Interprofessionelle Zusammenarbeit in der pädiatrischen Hämophilie-Sprechstunde
Autorin:
Denise Etzweiler, MScPT
Physiotherapeutin für Kinder und Jugendliche
Fachexpertin Hämophilie
Abteilung Hämatologie
Universitäts-Kinderspital, Zürich
E-Mail: denise.etzweiler@kispi.uzh.ch
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Eine Hämophilie hat auch unter adäquater medikamentöser Therapie ab dem Kleinkindalter einen ungünstigen Einfluss auf die Gelenkgesundheit. Symptomatische Gelenkblutungen und möglicherweise auch kaum wahrzunehmende Mikroblutungen können immer wieder vorkommen.1 Dies schädigt die Gelenke auf Dauer.
Keypoints
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Junge Patienten mit Hämophilie weisen trotz adäquater prophylaktischer Behandlung strukturelle und funktionelle Veränderungen am Bewegungsapparat auf: Für eine umfassende Behandlung braucht es im Behandlungsteam von Beginn an darauf spezialisierte Fachpersonen.
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Um funktionellen Veränderungen vorzubeugen oder frühestmöglich entgegenzutreten, müssen neben der Überwachung des Gelenkstatus Alignement, Koordination, Kraft, Balance, allgemeine Fitness und Körpergefühl getestet und bei Bedarf frühzeitig trainiert werden.
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In einem interprofessionellen Behandlungsteam bringt jede Berufsgruppe unterschiedliche Kompetenzen, Erfahrungen und Perspektiven mit. Ein solches Team optimiert die Patientenbetreuung und garantiert eine bessere Prognose für den Krankheitsverlauf.
Abhängig von der Verfügbarkeit der Faktorpräparate sowie von Alter und Schweregrad kann sich der klinische Verlauf einer Hämophilie sehr unterschiedlich entwickeln. Bei älteren Patienten und bei Patienten aus Gebieten mit unzureichender Möglichkeit der medikamentösen Behandlung zeigt sich oft eine schwerwiegende Gelenksarthropathie. Besonders ungünstig wirkt sich auch die Entwicklung eines Hemmkörpers gegen die Faktorpräparate auf den Krankheitsverlauf aus. Patienten mit Hemmkörpern zeigen häufig ein ähnliches Bild wie Patienten, die unzureichend mit Faktorpräparaten versorgt wurden. Diese Patienten benötigen neben der medikamentösen zwingend auch eine physiotherapeutische und/oder orthopädische Unterstützung sowie unter Umständen auch geeignete Hilfsmittel wie beispielsweise Einlagen, Spezialschuhe und Gehhilfen.
Junge Patienten, die bereits im Kleinkindalter medikamentös optimal versorgt worden sind, zeigen meistens einen auf den ersten Blick unauffälligen Gelenkbefund. Ihre Partizipation bei Aktivitäten in der Schule und Freizeit kennt auch praktisch keine Einschränkungen. Bei näherer Untersuchung lassen sich jedoch in diversen Bereichen deutliche Abweichungen von der gesunden Norm finden. So zeigen sich beispielsweise Auffälligkeiten im Gangbild2 und in der Kraft der Extremitäten.3 Zudem weisen Kinder mit Hämophilie im Vergleich zu Altersgenossen ohne Hämophilie im Durchschnitt einen beeinträchtigten Gleichgewichtssinn,4 eine schlechtere Bewegungskoordination und eine geringere allgemeine Fitness5 auf. Besonders eindrücklich zeigte dies auch die Grundlagenstudie aus dem Jahr 20076 und die «Joint Outcome Continuation Study»1 der Gruppe um M. Manco-Johnson, in der Patienten vom frühen Kindesalter bis zum 18. Lebensjahr unter Beobachtung standen. Obwohl bei den Kindern die Prophylaxe ab frühestem Kindesalter jeden zweiten Tag erfolgte und die Blutungsrate entsprechend tief gehalten werden konnte, wurden bei einem Drittel der Kinder in der MRT oder der klinischen Untersuchung Gelenkschäden nachgewiesen.
Behandlungsansätze
Die wichtigsten Ziele der Hämophiliebehandlung sind, die Anzahl der Blutungsereignisse möglichst gering zu halten und einen guten Gesundheitszustand zu erhalten, um dem Patienten mit Hämophilie ein möglichst normales und aktives Leben mit einer guten Partizipation und einer hohen Lebensqualität zu ermöglichen. Bei der medikamentösen Therapie der Hämophilie müssen unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden, wie z.B. die Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren, das Alter des Patienten, der klinische Verlauf der Krankheit und der Lebensstil. Die Fallbeurteilung und -koordination, die Auswahl und die Anpassung der Faktorsubstitutionen, die Behandlung von Blutungen sowie die stetige Beratung und Schulung von Eltern und Patienten ist Aufgabe eines erfahrenen Facharztes zusammen mit einer auf Hämophilie spezialisierten Pflegefachkraft. Wegen der Neigung der Patienten mit Hämophilie, strukturelle und funktionelle Schäden am Bewegungsapparat zu entwickeln, ist das Hinzuziehen von PhysiotherapeutInnen und OrthopädInnen bereits vor dem Auftreten allfälliger Probleme dringend indiziert mit dem Ziel, funktionellen Veränderungen vorzubeugen oder sie frühestmöglich zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Neben dem Gelenkstatus müssen die axiale Ausrichtung («Alignement»), die Koordination, die Kraft, das Gleichgewicht und das Körpergefühl geprüft und bei Bedarf geschult werden.7 Die Schulung kann im Rahmen einer physiotherapeutischen Behandlung oder direkt durch entsprechende Anleitung gezielter Übungen erfolgen, welche zu Hause oder an geeigneten Geräten im Trainingscenter regelmässig durchgeführt werden. Auf diese Weise werden das muskuloskelettale System insgesamt und die Funktion einzelner Gelenke unterstützt, damit funktionelle Abläufe wie beispielsweise das Treppensteigen wieder oder weiterhin schmerzfrei, sicher und kraftvoll ausgeführt werden können. Sofern der Gelenkstatus und der allgemeine Fitnesszustand es gestatten, kann dies auch durch eine angeleitete, wohldosierte Ausübung von sportlichen oder sonstigen regelmässigen körperlichen Aktivitäten erreicht werden.
Die Vorteile des interprofessionellen Behandlungsteams
In einem interprofessionellen Behandlungsteam bringt jede Berufsgruppe unterschiedliche Kompetenzen, Erfahrungen und Perspektiven mit. Jedes Teammitglied hat eine eigene Vorgehensweise und setzt einen anderen Fokus auf die Krankheit und ihre Auswirkungen. Dies bildet die Grundlage für einen aktiven und inspirierenden Austausch zwischen den Berufsgruppen des Behandlungsteams, welcher nicht nur für den Patienten vorteilhaft ist, sondern auch Synergien innerhalb des Teams entwickeln lässt.
Tab. 1: Vorteile und Stärken der Interprofessionalität
Abb. 1: Zusammensetzung des interprofessionellen Teams
Es ist im höchsten Interesse des Patienten, dass er die Wirkungsweise und die Mechanismen der Hämophilie versteht und dazu befähigt wird, sich entsprechend den Risiken und Einschränkungen seines Gesundheitszustandes verhalten zu können.7 Die Patientenschulung beginnt bereits im Kindesalter und wird nach und nach dem Alter und Vorwissen angepasst. Besonders jüngere Patienten mit Hämophilie müssen wiederholt und manchmal mit unterschiedlichen Worten oder Herangehensweisen und Perspektiven an die Auswirkungen ihrer Blutgerinnungsstörung erinnert werden. Sie sollen geschult werden, was und wie sie selbst dazu beitragen können, Blutungen zu vermeiden und ihre Gelenke möglichst gesund zu halten. In einer interprofessionellen Hämophilie-Sprechstunde ist dies sicher am besten möglich: Ein interprofessionelles Behandlungsteam ist besser in der Lage, aufkommende Probleme frühzeitig zu erkennen und entsprechend indizierte Massnahmen sofort einzuleiten. Die breit abgestützte interprofessionelle Kompetenz unterstützt den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Patienten, welches in der oft langjährigen Beziehung zwischen Behandlungsteam und Patient essenziell ist.
Fazit
Patienten mit Hämophilie werden heute zur Vorbeugung von Blutungsereignissen und nachfolgenden Komplikationen bereits ab dem Kleinkindalter prophylaktisch mit Faktorpräparaten behandelt. Dennoch kommen Auffälligkeiten im Bereich des Bewegungsapparates noch immer relativ häufig vor. Die Vorteile eines interprofessionellen und umfassenden Behandlungskonzepts sind unbestritten, der Einbezug von Fachleuten aus den Bereichen Orthopädie und Physiotherapie wird leider noch oft vernachlässigt und soll vermehrt von Anbeginn fester Bestandteil der Hämophilie-Sprechstunde sein.
Literatur:
1 Warren BB et al.: Young adult outcomes of childhood prophylaxis for severe hemophilia A: results of the Joint Outcome Continuation Study. Blood Advances 2020; 4(11): 2451-9 2 Bladen M et al.: Can early subclinical gait changes in children with haemophilia be identified using the GAITRite walkway. Haemophilia 2007; 13(5): 542-7 3 Stephensen D et al.: Influence of ankle plantar flexor muscle architecture and strength on gait in boys with haemophilia in comparison to typically developing children. Haemophilia 2014; 20(3): 413-20 4 Pérez-Alenda S et al.: Balance evaluation in haemophilic preadolescent patients using Nintendo Wii Balance Board®. Haemophilia 2017; 23(1): e18-e24 5 Seuser A et al.: Early orthopaedic challenges in haemophilia patients and therapeutic approach. Thrombosis Research 2014; 134(Suppl 1): S61-7 6 Manco-Johnson MJ et al.: Prophylaxis versus episodic treatment to prevent joint disease in boys with severe hemophilia. New England Journal of Medicine 2007; 357(6): 535-544 7 Srivastava A et al.: Guidelines for the management of hemophilia. Haemophilia 2013; 19(1): e1-e47
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