikoidsubstitution üblicherweise aus 15– 25mg Hydrocortison, in 2–3 Dosen über den Tag verteilt, wobei die erste Dosis unmittelbar nach dem Aufwachen am Morgen eingenommen werden sollte. Hydrocortison ist die bevorzugte Therapie, da potentere synthetische Glukokortikoide oft eine längere Halbwertszeit besitzen und eine prolongierte Suppression der Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse hervorrufen, zudem fehlt der Mineralokortikoideffekt. Die Erholung der Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse wird durch eine alle 3 Monate durchgeführte Untersuchung der morgendlichen Cortisolkonzentration getestet, gefolgt von einem ACTH-Stimulationstest. Die Achse hat sich erholt, wenn die Baseline oder das stimulierte Cortisol-Level >500nmol/l liegen. Patienten mit einem Cortisol-Level <140nmol/l sollten für weitere 3–6 Monate mit einer Glukokortikoidtherapie behandelt und dann erneut getestet werden. Im postoperativen Verlauf sollten Patienten mindestens jährlich oder unmittelbar beim Auftreten von Symptomen auf ein Rezidiv hin untersucht werden. Zwei klinische Studien zeigten, dass der Test mit der besten Sensitivität die Speichelcortisol- Messung ist und der Cortisolkonzentration im Urin meist vorausgeht.<sup>11, 12</sup><br /><br /> <strong>Nicht kurative Therapie</strong><br /> Bei Patienten mit ACTH-abhängigem Cushing-Syndrom, bei denen die chirurgische Therapie nicht erfolgreich oder nicht möglich war, ist eine interdisziplinäre Herangehensweise mit gegebenenfalls erneuter transphenoidaler Resektion, Radiotherapie, medikamentöser Therapie oder bilateraler Adrenalektomie notwendig. Die bilaterale Adrenalektomie ist Therapie der Wahl bei okkulten oder metastasierten ektopen ACTH-Herden oder als lebenserhaltende Notfallmassnahme bei Patienten mit schwerer, ACTH-abhängiger Erkrankung, die medikamentös nicht kontrolliert werden kann. Eine medikamentöse Herangehensweise ist bei Patienten mit ACTH-abhängigem Cushing-Syndrom und einer erfolglosen Operation indiziert, die eine metastatische Erkrankung oder einen okkulten Tumor haben.<br /> Patienten mit Nachweis einer inkompletten Resektion oder einer Hypophysenläsion in der Bildgebung können durch eine Wiederholung der transsphenoidalen Chirurgie behandelt werden. Ausserdem sind verschiedene Formen der Strahlentherapie verfügbar. Die konventionelle Bestrahlung besteht aus einer fraktionierten Photonenstrahlung in Dosen von 45Gy über sechs Wochen und erzielt bei 83 % der Patienten eine Remission innerhalb der ersten zwei Jahre. Einzeldosen stereotaktischer Bestrahlung werden als Radiochirurgie bezeichnet (Gamma-Knife, Protonenstrahler). Bislang gibt es keine direkten Vergleiche zwischen konventioneller Bestrahlung und Radiochirurgie, wobei sich beide in Effektivität und Sicherheit nicht unterscheiden. Die Radiochirurgie wird von den Patienten meist besser toleriert, da eine einzige Behandlung an einem Tag besser vertragen wird als eine 6-wöchige Therapie. Da die Effekte der Radiotherapie erst nach Monaten oder sogar Jahren auftreten, ist es wichtig, einen Cortisolexzess medikamentös so lange zu behandeln, bis der Cortisolspiegel auch ohne Medikamente unter Kontrolle ist. Auch bei der Radiochirurgie können Rezidive auftreten, sodass der Patient regelmässig nachkontrolliert werden muss. Durch die Radiotherapie wird der normale Tagesrhythmus in einigen Fällen gestört, weshalb erhöhte nächtliche Cortisonkonzentrationen im Speichel kein Kriterium für ein Rezidiv beziehungsweise für eine Remission sind. Unfraktioniertes Cortisol oder Serumcortisol sollte halbjährlich oder beim Auftreten neuer Symptome kontrolliert werden.<br /><br /> <strong>Medikamentöse Therapie</strong><br /> Es gibt heute verschiedene Optionen zur medikamentösen Therapie mit dem Ziel, die Steroidogenese zu hemmen (Tab. 1). Es stehen direkte und indirekte Hemmer der 11-ß-Hydroxylase, wie Ketoconazol, Etomidat und Metyrapon, sowie direkte Hemmer der ACTH-Produktion, wie Cabergolin und neu auch Pasireotid, zur Verfügung. Das Ziel der medikamentösen Therapie ist die Normalisierung der Symptome, wobei der Cortisonspiegel als Zielwert genommen wird. Dieses Ziel kann zum Beispiel mit einer «Block and replace »-Strategie erreicht werden, bei der das zirkulierende Cortisol auf das Minimum des detektierbaren Wertes reduziert und gleichzeitig Glukokortikoid in Tablettenform eingenommen wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s22_tab1.jpg" alt="" width="1509" height="1473" /><br /><br /> <strong>Langzeit-Follow-up</strong><br /> Während des Langzeit-Follow-ups ist die Behandlung von spezifischen Komorbiditäten, die mit einem Cushing-Syndrom assoziiert sind (kardiovaskuläre Risikofaktoren, Osteoporose und psychiatrische Symptome), notwendig. Ausserdem sollten die Patienten regelmässig in Hinblick auf ein mögliches Rezidiv untersucht werden.<br /> Das metabolische Syndrom mit stammbetonter Adipositas, arterieller Hypertonie, Insulinresistenz und Dyslipidämie tritt bei etwa zwei Dritteln der Patienten mit Cushing-Syndrom auf und trägt zu einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität bei. Nach einer erfolgreichen Behandlung und der Reduktion von Körpergewicht und Körperfettmasse verbessert sich der Blutdruck, sodass die antihypertensive Therapie meist innerhalb von wenigen Wochen reduziert werden kann. Auch mehrere Jahre nach Remission des Cushing- Syndroms besteht ein erhöhtes Risiko für eine Psychopathologie, wie eine Angststörung, eine Depression oder eine Anpassungsstörung.<br /> Eine Osteoporose tritt durch die direkten Effekte von Cortisol auf die Knochenzellen auf und indirekt durch den glukokortikoidinduzierten Hypogonadismus, den sekundären Hyperparathyreoidismus und den GH-Mangel. Es werden eine DEXA-Messung von Wirbelsäule und Hüfte zur Diagnose und eine adäquate Kalzium- und Vitamin-D-Substitution zur Primärprophylaxe sowie gegebenenfalls eine knochenstabilisierende Therapie mit Bisphosphonaten empfohlen.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Für die Behandlung des Cushing- Syndroms stehen diverse Therapien durch ein interdisziplinäres Team zur Verfügung. Aufgrund des hohen Rezidivrisikos und der erhöhten Mortalität infolge von kardiovaskulären Komplikationen ist jedoch eine lebenslange Nachsorge mit Behandlung der Komorbiditäten notwendig.</div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Plotz CM, Knowlton AI, Ragan C: The natural history of Cushing’s syndrome. Am J Med 1952; 13: 597-614 <strong>2</strong> Cushing H: The basophil adenomas of the pituitary body and their clinical manifestations (pituitary basophilism). Bull Johns Hopkins Hosp 1932; 50: 137-195 <strong>3</strong> Nieman LK et al: Treatment of Cushing’s syndrome: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100(8): 2807-2831 <strong>4</strong> Newell-Price J et al: A single sleeping midnight cortisol has 100 % sensitivity for the diagnosis of Cushing’s syndrome. Clin Endocrinol 1995; 43: 545-50 <strong>5</strong> Newell-Price J: Diagnosis/differential diagnosis of Cushing’s syndrome: a review of best practice. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2009; 23(Suppl 1): S5-S14 <strong>6</strong> Arnaldi G et al: Diagnosis and complications of Cushing’s syndrome: a consensus statement. J Clin Endocrinol Metab 2003; 88: 5593-602 <strong>7</strong> Nieman LK et al: The diagnosis of Cushing’s syndrome: an Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 1526-40 <strong>8</strong> Chandler et al: Outcome of transsphenoidal surgery for cushing disease: a single-center experience over 32 years. Neurosurgery 2016; 78: 216-23 <strong>9</strong> Ikeda H et al: Usefulness of composite methionine-positron emission tomography/3.0-tesla magnetic resonance imaging to detect the localization and extent of early-stage Cushing adenoma. J Neurosurg 2010; 112: 750-5 <strong>10</strong> Cappabianca P et al: Surgical complications associated with the endoscopic endonasal transsphenoidal approach for pituitary adenomas. J Neurosurg 2002; 97: 293-8 <strong>11</strong> Danet-Lamasou M et al: Accuracy of repeated measurements of late-night salivary cortisol to screen for early-stage recurrence of Cushing’s disease following pituitary surgery. Clin Endocrinol 2015; 82: 260-6 <strong>12</strong> Bou Khalil R et al: Sequential hormonal changes in 21 patients with recurrent Cushing’s disease after successful pituitary surgery. Eur J Endocrinol 2011; 165: 729-37</p>
</div>
</p>