Gegenwärtiger Stand der intravenösen Eisentherapie
Leading Opinions
Autor:
Prof. em. Dr. med. André Tichelli
ämatologie<br> Universitätsspital Basel<br> E-Mail: tichelli@datacomm.ch
30
Min. Lesezeit
12.09.2019
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<p class="article-intro">Eisenmangel ist weltweit die häufigste Mangelerkrankung. Eine orale Substitution kann diesen Mangel aber nicht immer ausgleichen. So ist eine intravenöse Eisentherapie u. a. bei bestimmten Magen-Darm- Problemen indiziert. Die Risiken von schweren Infusionskomplikationen konnten durch die Entwicklung neuer Präparate deutlich vermindert werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Intravenöses Eisen ist indiziert bei andauerndem Blutverlust, anatomischen oder physiologischen Magen-Darm-Problemen, welche mit einer normalen Eisenaufnahme interferieren, Eisenrestriktion durch inadäquat hohes Hepcidin, chronischer Herzinsuffizienz mit Eisenmangelanämie, chronischer Nierenerkrankung unter Erythropoetin-Behandlung und in der Schwangerschaft mit schwerer Eisenmangelanämie im 2. und 3. Trimester.</li> <li>Die intravenöse Eisensubstitution kann heute als effizient und sicher betrachtet werden und führt zu einem prädiktiven Anstieg der Eisenreserven.</li> <li>In der Schweiz sind zwei, möglicherweise bald drei Produkte verfügbar: Eisensaccharose, Eisencarboxymaltose und Eisenisomaltosid, welches schon in mehreren europäischen Ländern erhältlich ist. Alle drei Eisenpräparate haben eine vergleichbare Wirksamkeit. Sie unterscheiden sich durch ihre Infusionsreaktionen und die applizierbare Tagesdosis.</li> </ul> </div> <p>Ein absoluter Eisenmangel ist definiert als Verminderung des Körpereisens, während die eisenmangelnde Erythropo ese ein Zustand ist, in welchem das Eisen nicht für die Bildung der Erythrozyten verfügbar ist. Dies kann entweder bei fehlenden Eisenspeichern vorkommen, oder, wenn zwar ausreichend Körpereisen vorhanden ist, das Eisen aber nicht für die Hämoglobinisierung der Erythrozyten verwendet werden kann (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1905_Weblinks_lo_onko_1905_s57_abb1_tichelli.png" alt="" width="620" height="460" /></p> <h2>Behandlung des Eisenmangels</h2> <p>Jeder Eisenmangel, sei es eine Eisenmangelanämie oder ein symptomatischer Eisenmangel ohne Anämie, ist eine Indikation zur Eisensubstitution. Die orale Substitution gilt nach wie vor als Erstlinienbehandlung eines Eisenmangels. Sie ist bei unkompliziertem Eisenmangel wirksam, sicher, einfach und kostbillig. Neuere Daten zeigen, dass nach einer höheren Eisendosis das Hepcidin gesteigert ist, weshalb die nächste Eisendosis weniger effizient resorbiert wird (s. «Pathophysiologische Überlegungen»). Aus diesem Grund wird heute zunehmend empfohlen, eine orale Eisendosis jeden zweiten Tag anstatt täglich, gesplittet oder in Einzeldosis zu verabreichen. Diese Applikationsform wird nicht nur besser toleriert, sie ist, bei vergleichbarer Gesamtdosis, auch effizienter. Das Hauptproblem einer oralen Eisentherapie sind die schlechte Magenverträglichkeit und die Notwendigkeit einer lang dauernden Behandlung, beides Faktoren, die häufig zu einer ungenügenden Therapietreue führen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die orale Eisenbehandlung ungeeignet. Die intravenöse Eisengabe ist dann eine effektive Alternative.<br /> Über Jahrzehnte wurde die intravenöse Eisenbehandlung wegen schwerer Infusionskomplikationen durch die hochmolekularen Dextran-Präparate mit grosser Zurückhaltung eingesetzt. Die Entwicklung von neuen, viel sichereren Eisenformulierungen hat die Situation grundsätzlich verändert.</p> <h2>Pathophysiologische Überlegungen</h2> <p>Hepcidin, ein von der Leber produziertes Peptidhormon, spielt eine Schlüsselrolle in der Regulierung des Eisenmetabolismus. Bei unkompliziertem Eisenmangel ist das Hepcidin niedrig und erlaubt die Freigabe des Eisens aus dem Darm, der Milz und der Leber via transmembrangebundenen Eisenexporter Ferroportin in das Plasma. Das Eisen kann somit zur Neubildung von Erythrozyten verwendet werden. Bei entzündlichem Prozess ist das Hepcidin gesteigert, bindet sich an Ferroportin und induziert dessen Degradierung. Das Eisen bleibt eingeschlossen in den Enterozyten, den Makrophagen der Milz und den Hepatozyten und Kupferzellen der Leber. Diese Eisenrestriktion verhindert die Verwendung des Eisens für die Hämoglobinisierung der Erythrozyten.<br /> Für eine effektive orale Eisenbehandlung ist die Integrität des Magens, Duodenums und des proximalen Ileums notwendig. Schon ein diskreter Hepcidin-Anstieg blockiert das Ferroportin der Enterozyten und somit den Export des Eisens ins Plasma. Intravenöses Eisen wird rasch von den Makrophagen aufgenommen, welche das Eisen langsam in die Zirkulation freigeben. Deutlich höhere Werte von Hepcidin sind notwendig um Ferroportin und den Eisenexport aus den Makrophagen zu blockieren.</p> <h2>Indikationen für eine intravenöse Behandlung</h2> <p>Grossteils besteht die Indikation für eine intravenöse Eisentherapie, wenn die orale Eisentherapie unzureichend ist: andauernder, exzessiver Blutverlust (I), anatomische oder physiologische Magen-Darm-Probleme, welche mit einer normalen Eisenaufnahme interferieren (II), Eisenrestriktion durch inadäquat hohes Hepcidin (III), chronische Herzinsuffizienz mit Eisenmangelanämie (IV), chronische Nierenerkrankung unter Erythropoetinbehandlung (V) und Schwangerschaft mit schwerer Eisenmangelanämie im zweiten und dritten Trimester (VI) (Tab. 1).<br /> Mehrheitlich sind exzessive Blutverluste Folge einer schweren gastrointestinalen oder Uterusblutung. Die seltene hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (Morbus Osler) ist der Prototyp eines anhaltenden Blutverlustes. Ist der Blutverlust grösser als eine orale Eisensubstitution kompensieren kann, kommt es trotz Eisensubstitution zur Eisenmangelanämie. Nach erfolgreicher intravenöser Eisenbehandlung muss bei persistierendem Blutverlust die intravenöse Substitution in regelmässigen Abständen wiederholt werden, und dies bevor der Eisenmangel und die Eisenmangelanämie wieder auftreten.<br /> Die Integrität der Magenschleimhaut mit Magensäureproduktion (Auflösung des Eisens) und des Duodenums/proximalen Jejunums (Resorption des Eisens) sind für eine effiziente Aufnahme des oralen Eisens notwendig. Zöliakie ist der Prototyp einer Erkrankung, bei welcher das orale Eisen wegen physiologischer Störung des Dünndarms nicht aufgenommen werden kann. Bei bariatrischem Eingriff zur Bekämpfung von Übergewicht wird wegen reduziertem Magen oder Magenbypass das Fe3<sup>+</sup> ungenügend in Fe2<sup>+</sup> umgewandelt; das gesteigerte Fe3<sup>+</sup> im Duodenum kann von den Enterozyten nicht aufgenommen werden und führt zur Magenunverträglichkeit. Die Inzidenz des Eisenmangels nach chirurgischem Eingriff beträgt zwischen 20 und 47 %. Häufig ist eine intravenöse Eisensubstitution notwendig.<br /> Ein entzündlicher Prozess führt zu einem inadäquaten Anstieg von Hepcidin und blockiert somit die Freigabe des Eisens aus den Enterozyten, den Makrophagen in der Milz und den Hepatozyten und Kupferzellen in der Leber. Typischerweise findet sich diese Konstellation bei chronisch- entzündlicher Darmerkrankung. In aktiver Phase der Erkrankung führt die intravenöse Eisensubstitution zu einem besseren Hämoglobinanstieg, höherem Ferritinwert und besserer Lebensqualität als die orale Behandlung. Ein Europäischer Consensus empfiehlt bei aktiver chronisch-entzündlicher Darmerkrankung mit Eisenmangel und einem Hämoglobin < 100 g/l als Erstlinientherapie intravenöses Eisen in Betracht zu ziehen. Nach erfolgreicher intravenöser Eisensubstitution muss eine Eisensubstitution reinitiiert werden, sobald das Ferritin oder das Hämoglobin wieder < 100 μg/l, respektive < 100 g/l sinkt.<br /> Erythropoese-stimulierende Substanzen (ESS; Erythropoetin), wie sie zum Beispiel bei Anämie im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz verwendet werden, führen wegen einem unmittelbar erhöhten Eisenbedarf und trotz vorhandenem Eisenspeicher zu einem funktionellen Eisenmangel. Dies hat eine ungenügende Wirksamkeit der Behandlung mit ESS zur Folge. Intravenöse, aber nicht orale Eisensubstitution kann den funktionellen Eisenmangel umgehen und zu einer effektiven Behandlung der Anämie mit ESS führen.<br /> Eine intravenöse Eisenbehandlung kann auch bei Eisenmangel von betagten Patienten in Betracht gezogen werden. Dies gilt insbesondere, wenn Komorbiditäten, Polypharmazie oder kognitive Beeinträchtigung vorliegen. Die häufig unzuverlässige Tabletteneinnahme und die zahlreichen Medikamente, welche täglich eingenommen werden müssen, führen oft zu schlechter Compliance und Medikationsfehlern. Zudem ist die orale Eisenbehandlung häufig bei gleichzeitigem entzündlichem Prozess, Herzinsuffizienz und eingeschränkter Nierenfunktion mit erhöhtem Hepcidin ineffektiv. Ferner ist bei Betagten mit Hypochrohydrie (mit oder ohne Protonenpumpenhemmer) die Aufnahme des Eisens durch den Magen-Darm-Trakt unvorhersagbar. Aus all diesen Gründen ist die intravenöse Eisenbehandlung bei Patienten im hohen Alter oft zuverlässiger, einfacher und effektiver.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1905_Weblinks_lo_onko_1905_s57_tab1_tichelli.png" alt="" width="620" height="579" /></p> <h2>Intravenöse Eisenpräparate</h2> <p>Das Eisen kann nicht frei in Lösung infundiert werden, da schwerwiegende toxische Nebenwirkungen auftreten würden. Alle aktuellen intravenösen Eisenpräparate sind von einem Eisenkern gebildet, welcher von einer Kohlenhydratschale umgeben ist, die vor direktem Kontakt mit dem toxischen Eisen schützt. Eisen- Kohlenhydrat-Komplexe werden nach Infusion rasch von den Makrophagen aufgenommen und die Eisenatome des Kerns langsam via Ferroportin in die Zirkulation freigesetzt.<br /> Die verschiedenen intravenösen Eisenpräparate unterscheiden sich durch ihre Kohlenhydratschale. Diese ist verantwortlich für die Immunogenität (allergische Nebenwirkungen) und Stabilität (Schutz vor freiem Eisen) der Substanz. In der Schweiz sind zwei, möglicherweise bald drei Produkte verfügbar: Eisensaccharose (Venofer®), Eisencarboxymaltose (Ferinject ®) und Eisenisomaltosid (Monofer®), welches schon in mehreren europäischen Ländern erhältlich ist. Alle drei Eisenpräparate haben eine vergleichbare Wirksamkeit, unterscheiden sich aber durch ihre Infusionsreaktionen und die applizierbare Tagesdosis (Tab. 2). Je stabiler die Substanz, desto grösser die mögliche maximale Tagesdosis.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1905_Weblinks_lo_onko_1905_s58_tab2_tichelli.png" alt="" width="800" height="267" /></p> <p><strong>Mögliche Komplikationen</strong> <br />Schwere anaphylaktische Reaktionen nach intravenöser Eisengabe sind heute eine extreme Seltenheit (< 1:1 200 000 Dosen). Die meisten transienten Infusions- assoziierten Reaktionen werden durch das labile freie Eisen verursacht. Es handelt sich vor allem um Flush-Symptomatik, Herzklopfen, Unwohlsein, Schwindel, Myalgien und Fieber. Eine befürchtete Komplikation bei paravenöser Injektion ist die Extravasation des Eisenpräparates, das zu einer iatrogenen, lang dauernden braunen Hautverfärbung (iatrogene Tätowierung) führt, welche häufig von Patienten als kosmetisch inakzeptabel betrachtet wird.<br /> Mögliche potenzielle Sicherheitsbedenken bei wiederholten Eiseninfusionen sind die Entwicklung einer Atherosklerose und das Risiko eines Infektes. Allerdings gibt es diesbezüglich aktuell keine festen Daten. Wiederholte Eiseninfusionen können zur Eisenüberladung und deren Komplikationen führen, wie dies bei Patienten mit chronischer Hämodialyse berichtet wurde. Mehrheitlich empfehlen Richtlinien für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz unter Behandlung mit ESS auf weitere Eiseninfusionen zu verzichten, wenn die Transferrin-Sättigung > 30 % oder das Ferritin > 500 μg/l liegt.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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