Ursachen der Dyspareunie
Autorin:
Dr. med. Nicole Viereck
Konsiliarärztin Blasen- und Beckenbodenzentrum
Kantonsspital Frauenfeld
E-Mail: nicole.viereck@stgag.ch
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Zwischen 10 und 20% der Frauen leiden im Verlauf ihres Lebens über eine längere Phase unter Schmerzen beim Sex, die eine genussvolle Sexualität unmöglich machen. Abwehr und Vermeidung sind häufig die Folge. Neben verschiedenen somatischen müssen auch psychische oder Beziehungsprobleme als Ursache in Betracht gezogen werden.
Die Patientinnen sprechen das Thema meist nicht aktiv an, sondern hoffen, von ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen darauf angesprochen zu werden. Oftmals wird erst bei bestehendem Kinderwunsch oder wenn sich die Partnerschaftsprobleme zuspitzen professionelle Hilfe gesucht.
Als Dyspareunie werden Schmerzen beim Geschlechtsverkehr bezeichnet, die über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten bestehen und einen Leidensdruck verursachen. Die Prävalenz ist am höchsten in der Gruppe der jungen und perimenopausalen Frauen.
Schmerzqualität und Lokalisation des Schmerzes variieren. Es kann sich z.B. um eine Reibung, Brennen, Beissen, Stechen, Schmerz oder Druck im Bereich der Vulva, Vagina, Urethra oder auch im Unterbauch handeln. Die Beschwerden können wiederkehrend oder dauerhaft sein und vor, während oder nach dem Koitus auftreten.
Vaginismus oder Dyspareunie?
In den letzten Jahren hat ein Umdenken im Verständnis der Dyspareunie stattgefunden. Sie wird nicht mehr als sexuelle Funktionsstörung verstanden, sondern als Schmerzstörung. Damit wird erstmals das Wissen über Entstehung, Dynamik und Therapie von Schmerzstörungen in die Therapiekonzepte der Dyspareunie integriert.
Zunächst müssen klinische Erkrankungen, die eine Dyspareunie verursachen können, ausgeschlossen bzw. behandelt werden. Viele von ihnen sind gynäkologische Erkrankungen.
Die Dyspareunie ist in der Praxis häufig schwer vom Vaginismus zu unterscheiden. Beide Krankheitsbilder sind gekennzeichnet durch die Symptome Schmerz, Angst und muskuläre Hypertonizität. Als Vaginismus wird der unwillkürliche Spasmus der Beckenbodenmuskulatur (Puborektalschlinge) bezeichnet, der eine Penetration unmöglich macht. Die Schmerzen entstehen erst sekundär durch einen forcierten Penetrationsversuch.
Bei der Dyspareunie kann es durch Angst vor Schmerzen zu einer willkürlichen oder unwillkürlichen Anspannung des Beckenbodens kommen (Abb. 1). Beim Vaginismus handelt es sich um eine Penetrationsphobie, während die Dyspareunie eine Schmerzstörung ist.
Abb. 1: Differenzialdiagnose Dyspareunie und Vaginismus
Diagnostik
Die Diagnostik beginnt mit einer sorgfältigen Anamneseerhebung, idealerweise mit einer offenen Frage, die der Patientin erlaubt, ihr Schmerzerleben zu schildern. Ein gezieltes Nachfragen sollte u.a. die folgenden Fragen beantworten: Wo genau treten die Schmerzen auf? Seit wann? Lebenslang vorhandene oder erworbene Symptomatik? Wann tritt der Schmerz auf? Wenn der Penis (o.Ä.) mit der Vaginalöffnung in Kontakt tritt, wenn er teilweise eingedrungen ist, beim kompletten/tiefen Eindringen, bei leichten oder heftigen Bewegungen?
Besonders die letzten Fragen helfen bei der Unterscheidung zwischen einer oberflächlichen oder tiefen Dyspareunie, der unterschiedliche Erkrankungen zugrunde liegen können.
Ursachen
Ursächlich können anatomische, entzündliche, hormonelle, dermatologische, immunologische, neurologische oder psychiatrische Erkrankungen eine Dyspareunie auslösen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über mögliche Ursachen.
Tab. 1: Ursachen der Dyspareunie
Vaginale Trockenheit
Eine häufige Ursache für eine oberflächliche, in einigen Fällen auch für eine tiefe Dyspareunie, ist eine vaginale Trockenheit.
Die vaginale Feuchtigkeit entsteht durch Lubrikation und Transsudation. Bartholin- und Skenedrüsen bilden ein schleimiges Sekret (Lubrikation). Bei sexueller Erregung wird die Durchblutung gesteigert und durch Vasodilatation und -kongestion kommt es zusätzlich innerhalb weniger Sekunden zur Bildung eines flüssigen Vaginalsekretes (Transsudation). Vaginalepithel und -drüsen sind östrogenabhängig, die Bartholin-, Skene- und kleine Vestibulardrüsen zusätzlich auch androgenabhängig.
Beim Östrogenmangel wird die Vaginalhaut dünn, Vagina und Klitoris werden weniger gut durchblutet, die vaginale Lubrikation vermindert. Eine vaginale Atrophie kann aufgrund eines Östrogenmangels postmenopausal, während der Stillzeit oder unter einer antihormonellen Therapie auftreten. In diesen Fällen kann auch eine sexuelle Erregung aufgrund der Gewebsatrophie nicht mehr zu einer ausreichenden vaginalen Feuchtigkeit führen. Aber auch eine fehlende sexuelle Erregung führt wegen der unzureichenden Transsudation zu Beschwerden bei der Penetration. Daher sollte bei jeder Dyspareunie sowohl ein Östrogenmangel als auch die Frage nach der sexuellen Erregung beim Geschlechtsverkehr abgeklärt werden.
Ein einfaches Hilfsmittel sind die Verwendung von Lubrikanzien. Eine niedrig dosierte lokale Gabe von Östrogenen, insbesondere Estriol, als Creme oder Vaginalovulum wirkt ursächlich gegen eine vaginale Atrophie und unterstützt somit die Sexualfunktion. Weitere Therapieoptionen können die intravaginale Applikation von DHEA oder eine vaginale Lasertherapie sein.
Insbesondere bei Patientinnen mit Mammakarzinom stellt sich die Frage, wie eine vaginale Atrophie unter einer antihormonellen Therapie behandelt werden kann. Sollten in diesen Fällen Lubrikanzien nicht ausreichend sein, kann in der Nachsorge eine niedrig dosierte lokale Estriolgabe zur Symptomlinderung angewendet werden. Dies empfiehlt die 17. Internationale St. Galler Brustkrebs-Konsensuskonferenz 2021 sowie die S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause“ von 2020 mit ultraniedrig dosiertem Östriol.1,2
Kombinierte Ovulationshemmer
Schmerzen im Bereich des Vestibulums werden seit 2003 gemäss der International Society for the Study of Vulvovaginal Disease (ISSVD) als lokalisierte Vulvodynie klassifiziert, provoziert oder unprovoziert. Die frühere Bezeichnung als vulväres Vestibulitis-Syndrom (VVS) implizierte eine «-itis», eine Entzündung als Ursache. Entzündungszeichen sind jedoch kein zwingender Befund. Der chronische Vulvaschmerz ist ein Syndrom, das seit Jahrhunderten bekannt ist, aber bis heute nicht vollständig verstanden wird. Insbesondere eine Androgenabhängigkeit der provozierten lokalisierten Dyspareunie wurde in den letzten Jahren mehrfach untersucht. Dabei hat der Zusammenhang zwischen kombinierten Ovulationshemmern und provozierter Vestibulodynie zunehmend Beachtung bekommen.3 Die Studienlage ist insgesamt uneinheitlich, da die kombinierten Ovulationshemmer in der Dosierung des Ethinylestradiols (EE) und des Gestagentyps variieren. Ein höheres Risiko scheint bei Ovulationshemmern mit einer niedrigen EE-Dosierung von 20µg zu bestehen. Zusätzlich scheint eine genetische Komponente die Vulvodynie zu begünstigen. Eine Studie von Goldstein et al. zeigte, dass Frauen mit Ovulationshemmer-assoziierter Vulvodynie mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen Polymorphismus des Androgenrezeptor codierenden Gens aufwiesen als Frauen, die den gleichen Ovulationshemmer einnahmen, aber keine Vulvodynie entwickelten.4 Es bleibt abzuwarten, ob dieser Polymorphismus sich in weiteren Studien als Risikofaktor für eine Vulvodynie unter Ovulationshemmer bestätigen lässt.
Endometriose
Ein Krankheitsbild, das vor allem für eine tiefe Dyspareunie verantwortlich ist, ist die Endometriose. 50% der Frauen mit Endometriose leiden unter einer tiefen Dyspareunie.
Die Schmerzen entstehen durch eine rektovaginale Infiltration, eine lokale Neurogenese um die Douglas-Endometriose herum oder durch eine lokale Neuroinflammation. Eine weitere Überlegung zur Schmerzentstehung ist eine zentrale Sensibilisierung des Nervensystems.5 Vermutet wird, dass wegen einer sensorischen Hypersensibilisierung auch harmlose Reize als schmerzhaft wahrgenommen werden.6 Dies ist eine mögliche Erklärung für die häufig geringe Korrelation zwischen Schweregrad der Endometriose und den klinischen Symptomen.
Es gilt im Speziellen für die Endometriose, aber auch für alle anderen Ursachen einer Dyspareunie, dass der Schweregrad der körperlichen Erkrankung in keiner Korrelation zum Schmerzerleben der Frau stehen muss. Sogar eine Heilung oder deutliche Verbesserung der ursächlichen Erkrankung führt in vielen Fällen nicht zur Verbesserung der Dyspareunie.
Dieses neurobiologische Konzept der sensorischen Hypersensibilität wird ebenfalls für die Komorbidität der Dyspareunie mit anderen Schmerzsyndromen verantwortlich gemacht. Dazu zählen die Fibromyalgie, Reizdarm, interstitielle Zystitis, chronisches Fatigue-Syndrom, chronische Migräne oder Spannungskopfschmerz.7
Depressionen und Angststörungen
Frauen mit einer sexuellen Schmerzstörung haben zudem ein erhöhtes Risiko, an einer Depression oder Angststörung zu erkranken, während andersherum eine Depression oder Angststörung die Wahrscheinlichkeit für eine sexuelle Schmerzstörung vierfach erhöht.8 Auch hier ist der pathophysiologische Zusammenhang nicht geklärt, insbesondere ob der chronische Schmerz psychische Komorbiditäten triggert oder umgekehrt.
Psychosoziale Faktoren
Auch psychosoziale Faktoren können für eine Dyspareunie verantwortlich sein.
Die Bedeutung einer sexuellen Traumatisierung für die Entstehung einer Dyspareunie wird widersprüchlich diskutiert. Generell scheint, dass unter Frauen mit sexuellen Schmerzsyndromen sich insgesamt kein höherer Anteil sexuell traumatisierter Frauen findet. Landry und Bergeron wiesen hingegen unter jungen Frauen mit genitopelvinen Schmerzen einen höheren Anteil von sexuellem Missbrauch sowie eine stärkere Angst vor Missbrauch nach.9 Nach sexueller Traumatisierung erhöht sich das Risiko vier- bis sechsfach, an einer sexuellen Schmerzstörung zu leiden. Die Symptome erweisen sich als hartnäckiger und schwerwiegender unter einer Therapie.
Verhalten in der Partnerschaft
Auch die Partnerschaft spielt für die Entstehung und den Verlauf einer Dyspareunie eine wichtige Rolle. Eine Schmerzstörung beeinflusst die Paarbeziehung und umgekehrt. Der Coping-Stil, mit dem ein Paar mit einer sexuellen Schmerzstörung umgeht, ist individuell verschieden. Vermeidung von sexuellen Kontakten, Dramatisierung des Leidens oder Selbstvorwürfe sind häufige Verhaltensweisen.
Ein Partner oder eine Partnerin beeinflusst den Verlauf des Schmerzsyndroms wesentlich. Sowohl ein feindseliges als auch ein (über-)besorgt ängstliches Verhalten haben einen negativen Einfluss auf den Verlauf und die Besserung des Schmerzsyndroms.
Fazit
Die Dyspareunie mit ihren somatischen, psychologischen und paardynamischen Faktoren kann eine diagnostische und therapeutische Herausforderung sein, die ein interdisziplinäres Herangehen notwendig macht. Der Gynäkologin und dem Gynäkologen kommt dabei die wichtige Rolle zu, die Diagnostik und Therapie zu koordinieren.
Die Dyspareunie sollte in ihrer ganzen Komplexität als Schmerzsyndrom gesehen werden. In der Diagnostik kann eine Differenzierung zwischen oberflächlicher und tiefer Dyspareunie wegweisend sein. Auslösende Erkrankungen müssen abgeklärt und behandelt werden. Das Ausmass der Grunderkrankung muss nicht mit dem Schmerzempfinden der Frau korrelieren und selbst nach erfolgreicher Behandlung kann die Dyspareunie persistieren. Häufig ist für die Diagnostik und Therapie eine interdisziplinäre Allianz notwendig.
Literatur:
1 Niemeyer M et al.: Schweizer Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe in der Praxis. Mediscope, Gynäkologie 2021; 4: 25-2 2 Peri- and Postmenopause – diagnosis and interventions. Guideline of the DGGG and OEGGG (S3 Level, AWMF Registry No. 015-062, January 2020) 3 Bouchard C et al.: Use of oral contraceptive pills and vulvar vestibulitis: a case-control study. Am J Epidemol 2002; 156: 254-261 4 Goldstein AT et al.: Polymorphisms of the androgen receptor gene and hormonal contraceptive induced provoked vestibulodynia. J Sex Med 2014; 11(11): 2764-71 5 Stratton P et al.: Association of chronic pelvic pain and endometriosis with signs of sensitization and myofascial pain. Obstet Gynecol 2015; 125: 719-728 6 Woolf CJ: Central sensitization: implications for the diagnosis and treatment of pain. Pain 2011; 152(3 Suppl): S2-S15 7 Wesselmann U et al.: Vulvodynia: current state oft the biological science. Pain 2014; 155 (9): 1696-1701 8 Khander M et al.: (2011) The influence of depression and anxiety on risk of adult onset vulvodynia. Journal of Women’s Health 2011; 20(10): 1445-1451 9 Landry T and Bergeron S: Biopsychosocial factors associated with dyspareunia in a community sample of adolescent girls. Archives of sexual Behavior 2011; 40(5): 877-889
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