© Getty Images/iStockphoto

Chronisch degenerative Erkrankungen

„Leaky gut“ – eine häufig verkannte Diagnose

<p class="article-intro">Entbehrt die Diskussion um das sogenannte Leaky-Gut-Syndrom jeglicher wissenschaftlichen Grundlage oder handelt es sich dabei um eine wichtige Diagnose in der Prävention chronisch degenerativer Erkrankungen?</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Ohne Zweifel sind die chronisch degenerativen Erkrankungen in Mitteleuropa auf dem Vormarsch und stellen mit ihrer zunehmenden Pr&auml;valenz in der Zukunft eine besondere Herausforderung f&uuml;r unser Gesundheitssystem dar. Es h&auml;ufen sich die Daten aus verschiedenen Studien, die auf eine gemeinsame Ursache chronisch degenerativer Zivilisationserkrankungen (NCD: &bdquo;non communicable diseases&ldquo; laut WHO), m&ouml;glicherweise bedingt durch das Immunsystem, hinweisen.<br />In den besonderen Fokus ist hierbei auch die Darm-Hirn-Achse oder das Wechselspiel zwischen dem Darmimmunsystem und dem Zentralnervensystem ger&uuml;ckt. Eine aktuelle Datenbankrecherche ergibt beispielsweise mehr als 360 Eintr&auml;ge zum Thema &bdquo;Leaky-Gut-Syndrom&ldquo; und &uuml;ber 1460 Publikationen zum Thema intestinale Permeabilit&auml;t.</p> <h2>Die Diagnose &bdquo;Leaky-Gut-Syndrom&ldquo;</h2> <p>Worum handelt es sich bei der Diagnose des Leaky-Gut-Syndroms? Wie kann es einen Zusammenhang zwischen &bdquo;leaky gut&ldquo; und entz&uuml;ndlichen Prozessen im Darm und im gesamten K&ouml;rper geben?<br />Im Zentrum der Forschung zum Leaky- Gut-Syndrom stehen die leistenf&ouml;rmigen Kontaktzonen in der Zonula occludens, die eine Diffusionsbarriere in der Darmschleimhaut bilden, die den parazellul&auml;ren Transport von Molek&uuml;len &uuml;ber das Epithel kontrolliert. Beim Leaky-Gut-Syndrom sind diese Schutzsysteme der Darmschleimhaut in unterschiedlichem Ausma&szlig; besch&auml;digt. Gew&auml;hrleistet wird die intestinale (darmeigene) Barrierefunktion durch eine zusammenh&auml;ngende Zellschicht, die den Raum zwischen den Epithelzellen mit ihren engen Verbindungen regelrecht versiegelt. Im Englischen wird diese dichte Verbindung als &bdquo;tight junction&ldquo; bezeichnet. Man kann sie sich wie schmale B&auml;nder vorstellen, welche die Zellen umg&uuml;rten und so den Zellzwischenraum abdichten. Trotz dieser Abdichtung ist jedoch ein kontrollierter Stoffaustausch m&ouml;glich, der den Transport gew&uuml;nschter Molek&uuml;le erlaubt, unerw&uuml;nschter hingegen zu verhindern vermag. &bdquo;Leaky gut&ldquo; kann daher auch als durchl&auml;ssiger oder permeabler Darm verstanden werden.<br />Verschiedene Mechanismen k&ouml;nnen zum Aufl&ouml;sen dieser Kontaktzonen im Darm beitragen. Dazu geh&ouml;ren unter anderem Umweltfaktoren, Lebensmittelzus&auml;tze, allerdings auch verschiedene Arzneimittel (zum Beispiel NSAR, Antibiotika und PPI) sowie anhaltende, neurogene oder psychovegetative Stressfaktoren.<br />Die erh&ouml;hte intestinale Permeabilit&auml;t f&ouml;rdert den Austausch zwischen dem gastrointestinalen Immunsystem und der Mikrobiota sowie Endo- bzw. Enterotoxinen aus dem Darmlumen. Dies f&uuml;hrt an der Darmschleimhaut zu lokalen sowie im K&ouml;rper auch zu generellen Entz&uuml;ndungsreaktionen. Endotoxin-Molek&uuml;le werden an ein spezielles Protein im Blutplasma gebunden, das LBP (Lipopolysaccharid-bindendes Protein). Das LBP transportiert das Endotoxin in die Leber, wo es durch spezielle Enzyme, die Leberphosphatasen, inaktiviert wird. Aber auch die Blutpl&auml;ttchen k&ouml;nnen Endotoxine binden und in Form von Blutpl&auml;ttchen-Aggregaten (&bdquo;micro white clots&ldquo;) in der Mikrozirkulation des gesamten K&ouml;rpers, auch im Zentralnervensystem, verteilen. Nachfolgend k&ouml;nnen sich im gesamten Versorgungsgebiet des K&ouml;rpers dadurch Immunaktivierungen einstellen, die &uuml;ber eine &bdquo;Silent inflammation&ldquo;- Reaktion lange symptomlos verbleiben k&ouml;nnen. Infolge der st&auml;ndigen und chronischen symptomarmen Entz&uuml;ndungsreaktionen stellen sich letztendlich gewebespezifische Degenerationsprozesse ein. <br />Dieser anf&auml;nglich in der Darmschleimhaut stattfindende vermehrte Endotoxin-Transfer z&uuml;ndet also m&ouml;glicherweise eine Vielzahl von Symptomen und l&ouml;st damit klinische Symptome aus, die in die Fachgebiete der Neurologie, der Stoffwechselmedizin (Endokrinologie) und der Immunologie reichen.</p> <h2>H&auml;ufige unspezifische Symptome des Leaky-Gut-Syndroms</h2> <p>Die vielschichtige Symptomliste (Tab. 1) verdeutlicht die enorme Wichtigkeit der korrekten Einsch&auml;tzung des Leaky-Gut-Syndroms in der Medizin. Fast alle Bereiche der Medizin k&ouml;nnen damit in Zusammenhang gebracht werden. Der Pathomechanismus daf&uuml;r konnte noch nicht in allen Bereichen aufgekl&auml;rt werden. Dennoch l&auml;sst sich bereits heute mit Bestimmtheit festhalten, dass ein Negieren dieser Zusammenh&auml;nge dazu beitragen kann, dass fr&uuml;hzeitige Behandlungsans&auml;tze f&uuml;r verschiedene Erkrankungen unterbleiben und urs&auml;chliche Therapieans&auml;tze nicht zum Repertoire der Schulmedizin geh&ouml;ren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Infekt_1902_Weblinks_s36_tab1.jpg" alt="" width="550" height="384" /></p> <h2>Diagnosem&ouml;glichkeiten beim Leaky-Gut-Syndrom</h2> <p>Die moderne Labormedizin hat in den letzten Jahren zur Vereinfachung der Diagnose des Leaky-Gut-Syndroms beigetragen. Die Diagnose ist prinzipiell einfach &uuml;ber Stuhlproben und die Auswertung sogenannter Surrogatparameter im Blut m&ouml;glich. Dabei handelt es sich um den Nachweis besonderer Proteinbausteine, die beim Leaky-Gut-Syndrom vermehrt enteral ausgeschieden werden. Hierzu geh&ouml;ren Bestandteile der &bdquo;Tight junctions&ldquo;-Zonen (z. B. Zonulin) bzw. Serumeiwei&szlig;e wie Alpha-1-Antitrypsin, die aufgrund ihrer Gr&ouml;&szlig;e normalerweise die Darmschranke nicht passieren k&ouml;nnen. Aufgrund der Konsistenz dieser Proteine ist der Nachweis in den Stuhlproben auch nach mehreren Tagen noch m&ouml;glich. Besonders eignet sich diese Methode des Nachweises des Leaky- Gut-Syndroms bei Kindern oder Personen, die einer Blutabnahme nur mit erh&ouml;htem Aufwand zugef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen. Bestimmte Labors bieten die Analyse bereits als Routinediagnostik an. <br />Auch das im Rahmen des Leaky-Gut- Syndroms im Darm h&auml;ufig auftretende Histamin kann zu diesen Parametern gerechnet werden. Die Werte aus der Stuhlprobe k&ouml;nnen mit weiteren Blutparametern abgeglichen werden, um die Diagnose im Einzelfall abzusichern. Hierzu gibt Tabelle 2 Auskunft.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Infekt_1902_Weblinks_s36_tab2.jpg" alt="" width="250" height="177" /></p> <h2>Therapie des Leaky-Gut-Syndroms</h2> <p>Das Leaky-Gut-Syndrom erfordert aufgrund seiner komplexen Zusammenh&auml;nge einen multimodalen Therapieansatz. Die integrative Therapie ist auf einem Stufensystem aufgebaut und erfolgt in drei Schritten. An erster Stelle steht die Regeneration der Darmwand, die etwa durch eine Antibiotikatherapie oder nach Infekten Schaden genommen hat. Nach der Regeneration kann das Mikrobiom neu aufgebaut werden, das hei&szlig;t, gesunde Bakterien k&ouml;nnen den Darm neu besiedeln. Danach gilt es, die gesunden Verdauungsfunktionen aufrechtzuerhalten und den Darm weiter fit zu halten. <br />Mineralstoff-Austauscher (PMA-Zeolith- Klinoptilolith, z. B. Panaceo) oder Humins&auml;ure k&ouml;nnen die Toxine an der gastrointestinalen Darmschleimhaut binden. Auch die Gabe von Dimeticon und bestimmten Aminos&auml;uren (Glutamin) in Verbindung mit Spurenelementen (Zink) bzw. (Raps-)Lecithinen (z. B. Colon Guard von Life Prevent) hat sich hierbei bew&auml;hrt. Dabei ist auf eine besondere Produktreinheit dieser Naturstoffe zu achten.</p> <p>F&uuml;r den Aufbau des Mikrobioms werden neben den bekannten Bifidobakterien und Laktobazillen in letzter Zeit Faecalibacterium prausnitzii und Akkermansia favorisiert. Bestimmte Ballaststoffe wie Akazienfasern scheinen den Aufbau dieser f&uuml;r die Darmschleimhaut wichtigen Bakterien zu f&ouml;rdern. <br />Eine abwechslungsreiche, naturbelassene kohlenhydratreduzierte Kost und der Verzicht auf Lebensmittelzus&auml;tze und konservierte Lebensmittel f&ouml;rdern ebenfalls die intestinale Regeneration. <br />Zusammenfassend stellt die Diagnose &bdquo;Leaky-Gut-Syndrom&ldquo; eine in der Praxis bew&auml;hrte Methode zur Pr&auml;vention verschiedener Volkserkrankungen dar und sollte weiter in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion ger&uuml;ckt werden. Es werden weitere klinische Studien erforderlich sein, um diesen wichtigen Pathomechanismus im Detail zu verstehen. <br /><br /> Die Internationale Gesellschaft f&uuml;r angewandte Pr&auml;ventionsmedizin (www.i-gap.org) unterst&uuml;tzt diese Bem&uuml;hungen und f&ouml;rdert Studienans&auml;tze in diesem Zusammenhang. Weitere Informationen zum Thema &bdquo;Leaky-Gut-Syndrom&ldquo; erhalten Sie in dem Buch des Autors dieses Artikels.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
Back to top