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Update für die Praxis

Progesteron: vielfältig einsetzbar

<p class="article-intro">Jede Gynäkologin und jeder Gynäkologe kennt es, aber kaum jemand weiss um die vielfältigen Funktionen und Einsatzbereiche von Progesteron. Auf dem Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) gab Prof. Dr. med. Petra Stute von der Frauenklinik am Inselspital in Bern einen prägnanten und informativen Überblick.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die unterschiedlichen synthetischen Gestagene haben verschiedene Partialwirkungen, die bei der Auswahl zu ber&uuml;cksichtigen sind.</li> <li>F&uuml;r die Dosierung der Substanzen ist wichtig zu wissen, dass sie individuell sehr unterschiedlich resorbiert werden &ndash; von manchen Frauen sehr gut, von anderen dagegen schlecht.</li> </ul> </div> <p>Das nat&uuml;rliche Progesteron wurde 1934 erstmalig isoliert. Es wird im Corpus luteum, in den Nebennierenrinden sowie der Plazenta synthetisiert und hat eine sehr kurze Halbwertszeit von nur sechs Minuten. &laquo;Deshalb ist es h&auml;ufig schwierig, verl&auml;ssliche Werte im Blut zu messen&raquo;, sagte Stute. Progesteron erh&ouml;ht die K&ouml;rpertemperatur um 0,2 bis 0,5&deg; C, es wandelt das Endometrium w&auml;hrend des Zyklus um, erh&auml;lt die Schwangerschaft und hat noch diverse andere Funktionen, beispielsweise wirkt es anxiolytisch, sedativ und antiepileptisch.<br /> Seit den 1950er-Jahren werden synthetische Gestagene als Kontrazeptivum eingesetzt und seit den 1980er-Jahren in Kombination mit &Ouml;strogenen beim Hormonabfall in den Wechseljahren. Es gibt verschiedene synthetische Gestagene, die sich in Nortestosteron-Derivate, Progesteron- Derivate (Pregnane), Norprogesteron-Derivate (Norpregnane) und Spironolakton- Derivate einteilen lassen. Ein Pr&auml;parat hob die Gyn&auml;kologin hervor: Dydrogesteron. Dessen Vorteil sei, so erkl&auml;rte sie, dass es keine zentralen Effekte habe und deshalb nicht sedativ wirke und auch nicht kontrazeptiv. Dydrogesteron ist ein Stereoisomer von Progesteron. Das bedeutet, dass es von der chemischen Strukturformel her exakt so aussieht wie Progesteron, aber im dreidimensionalen Raum anders aufgeh&auml;ngt ist, weshalb es anders wirkt als Progesteron. &laquo;Wenn man also Frauen hat, die unter Progesteron eine Affektverschlechterung bemerken, kann man alternativ Dydrogesteron versuchen&raquo;, sagte Stute.<br /> Bei der Auswahl des Gestagens muss man auch die Partialwirkungen der einzelnen Pr&auml;parate beachten (Tab. 1). So wirkt etwa Progesteron schwach antiandrogen und antimineralokortikoid und daher auch ausschwemmend. Viele Frauen h&auml;tten zu Beginn einer Hormontherapie das Gef&uuml;hl, sie w&uuml;rden zunehmen, sagte Stute. &laquo;Auf &Ouml;strogene kann das zutreffen, weil die Hormone eine Fl&uuml;ssigkeitsretention bewirken k&ouml;nnen.&raquo; Das sei aber meist eine Dosisfrage und mittelfristig r&uuml;ckl&auml;ufig. &laquo;Progesteron wirkt grunds&auml;tzlich ausschwemmend &ndash; das kann man therapeutisch nutzen.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Gyn_1703_Weblinks_s17_tab1.jpg" alt="" width="2150" height="1616" /></p> <h2>Progesteron bei Schlafst&ouml;rungen</h2> <p>An Beispielen aus der Praxis erkl&auml;rte die Gyn&auml;kologin anschaulich, in welchen F&auml;llen man Progesteron einsetzen kann. Eine 50-j&auml;hrige Patientin war in der sp&auml;ten menopausalen Transition, die Frau erz&auml;hlte, sie sei &laquo;fix und fertig&raquo;. Sie schlief seit einem halben Jahr miserabel, wachte durch jedes kleine Ger&auml;usch auf und konnte dann stundenlang nicht wieder einschlafen. Viele Frauen haben Schlafprobleme in den Wechseljahren, aber nat&uuml;rlich muss man auch andere Ursachen abkl&auml;ren, wie COPD oder das Restless-Legs-Syndrom. In der Therapie der Insomnie steht an erster Stelle eine gute Schlafhygiene, an Medikamenten kommen Phytotherapeutika, Melatonin, Neuroleptika, Benzodiazepine, Antidepressiva und andere Pr&auml;parate infrage. &laquo;Progesteron als Monotherapie kann zumindest bei Frauen in den Wechseljahren eine gute Alternative sein, denn es bessert sowohl subjektiv als auch objektiv den Schlaf&raquo;, sagte Stute. Dies l&auml;sst sich pathophysiologisch erkl&auml;ren: Progesteron wird in Gliazellen und Neuronen durch die 5-Alphareduktase 1 in 5-Alphadihydroprogesteron umgewandelt und dieses wiederum in Allopregnanolon. Allopregnanolon bindet im Hirn an GABA<sub>A</sub>-Rezeptoren. &laquo;Das macht m&uuml;de&raquo;, sagte Stute. &laquo;Aber eine Frau mit Schlafst&ouml;rungen kann von dieser Nebenwirkung profitieren.&raquo;<br /> Andere Progestagene k&ouml;nnen ebenfalls durch die 5-Alphareduktase 1 verstoffwechselt werden, binden aber nicht an GABA-Rezeptoren und wirken nicht so schlafanstossend wie Progesteron. 300mg Progesteron am Abend machen m&uuml;de und sch&uuml;tzen davor, dass man durch St&ouml;rungen immer wieder aufwacht.<sup>1</sup> 300mg Progesteron entsprechen in etwa der Hormonmenge in der zweiten Zyklush&auml;lfte, also der Corpus-luteum-Phase. Man habe bei der Dosierung durchaus einen Spielraum, sagte Stute. Bei einer Dosis von 1200mg waren Frauen in einer kleinen Studie deutlich m&uuml;der, aber auch etwas eingeschr&auml;nkt im t&auml;glichen Leben: Die kognitive Funktion liess etwas nach und sie f&uuml;hlten sich nicht mehr so fit.<sup>2</sup> 1200mg entsprechen etwa der Menge an Progesteron im 3. Trimenon der Schwangerschaft. Wie eine Frau auf Progesteron reagiert, ist individuell unterschiedlich. Manche Frauen f&uuml;hlen sich schon mit 100mg &laquo;schachmatt gesetzt&raquo;, andere brauchen eine h&ouml;here Dosis, um einen Effekt zu sp&uuml;ren. Das liegt daran, dass das Hormon sehr unterschiedlich resorbiert wird.<sup>3</sup></p> <h2>Schnelle und langsame Resorbiererinnen</h2> <p>Der maximale Serumspiegel nach oraler Applikation wird bei Progesteron nach 120 Minuten erreicht, bei Allopregnanolon etwa 60 Minuten sp&auml;ter, nach 180 Minuten.<sup>3</sup> Bei &laquo;schlechten&raquo; und &laquo;guten Resorbiererinnen&raquo; zeigen sich deutliche Unterschiede im maximalen Plasmaspiegel: Bei Frauen, die schlechter resorbieren, l&auml;sst sich ein etwa sechsmal geringerer maximaler Plasmaspiegel nachweisen. &laquo;Leider weiss man im Vorhinein nicht, ob eine Frau zu den guten oder den schlechten Resorbiererinnen geh&ouml;rt&raquo;, sagte die Gyn&auml;kologin. F&uuml;r die Praxis bedeutet das: &laquo;Selbst wenn man meint, die Patientin kv&ouml;nnte 400mg Progesteron gebrauchen, fange ich mit 200mg an. Denn es k&ouml;nnte ja sein, dass sie zu den Schnellresorbiererinnen geh&ouml;rt und schon von der geringeren Dosis ziemlich &lsaquo;ausgeknockt&rsaquo; wird.&raquo;<br /> Immer wieder klagen Patientinnen auch dar&uuml;ber, dass sie in kurzer Zeit dramatisch an Gewicht zugenommen h&auml;tten. So wie eine 51-j&auml;hrige Patientin in der fr&uuml;hen Postmenopause: Innerhalb von zwei Jahren hatte sie zehn Kilogramm zugenommen und einen Body-Mass-Index von 27kg/m<sup>2</sup>. Die Frau litt unter Hitzewallungen, schlief schlecht und ihre Stimmung war im Keller &ndash; nicht nur wegen der Gewichtszunahme. In der Literatur heisse es immer, Wechseljahre h&auml;tten mit Gewichtszunahme nichts zu tun, erz&auml;hlte Stute, es l&auml;ge daran, dass die Frauen sich zu wenig bewegten oder zu viel &auml;ssen. &laquo;Ich denke aber schon, dass die Hormone das Gewicht beeinflussen&raquo;, sagte sie. Darauf weisen die ver&auml;nderten zirkadianen Hormonaussch&uuml;ttungen im Alter hin. Wenn man &auml;lter wird, ist der Spiegel von Melatonin nachts nicht mehr so hoch wie in j&uuml;ngeren Jahren und gleichzeitig steigt der Cortisolspiegel. Dar&uuml;ber hinaus ist die Phase mit niedrigem Cortisolspiegel in der Nacht auch k&uuml;rzer als bei j&uuml;ngeren Menschen, bei &auml;lteren Frauen sogar noch mehr als bei &auml;lteren M&auml;nnern. Das bedeute, dass mit dem Alter der Cortisolspiegel steige, erkl&auml;rte Stute, bei Frauen noch mehr als bei M&auml;nnern. Eine Stunde nach dem Einschlafen steigt normalerweise das Wachstumshormon (GH) an, im Alter aber nicht so stark wie bei J&uuml;ngeren. Und dies k&ouml;nnte die Erkl&auml;rung f&uuml;r die Gewichtszunahme sein. Denn GH ist der &laquo;Gegenspieler&raquo; von Insulin und beseitigt nachts die Fettdepots, die durch das Insulin angelegt wurden. Das Ziel sei also, das GH nachts m&ouml;glichst hoch zu halten. GH steigt erst an, wenn man in der ganz tiefen Schlafphase angekommen ist, sagte Stute. &laquo;Also muss ich daf&uuml;r sorgen, dass die Patientin tief schl&auml;ft, damit GH stark ansteigt.&raquo; Dies kann mit Progesteron gelingen. Die zweite Strategie ist, den Cortisolspiegel gering und das Melatonin hoch zu halten &ndash; Ersteres eventuell mit einer Hormontherapie und Zweiteres zum Beispiel mit Melatonin- oder mit &Ouml;strogentabletten, die indirekt die Melatoninaussch&uuml;ttung verbessern. &laquo;So kann man mit einer hormonellen Therapie auch die Stoffwechselsituation verbessern&raquo;, so Stute.</p> <h2>PMS-Symptome lindern</h2> <p>Das dritte Patientinnenbeispiel kommt ebenfalls h&auml;ufig in der Praxis vor: eine 45-j&auml;hrige Frau in der fr&uuml;hen menopausalen Transition, die sehr unter einem pr&auml;menstruellen Syndrom (PMS) leidet, das immer schlimmer wird. Die Theorie des PMS sei, dass das Gehirn der betroffenen Frauen sensibler auf die unterschiedlichen Hormonaussch&uuml;ttungen der Eierst&ouml;cke reagiere. Nehmen die Hormonschwankungen im Alter zu, verschlechtere sich auch das PMS. K&uuml;rzlich hat Stute gemeinsam mit Psychologen und Phytotherapeuten ein Konsensuspapier zur Behandlung des PMS herausgegeben.<sup>4</sup> Hier ist auch Progesteron in die Therapieempfehlungen mit aufgenommen worden &ndash; im Gegensatz zu anderen internationalen Empfehlungen. Allopregnanolon sollte eigentlich die Stimmung verbessern &ndash; aber warum haben dann Frauen mit PMS in der Lutealphase depressive Symptome? Dies liegt daran, dass alle Modulatoren von GABA<sub>A</sub>-Rezeptoren wie Benzodiazepine, Barbiturate, Alkohol und eben auch Allopregnanolon bei bestimmten Personen in bestimmten Situationen paradoxe Effekte haben, wie Irritabilit&auml;t, Angst, Aggression oder Depressionen. Vermutlich spiele bei den depressiven Symptomen die Serumkonzentration von Allopregnanolon eine Rolle, sagte Stute. Frauen mit PMS litten weniger unter depressiven Verstimmungen, wenn der Allopregnanolonspiegel entweder gering oder hoch war.<sup>5</sup> Eine Therapieoption f&uuml;r die 45-J&auml;hrige mit PMS w&auml;re daher, ihren Zyklus hormonell auszuschalten, damit der Spiegel an Progesteron sinkt. Auf der anderen Seite k&ouml;nnte man versuchen, den Progesteronspiegel anzuheben. &laquo;Ich erkl&auml;re den Frauen, dass die Chance 50:50 ist, dass sich ihre Symptome mit Progesterongaben bessern&raquo;, sagte Stute. Weil Progesteron in Studien aber nicht immer besser abschneide als Placebo, h&auml;tten andere Leitlinien es nicht in den Therapiealgorithmus aufgenommen. &laquo;Man kann aber durchaus probieren, ob sich mit Progesteron die Stimmung hebt. Deshalb haben wir das auch in die Schweizer Empfehlungen mit aufgenommen.&raquo;<sup>6</sup><br /> In einem weiteren Fall litt eine 53-j&auml;hrige Patientin unter schweren menopausalen Beschwerden. Sie hatte Angst vor Brustkrebs und stand daher einer Hormontherapie skeptisch gegen&uuml;ber. Die prospektive Kohortenstudie E3N hat f&uuml;r die kombinierte &Ouml;strogen-Progesteron/ Dydrogesteron-Gabe kein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r einen Zeitraum von f&uuml;nf Jahren gezeigt. Allerdings ergab die aktuelle Auswertung der E3N-Studie, dass das Risiko bei 8,7 Jahren erh&ouml;ht ist (Hazard-Ratio 1,31; 95 % Konfidenzintervall 1,15&ndash; 1,48).<sup>7</sup> &laquo;Was wir unseren Patientinnen kommunizieren sollten, ist, dass Progesteron nicht die Brust sch&uuml;tzt&raquo;, erkl&auml;rte Stute. &laquo;Es ist auch nicht neutral bez&uuml;glich des Brustkrebsrisikos, denn mit steigender Einnahmedauer kann das Risiko steigen.&raquo;<br /> Die orale sequenzielle Progesterongabe ist f&uuml;r die Endometriumprotektion im Rahmen einer &Ouml;strogentherapie zugelassen. Bei der transdermalen Applikation gibt es nur vier Studien mit wenigen Teilnehmerinnen und kurzer Studiendauer. Die Daten weisen aber darauf hin, dass sich die transdermale Progesteronapplikation nicht als Endometriumschutz eignet, wenn gleichzeitig &Ouml;strogene verabreicht werden.<br /> Progesteron bietet vielf&auml;ltige Einsatzm&ouml;glichkeiten, wie der informative Vortrag zeigte. Manchmal, zum Beispiel bei der Behandlung des PMS, muss man ausprobieren, ob es wirkt. Immer muss man die Patientinnen sorgf&auml;ltig &uuml;ber Nutzen und Risiken aufkl&auml;ren, auch wenn es noch nicht gen&uuml;gend Daten gibt.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Workshop Nr. 5/AGER, SMG: Einsatzmöglichkeiten von Progesteron, Jahreskongress der SGGG, 28.–30. Juni 2017, Lausanne </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Caufriez A et al.: Progesterone prevents sleep disturbances and modulates GH, TSH, and melatonin secretion in postmenopausal women. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: E614-23 <strong>2</strong> Freeman EW et al.: A placebo-controlled study of effects of oral progesterone on performance and mood. Br J Clin Pharmacol 1992; 33: 293-8 <strong>3</strong> Van Broekhoven F et al.: Oral progesterone decreases saccadic eye velocity and increases sedation in women. Psychoneuroendocrinology 2006; 31: 1190-9 <strong>4</strong> Stute P et al.: Interdisciplinary consensus on management of premenstrual disorders in Switzerland. Gynecol Endocrinol 2017; 33: 342-8 <strong>5</strong> B&auml;ckstr&ouml;m T et al.: GABAA receptor-modulating steroids in relation to women's behavioral health. Curr Psychiatry Rep 2015; 17: 92 <strong>6</strong> Stute P et al.: Publication in preparation <strong>7</strong> Fournier A et al.: Risk of breast cancer after stopping menopausal hormone therapy in the E3N cohort. Breast Cancer Res Treat 2014; 145: 535-43</p> </div> </p>
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