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(Selbst-)Titration der Insulindosis im extramuralen Bereich
Jatros
30
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06.07.2017
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<p class="article-intro">Die kontinuierliche Anpassung der Insulindosis nach einem zielgerichteten Algorithmus („treat to target“) gilt als zentraler Parameter für eine erfolgreiche Insulintherapie.<sup>1</sup> In einem steirischen Pilotprojekt wurde der Einsatz von Titrationskarten zur selbstständigen Anpassung der Insulindosis durch Patienten und ihre Angehörigen unter Supervision durch die Hauskrankenpflege im Sinne einer „geführten Selbsttitration“ getestet. Erste Daten sind sehr ermutigend.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Ziel der unter Leitung von DGKP Barbara Semlitsch und DGKP Edith Fleischhacker durchgeführten Studie war es, die Wirksamkeit, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit von Titrationskarten zur Anpassung der Insulindosis im extramuralen Bereich bei durch die Hauskrankenpflege betreuten Patienten mit Typ-2-Diabetes zu evaluieren. Die Studie wurde im Rahmen eines Projektes des Verbandes Österreichischer DiabetesberaterInnen (VÖD) gemeinsam mit dem Österreichischem Roten Kreuz, Landesverband Steiermark (Mobile Pflege und Betreuung der Gesundheits- und Sozialen Dienste), und in Zusammenarbeit mit dem LKH-Universitätsklinikum Graz, Abteilung Endokrinologie und Diabetologie, durchgeführt.</p> <h2>Studienteilnehmer</h2> <p>Patienten mit insulinpflichtigem Typ- 2-Diabetes, die von der Mobilen Pflege und Betreuung der Gesundheits- und Sozialen Dienste des Roten Kreuzes in der Region Leibnitz betreut wurden, wurden eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Mindestalter von 18 Jahren, bei welchen eine s.c. Insulintherapie bereits bestand oder aufgrund der Hyperglykämie eingeleitet werden sollte. Ausschlusskriterien waren Typ-1- oder Gestationsdiabetes, Schwangerschaft, Krankheiten oder Umstände, die vom Prüfer oder dem behandelnden Arzt im Zusammenhang mit der Studie als Gefährdung der Patientensicherheit angesehen wurden, jeder psychische oder kognitive Zustand, der die Fähigkeit der Patienten, das Einverständnis zur Studienteilnahme zu geben, beeinträchtigte, sowie eine kontinuierliche parenterale Ernährung. Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission und der AGES freigegeben.</p> <h2>Titrationskarten</h2> <p>Die verwendeten Titrationskarten wurden von der Firma Novo Nordisk Österreich unter fachlicher Beratung durch nationale Diabetesexperten und Diabetesberater entwickelt (Abb. 1). Die Karten sind zur Dosisanpassung für eine ein-, zwei- oder dreizeitige konventionelle Insulintherapie ausgelegt. Als Referenzblutzuckerwert für die anzupassende Insulindosis dient der dazugehörige nächste präprandiale Wert (Tab. 1). Die einzelnen Titrationsschritte betrugen in der Regel zwei Einheiten. Nur bei Blutzuckerwerten <70mg/dl wurde aus Sicherheitsgründen eine Dosisreduktion um vier Einheiten empfohlen.</p> <ul> <li>Blutzucker über Ziel: +2 E</li> <li>Blutzucker im Ziel: Dosis bleibt gleich</li> <li>Blutzucker unter Ziel: –2 E</li> <li>Blutzucker <70mg/dl: –4 E</li> </ul> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s32_abb1+tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1331" /></h2> <h2>Endpunkte</h2> <p>Primärer Studienendpunkt war die Zeit bis zum Erreichen des Zielbereichs unter Vermeidung von Hypoglykämien. Sekundäre Studienendpunkte waren die Veränderung von Insulindosis, HbA<sub>1c</sub>, Blutzucker (morgens/abends), Häufigkeit von Blutzuckermessungen und Hypoglykämien (<56mg/dl). Die Patientenzufriedenheit wurde mittels deutschsprachiger Version des Diabetes Treatment Satisfaction Questionnaire (DTSQ) ermittelt (Tab. 2). Die Fragen, die sich auf die Güte der Blutzuckereinstellung (Fragen 2 und 3) bzw. auf die Behandlungszufriedenheit (Fragen 1 und 4–8) bezogen, wurden jeweils zusammengefasst.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s33_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="825" /></p> <h2>Studienablauf</h2> <p>Vor der ersten Studienvisite wurden die beteiligten Ärzte und Pflegepersonen im Gebrauch der Titrationskarten geschult. Während der Rekrutierungsvisite in der Ordination wurden die Titrationskarten gemeinsam mit dem Patienten, der Hauskrankenpflege und dem Arzt besprochen. Zur ersten Studienvisite wurden die Patienten von der Hauskrankenpflegeperson zu Hause aufgesucht, die für das jeweilige Titrationsschema nötigen Blutzuckermessungen wurden besprochen und für eine Woche selbstständig eingeübt. Die eigentliche Titrationsphase begann mit Studienvisite 2 in der zweiten Woche. Titriert wurde einmal pro Woche basierend auf dem jeweils niedrigsten Blutzuckerwert der vorangegangenen drei Tage. Die Titration wurde durch die Patienten selbst, ihre Angehörigen oder die Hauskrankenpflege durchgeführt. Für die Patienten bestand jederzeit die Möglichkeit der Rücksprache mit der betreuenden Hauskrankenpflegeperson sowie den behandelnden Ärzten, die nach ihrer Einschätzung die vom Algorithmus vorgeschlagene Insulindosis korrigieren konnten. Die Studie endete nach 12 Wochen oder bei Erreichen des Zielwertes. Bei Studienende wurde ebenfalls der HbA<sub>1c</sub>-Wert dokumentiert.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Drei Allgemeinmediziner überwiesen 16 Patienten zur Teilnahme an der Studie. Das mittlere Lebensalter betrug 74,2 Jahre, die mittlere Diabetesdauer 16 Jahre (Tab. 3). Ein Patient wurde neu auf Insulin eingestellt. Der mittlere BMI lag bei 34,4kg/m<sup>2</sup>. Ein Teilnehmer zog nach Studienbeginn seine Einverständniserklärung zurück. 15 Teilnehmer schlossen die Studie ab. Die im Folgenden ohne statistische Auswertung dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf diese 15 Patienten (Tab. 4). Die Zielbereiche, die gemeinsam mit den Patienten gewählt wurden, lagen im Hinblick auf das höhere Lebensalter mancher Teilnehmer zwischen 120 und 160mg/dl bzw. 140 und 180mg/dl. Nur bei einer Diabetikerin wurde aus Vorsicht vom betreuenden Allgemeinmediziner ein Zielbereich von 150–220mg/dl vorgegeben. Die Zeit bis zum Erreichen des Zielbereichs betrug im Mittel 8,5 Wochen. Das HbA<sub>1c</sub> sank vom Ausgangswert bis zum Studienende um 1,3 Prozentpunkte, der morgendliche Blutzucker sank um 16mg/dl und der abendliche Blutzucker wurde um 38mg/ dl gesenkt. Die meisten Patienten behielten ihr Insulinregime bei. Nur ein Patient wechselte von der einzeitigen auf eine zweizeitige Therapie. Die Zahl der Blutzuckermessungen/ Woche stieg deutlich an. Die Patientenzufriedenheit nahm sowohl im Hinblick auf die glykämische Einstellung als auch bezüglich der Behandlungszufriedenheit zu. Die Insulingesamtdosis erhöhte sich nur um 5,6 Einheiten/Tag. Es fanden sich jedoch deutliche Veränderungen bezüglich der Aufteilung der Dosis über den Tag (Tab. 5). Es traten keine Hypoglykämien auf. Es wurde lediglich einmal ein Wert von 73mg/dl gemessen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s33_tab3.jpg" alt="" width="1419" height="686" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s33_tab4.jpg" alt="" width="1419" height="995" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s34_tab5.jpg" alt="" width="2151" height="1430" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Initiierung und/oder Optimierung einer konventionellen Insulintherapie im extramuralen Bereich durch niedergelassene Mediziner gemeinsam mit diplomierten Pflegepersonen unter Verwendung von einfachen Titrationshilfen zur Anpassung der Insulindosis lassen sich effektiv und sicher umsetzen und führen zu einer hohen Behandlungszufriedenheit seitens der Patienten.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Clodi M et al: Wien Klin Wochenschr 2016; 128 [Suppl 2]: S45–S53</p>
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</p>
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