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Essstörungen – nicht hormonelle Optionen für den Knochen
Leading Opinions
Autor:
KD Dr. med. Diana P. Frey
Leiterin OsteoporoseZentrum Klinik für Rheumatologie, Universitätsspital Zürich<br> E-Mail: diana.frey@usz.ch
30
Min. Lesezeit
13.06.2019
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<p class="article-intro">Essstörungen führen zur Beeinträchtigung der psychischen und physischen Gesundheit und können damit auch einen negativen Einfluss auf das soziale Leben der Betroffenen haben. In der Schweiz wurde 2010 in einer Stichprobe von über 10 000 Personen eine Lebenszeitprävalenz von 1,1 % für Anorexia nervosa (AN) sowie 4,1 % für Binge Eating Disorders (BED) gefunden, wobei Frauen drei- bis sechsmal häufiger betroffen sind als Männer.<sup>1</sup></p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Essstörungen führen aufgrund multifaktorieller Ursachen (Untergewicht, diverse hormonelle Veränderungen) zu einer verminderten Knochendichte und Knochenstabilität.</li> <li>Wichtigste Therapie in Bezug auf die Knochengesundheit ist die Normalisierung des Body-Mass-Index.</li> <li>Es gibt keine überzeugenden Studien zur Wirksamkeit von nicht hormonellen medikamentösen Therapiekonzepten auf das Frakturrisiko.</li> <li>Der Einsatz von nicht hormonellen medikamentösen Therapien ist eine Einzelfallentscheidung.</li> </ul> </div> <h2>Essstörungen und Knochendichte</h2> <p>Untersuchungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten mit Essstörungen eine weniger hohe maximale Knochendichte («peak bone mass») erreichen und im Vergleich zu altersentsprechenden gesunden Personen ein erhöhtes Frakturrisiko haben.<br /> In einer Population von erwachsenen Frauen mit Anorexia nervosa wiesen über 90 % eine Knochendichte («bone mineral density», BMD) auf, die >1 Standardabweichung unter derjenigen einer gesunden jungen Population lag, und bei 40 % lag die Knochendichte sogar >2,5 Standardabweichungen unter der Norm.<sup>2-4</sup><br /> Einschränkend ist zu bemerken, dass die Knochendichtemessung mittels der üblichen DXA-Messung («dual-X-ray absorptiometry ») bei anorektischen Personen oft zu niedrige Werte ergibt, da die DXA-Messung keine Volumenmessung ist, sondern eine virtuelle Knochendichte in g/cm2 angibt. Kleine Knochen sowie Untergewicht führen deshalb zu falsch niedrigen Knochendichte-Messwerten. Zudem kann mittels DXA die Struktur der Knochen nicht erfasst werden. Techniken, die Informationen über die Knochenmikroarchitektur liefern (z.B. hochauflösende periphere quantitative Computertomografie, HRpQCT), sind aufwendig und teuer und in der Routine nicht einsetzbar.<br /> In der untersuchten Population hatte fast jede dritte Patientin bereits eine Fraktur erlitten und das Lebenszeitrisiko für eine Fraktur lag bis zu 60 % höher als in altersentsprechenden Kontrollen. Dies zeigt, dass die Knochenstabilität bei dieser Patientengruppe klar vermindert ist und spezieller Aufmerksamkeit seitens der behandelnden Fachpersonen bedarf.</p> <h2>Ursachen</h2> <p>Die Gründe, die zur verminderten Knochendichte und -stabilität führen, sind multifaktoriell und teilweise nicht gut bekannt. Hauptfaktor sind aber mit Sicherheit das Untergewicht und die damit einhergehenden hormonellen Veränderungen. So kommt es im Rahmen des Untergewichts bei vielen Patientinnen zu einem hypogonadotropen Hypogonadismus mit Amenorrhö sowie zur Verminderung von knochenprotektiven Hormonen wie Leptin, Insulin, Oxytocin und IGF-1, während umgekehrt die knochenschädigenden Hormone Cortisol, Peptid YY und Adiponectin hochreguliert sind. Nicht zu vernachlässigen sind auch zusätzliche Risikofaktoren für Osteoporose wie Noxen, Malabsorption, Vitamin D-, Eiweiss- und Kalziummangel sowie Medikamente, insbesondere Diuretika, Protonenpumpenhemmer und selektive Serotoninaufnahmehemmer.</p> <h2>Therapiemöglichkeiten</h2> <p><strong>Allgemeine Massnahmen</strong><br /> Therapeutisch stehen in erster Linie die Reduktion allgemeiner Risiken sowie die Normalisierung des Body-Mass-Index (BMI) im Vordergrund. Aus osteologischer Sicht ist ein BMI von 20kg/m<sup>2</sup> anzustreben. In der Praxis erweist sich dies allerdings wegen der Grunderkrankung meist als schwierig; ein BMI von 18,5kg/m<sup>2</sup> scheint realistischer zu sein. Mit der Normalisierung des Körpergewichts stellt sich – allerdings oft nach einigen Monaten – häufig auch wieder ein normaler Zyklus ein.</p> <p><strong>Medikamentöse Therapie</strong><br /> Die meisten Substanzen zur Behandlung von Osteoporose wurden in grossen Zulassungsstudien bei postmenopausalen Frauen untersucht. Patientinnen mit Essstörungen und prämenopausale Frauen wurden nicht in diese Studien eingeschlossen. Demzufolge gibt es keine Substanzen, die spezifisch zur Therapie der erniedrigten Knochendichte bei AN-Patientinnen oder bei jungen Personen eingesetzt werden können.<br /> Die wenigen Studien mit AN-Patientinnen weisen oft erhebliche Mängel auf: kleine Fallzahlen, keine Randomisierung, kurze Therapiedauer etc. Zudem gibt es keine Studien zur Frakturrisikoreduktion.<br /> Ein weiterer zu beachtender Punkt ist, dass alle medikamentösen Osteoporosetherapien während einer Schwangerschaft kontraindiziert resp. nicht untersucht worden sind. Da Osteoporosemedikamente oft eine lange Verweildauer im Knochen haben, aus dem sie noch während Monaten bis Jahren freigesetzt werden, sollten diese Substanzen bei Patientinnen im gebärfähigen Alter nur nach guter Aufklärung gegeben werden. In Tabelle 1 finden Sie eine Übersicht über alle Studien zu antiresorptiven bzw. osteoanabolen Substanzen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1902_Weblinks_lo_gyn_1902_s12_tab1.jpg" alt="" width="450" height="571" /></p> <p><strong>Antiresorptiva</strong><br /> Alendronat als 10mg-Tagesdosis zeigte in einer randomisierten Studie an 32 ANPatientinnen nach einjähriger Therapie eine Verbesserung der Knochendichte an LWS und Hüfte im Vergleich zu Placebo. Nach Korrektur für den BMI konnte jedoch kein Unterschied mehr festgestellt werden. Eine Erhöhung des BMI scheint diesbezüglich auf die Knochendichte einen stärkeren Einfluss zu haben als eine antiresorptive Therapie mit Alendronat.<sup>5</sup><br /> Eine offene Studie mit Risedronat 5mg täglich bei 10 Patientinnen über 9 Monate ergab eine leichte Verbesserung der BMD an der LWS (+4,9 % ) im Vergleich zu einer Kontrollkohorte – die kurze Studiendauer und die geringe Anzahl an Patientinnen schränken jedoch den Aussagewert der Studie ein.<sup>6</sup><br /> Eine weitere Studie mit Risedronat, mit oder ohne Komedikation mit Testosteron, gegenüber Placebo zeigte ebenfalls eine leichte BMD-Verbesserung innert 12 Monaten an LWS (+3 % ) und Hüfte (+2 % ), wobei es keine Rolle spielte, ob zu Risedronat noch Testosteron gegeben wurde oder nicht. Auch hier waren die Gruppengrössen jedoch klein (je ca. 20 Patientinnen) und die Therapiedauer war eher kurz.<sup>7</sup><br /> Zu <strong>Ibandronat</strong> und <strong>Zoledronat</strong> gibt es keine entsprechenden Studien. Zur Therapie mit Denosumab wurde 2016 ein Fallbericht publiziert. Bei der betroffenen Patientin zeigte sich innert drei Jahren eine deutliche Verbesserung der BMD der LWS (+14,8 % ) und der Hüfte (+1,4 % ). Allerdings nahm die BMD am Schenkelhals in dieser Zeitspanne um 5,7 % ab. Die Patientin wurde aufgrund von Wirbelfrakturen behandelt. Deshalb stellt sich auch die Frage, ob ein Teil der Verbesserung an der LWS durch eine scheinbare Dichteerhöhung bei Wirbelfrakturen verursacht wurde.<sup>8</sup></p> <p><strong>Osteoanabole Therapie</strong><br /> Aus pathophysiologischen Überlegungen wäre bei jungen Patientinnen, bei denen vorwiegend eine verminderte Knochenbildung vorliegt, die Therapie mit Teriparatid interessant. <strong>Teriparatid</strong> ist allerdings bei Patientinnen mit noch offenen Epiphysenfugen kontraindiziert. Deshalb kommt Teriparatid für adoleszente Patientinnen mit Anorexie nicht infrage.<br /> In der Literatur gibt es jedoch Berichte zu Teriparatid bei erwachsenen Patientinnen. 2016 fand eine randomisierte und placebokontrollierte Studie bei 21 Patientinnen zwischen 44 und 55 Jahren mit AN einen Anstieg der BMD an der LWS um 6 % innert 6 Monaten, während für die Hüftwerte kein Unterschied gefunden werden konnte.<sup>9</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Der negative Einfluss eines geringen Körpergewichts und der damit einhergehenden hormonellen Veränderungen auf die Knochengesundheit ist seit Jahren bekannt. Trotzdem sind die genauen Mechanismen, die zur Schädigung des Knochens führen, noch ungenügend erforscht. Unbestritten ist die Normalisierung des Body-Mass-Index als wichtigste Massnahme zur Therapie des Knochens. Für alle anderen nicht hormonellen Therapiemassnahmen bestehen nur ungenügende Daten bezüglich Wirksamkeit auf Frakturen. Die meisten Studien weisen nur kleine Fallzahlen auf, sind nicht randomisiert oder haben methodische Mängel.<br /> Insbesondere bei jungen Patientinnen in gebärfähigem Alter sind Antiresorptiva mit Vorsicht anzuwenden, da sie bei Schwangerschaft kontraindiziert sind und lange im Knochen verbleiben. Die einzige osteoanabole Substanz darf bei jungen Patientinnen und Patienten mit noch offenen Epiphysenfugen nicht gegeben werden. Methodisch gute Studien sind deshalb gefordert.<br /> Bis dahin bleibt die nicht hormonelle medikamentöse Therapie der erniedrigten Knochendichte eine Einzelfallentscheidung.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Mohler M. et al.: Psychological Medicine 2016; 46: 2749-2758 <strong>2</strong> Misra M. et al.: Pediatrics 2004; 114: 1574-1583 <strong>3</strong> Miller KK et al.: Arch Intern Med 2005; 165: 561- 566 <strong>4</strong> Faje AT et al.: J Clin Endocrinol Metab 2013; 98: 1923-1929 <strong>5</strong> Golden NH et al.: J Clin Endocrinol Metab 2005; 90: 3179-3185 <strong>6</strong> Miller KK et al.: J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 3903-3906 <strong>7</strong> Miller KK et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: 2081-2088 <strong>8</strong> Jamieson A, Pelosi AJ: Am J Med 2016; 129(2): e47 <strong>9</strong> Fazeli PK et al.: J Clin Endocrinol Metab 2014; 99: 1322- 1329</p>
</div>
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